Rechtsextremismus und Rassismus als Themen in der IJA

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Einführung ins Thema

„Türkenjungs“ sagt? Wir haben alle Bilder dazu in unseren Köpfen, auch wenn uns längst bewusst ist, dass sie schief oder falsch sind. Vielleicht erschrecken wir uns manchmal selbst über unsere intuitiven gedankli­ chen Verknüpfungen, vielleicht sind sie uns an einigen Stellen gar nicht bewusst. Zumindest sollten wir sie für möglich hal­ ten und uns nicht einfach als vorurteils­ lose und von Rassismus freie Menschen begreifen – dann gehen wir auch diffe­ renzierter mit dem Rassismus-Vorwurf gegenüber anderen um. Nicht jeder vermeintlich coole Spruch ei­ nes Jugendlichen, der welche Vorurteile auch immer transportiert, macht ihn zu einem Rassisten, aber ihn in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass seinem Spruch rassistische Annahmen zugrunde liegen – das könnte schon Teil unseres pä­ dagogischen Auftrags sein. Wenn wir aber selbst den Rassismus-Vor­ wurf nur als Phrase benutzen, ohne ihn zu füllen und den Vorwurf gegenüber jungen Menschen auch konkret inhaltlich zu be­ gründen, dann tragen wir möglicherwei­ se sogar dazu bei, dass Jugendliche den Rassismus-Vorwurf kommunikativ noch leichtfertiger benutzen. Und ich befürch­ te, das würde uns in der Auseinanderset­ zung mit Rassismus nicht weiterbringen. In der politischen Auseinandersetzung wird der Vorwurf des Rassismus häufig als Totschlagargument eingesetzt – im Sinne von: Mit dieser Position brauchen wir uns inhaltlich gar nicht mehr ausein­

anderzusetzen, die ist ja ohnehin rassis­ tisch. Im Kontakt mit Jugendlichen wird diese Form der Zurückweisung – ob mit oder ohne Empörung vorgetragen – nicht funktionieren. Hier werden wir oft weiter kommen, wenn wir das Wort Rassismus weglassen, aber dennoch klar zum Aus­ druck bringen, was unserer Ansicht nach nicht passt oder nicht geht. Mal durch Fra­ gen, mal durch Irritationen, mal aber auch durch klaren Widerspruch. Und klar ist – das nur der Vollständigkeit halber –, dass wir einschreiten müssen, wenn Beleidigungen, Verletzungen, Dis­ kriminierungen oder auch die Verwen­ dung verbotener Kennzeichen oder Aus­ drücke so eindeutig sind, dass wir schon aus dem Schutzauftrag gegenüber ande­ ren uns anvertrauten jungen Menschen oder aufgrund von Gesetzesverstößen handeln müssen. Ich plädiere also keinesfalls für mehr To­ leranz gegenüber Rassismus, um das noch einmal ganz deutlich zu sagen, son­ dern für eine angemessene kommuni­ kative Thematisierung und Bearbeitung, die nicht gleich als erstes mit dem Tot­ schlagargument Rassismus daherkommt. Und damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich bin der Überzeugung, dass es Stellen gibt, wo der Begriff Rassismus sehr wohl notwendig ist: Im Bericht des NSU- Untersuchungsausschusses finden sich zahlreiche Beispiele für institutionellen Rassismus bei der Polizei, beim Verfas­ sungsschutz und bei Strafverfolgungsbe­ hörden. Dennoch verwendet der Bericht diesen Begriff nicht aktiv, da er nicht kon­

Die „Rassismus-Keule“

In Deutschland ist „Rassismus“ ein har­ ter Vorwurf. Er wird von vielen sofort mit dem Nationalsozialismus verknüpft bzw. mit der Wahrnehmung, man werde als Nazi beschimpft. Mit der Kennzeichnung als rassistisch diskreditiert man also (ver­ meintlich) seine Gesprächspartner/-innen – und zwar sowohl in den erwähnten Kreisen des Feuilletons, in dem die Kin­ derbuchdebatte stattfand, als auch in der Politik und wohl auch in der Kinder- und Jugendarbeit. Das macht die leichtfertige Verwendung des Begriffes schwer und manchmal sogar unangemessen. Zum Beispiel wenn man gar nicht vorhat, den Gesprächspartner zu beschimpfen, zu be­ leidigen oder zurechtzuweisen, sondern ihn zunächst darauf hinweisen möchte, dass seiner Argumentation oder seinem Spruch ein rassistisches Motiv zugrunde liegen könnte, also beispielsweise die un­ hinterfragte Zuordnung eines Menschen zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, die gedankliche Verknüpfung seiner Herkunft mit bestimmten ver­ meintlich typischen Eigenschaften oder auch nur die unwillkürliche, aber eben nicht zufällige Assoziation von Gruppen­ bezeichnungen mit bestimmten Begrif­ fen. Was geht uns unwillkürlich durch den Kopf, wenn wir das Wort „Zigeuner“ hören? Woran denken wir, wenn jemand

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