Entspannter Mensch = entspannter Hund
Bei unsicheren Hunden sollte anfangs ein Blickkontakt vermieden werden, um Vertrauen aufzubauen
Hunde achten auf feinste körpersprachliche Signale
ja sein – aber im ersten Schritt hilft es schon, selbst mal einen Gang runterzuschalten. „Jetzt stell dich mal gerade hin und atme erst einmal tief durch“, rate ich dann. Die Kundin positioniert sich aufrecht, lässt die Schultern fallen, holt tief Luft – und siehe da, ihr Hund setzt sich neben sie und schaut sie an. Kleine Geste, große Wirkung. Frauchens Körpersprache spiegelt sich sogleich im Verhalten des Vierbeiners. Natürlich ist dies nicht der Schlüssel zur Lösung aller Probleme, aber es ist eine ent- scheidende Basis: Wie soll man seinem Hund Gelassenheit ver- mitteln, wenn man selbst nicht locker und gelassen ist? „Je ner- vöser dein Hund ist, desto ruhiger wirst du!“, rate ich hier immer. Nimm das Tempo raus, komm runter, sei dir bewusster, was du gerade tust. Nicht umsonst gibt es den berühmten Spruch „In der Ruhe liegt die Kraft“. Nun ist jeder Hund anders – genauso wie der Mensch dazu. Findet Golden Retriever Benji es völlig okay, wenn sein Halter sich über ihn beugt, um ihm das Geschirr anzuziehen, so stellt dies für Mischlingshündin Maja eine beengende und bedrohli- che Situation dar. Während Rottweiler Sina beim Fußlaufen ganz eng an Frauchens Bein mitgeht, benötigt Bearded Collie Henry eher einen halben Meter Abstand. Und nur weil Labrador Willy seinem Menschen genau in die Augen schaut, wenn er angespro- chen wird, empfindet Hütehund-Mix Linda den direkten Blick- kontakt nicht ebenfalls als angenehm. Jedes Lebewesen hat seine eigene Individualdistanz. Eine ganz eigene Wohlfühlzone, in der es optimal wirken kann. Bedrängt man einen Hund, der zurückweicht, wird es schwer sein, ihn davon zu überzeugen,
tielle Gefahren schnell einschätzen kann, überlebt auch. Klar, unsere Hunde leben heutzutage wohlbehütet in unserem häus- lichen Umfeld und müssen sich wenig darum kümmern, wo irgendwelche Gefahren lauern könnten. Doch der optische Kanal ist für Caniden enorm wichtig. Frei nach dem Motto: Quatschen kannst du viel, aber nur dein Körper verrät, was du wirklich denkst und fühlst. Deshalb sollten unsere Gesten, die wir im Umgang mit unseren Vierbeinern nutzen, klar und verständlich sein. Sonst gibt es nur Verwirrung. Ein Handzeichen, welches zum Beispiel oft zu „Feh- lermeldungen“ in der Mensch-Hund-Kommunikation führt, ist die oben genannte Geste für „Platz“, also die flache Hand, die auf den Boden zeigt. Wird die flache Hand erhoben und weist mit der Handfläche in Richtung Hund, soll dies bei den meisten Hundehaltern und -halterinnen „Bleib“ bedeuten. Schon oft habe ich gesehen, wie Hunde, die erst das Signal „Sitz“ erhalten, da- nach – auf das Signal „Bleib“ – in die Liegeposition wechseln. Warum? Weil das Handzeichen ihres Menschen nicht klar er- kennbar für sie war. Die Geste kam „so nebenbei“ und war nicht eindeutig. Der Hund achtet aber genau auf diese feinen Signale und versteht dann nicht, weshalb wir nicht zufrieden sind. Eine klare und bewusste Körpersprache hat noch einen wei- teren Vorteil: Sie entspannt. Oft erlebe ich im Training Mensch und Hund, die gleichermaßen hektisch und hibbelig sind. Frau- chen gestikuliert viel beim Sprechen, und ihr Hund zappelt ne- bendran rum. „Er findet einfach keine Ruhe“, sagt die Kundin zu mir, „ich habe das Gefühl, mein Hund will ständig Action.“ Mag
7/2022 Martin Rütter 47
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