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Rationalismus, der Aufklärung, der Romantik und des Empirismus wohlvertraut. Aktiv nutzte er sie in seinen Übersetzungen, zum Beispiel als er John S. Mill vom Englischen ins Deutsche übertrug – eine Arbeit, die ihn in engen Kontakt mit den Traditionen des britischen Empirismus und der Assoziationspsychologie brachte, die beide auf Locke und Hume zurückgingen. Seine Übersetzung von Mills Essay über Platon betraf auch die damalige philosophische Kontroverse zwischen den Befürwortern der Intuition und den Verfechtern von Wahrnehmung und Vernunft. Abgesehen von den indirekten Einflüssen aus Geisteswissenschaften und Philosophie wurden auch Freuds wissenschaftliche und medizinische Studien für seine Konzeptualisierung der freien Assoziation prägend. Als Beispiele seien genannt: Hermann von Helmholtz’ Physiologie der Wahrnehmung, Gustav Fechners Psychophysik und Johann Friedrich Herbarts philosophische Psychologie. Wegweisend waren auch seine eigenen medizinischen Forschungen in den Histologie- und Physiologie-Laboratorien Ernst Wilhelm von Brückes und seiner Ausbildung in Neuropathologie und biologischer Psychiatrie bei Theodor Meynert (Thomä & Kächele 1988; Freud 1925d; 1960a [1873-1939]; Anzieu 1986; Papiasvili 2015). Auf seine späteren technischen Schriften haben die assoziationspsychologischen Schulen seiner Zeit einen direkteren Einfluss ausgeübt, insbesondere durch die Anwendung von Assoziationen auf die Experimentalpsychologie und das Strafrecht. In seiner Abhandlung „Tatbestandsdiagnostik und Psychoanalyse“ nahm Freud (1906c) Bezug auf die Schule von Wilhelm Wundt in Leipzig, der in seinen Assoziationsexperimenten Theorien über die wechselseitigen Zusammenhänge psychischer Komponenten formuliert hatte (Wundt 1883). Wundt maß die Reaktionszeit zwischen Wortstimulus und Wortreaktion als eine Funktion subjektiver Zustände. Hans Gross, Professor für Strafrecht in Prag und Kriminologe, führte zusammen mit seinen Studenten zahlreiche Wortassoziationstests in Strafverhandlungen durch (Freud 1906c). Emil Kraepelin arbeitete in einem deskriptiven klinischen Setting mit Wortassoziationen. Carl Gustav Jung (1906) entwickelte Wundts Konzept der Verbindungen zwischen psychischen Elementen und seine Anwendung in Wortassoziationstests weiter, und zwar unter einem dynamischen Blickwinkel. Jung behauptete, dass Assoziationen und ihre Reaktionszeiten (wie Wundt sie in seinen Assoziationsexperimenten maß) durch die Gesamtheit der Reaktionen auf einen spezifischen, emotional besetzten Vorgang determiniert seien. Diese Gesamtheit bezeichnete er als „Komplex“ (Jung 1906). Was Jungs Einfluss betrifft, so erläutert Freud (1910a) ihn ausdrücklich in der folgenden Passage: „Es ist recht zweckmäßig, eine Gruppe von zusammengehörigen, mit Affekt besetzten Vorstellungselementen nach dem Vorgange der Züricher Schule (Bleuler, Jung u. a.) als einen ‘Komplex’ zu bezeichnen. Wir sehen also, wenn wir bei einem Kranken von dem letzten, was er noch erinnert,
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