Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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genannten Beiträge zur Weitergabe von Erinnerungen und zeigte auf, wie aus katastrophischen destruktiven Ereignissen der Geschichte ein „resubjektiviertes“ und rekontextualisiertes historisches Gewahrsein wird: 1. Etwas wird aus einer anterioren Quelle injiziert. 2. Das injizierte Pro-jekt wird an einem gastfreundlichen Ort untergebracht , um dort auf unbestimmte Zeit gelagert zu werden. 3. Dasselbe Etwas ist nun suspendiert – außer Kraft gesetzt –, und seine Weitergabe ist aufgeschoben. 4. Jenes Etwas wird zu einem Projekt, das ein Mandat für einen Auftrag beinhaltet, dem Folge zu leisten ist. 5. Das Mandat findet vorrangige und freiwillige Annahme. Vorrangig/dringlich ist hier das ins frühe, inkohärente Ich injizierte, von den Vorfahren ererbte Mandat. 6. Das Subjekt wartet ab, bis ein geeignetes neues Objekt das Projekt zum Leben erweckt, so dass das nämliche Projekt oder ein Abkömmling desselben in einen öffentlichen Bereich zurückkehren kann. 7. Zu diesem Zeitpunkt hat das Subjekt aus den Augen verloren, wer ursprünglich wen geschickt hat. 8. Aktiv und passiv sind nun austauschbar geworden. 9. Eine mittlere Stimme, die weder zur Gänze aktiv noch zur Gänze passiv ist , spricht auf unsichtbare und unhörbare Weise . 10. Ein durch die mittlere Stimme vermitteltes Geschehen lässt das Subjekt in einer unendlichen, spiralförmigen Reproduktion der Übertragung(en) zu sich selbst oder zu einer Repräsentation von Anfängen zurückkehren . Diese zirkuläre Taxonomie verweist auf Sedimente der Geschichte (Husserl 1977 [1948]), die reaktiviert und sodann durch Übertragungswünsche rekonfiguiert werden, welche die Intentionalität besitzen, einen tödlichen, mandatierten oder empfangenen Auftrag auf dem sichereren gegenwärtigen Schauplatz der klinischen Situation durch wechselseitige Verbundenheit und wechselseitige Korrekturen innerhalb des Kontinuums von Übertragung-Gegenübertragung außer Kraft zu setzen (Apprey 2006). In seinem Verlauf über die wechselseitigen Verbundenheiten in einer Spirale unendlicher Übertragungsanalysen und psychologisch besetzer äußerer Bezugsfelder hinaus und zurück in die innere Welt setzt sich der Falz zwischen Innen und Außen fort (Deleuze 1986/1988). III. Fec. Nachträglichkeit und Kunst Der bi-direktionale zirkuläre Prozess der Nachträglichkeit wurde in verdichteter Form (Marion 2011) und über einen langen Zeitraum hinweg (Wilson 2003) auch in der Arbeit von Künstlern beobachtet. Paola Marion (2011) schreibt über eine verdichtete Traumszene in Giovanni Bellinis (1430-1514) Gemälde „Heilige Allegorie“, sie porträtiere und repräsentiere „die Multidimensionalität der Zeit und insbesondere eine spezifische Form der Zeitlichkeit, die wir Psychoanalytiker als ‚Nachträglichkeit‘ bezeichnen“ (S. 24). Ihrer Interpretation zufolge verleiht Bellinis Gemälde „der präsenten Gegenwart multipler, den Raum passierender Zeitlinien in einem einzigen Raum Gestalt und Sichtbarkeit“ (S. 24). Laurie Wilsons (2003) verfasste eine profunde Rekonstruktion eines transformativen Après-coup-Moments in Alberto Giocomettis (1901 – 1966) Leben

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