Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Situation, das notwendige und hinreichende Agens der therapeutischen Wirkung, setzt aber auch die psychische Arbeit der „Übertragung auf Sprache“ voraus. Auch André Green (2002) betont weniger den einzelnen Einfall an sich als vielmehr den „Assoziationsprozess“. Ihn interessiert insbesondere die Metapsychologie seines Zusammenbruchs oder seiner Schwächung. Ein solcher Zusammenbruch wurde von ihm vorwiegend in der Analyse von Borderline-Patienten beobachtet und im Kontext seiner Überlegungen zum Negativen, eine Art „Angriff auf Verbindungen“ (Bion) theoretisiert. Green betont zunächst, dass diese Zusammenbrüche des Assoziationsprozesses während der Therapiesitzung mit tertiären Prozessen zusammenhängen, deren Funktion darin besteht, Primär- und Sekundärvorgang miteinander zu verbinden. Green identifiziert das von ihm so bezeichnete Phänomen einer „Assoziationsphobie“, die Analysanden daran hindert, sich mit Gedanken zu konfrontieren. Sie dient weniger der Vermeidung von Kastrationsängsten oder psychischen Konflikten als vielmehr dem Ausweichen vor der Bearbeitung einer zentralen traumatischen Desorganisation des Ichs. Diese Desorganisation setzt sich über das Lustprinzip hinweg und führt zu einer Art Sackgasse. Im Anschluss daran wird eine schützende „Vakuum“ errichtet. Diese Patienten erleben alles, was geschehen ist, so, als ob verschiedene traumatische Erfahrungen aus unterschiedlichen Lebensphasen sich zu einer Art „zentralen phobischen Kerns“ miteinander verbunden hätten. Charakterisiert ist dieser Nukleus durch Punkte psychischer Verwirrtheit, die in der Zeit und mit dem Objekt, insbesondere mit der Mutter des Subjekts, existieren und in Sackgassen die Valenz inzestuöser Entsprechungen annehmen. Fortan wird die gesamte Ich-Organisation durch die Wendung der Destruktivität gegen ein reibungsloses Funktionieren geschädigt und droht am Ende zerstört zu werden. Vor dem Hintergrund dieser spezifischen klinischen Überlegungen unterstreicht Green, dass die Assoziativität keinen linearen Prozess darstellt, sondern sich netzförmig, in Geflechten aus verschiedenen zeitlichen und prozessualen Modalitäten entfaltet. René Roussillon (2009a, b) kommt den beiden soeben genannten Autoren mit seiner Auffassung nahe, dass die Schwierigkeiten, den Assoziationsreihen während der Behandlung zuzuhören, mit der Tatsache zusammenhängen muss, dass es sich bei den von diesen Autoren untersuchten Formen der Assoziativität ausschließlich um verbale Assoziativität und Narration handelt. Seine detaillierte Sichtung Freud’scher Texte, die diese Fragen thematisieren, ergab, dass Freud zwar durchgängig Assoziativität und Narration mit sprachlichen Formen in Verbindung brachte, die Grundregel aber nicht exklusiv auf verbale Sprache bezog. Auch wenn Freud die Grundregel im Jahr 1907 zunächst im Zusammenhang mit der Behandlung des „Rattenmannes“ formulierte, beweisen die Sichtung seiner späteren klinischen Beiträge (Freud 1907a, 1909d, 1913c, 1913m) sein großes Interesse an der Sprache des Affekts sowie den unterschiedlichen nonverbalen Kommunikationsmodi. 1913 brachte Freud unmissverständlich zum Ausdruck, dass er Sprache und menschliche Expressivität keineswegs auf die verbale

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