Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Analytiker in bestimmte Beziehungsmuster hinein und wieder heraus, da sich die Beschaffenheit des Feldes verändert und unterschiedliche Arten der Bezogenheit sich für die Teilnehmer natürlich anfühlen oder ihnen naheliegend erscheinen. Sobald eine bestimmte Weise der Bezogenheit für sie natürlich wird (Freundlichkeit), rücken andere (etwa Gereiztheit) in den Hintergrund; sie in diesem Milieu zu erzeugen wird als weniger einfach und natürlich empfunden, oder sie werden – mitunter infolge einer unbewussten Dynamik (d.h. unbewusster Abwehr) – sogar aktiv gemieden. Stern (2013c) unterstreicht zwei Punkte: Erstens die Berücksichtigung der unterstützenden und der hinderlichen Einflüsse des Feldes auf die Inhalte individueller Psychen, die es wichtig machen, dass die größtmögliche Bandbreite an unerbetenen Erfahrungen zugelassen werden; der Erfolg hängt von dem Grad an Flexibilität und Freiheit des Feldes ab. Zweitens wird der Flexibilitätsgrad des Feldes durch die Bandbreite der Bezogenheit definiert, die beiden Beteiligten zugänglich ist. Extreme Beispiele für hinderliche Einflüsse im Feld sind dissoziative Enactments. Donnel B. Sterns Theorie der Enactments (Stern 1990, 1997, 2004) ist eine Erweiterung und Weiterenticklung seiner Arbeit über unformulierte Erfahrung (Stern 1997), eine dissoziationsbasierte Sichtweise des Unbewussten. Stern (2004) zollt Philip Bromberg (1998) Konzipierung des Enactments als Resultat von Dissoziation bei Nichtvorhandensein von Konflikt Tribut und schreibt: „1. Agierte [enacted] Erfahrung und damit auch dissoziierte Zustände können nicht symbolisiert werden und existieren daher in keiner anderen expliziten Form als dem Enactment an sich. Agierte Erfahrung ist unformulierte Erfahrung. 2. Weil dissoziierte Zustände nicht symbolisiert sind, haben sie zu psychischen Zuständen keine konflikthafte Beziehung - und können eine solche nicht haben -, die so sicher wäre, dass wir sie als ‚ich‘ [‚me‘] identifizieren und auf eine bewusst spürbare Weise annehmen könnten. 3. Enactment ist die Interpersonalisierung der Dissoziation: der Konflikt, der in einer einzigen Psyche nicht erfahren werden kann, wird zwischen zwei Psychen erlebt. Der vom Patienten dissoziierte Zustand wird vom Analytiker explizit erlebt, und der vom Patienten explizit erlebte Zustand ist in der Psyche des Analytikers dissoziiert. Daher wird jeder Teilnehmer das, was geschieht, nur partiell anerkennen. 4. Enactment ist daher keine Äußerung eines inneren Konflikts. Enactment ist die Abwesenheit von innerem Konflikt – wenngleich der äußere Konflikt, der Konflikt zwischen den beiden Personen im Enactment – intensiv sein kann. 5. Enactments enden mit dem Erreichen des inneren Konflikts. Dies geschieht, wenn die zwei dissoziierten Zustände – der des Patienten und der des Analytikers – im Bewusstein des einen oder des anderen der beiden psychoanalytischen Teilnehmer formuliert werden können“ (Stern 2004, S. 213). Das Ziel der Arbeit mit dissoziativen Enactments und mit leichteren Einschränkungen des Feldes besteht laut Stern (2013c) darin, Interaktionseinschränkungen bewusst zu machen und dann zu beheben. So wird die Fähigkeit zur Bezogenheit freigesetzt, um als Schmelztiegel für das Ungebetene zu dienen. Weil aber sämtliche Vorgänge im Feld eine emergente Eigenschaft der Bezogenheit an sich verkörpern, ist es unmöglich, eine bestimmte Technik vorzugeben,

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