Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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übergehen, die unbewusste Bedeutung offenlegen. […] An der entsprechenden Fähigkeit erweist sich die Kompetenz des Analytikers. […] Eine Deutung kann gegeben werden, wenn die symbolische Interaktion zwischen Analytiker und Analysand einen Punkt erreicht hat, an dem sich die Vorstellungen des Analytikers, die er den unbewussten Intentionen des Analysanden zuschreibt, stabilisieren“ (S. 312, 325). Von Relevanz ist hier ein Beitrag von Christopher Bollas (2000 [1992]), einem in Nordamerika geborenen britischen Analytiker (zu Details siehe den nächsten Abschnitt). Bollas diskutiert die klinische Nützlichkeit einer umsichtigen Offenlegung der eigenen freien Assoziationen durch den Analytiker, die nach seiner Ansicht häufiger vorkommt als gemeinhin anerkannt. Eine solche Offenlegung sollte, so seine Empfehlung, abgewogen sein und so mit dem Material des Patienten zusammenhängen, dass sie diesen „in eine vorbewusste Beziehung zu seinen unbewussten, latenten Gedanken bringen“ kann (S. 112). Sodann ist es wichtig, dass der Analytiker „abwägt, welchen Gebrauch der Analysand nachfolgend von einer mitgeteilten Assoziation machen wird“ (S. 112). Im Gefolge der oben genannten Autoren plädiert Zvi Lothane (2010) dafür, an der Kontinuität und Relevanz der Freud’schen Methode und Technik der freien Assoziation festzuhalten. Er unterstreicht insbesondere die Ähnlichkeit zwischen dem psychischen Zustand des frei assoziierenden Patienten und der gleichschwebenden Aufmerksamkeit des Analytikers und trägt der wechselseitigen Interaktion durch die methodologische und terminologische Erweiterung seines Konzepts der reziproken freien Assoziation Rechnung (Lothane 1984, 2007, 2010). So schreibt er, “dass die freie Assoziation des Analytikers ein integraler Bestandteil der freien Assoziation des Analysanden ist, der Patient nie zu einer Wand spricht, sondern zu einem Anderen, der seinen Gedanken […] um jede Biegung und Windung des Weges herum folgt. Ganz gleich, ob die freien Assoziationen des Analytikers unausgesprochen bleiben oder ausgesprochen werden, sie verschränken sich kontinuierlich mit denen des Analysanden – zwei freie Assoziationen sind die Bedingung dafür, dass sich eine entfalten kann“ (Lothane 2007, S. 161).

IV. WEITERE ENTWICKLUNG DES KONZEPTS BIS ZUR HEUTIGEN THEORIE UND KLINISCHEN ANWENDUNG IN EUROPA

Europäische Analytiker nehmen die sehr unterschiedlichen Entwicklungen, die das Konzept in Nordamerika genommen hat – von Anton Kris‘ Aussage: „Für mich ist der

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