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Behandlungshindernis. Später wurden beide weithin als „Königswege“ zum Unbewussten beider Beteiligter erkannt. Dies gilt bis heute. Dieser Eintrag zeichnet zunächst die Entwicklung der unterschiedlichen Bedeutungen nach, die man der Gegenübertragung im Zuge der Herausbildung der psychoanalytischen Theorie und der Entfaltung konzeptueller Bezugsrahmen beilegte. Dem schließt sich der Versuch einer resümierenden Kategorisierung an. Der bemerkenswert internationale Charakter der Konzeptentwicklung wird durchgängig hervorgehoben. Publikationstitel sind mit Anführungszeichen versehen, Jahres- und Seitenangaben verweisen auf die Quelle wörtlicher Zitate; kursiviert gesetzt werden die charakteristischen Konzeptmerkmale innerhalb spezifischer Denkschulen oder eine neueTerminologie.
II. GESCHICHTE UND ENTWICKLUNG DES KONZEPTS
II. A. Freud und die „enge Definition“ von Gegenübertragung Erstmals erwähnt wird der Begriff “Gegenübertragung” in einem Brief, den Sigmund Freuds am 7. Juni 1909 an Carl Gustav Jung schrieb. Thema war Jungs Liebesaffaire mit Sabina Spielrein: “Solche Erfahrungen, wenngleich schmerzlich, sind notwendig und schwer zu ersparen. Erst dann kennt man das Leben und die Sache, die man in der Hand hat. […] Es wächst einem so die nötige harte Haut, man wird der ‘Gegenübertragung’ Herr, in die man doch jedesmal versetzt wird, und lernt seine eigenen Affekte verschieben und zweckmäßig plazieren. Es ist ‘a blessing in disguise’” (Freud 1974a [1906-13], S. 254f.). 1910 wurde das Konzept zum ersten Mal in einer offiziellen Veröffentlichung erwähnt, nämlich in “Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie”. Hier schreibt Freud über den Analytiker: “Wir sind auf die ‘Gegenübertragung’ aufmerksam geworden, die sich beim Arzt durch den Einfluss des Patienten auf das unbewusste Fühlen des Arztes einstellt, und sind nicht weit davon, die Forderung zu erheben, dass der Arzt diese Gegenübertragung in sich erkennen und bewältigen müsse. […] Wir haben […] bemerkt, dass jeder Psychoanalytiker nur so weit kommt, als seine eigenen Komplexe und inneren Widerstände es gestatten” (Freud 1910, S. 108). Zu erwähnen ist, dass der deutsche Begriff “Gegenübertragung”, den Freud in diesen Ausführungen benutzt, von López-Ballesteros (1923) mit “transferencia reciproca” ins Spanische übersetzt wurde. Zwei Jahre später trat Freud (1912) in “Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung” für die Lehranalyse ein, die es angehenden
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