01-2017 D

INTERVIEW: Zwischen Angst und Nächstenliebe

auf mein Gespür und meine Sinne sind wacher geworden. Ich versuche aber gleichzeitig, mich so normal wie möglich zu bewegen und mich von der Gefahr nicht allzu gross einschränken zu lasse. Ein gewisses Mass an Freiheit brauche ich. Sarah: Wir hatten nie wirklich Angst vor einer An- steckung mit Ebola, da für uns von Anfang an klar war, wie die Übertragung funktioniert. Die grosse Angst, die in der Bevölkerung herrschte, hat uns aber auch beunruhigt und wir mussten aufpassen, dass wir uns davon nicht zu sehr anstecken liessen. Zudem vermieden wir Krankenbesuche, Beerdi- gungen und unnötige Reisen, da diese eine Gefahr dargestellt hätten. In dieser Zeit mussten wir ausserdemdie politische Situation aufmerksam beobachten, die in Guinea gerade in einem solchen Fall schnell eskalieren und zu Unruhen und Strassenkämpfen führen kann – das war fast das grösste Risiko für uns. In- zwischen ist aber alles wieder normal. Patricia: Gleich nach den Anschlägen sind wir eine Zeit lang nicht mehr auf den Markt gegangen. Wir waren insgesamt vorsichtiger und waren uns der Gefahr ständig bewusst. Heute geht das Leben grösstenteils wieder seinen gewohnten Gang – nur die Kontrollen sind nach wie vor häufiger und strenger und es sind mehr bewaffnete Polizisten in der Stadt präsent. Was war der schwierigste Moment für euch? Sarah: Eines Tages rief mich ein aufgebrachter Mitarbeiter an und sagte mir, ich solle unser Kin- dermädchen ja nicht ins Haus lassen – sie sei an diesem Morgen im Haus eines Nachbars gesehen worden, der an Ebola verstorben war. Das Kinder- mädchen sass aber schon in der Stube und hielt unseren jüngsten Sohn Amos auf den Knien. Da musste ich kurz durchatmen, um nicht in Panik zu geraten. Aber mit dem Kindermädchen war Gott sei Dank alles in Ordnung.

Viele unserer Mitarbeitenden leben und ar- beiten in Gebieten, in denen Gefahren unter- schiedlicher Art präsent sind. Im folgenden In- terview erzählen drei von ihnen, wie sie damit im täglichen Leben umgehen und weshalb sie sich trotzdem (nach wie vor) in ihrem Einsatz- land engagieren: Damaris Liechti ist seit 2015 SAM global-Mitar- beiterin im Projekt ProVIDA in Belém in Brasili- en. Belém gehört zu den gefährlichsten Städten Südamerikas. Sarah Büchli lebt mit ihrer Familie in Macen- ta, Guinea und engagiert sich im Projekt Pro- ESPOIR. 2014 brach ganz in der Nähe die Ebo- la-Epidemie aus und breitete sich schnell im ganzen Land und über die Grenzen hinweg aus. Inzwischen gilt Guinea als ebolafrei. Patricia Moser lebt mit ihrer Familie in Am Sé- néna imTschad und leitet gemeinsammit ihrem Mann das Projekt ProRADJA’. In den Nachbarlän- dern ist Boko Haram seit einiger Zeit aktiv und verübte 2015 auch imTschad Anschläge – unter anderem auf einem Markt in der Nähe des Pro- jekts. Seither hat sich die Situation wieder etwas beruhigt. Wie erlebt ihr persönlich die Gefahr im Alltag? Damaris: Wenn ich unterwegs bin, fühle ich mich selten unsicher. Ich bin mir der Gefahr aber bewusst und weiss, dass ich nicht ein- fach alles machen kann, wie ich es mir von der Schweiz her gewohnt war – nach 19 Uhr allei- ne von der Bushaltestelle zu Fuss nach Hause zu gehen bedeutet zum Beispiel ein Risiko. Ich bin vorsichtiger und vorbereiteter geworden und überlege mir besser, wie ich mich kleide, um nicht aufzufallen, und wie ich wann genau wohin komme. Zudem verlasse ich mich mehr

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