Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Insgesamt gesehen, bleibt die freie Assoziation für alle zeitgenössischen psychoanalytischen Schulen, die den psychischen Determinismus als zentrales Merkmal des psychischen Lebens begreifen, ein maßgeblicher Teil der klinischen Methode. Die Ziele der freien Assoziation werden heute mit Blick auf das Verstehen der Übertragung und der Charakterabwehr konzipiert, die sich in den Schwierigkeiten, die Grundregel zu befolgen, äußern (Auchincloss & Samberg 2012). Die Art und Weise, wie Psychoanalytiker mit der freien Assoziation arbeiten, ist unterschiedlich. Analytiker, deren Aufmerksamkeit sich in erster Linie auf den Prozess richtet, fokussieren die minuziösen Veränderungen der Assoziationen (Prozess) und leiten die Patienten an, über diese Erfahrung nachzudenken. Damit schreiben sie deren Selbstreflexion zentrale Bedeutung zu (Gray 1973, 1982; Kris 1982; Busch 2011). Andere konzentrieren ihr Zuhören vorwiegend auf unbewusste Themen (Inhalt), die der Abfolge der Assoziationen zugrunde liegen (Loewenstein 1963; Arlow 1979a, b; Lothane 2018). Wieder andere (Joseph 1985) integrieren beide Ansätze und richten das Augenmerk auf die minuziösen Veränderungen sowie auf die den Assoziationsreihen zugrunde liegenden unbewussten Themen. Dieses integrative Vorgehen entspricht im Grunde der zeitgenössischen, allgemeinen analytischen Praxis, die im Großen und Ganzen weder ausschließlich auf den Prozess noch exklusiv auf den Inhalt fokussiert, sondern viele weitere spezifische Faktoren berücksichtigt (Blum 2016, 2019).

V. ENTWICKLUNG DES KONZEPTS IN LATEINAMERIKA

V. A. INTERNATIONALE, IN LATEINAMERIKA EINFLUSSREICHE BEITRÄGE Historisch gesehen, haben die folgenden internationalen Autoren und Konzeptualisierungen der freien Assoziation Einfluss auf die lateinamerikanischen Entwicklungen des Konzepts ausgeübt: Jacques Lacan (1966) betonte die Phantasien als Inhalte des Unbewussten. Dies hatte eine andere Art des klinischen Zuhörens zur Folge, nämlich ein Hören auf Anzeichen einer in den freien Assoziationen verborgenen entstellten Phantasie. Der Analytiker konzentriert seine Aufmerksamkeit auf die Wörter an sich und auf das Unausgesprochene zwischen den Wörtern. Definierend für die Praxis der Psychoanalyse ist in erster Linie die Grundregel, das Prinzip der „freien Assoziation“. Sie macht die Einzigartigkeit der Psychoanalyse aus. Gemäß der Grundregel ist eine Form der Kommunikation oder des Diskurses anzustreben, die sich von jedem anderen Diskurs unterscheidet. Die Anerkennung dieser Diskursform, die Vorstellung, dass sie Wahrheit – definiert als neue, Autorität erlangende Äußerungen - in sich birgt, fundiert die Psychoanalyse. Der Analytiker hat die Aufgabe, ein Diskurssetting zu schaffen, in dem dieses improvisierende Sprechen möglich wird. Das lacanianische Interesse gilt

142

Made with FlippingBook - Online magazine maker