Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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vermittelt: zum einen die Aufforderung, das Setting zu befolgen, und zum anderen mitzuteilen, dass er süchtig nach ihm ist oder sich ihm unterwirft. In jedem Fall ist zu erwarten, dass ein Patient, der die Regeln des Settings extrem genau befolgt, nicht immer mit ihnen konform geht, was Angst, Panik, Schuld- und Depersonalisierungsgefühle usw. hervorruft. In diesem Fall würde der Analytiker intervenieren, um die unbewussten Phantasien angesichts des Bruchs durchzuarbeiten. Laverde und Bayona betrachten eine offenkundige Befolgung des Settings nicht als Resultat der Unterwerfung unter eine institutionelle Macht, denn unter optimalen Bedingungen wird die Technik durch andere theoretische Konzepte unterstützt: Die freien Assoziationen, die unbewusste Inhalte und Prozesse zutage fördern, erfolgen im Kontext von Übertragung, Gegenübertragung, Widerstand und unterschiedlich konzeptualisierten Konflikten. Jaime Marcos Lutenberg (2015) schreibt über ‘Corporeal Free Associations’: "In einer Sitzung haben wir Zugang zu einem Beobachtungsuniversum, das weit über die verbalen Assoziationen des Patienten hinausreicht. Welche Bedeutung ist einem Glucksen, einer Tachykardie, einem plötzlichen Kopfschmerz oder einem Ersticken zuzuschreiben, Phänomen, die parallel zu einem Schweigen oder einer Lautäußerung auftreten?“ (S. 1) Lutenbergs „körperliche freie Assoziation“ ist speziell mit Bezug auf Konversionshysterie und psychosomatische Beschwerden relevant. Mit der Formulierung „körperliche freie Assoziation“ bezeichnet Lutenberg „die nicht bewusst gesteuerten muskulären Bewegungen, die während einer analytischen Regression auftreten“ (S. 5). Lutenberg schreibt in Anlehnung an Green und Bion über das Zuhören des Analytikers und vertritt die Ansicht, dass das Hören auf die freien Assoziationen von Patienten aus dem breiteren Spektrum (jenseits der Neurosen) schwierig sei und nicht ausreiche. „Das ständige, komplexe ‚Aufgeben‘ der freien Assoziation zeugt in der Übertragng von den ‚psychischen Aborten‘, die [diese Patienten] in ihrer Biographie erlebt haben“ und die im analytischen Prozess durch Gegenübertragung, negative Übertragung, Fehlleistungen repräsentiert werden. – „zeitlose psychische Katastropen, die unmöglich repräsentiert und symbolisiert werden können“ (S. 2). Zusätzlich zu dem traditionellen Zuhören, so Lutenberg, entwickeln Analytiker die Fähigkeit, „die semantischen Figurationen“ (S. 2) wie in einer Reverie zu imaginieren, die der Patient nicht generieren kann, und sich vorzustellen, worauf das Schweigen der Assoziationen in der Sitzung zurückzuführen ist. Dies ist laut Lutenberg eine Art des zuhörenden Verstehens dessen, was dem Schweigen zugrunde liegt, nämlich eine „psychische Leere“ (all das, was der Patient aus dem analytischen Dialog herauszuhalten versucht). Lutenbergs wichtiger zeitgenössischer Beitrag besteht darin, „parallel“ zu der „verbalen freien Assoziation“ auch dem „Schweigen der Assoziationen“, das die psychische Leere verbirgt, und der „körperlichen freien Assoziation“ der Körperbewegungen Aufmerksamkeit zu widmen, um die Verbindung und den Unterschied zwischen hysterischen und psychosomatischen Phänomenen zu erforschen.

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