03-2019 D

Wie hat sich interkulturelle Arbeit

Interview mit Jürg Pfister, Leiter von SAM global. verändert?

Mission ist veraltet, eine lebens- längliche Verpflichtung, nur etwas für Übermenschen – zu interkul- tureller Arbeit kursieren viele abschreckende Vorurteile und Klischees. Weshalb ist das so? Ich glaube, viele Menschen haben einfach nicht mitbekommen, wie sich interkul- turelle Arbeit über die letzten Jahrzehn- te verändert hat, da sie keinen direkten Bezug dazu haben. Früher war manches wirklich so, wie das heute in den Klischees dargestellt wird – aber inzwischen ist eine enorme Entwicklung geschehen. Wie sieht diese Entwicklung aus? Heute gibt es sehr viele Länder mit vielen evangelischen Christen und gut ausgebil- deten Leuten – das war vor 130 Jahren, als SAM global gegründet wurde, oder auch vor 30 Jahren noch anders. Wir müssen deshalb genau prüfen, wo es noch Leute aus demWesten braucht und wozu – und wo nicht. Inzwischen gibt es auch immer mehr Mit- arbeitende aus der Zweidrittel-Welt, also aus Asien, Lateinamerika und Afrika. Zum Beispiel senden einige asiatische Länder jedes Jahr hunderte Mitarbeitende in die ganze Welt. Trotzdem haben wir aus dem Westen immer noch eine sehr wichtige Funktion: Wir haben in der Vergangenheit in der interkulturellen Arbeit viele Fehler gemacht – fehlende Sensibilität gegen- über Kulturen, keine kontextualisierten

war man praktisch «weg vom Fenster», sobald man im Einsatzland war, vielleicht kam alle zwei bis drei Monate mal ein Brief aus der Heimat. Jetzt ist man über die digitalen Medien ständig vernetzt, unabhängig davon, wo man ist. Früher gingen Kinder von interkulturellen Mitar- beitenden häufig in ein Internat, um eine gute Schulbildung zu bekommen. Heute wird intensiv nach Lösungen gesucht, da- mit die Familien an einemOrt zusammen- bleiben können. All das hat einen Einfluss auf die Einsatzgestaltung. Für uns ist es wichtig, die Stärken und Prioritäten der verschiedenen Generationen zu kennen und darauf einzugehen. Weshalb wird heute nicht mehr von Mission, sondern von interkultureller Arbeit gesprochen? Der Begriff Mission ist häufig negativ be- haftet und wird mit dem unrühmlichen Kapitel der Kreuzzüge assoziiert – und damit wollen auf keinen Fall in Verbin- dung gebracht werden. Wir möchten den Leuten vor Ort weder etwas überstülpen noch ihre Kultur zerstören. Zudem haben viele Personen ein sehr enges Bild von Mission. Interkulturelle Arbeit, also die Arbeit mit Menschen verschiedener Kul- turen, beschreibt unsere vielseitigen Tä- tigkeiten besser. Es sind in der Vergangenheit Fehler pas- siert, auch bei SAM global, aber im Gros- sen und Ganzen können wir trotzdem sagen: wir konnten in vielen Ländern

einen wesentlichen Beitrag leisten und etwas verändern! Zum Beispiel in der Gesundheitsversorgung: In Angola und in der Waldregion Guineas konnte durch unsere Arbeit Lepra praktisch ausgerottet werden. AIDS-Kranke in der Waldregion Guineas erhielten zum ersten Mal eine Behandlung und in Angola und Guinea haben hunderte von Blinden dank Opera- tionen ihr Augenlicht zurückerhalten. In der Theologie konnten wir die Leute dazu bewegen, sich zu überlegen: Was bedeu- ten die verschiedenen biblischen Aussa- gen für unsere Kultur, wie können wir das übersetzen? Auch in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Bildung oder der Landwirtschaft, konnte echte und nach- haltige Veränderung bewirkt werden. Wie versteht SAM global denn Gottes Auftrag, den Missionsbefehl, heute? Heute ist sehr wichtig, genau hinzusehen, wie die aktuelle humanitäre und geistli- che Situation aussieht. Wo sind noch ech- te Bedürfnisse? Wo sind vertrauenswürde Partner? Die Sustainable Development Goals, die nachhaltigen Entwicklungszie- le, sind ebenfalls wichtig, um zu entschei- den, wo wir uns noch investieren sollen. Wo und wie braucht es uns, wo können wir einen Beitrag leisten? Was damals wie heute gleich ist: Wir möchten den Leuten zeigen, dass jemand sie liebt – auf praktische Art auf Weise. Wir möchten ihnen eine Hoffnung und eine Perspektive für ihr Leben geben, aber auch darüber hinaus.

