Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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eine bestimmte emotionale Reaktion im Analytiker hervorruft, der […] u.U. das Gefühl bekommt, nicht mehr er selbst zu sein und unweigerlich in das Objekt transformiert zu werden, in das ihn der Patient unbewusst verwandeln will (Es, Ich oder ein inneres Objekt), oder jene Affekte (Wut, Depression, Angst, Langeweile etc.) zu erleben, die ihm der Patient aufzwingt.“ (1979, S. 234, 231) Grinbergs Konzept kann das Verständnis mancher Enactments erleichtern, zu denen es zwischen Patient und Analytiker kommt. Willy und Madeleine Baranger (1961-62, 2008), beide sehr stark von Bion beeinflusst, haben eine Theorie des analytischen Feldes entwickelt, die vor allem die Interdependenz der Ko-Beteiligten der analytischen Dyade hervorhebt und die Rolle erforscht, welche die analytische Dyade im Laufe der Behandlung für die Bildung „defensiver Bastionen“ spielt. Sie behaupten, dass jedes analytische Paar einzigartig sei und keines der beiden Mitglieder ohne das andere verstanden werden könne. Sie betrachten das analytische Feld als das eigentliche Objekt der Beobachtung und Analyse, da es die gemeinsame Hervorbringung aus projektiven Identifizierungen sowohl des Analytikers als auch des Patienten darstellt. Sie bezeichnen die Analysesitzung als eine gemeinsam konstruierte „Phantasie“: “Die basale Phantasie einer Sitzung ist nicht das bloße Verstehen der Phantasie des Patienten durch den Analytiker, sondern etwas, das in einer Paarbeziehung konstruiert wird“ […] und durch das Zusammenwirken projektiver und introjektiver Projektionsprozesse sowie der Gegenidentifizierungen mitsamt ihren unterschiedlichen Grenzen, Funktionen und Eigenschaften des Patienten und des Analytikers zustande kommt“. (W. & M. Baranger 2008)

III. PROJEKTIVE IDENTIFIZIERUNG IN DER ANALYTISCHEN ARBEIT

Das Konzept der projektiven Identifizierung beschreibt eine vorbewusste und bewusste Form des Zugangs zu einer anderen Person. Sie wird sowohl vom Psychoanalytiker als auch vom Analysanden eingesetzt und ist kein artifizielles Instrument, das der Analytiker nach Belieben benutzen kann oder auch nicht. Ungeachtet seines theoretischen Bezugsrahmens werden zwischen ihm und seinem Patienten unweigerlich projektive Identifizierungen hin und her fließen. Projektive Identifizierung ist ein dynamisches Konzept, das beschreibt, wie menschliche Beziehungen – einschließlich analytischer Beziehungen - sich entwickeln. Als solches erleichtert es die Reflexion im Zusammenhang mit klassischeren und eher statischen Konzepten wie „Übertragung und Gegenübertragung“, „Übertragungsneurose“, „Gegenübertragungsneurose“ usw. Es betont die selbstanalytische Fähigkeit des Analytikers als spontane, laufende Selbstbeobachtung

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