Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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phobisch-zwanghafter und perverser Struktur profitieren: „Dass die Intervention [des Analytikers] sich nicht an die klassische Form der Deutung hielt, sondern deutlich in Richtung einer Warnung tendierte, stand im Einklang der Handlungssprache , die dieser Patient als einzige benutzte und verstand (pragmatische Verzerrung; Liberman 1971- 72)“ (Arbiser 1994, S. 741).

IV. SCHLUSSBETRACHTUNG: METHODOLOGISCHE KOMPLEXITÄT

Die aufeinanderfolgenden Stufen in der Entwicklung von Libermans Theorie der Kommunikation – charakterisiert durch die Korrelation traditioneller psychoanalytischer Konzepte, die dem in der Klinik zu beobachtenden Dialog mutmaßlich zugrunde liegen, und durch terminologische Anleihen bei der Kommunikationstheorie, der Semiotik und der Linguistik, sowie die daraus resultierende hochindividualisierte, multidimensionale diagnostische Systematisierung - gaben Anlass zu einer Reihe methodologischer Fragen und Kontroversen. Einige dieser Debatten sind auch für viele andere Bereiche der psychoanalytischen Forschung relevant, wann immer empirische Präzision, Kategorisierung oder auch die wechselseitige Befruchtung mit Hilfsdisziplinen ins Spiel kommen. Libermann hat sein Projekt als einen konsequenten Versuch bezeichnet, die Psychoanalyse zu entmystifizieren und ihre Tendenz, zu einem Klischee, einer Form der Indoktrination, zu werden, abzuwenden. Er betrachtete ebendiese Risiken als Folge der spezifischen Besonderheiten des Charakters und der Praxis der Psychoanalyse, ihres theoretischen Pluralismus und ihrer relativen Isolation von der wissenschaftlich- akademischen Welt. Um diesen Fallgruben aus dem Weg zu gehen, richtete David Liberman das Augenmerk auf die Einzigartigkeit eines jeden Individuums. Sein uneingeschränkter Respekt galt der Vielfältigkeit der Conditio humana. Vor diesem Hintergrund formulierte er Antworten auf die folgenden epistemologischen und methodologischen Fragen: Wie lassen sich die gegenläufigen Ziele einer Methode miteinander vereinbaren, die einerseits die Singularität eines jeden Patienten betonen möchte und andererseits gleichzeitig – wie jede andere Wissenschaft - abstrakte Konzepte systematisieren und konstruieren muss? Wie kann man eine Praxis der Psychoanalyse etablieren, die dermaßen fein auf Subjektivitäten und Singularitäten abgestimmt ist und dennoch nach Maßgabe objektiver Evaluationsstandards, die zuverlässiger sind als die subjektiven Eindrücke der Personen, die diese Praxis ausüben, beurteilt werden kann?

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