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Theodore Dorpat (1999, 2000) versteht die Regel der freien Assoziation als eine Double-bind-Kommunikation (Bateson 1972), die wiedersprüchliche Botschaften enthält, indem sie jemandem befiehlt , sich frei zu äußern. Dorpat zufolge ist die freie Assoziation eine Negativfähigkeit (Suspendierung bestimmter Abwehrfunktionen), deren Entwicklung gemeinsam aufgebautes Vertrauen und Sicherheit in einem intersubjektiven Interaktionskontext voraussetzt. Er schreibt: „Die freie Assoziation beruht nicht nur auf einer Schwächung der Abwehrmechanismen, z.B. Verdrängung und Verleugnung, sondern auch auf der Herstellung einer vertrauensvollen Situation zwischen Analytiker und Patient, damit dieser sich genügend sicher fühlt, um seine Verdrängungsabwehr hintanzusetzen und folglich frei zu assoziieren und zu sprechen. […] Die Qualität der freien Assoziationen hängt in sehr hohem Maß von der interpersonalen Umwelt ab“ (Dorpat 1999, S. 141). Wie zahlreiche weitere zeitgenössische Autoren aller Denkrichtungen behauptet auch Dorpat, dass die Fähigkeit, frei zu assoziieren, zu erkennen gibt, dass man einen Zustand hinreichender psychischer Freiheit erreicht hat, die es erlaubt, unzensiert und offen mit jemand anderem zu sprechen. Er empfiehlt Klinikern, Patienten nicht zur Befolgung einer „Regel“ aufzufordern, sondern sie zu ermutigen, frei zu sprechen, und zur Schaffung einer interpersonalen Umgebung beizutragen, die ihm dies erleichtert. Darüber hinaus spricht er sich – darin Kris (1982) nicht unähnlich – dafür aus, die freie Assoziation als erstrebenswertes Ziel der Therapie und nicht als Regel oder Grundbedingung zu betrachten. Irwin Z. Hoffman (2006) stellte das traditionelle Verständnis der freien Assoziation unter einem relational-konstruktivistischen Blickwinkel in Frage. Unter dem allgemeinen relationalen Blickwinkel wird die freie Assoziation in höherem Maß durch eine freie Entwicklung der Interaktion ergänzt, wozu auch Übertragungs- Gegenübertragungsenactments als Ausdrucksformen zählen, die zum Gegenstand kritischer Betrachtung werden, damit die Therapie ihre Wirkung entfalten kann. Als entschiedener Kritiker traditioneller Konzeptualisierungen der freien Assoziation und der Übertragung macht Hoffman geltend, dass solche Konzepte drei Formen der Verleugnung, die in entsprechechenden Mythen Ausdruck finden, in sich enthalten: 1. die Verleugnung der freien Urheberschaft des Patienten; 2. die Verleugnung der wechselseitigen interpersonalen Beeinflussung von Patient und Analytiker; und 3. die Verleugnung des Anteils der Verantwortung, den der Patient für die gemeinsame Konstruktion der analytischen Beziehung hat. Da Hoffman (2006) die freie Assoziation als Beispiel für ein Konzept betrachtet, das den Patienten seiner Verantwortlichkeit beraubt und ihn infolgedessen von jeder „Schuld“ wie auch jedem „Verdienst“ an seinen eigenen Beiträgen freispricht, möchte er „ein Klima“ herstellen, „das einerseits einer Mischung aus (1) habituellen/charakterlichen, (2) regressiven / zugrunde liegenden und (3) imaginativen/neuen Konstruktionen der Interaktion und andererseits der kritischen Reflexion über den konstruktiven Prozess an sich“ zuträglich ist (S. 52). Das bedeutet,
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