Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Vorgehensweise entspricht einer Grundregel der Psychoanalyse – dem Prinzip der freien Assoziation.“ (Klein 2000 [1955], S. 204f.). Anna Freud (1985 [1936]), die an die Strukturtheorie ihres Vaters und den strukturellen Konflikt anknüpfte, verstand das Spiel des Kindes keineswegs als Entsprechung der freien Assoziation. In ihrem Buch Das Ich und die Abwehrmechanismen “ (1987 [1936]) zeichnet sie ein modifiziertes Bild dessen, was Analytiker von einem erwachsenen Patienten, der die Grundregel befolgt, lernen können. Sie erweitert Freuds Entdeckung der herausragenden Bedeutung unbewusster psychischer Konflikte und seine Betonung der zentralen Bedeutung, die der Widerstandsanalyse zukommt, und zieht den logischen Schluss: „Also nicht die Befolgung der analytischen Grundregel an und für sich, sondern der Kampf um die Befolgung der Grundregel ist das, worauf es uns ankommt.“ (S. 208) Paul Federn (1934) griff Freuds Ermahnung, den analytischen Vertrag ausschließlich mit nicht-psychotischen Patienten zu schließen, auf, als er über Psychosen schrieb, und verwies auf den gefahrvollen freizügigen Einsatz freier Assoziationen seitens eines „prä-schizophrenen Patienten“, weil ein solches freies Assoziieren den ohnehin fragilen Realitätsbezug zusätzlich schwäche. Harry Stack Sullivan (1938), der schon früzeitig die Methode der freien Assoziation als Technik der Wahl für die Untersuchung der subjektiven Abfolge von Ereignissen schätzte, beurteilte ihre Anwendbarkeit für schwergestörte Patienten im Laufe der Zeit mit wachsender Zurückhaltung, weil er den Eindruck hatte, dass freie Assoziationen die authentische Kommunikation beeinträchtigten. Infolgedessen ersetzte er das freie Assoziieren häufig durch eine detaillierte Untersuchung (Sullivan 1953). In seiner Arbeit mit klinisch-depressiven Patienten mit starker Neigung zu schwerer Regression auf eine oral-narzisstische Stufe und damit einhergehendem „Verlust ihrer Objektbeziehung“ zum Analytiker argumentierte Sandor Lorand (1937) auf der Grundlage von Freud und Ferenczi, dass die Behandlung vorübergehend eine höhere Flexibilität und Aktivität seitens des Analytikers erfordere. David Rapaport (1950, 1951, 1958) bezeichnete das freie Assoziieren als „spontanes, unangestrengtes Denken“ und führte die detaillierte Erforschung der Organisationsfunktion von Affekten und Trieben im Komplex der Assoziationen ein. In seinen Theorien über Motivation und Gedächtnis identifizierte Rapaport die motivationale Kraft der zugrundeliegenden Affektivität, welche die einzelnen Glieder der Assoziationskette miteinander verbindet. Edward Glover (1955) führte die erste Umfrage zur klinischen Anwendung der freien Assoziation durch. Sein Fragebogen enthielt auch die Frage, wie streng die Analytiker, allesamt Mitglieder der British Psychoanalytical Society, auf die „Befolgung der Grundregel“ achteten. Die Antworten reichten von der Aufforderung zu strenger Compliance über eine Toleranz unzulänglicher Befolgung bis zu der Gegenfrage: „Was bedeutet Lockerung der Regel überhaupt? Alles ist freie Assoziation, auch Noncompliance.“ Glover betrachtete die Anwendung der Grundregel

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