Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Ausgehend von Freuds (1905b) frühen Vermutungen über Veränderungen der libidinösen Besetzungen sowie Hartmanns und Kris’ Arbeiten über die Neutralisierung der Trieb“energie“, nimmt man heute an, dass Sublimierungen erfolgen, wenn ein unerfüllbarer (Trieb-)Wunsch oder ein Begehren verdrängt, projiziert und symbolisiert und dann mit den sich entwickelnden autonomen Ich- Funktionen integriert wird (Blackman 2010). Wenn z.B. ein Junge realisiert, dass er keine Kinder bekommen wird, kann sein Wunsch nach einem Kind auf den Wunsch nach einem Hund verschoben und solcherart symbolisiert werden. Wenn er liest oder von Erwachsenen erklärt bekommt, wie man Hunde erzieht (Benutzung des Intellekts), und es selbst lernt, werden seine Liebe zum Hund und seine Unternehmungen mit ihm in eine sublimierende Aktivität integriert. Später wird er vielleicht Psychologe oder Arzt; die ursprüngliche Sublimierung wird komplexer und erreicht den Rang eines „Ich- Interesses“ (Hartmann 1939/1972). Weil an der Aktivität Intellekt, Integration, Abstraktionsfähigkeit, Über-Ich-Aktivität (Ethik) und Empathie für Patienten beteiligt sind, kann man eine solche Berufswahl nicht einfach auf die ursprünglichen Symbolisierungen und die Integration mit dem autonomen Ich-Funktionieren reduzieren. Erst in Situationen, in denen die Berufswahl z.B. konflikthaft und schwierig ist, kann die Dekonstruktion der Symbolik der ursprünglichen Sublimierung in einer analytischen Behandlung notwendig werden. Die Unfähigkeit zu sublimieren kann in der Entwicklung von Kindern und Heranwachsenden zu schweren Psychopathologien führen (de Mijolla-Mellor 2005), und zwar vor allem zu persistenten Kompromissbildungen unter Beteiligung von Sexualität und Gewalt. Im Gegensatz zu solchen Entwicklungsstörungen kann man die sekundäre Hemmung eines bereits entwickelten Ich-Interesses im Falle der „Erfolgsneurosen“ beobachten, aber auch bei plötzlich auftretenden Störungen der Hobbys erwachsener Menschen (Cath et al. 1977), wenn die Aktivität erneut „vertrieblicht“ wurde. Cath (1977) beschreibt das Beispiel einer hervorragenden Tennisspielerin, die ihrer motorischen Kontrolle ganz plötzlich infolge eines Schuldgefühls verlustig ging. Das Schuldgefühl war die Reaktion auf eine Bemerkung, die jemand hatte fallen lassen: Tennis sei „eine gute Möglichkeit, Aggression loszuwerden“. Im Bereich der Erforschung von Kunst und Kreativität hat sich das Verständnis der Sublimierung verändert. Sie wird nicht mehr als eine – wiewohl sozial wertvolle - Ich-Abwehr betrachtet, sondern als eine bedeutsame Möglichkeit, Ich-Stärke zu fordern (und damit indirekt auch als Möglichkeit, die Bandbreite der Selbst- und Objektrepräsentanzen und -symbole zu erweitern). Ein Beispiel dafür ist Gilbert J. Rose (1990), der die Konzepte Hartmanns, Kris’ und Arlows zusammenführt. Mehr dazu unten, im Abschnitt über Interdisziplinäre Untersuchungen.

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