04-2019 D

Was ist mit der Schule?

Mit schulpflichtigen Kindern ins Ausland – ist das nicht verantwortungslos? Dadurch sind die Kinder doch bestimmt benachteiligt, wenn sie mal in die Schweiz kommen? Und wie funktioniert Schule in ei- nem solchen Land überhaupt? – Wenn man mit Kin- dern im Schulalter einen Einsatz plant, stellen sich viele wichtige Fragen. Während es früher normal war, dass Kinder weit weg von der Familie in einem Internat lebten, gibt es heute andere Lösungen. Sa- rah Büchli, Mutter von vier Kindern, erzählt: Ich selber bin in Ostafrika aufgewachsen. Eingeschult wurde ichmit fünf Jahren in eine afrikanische Dorfschule. Das einzige andere weisse Kind dort war mein älterer Bru- der. Riesige Klassenmit Kindern, die zuhause keinenTisch oder Stuhl besassen, geschweigedenneinenKugelschrei- ber, und Lehrer mit ziemlich rabiaten Erziehungsmetho- den gehörten zu meinem Schulalltag. So verbrachte ich meine ersten drei Schuljahre. Danach wechselten wir an eine französische Privatschule in der Nähe. Die lokale Schule ist manchmal keine Option Als wir 2012 nach Guinea kamen, planten wir, unse- re Kinder auch in eine lokale Schule zu schicken. Aber wir leben hier in einer kleinen, sehr entlegenen Stadt. In unserer Region gibt es keine internationalen Schu- len und auch in den kirchlichen Privatschulen sind die Bedingungen schwierig: schlecht ausgebildete und un- terbezahlte Lehrer, Klassen mit bis zu 60 Kindern, keine Hilfsmittel, ständige Gefährdung des Unterrichts durch Streiks, politische Unruhen und Epidemien, und so wei- ter. Der Gedanke, unsere Tochter so einzuschulen, war ziemlich beunruhigend. Unterrichtsmaterial kommt per Päckli Wir entschieden uns deshalb für eine andere Lösung: für die deutsche Fernschule und den Einsatz von Lernhelfe- rinnen und Lernhelfern. Per Päckli kommt jeden Som- mer das Schulmaterial für das ganze Jahr – vorbereitete Unterrichtslektionen, Übungsblätter, Prüfungen, Bastel- ideen. Zusammen mit den Lernhelfern, meist Kurzzeiter aus der Schweiz, erstellen wir einen Stundenplan für die

Kinder im Team, die verschiedene Schulstufen besuchen. Die Lernhelfer gestalten den Unterricht anhand des Fern- schulmaterials und ergänzen ihn mit eigenen Ideen. Sie sind dabei regelmässig mit der Fernschule in Kontakt. Teilweise sitzen in einer Lektion Kinder aus verschiede- nen Stufen, teilweise gibt es Einzelunterricht. Die Lern- helfer haben dank der kleinen Klassengrösse Zeit, auf individuelle Schwierigkeiten einzugehen. Den Kindern geht es gut damit, sie mögen ihre Schule – und das Ma- terial ist meines Erachtens sehr gut und bereitet optimal auf einen Schuleinstieg in der Schweiz vor. Fehlende Peergroup und Spannungspotenzial Trotzdem hat dieses System natürlich seine Mängel: in unserer kleinen Schule sind nur unsere Kinder und die unserer Teamkollegen. Gerade wenn die Kinder älter werden, fehlt ihnen mit der Zeit eine gleichaltrige Grup- pe Mitschüler. Dies ist für uns ein Hauptgrund für unsere Rückkehr in die Schweiz im Sommer 2020. Dass die Teamkollegen die einzigen anderen Eltern der Schule sind, birgt Spannungspotenzial: Hätte beispiels- weise die andere Familie das Gefühl, dass unser Kind den Unterricht stört, könnte das zu Problemen im Team führen. Das wäre verheerend – denn damit das Projekt funktioniert, ist es wichtig, dass wir eng und gut zusam- menarbeiten. Ich bin daher sehr froh um unser super Ver- hältnis im Team! Das ist ein Privileg! Wir sind überzeugt, dass man auch heute noch den Auf- trag von Jesus «verkörpern» muss: wir müssen ihm so gehorchen, dass wir das im eigenen Leben, am eigenen Körper spüren. Wir wagen, wir verzichten in gewissen Bereichen, wir versuchen zu glauben. Wenn wir das als Familie machen, sind die Kinder automatisch «mit drin». Wir verzichten dadurch hier zwar auf bestimmte Vorteile von Schweizer Schulen, können ihnen aber trotzdem eine sehr gute Schulbildung ermöglichen. Das ist ein Privileg!

Sarah BÜCHLI, ProESPOIR, Guinea

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