Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Gesundheit deutlich pathologische Reaktionen als Mittel ihrer Verwirklichung mit ein.” (Hartmann 1939/1972, S. 22) Darüber hinaus schlug Hartmann dynamische Brücken zu Nachbardisziplinen, etwa zu den Sozialwissenschaften, zur akademischen Psychologie, zur Entwicklungspsychologie, zu Lern- und Feldtheorien sowie zur Kunst und Philosophie (Rangell 1965). Ernst Kris (1936, 1952, 1956) forschte über den Beitrag, den unbewusste und vorbewusste Ich-Prozesse zur Aufrechterhaltung des inneren Gleichgwichts leisten und zur Beteiligung des Ichs an Sublimierung und Kreativität. Er prägte die Formulierung „Regression im Dienste des Ichs“, die auf die Entwicklung ebenso bezogen werden kann wie auf die klinische Situation und auf kreative Anpassungen und Strebungen. Kris’ Überlegung, dass rasche Schwankungen zwischen unterschiedlichen Ebenen des psychischen Funktionierens – Regression / Progression / Integration – von den integrativen Funktionen des Ichs gesteuert werden und einen wesentlichen Beitrag zur Kreativität in den Künsten wie auch in den Wissenschaften leisten, wurde von Peter Blos, Sr. (1954, 1967, 1971, 1978, 1979) weiterentwickelt, einem renommierten Ich- Psychologen und Theoretiker der Adoleszenz, die er als „Regression im Dienste der Entwicklung“ beschrieb. Darüber hinaus öffnete diese Konzipierungsrichtung späteren Generationen postfreudianischer Denker die Tür zur Erforschung der Entwicklung und der freien Assoziation (Bellak 1961, 1989) sowie zur Kunst und Kreativität (Rose 1963, 1964, 1999, 2004). David Rapaport (1951a, b; 1953, 1958b) forschte über die Entwicklung und Organisation des Denkens, über die Entwicklungsschicksale der Affekte und über die Beziehung zwischen der Unabhängigkeit des Ichs von seiner Umwelt einerseits und von den Trieben andererseits. Er zeigte, dass die relative Autonomie vom Es durch die Beziehung des Menschen zur Umwelt – und vice versa – garantiert werde. Als Grundlage der Entwicklung betrachtete Rapaport einen interaktiven Prozess mit anwachsender organisatorischer Komplexität. Er beschrieb eine zunehmend komplexe, hierarchische Entwicklung motivationaler Triebabkömmlinge und einer zunehmend komplexen Organisation der Abwehrmechanismen des Ichs. Rudolph Loewenstein (1938, 1945, 1957, 1967) untersuchte die komplexe Beteiligung des Ichs, des Selbst, des Über-Ichs und der Triebe an der Entstehung des Masochismus in Verbindung mit den allerersten libidinösen und aggressiven Objektbindungen. Nachdem er versucht hatte, das Konzept „vitaler Triebe der Selbsterhaltung“ oder „somatischer Triebe“ (Loewenstein 1940) erneut in die Psychoanalyse einzuführen, postulierte er, dass die durch Aggression von innen und/oder außen hervorgerufene unbewusste „Libidinisierung des Leidens“ dem Mechanismus der „Verführung des Angreifers“ zugrunde liege, einem Vorläufer des Masochismus und einer Waffe, mittels deren das hilflose Kind sich die Liebe der Eltern, die für sein Überleben ebenso wichtig ist wie für die Entwicklung der Sexualität, zu sichern versucht (Loewenstein 1957a, S. 231). Sein Konzept der „phallischen Passivität

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