04-2017 D

Ein Tag im Leben von Michelle Vögeli mir und so löse ich mich schliesslich vom Kochherd und bringe ihnen etwas Wasser zum Trinken. Kaum bin ich zurück in der Küche, hupt es draussen: Céli- ne ist da. Ich nehme sie in Empfang und bezahle den Chauffeur. Wieder am Herd höre ich erneut jemanden auf der Terrasse. Dieses Mal ist es eine Mutter mit ih- rem Kind. Die beiden kommen schon zum vierten Mal zu mir – der Junge hat sich mit einer heissen Pfanne das Bein an mehreren Stellen verbrannt und muss jetzt täglich behandelt werden. Inzwischen sind die Blasen offen und ich wasche die Wunden und verbin- de sie neu. Der Junge ist beim ganzen Prozedere viel entspannter als am Anfang, er weiss, was kommt, und weint fast nicht mehr. Zum Abschied winkt er sogar fröhlich.

Die Vögel begrüssen fröhlich zwitschernd den neuen Tag. Ich blinzle in den strahlend blauen Himmel und schiebe den Gedanken beiseite, noch fünf Minuten liegen zu bleiben. Schliess- lich muss Céline rechtzeitig in den Kindergar- ten und bis dahin sollte einiges erledigt wer- den. Also stehe ich auf und beginne mit der Arbeit. Tobias geht bereits los zur Berufsschule. Nachdem wir gefrühstückt haben und Céline für den Kindergarten abgeholt wurde, ziehe ich mich um und mache mich auf den Weg zu meiner Teamkollegin. Gemeinsam tauschen wir aus und beten für die aktuellen Anliegen. Danach geht es auf zum Markt – ich kaufe Ge- müse und stocke meine Vorräte an Teigwaren und Mehl auf. Ich grüsse die Frauen hinter ih- ren Tischen und werde gerufen, wenn es Salat oder Kürbisse gibt oder sonst etwas, von dem sie wissen, dass die weissen Frauen das oft kaufen. Nachdem die Runde abgeschlossen ist und ich alles, was auf meiner Liste stand – und vielleicht noch ein wenig mehr –, gekauft habe, mache ich mich auf den Heimweg. Heute ist mein Rucksack schwer geworden und so be- schliesse ich, ein Moto-Taxi zu nehmen. Verbrennungen behandeln auf der terrasse So bin ich in wenigen Minuten zu Hause – zu Fuss hätte ich 20 Minuten gebraucht. Ich rufe den Taxi-Chauffeur an, damit er Céline vom Kindergarten abholt. Danach ist es höchs- te Zeit, mit dem Kochen zu beginnen. Doch schon bald kommen Kinder in unseren Hof, die spielen wollen. Sie rufen immer wieder nach

Irgendwann dazwischen habe ich meine angebrann- ten Kartoffeln vom Feuer genommen und versuche jetzt zu retten, was zu retten ist. Zum Glück ist es nicht schlimm und bald gibt es doch noch ein feines Mittag- essen. Jetzt brauchen wir erstmal eine kleine Pause. In Beziehungen investieren Nach der Siesta ziehe ich einen knöchellangen Rock an, wechsle das Shirt, stecke Ohrringe an und bin- de die Kopfbedeckung fest. Céline möchte auch ein Kopftuch tragen und ich helfe ihr dabei, es richtig zu befestigen. Ich schliesse die Türe mit den zwei Vor- hängeschlössern ab, bevor wir uns auf den Weg ma- chen, um ein paar Frauen zu besuchen. Schon von weitem sehen uns die Kinder und rennen auf uns zu. Nachdem sie mir die Tasche abgenommen haben, gehen wir gemeinsamweiter. Meine Freundin kommt mir entgegen, begrüsst mich herzlich und bietet mir einen Stuhl an. Ich begrüsse auch die an- deren anwesenden Frauen, frage, wie es ihnen geht, und plaudere mit ihnen. Gegen Abend verabschie- den wir uns, denn Tobias wird bald zurückkommen. Wir geniessen die gemeinsame Zeit beim Essen und bringen Céline ins Bett – danach können wir den Abend in trauter Zweisamkeit ausklingen lassen.

Michelle VÖGELI, Mitarbeiterin im ActionVIVRE Nord in Guinea

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