Methoden etc. Wenn wir die «neuen» Mit- arbeitenden unterstützen, können solche Fehler vielleicht vermiedenwerden. Unse- re langjährige Erfahrung ist sehr wertvoll. Zudem ist die Kaufkraft in westlichen Län- dern immens und so spielen wir auch von den Finanzen her eine wichtige Rolle: Wir können einfacher Leute aussenden, aber auch lokale Mitarbeitende unterstützen. Auch die Arbeit in den Einsatzländern hat sich verändert: Heute geht es nicht mehr in erster Linie darum, Dinge selber zu machen, sondern Prozesse auszulösen, Capacity Building zu betreiben und Leu- te auszubilden – und dabei gleichzeitig von ihnen zu lernen. Deshalb haben wir als Vision auch «Mit Bildung Leben verän- dern» definiert. Es wird verstärkt projekto- rientiert gearbeitet: Während man früher ohne konkreten Plan einfach auf die Be- dürfnisse eingegangen ist, überlegt man sich heute viel stärker, wie man nachhal- tige Veränderung auslösen kann. Das Ziel ist von Anfang an, das Projekt eines Tages an die lokale Bevölkerung zu übergeben. Auch hilft man heute nicht mehr in erster Linie mit Geld, sondern unterstützt die Leute darin, selber ein Einkommen zu er- wirtschaften. So können Abhängigkeiten vermieden werden. Wie hat sich interkulturelle Arbeit bei SAM global verändert? Als SAM global gegründet wurde, arbei- teten wir praktisch überall in Pioniersitu- ationen. Es gab noch kaumPartner in den Einsatzländern und vieles war von unse-

ren Mitarbeitenden abhängig. Heute ist das anders: Wir haben vielerorts gute Partner, mit denen wir zusammenarbei- ten können. Wir sind dadurch effizienter, können mehr umsetzen und Wissen und Fähigkeiten multiplizieren. Heute gehen die Projekte meist auch ohne unsere Prä- senz vor Ort weiter. Wir sind kulturell sensibler und differen- zierter geworden. Wir überlegen uns viel stärker, was in welchem Kontext wirk- lich Sinn macht – und reflektieren auch unsere eigene Kultur kritischer: Was ist wirklich biblisch und was machen wir einfach, weil es unserer Schweizer Kultur entspricht? Lange sind unsere Mitarbeitenden zu- dem als «Career Missionaries» für einen fast lebenslangen Einsatz ausgereist. Aktuell liegt die durchschnittliche Ein- satzzeit bei sieben Jahren. Während das einerseits herausfordernd ist, hat es auch Vorteile: Die Einsatzleistenden überle- gen sich viel eher, wie sie die Projekte übergeben können und bilden entspre- chende Personen aus. Was hat sich für die Mitarbeitenden verändert? Heute steht für die Einsatzleistenden stär- ker im Vordergrund, dass sie ihr Know- how und ihre Gaben sinnvoll einbringen können. Deshalb gibt es Stellen- und Pro- jektbeschriebe. Bei jedem neuen Bewer- ber und jeder neuen Bewerberin schauen wir: Wo passt er oder sie am besten hin? Wofür schlägt sein Herz, welches Projekt

entspricht seiner Vision? An welchemOrt können die Gaben und Fähigkeiten am besten eingebracht werden? Ein weiterer Unterschied: Früher standen wir bei der Weitergabe des Evangeliums viel mehr im Vordergrund. Heute arbei- ten unsere Mitarbeitenden diesbezüg- lich eher imHintergrund und sensibilisie- ren, trainieren, fördern und unterstützen lokale Mitarbeitende, welche die Kultur und Sprache perfekt kennen. Wieso hat sich interkulturelle Arbeit denn überhaupt so gewandelt? Die Welt hat sich verändert – Kontinente wie Afrika, Asien und Südamerika haben einen Wandel durchgemacht, sowohl wirtschaftlich als auch im geistlichen Bereich. Dadurch mussten wir natürlich überlegen, was das für uns als SAMglobal bedeutet: Wie können wir diesen Leuten heute am besten dienen? Wie können wir wirklich auf aktuelle Bedürfnisse ein- gehen? Was gestern gut war, muss heute nicht mehr passen. Ausserdem haben wir natürlich aus Fehlern gelernt. Zudem hat sich auch die Schweiz verän- dert. Wir haben neue Möglichkeiten und die heutigen Generationen denken und handeln anders. Ein paar Beispiele: Heu- te hatte jede und jeder in Europa schon einmal Kontakt mit Personen aus ande- ren Kulturen, kulturelle Sensibilität ist auch hier ein Thema – als ich vor 27 Jah- ren das erste Mal in Schwarzafrika war, war das noch ganz anders. Vor 30 Jahren

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