Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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des Mannes“ (Loewenstein 1935) verweist auf die dynamische Bedeutung der passiv- aktiven Subphasen der psychosexuellen Entwicklung. An Freuds (1909d), Anna Freuds (1936) und Fenichels (1945) Beschreibung des psychoanalytischen Zuhörens anknüpfend, führt Loewenstein die verschiedenen Schichten, die sich im freien Assoziieren äußern, also die Triebabkömmlinge sowie die Abkömmlinge des unbewussten Ichs und des Über-Ichs, weiter aus und erläutert „das Hören auf das, was gesagt wird; darauf, wie es gesagt wird; wann und in welchem Kontext es gesagt wird; was nicht gesagt, sondern absichtlich oder unabsichtlich ausgelassen wird; und schließlich das Hören auf die Abwesenheit von Kommunikation – das Hören aufs Schweigen“ (1963, S. 453). Erik H. Erikson (1950, 1956), Repräsentant der Ich-Psychologie mit bio- sozialer Orientierung, entwickelte die Konzepte der „Ich-Identität“ und der „Ich- Integrität“ im Rahmen seiner Beschreibung der psychosozialen Epigenese im Lebenszyklus (Vertrauen vs. Misstrauen im Säuglingsalter; Autonomie vs. Scham im Kleinkindalter; Initiative vs. Schuldgefühle im Kindergartenalter; Fleiß/Tüchtigkeit vs. Unterlegenheitsgefühle im Schulalter; Ich-Identität vs. Rollenkonfusion in der Adoleszenz; Intimität vs. Isolation im frühen Erwachsenenalter; Generativität vs. Stagnation im mittleren Erwachsenenalter; Ich-Integrität vs. Verzweiflung im Alter) und schlug so eine Brücke zwischen Individual- und Sozialpsychologie. Mitunter als lineare Norm missverstanden, postuliert seine Theorie der acht Phasen der psychosozialen Entwicklung eine Reihe von „Kernkonflikten“, die zu „Entwicklungskonflikten“ mit erhöhter Vulnerabilität und erhöhtem Potenzial führen können und jeweils charakterisiert sind durch eine Sequenz der Desorganisation – Reorganisation – Konsolidierung, bei der die Ich-Regression eine wesentliche Rolle spielt . Vor allem in der Adoleszenz ist eine neue Konsolidierung der Identität auf der Grundlage zahlreicher vorausgegangener Identifizierungen nicht möglich, solange den Jugendlichen kein Raum für eine vorübergehende regressive Bewegung und ein Experimentieren mit verschiedenen Identitäten zur Verfügung steht. Auf Ernst Kris’ Konzept der „Regression im Dienste des Ichs“ und Peter Blos’ Konzept der „Regression im Dienste der Entwicklung“ zurückgreifend, beschreibt Erikson die Regression als Teil der oszillierenden Rhythmen des Wachstumsprozesses. Erikson (1956 /1973) verstand sich selbst als einen „Psychoanalytiker[], der weniger durch Beschäftigung mit der Theorie als durch Ausweitung seiner klinischen Beobachtungen auf andere Gebiete (Sozialanthropologie und vergleichende Erziehungslehre) zu einem neuen Begriff [nämlich Ich-Identität] gelangt ist, wobei er zugleich erwartete, daß diese Erweiterung seines Gesichtsfeldes wiederum für seine klinische Arbeit fruchtbar werden könnte“ (S. 123). Seine Schriften wurden mitunter missverstanden und als „nicht genügend psychoanalytisch“ abgetan. Zur Zeit erfährt sein Werk eine neuerliche Würdigung in Verbindung mit den psychoanalytischen Interessen des 21. Jahrhunderts, die dem Einfluss der Kultur in hohem Maße Rechnung tragen. Eriksons Überlegungen zu den inneren psychischen Schwankungen im Laufe

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