Toolbox Religion

Miteinander in multireligiösen Gruppen

Hinweise für Trainer/-innen

Miteinander in multireligiösen Gruppen – Hinweise für Trainer/-innen und Betreuer/-innen

halb sehr wichtig, die politische und die religiöse Dimension möglichst klar auseinander zu halten. Besonders im Konfliktfall ist das Wissen um diese Mehrschichtigkeit und die sorgfältige Trennung für die Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter absolut notwendig. Um interkulturell kompetent agieren zu können, müssen Jugendliche sich ihrer eigenen religiösen und kulturel- len Wurzeln und deren Einfluss auf ihre Werte, Normen und Verhaltens- weisen bewusst sein. Erst dann kön- nen sie verstehen, wie diese wieder- um ihre Interpretationen und Urteile über die religiöse Verwurzelung der anderen beeinflussen. Um diesen Besonderheiten angemes- sen zu begegnen, ist eine gleichbe- rechtigte und offene Atmosphäre in in- terreligiösen Begegnungen besonders wichtig. Gerade in der Arbeit mit mul- tikulturellen und multireligiösen Grup- pen ist es wichtig, ein gutes Gespür dafür zu entwickeln, welche Um- gangsweise für diese Menschen und das Thema angemessen sind und allen Beteiligten bestmöglich gerecht wer- den. Die Berücksichtigung von Sprach- barrieren ist beim Einsatz von Diskus- sionsmethoden ein wichtiger Faktor. Von noch größerer Bedeutung ist je- doch die Berücksichtigung der ver- schiedenen Konfliktlösungs- und Kom - munikationsstile. Diese können sowohl kulturell geprägt als auch indi-

Zusätzlich zu einer Identitätsfindung der Jugendlichen als Mann/Frau oder Angehörige/-r von National-/Subkul­ tur(en) ist die religiöse Orientierung oder die Suche danach oft besonders emotional aufgeladen. Einige Jugendliche identifizieren sich möglicherweise stärker mit einer Reli- gion als mit der eigenen Nationalkul- tur (z. B. Mitglieder kultureller Minder- heiten). Bei der Suche nach der eigenen Iden- tität und dem eigenen Weg kommt es oft zu einer vorübergehenden Annah- me radikaler Positionen, die über das eigentliche Ziel „hinausschießen“. Dies können auch religiöse Radikali- sierungen sein. Radikale Auslegungen einer Religion sind daher nicht immer als eine bewusst orthodoxe Haltung zu sehen, sondern können als Teil der generellen Verhaltensmuster von Ju- gendlichen gedeutet werden. Religion hat gerade im 20./21. Jahrhun- dert auch eine starke politische Dimen- sion. Viele zeitgenössische politische Konflikte (Irland, Ex-Jugoslawien, Isra - el/Palästina) stehen im Zusammenhang mit Religion und werden oft sogar in erster Linie als religiöse Konflikte wahr - genommen. Dadurch kann das Be- kenntnis zu einer Religionsgemein- schaft gerade für Jugendliche eine besondere Bedeutung erhalten. In ei- ner multireligiösen, multinationalen Gruppenzusammensetzung ist es des-

Praxis (z. B. Besuch des Gottesdiens- tes) weiter abnimmt, das Interesse an religiösen Fragestellungen und an an- deren Religionen aber weiter besteht. Die Bedeutung von Glaube und Reli- giosität kann für Jugendliche gleichen Alters und gleicher kultureller Her- kunft extrem unterschiedlich sei: Reli- gion wird von einigen Teilnehmenden als Frage mit existenzieller Bedeutung angesehen, für andere spielt Religion eher als Einflussfaktor auf kulturell ge - prägte Normen und Werte eine Rolle. Diese Unterscheidung zwischen kul- turellen und religiösen Merkmalen ei- ner Kultur ist oft schwierig. Einige Normen und Regeln, zum Beispiel zur Kleidung oder Bedeckung des Kopfes, haben sich eher aus geschichtlichen Traditionen und nicht nur auf Basis re- ligiöser Regeln entwickelt. Im Gegen- satz dazu beruhen in christlichen Ge- sellschaften viele der scheinbar kulturellen Regeln auf ursprünglich re- ligiösen Regeln oder Werten. Die Fra- ge, ob die Schriften und Texte die „Au- torität“ bei der Entwicklung von Regeln und Normen haben oder diese eher als gelebte Kultur und Traditionen zu sehen sind, ist im interreligiösen Dia- log oft ein strittiges Thema.

Das Thema „Religion“ ist ein besonders persönliches, emotionales Feld, das von Trainer(inne)n und Betreuer(inne)n ein spezielles Fingerspitzengefühl er- fordert. In interreligiösen Begegnungen sollten Betreuer/-innen im Vorfeld und während der Durchführung besondere Aufmerksamkeit darauf richten, wie den Gefühlen und Bedürfnissen des Einzelnen, der (religiösen) Untergrup- pen und der Gesamtgruppe angemes- sen Rechnung getragen werden kann. In Gruppen, die nicht nur internatio- nal, sondern auch multireligiös zu- sammengesetzt sind, gibt es zusätzli- che Besonderheiten. Jugendliche im Entwicklungsalter sind auf der Suche nach Orientierung. Im neuen Lebens- abschnitt des Übergangs von Schule zu Beruf/Studium stellen sich zuneh- mend Fragen wie „Wozu lebe und ar- beite ich?“ oder „Woher komme ich und wohin gehe ich?“. Diese existen- ziellen Fragen berühren Aspekte der kulturellen und religiösen Identität. Oft ist die Religion ein Identität stiften- des Element, das von den Jugendli- chen gar nicht als solches wahrge- nommen oder thematisiert wird. Die Shell-Jugendstudie 2000 belegt, dass bei Jugendlichen das Zugehörigkeits- gefühl zu Kirchen und kirchlicher

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