Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Verschwindens-Wiederkehrens als dynamische Kernformulierung der konstruktiven Aspekte des psychoanalytischen Prozesses bewahrt und ausgearbeitet. In der Mehrzahl widmen sie der Bearbeitung der traumatischen regressiven Triebökonomie durch den Prozess des Après-coup und ihrem Ziel in Bezug auf die Ausarbeitung von Wunsch, Denken und psychischen Funktionieren insgesamt besondere Aufmerksamkeit. Dieses Konzept bezieht sich auf den Prozess, der durch seinen Beitrag zur Einsetzung des erotischen Lebens und des Denkens an sich an sämtlichen Modalitäten der psychischen Ausarbeitung beteiligt ist. Im Gegensatz zur französischen Psychoanalyse, in der archaische Elemente und Urverdrängung gegen die regressive Anziehung konstruiert werden, sehen moderne britische Objektbeziehungstheoretiker in der Tradition Kleins und Bions die primitive Angst als von vornherein gegeben. Im theoretischen Kontext der modernen britischen Autoren besteht die Arbeit der Psychoanalyse infolgedessen darin, solche Fragmentierungsängste und desorganisierenden Panikgefühle zu bekämpfen und zu transformieren. Insgesamt gesehen vertritt man in Europa die Ansicht, dass sämtliche psychoanalytischen Studien auch als nachträgliche Wirkungen dessen, was Freud selbst zu seiner Arbeit motivierte, betrachtet werden können; sie verleihen seinen Thesen und Annahmen neue Bedeutungen und entwickeln Aspekte der Theorie, die in Freuds Werk vernachlässigt wurden und unerforscht blieben, weiter. Auf diese Weise bereichern und modifizieren sie seine Grundlagen. Unter einem lateinamerikanischen Blickwinkel verliert man die unbestrittene Relevanz der beiden Fälle – Emma im „Entwurf“ und den „Wolfsmann“ –, die im Allgemeinen als Paradigmen betrachtet werden, wenn man das Problem der Nachträglichkeit in Freuds Schriften aufzuzeigen versucht, nie aus den Augen, geht aber davon aus, dass das Konzept in Wiederholungen ständig, wenngleich manchmal im Verborgenen, in Freuds Schriften präsent ist. Die Persistenz der Nachträglichkeit sollte nicht übersehen werden, denn das Konzept ist der Code zur unverwechselbaren, einzigartigen Zeitlichkeit des Unbewussten. Nachträglichkeit ist ein zentrales Element des Freud’schen Theoriegebäudes, eine Landmarke, die mit der Zeitlichkeit zusammenhängt und mit den Gesetzen des Primärvorgangs, der Kausalität, der Logik des Unbewussten, der Sexualität, Verdrängung und Wiederholung. Als Operation der Zeitlichkeit und als Möglichkeit, Bedeutung zu konstruieren, taucht die Nachträglichkeit unter Umständen nicht explizit auf, ist aber dennoch präsent, wenn eine Verdrängung erfolgt, und verleiht einer Erinnerung Bedeutung, wenn diese zum Trauma wird. In Nordamerika betrachten viele Analytiker das Konzept der Nachträglichkeit als Geburt des Entwicklungsmodells der Psychoanalyse, das auf komplexe Weise die Nichtlinearität unbewusster Inhalte und Prozesse einschließt, sowie als Vorläufer des Konzepts der Entwicklungstransformation, das die Bi-direktionalität von Regression und Progression im lebenslangen Wechselspiel zwischen verschiedenen „Auflagen“ des Traumas und der unbewussten Phantasie, d.h. die Dialektik der zugrundeliegenden, auf Symbolisierung, Verdrängung und Wiederholung drängenden Kräfte beschreibt.

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