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Laufe der Zeit an Komplexität zugenommen. Sie sind nuancierter geworden und werden in höherem Maß individuell angepasst. Besonders relevant sind entwicklungspsychologische und psychodynamische Beurteilungen der Persönlichkeitsorganisation des Patienten, insbesondere seiner Ich-Fähigkeiten und Objektbeziehungen mit Blick auf die verschiedenen Dimensionen der psychoanalytischen Situation, etwa des Übertragungs-Gegenübertragungsfeldes und der Repräsentations- und Deutungsprozesse, die in den verschiedenen Denkschulen unterschiedlich konzeptualisiert werden. Je nach Analytiker und Patient können solche Erwägungen entweder dazu führen, dass die Methode der freien Assoziation als Kernelement der psychoanalytischen Situation beibehalten wird oder dass der Analytiker konzeptuelle und technische Modifizierungen vornimmt. Dazu zählen eine moderate oder minimale Verwendung freier Assoziationen einschließlich deren Umformulierung im intersubjektiven Kontext oder ein vorübergehender Verzicht auf das freie Assoziieren (um die Unterscheidung zwischen Realität und Phantasie zu konsolidieren, Vertrauen und Sicherheit zu stärken und die Erforschung der Objektbeziehung zu erleichtern). Weitere Modifizierungen wären etwa die Fokussierung auf die Prozesse statt auf die Inhalte freier Assoziationen sowie eine Erweiterung ihrer Themen, um Analysanden zu ermutigen, auch Körpersensationen, Bilder, Träume, Erinnerungen und Bezugnahmen auf den Analytiker in Worte zu fassen. Dies entspricht einem langjährigen Trend, die Bandbreite des Assoziationsmaterials zu erweitern, um Zugang zu den frühesten präverbalen, emotional und relational wichtigen Erfahrungen zu finden, das klinische Verstehen von „Prä-Objekt-Beziehungen“ zu vertiefen und die Wiederherstellung der psychischen Kontinuität zu maximieren. Als wichtiges Gegenstück zum freien Assoziationsprozess des Patienten gilt eine reziproke freie Assoziationsaktivität seitens des Analytikers, unterschiedlich konzeptualisiert als gleichschwebende Aufmerksamkeit im Rahmen der analytischen Neutralität, als Instrument der Analyse oder als transformative Alpha-Funktion, die der Patient internalisieren und sich kreativ zu eigen machen soll. Mit wenigen Ausnahmen halten viele Vertreter unterschiedlicher theoretischer Orientierungen in der nordamerikanischen Psychoanalyse, die im Spannungsfeld zwischen Tradition und Erneuerung zu arbeiten versuchen, ein möglichst freies Sprechen, einhergehend mit der Entwicklung von Wissbegier und einer Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und Reflexion, nach wie vor für wertvoll. Dem Analytiker kann die Wahrung der Balance zwischen Teilnahme und Beobachtung als eine methodische Struktur dienen, die es Patienten ermöglicht, die Aufgabe, ihre innere Welt, ihr psychisches Funktionieren, mit der Erfahrung und Erforschung ihrer multidimensionalen, transformativen interpersonalen Beziehung zum Analytiker zu verbinden, zu bewältigen. Ganz ähnlich gilt die freie Assoziation in der zeitgenössischen europäischen Psychoanalyse als fundamentaler Bestandteil der psychoanalytischen Therapie. Das
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