Auto Classic

Die Familie unterwegs im türlosen „Kübel“, Vater Cors Trabant P601 F. „Offener kann man kaum fahren.“

erschwinglich als der Zweitakt-353, konkret mit rund 30.000 Mark mehr als 35 Prozent teurer. Und so kam, was kommen musste: Nach Öff- nung der Grenzen lösten sich die bis zu zehn Jahre langen Wartelisten rasch in Wohlgefallen auf, es entstanden Fabrikhöfe voller unverkaufter Autos. Alles gierte nach Golf, 3er-BMW und Co. Urlaub in Tschechien als Urknall Unverständlich für die drei Kievits, die Zwei­ takt-Nerds. „Die Initialzündung kam während eines Urlaubs in der Tschechischen Repub- lik“, erinnert sich Paul. „Erwin und ich sahen einen Trabant und fanden ihn beide irgend- wie putzig. Erwin blieb etwas länger als ich, und noch ehe er zurückkam, hatte ich bereits im Internet ein schönes Exemplar gefunden. Das war 2004, und seitdem sind ziemlich vie- le Autos gekommen und gegangen. Das ers- te war eine blaue Limousine Baujahr 1971, ein P601L. Als wir ihn gekauft haben, trug er noch ein DDR-Kennzeichen und musste kom- plett restauriert werden. Da sich die Arbeiten hinzogen, wir aber zwischenzeitlich unbe- dingt schon mal Trabi fahren wollten, wurde neben Rudi, dem ersten, noch ein zweites Ex- emplar, Karl-Heinz, ein Trabant Kombi „Uni- versal“, angeschafft. Zum Glück hat uns das Fahren Spaß gemacht, sonst wären wir auf den beiden Trabis sitzengeblieben …“ Es dauerte nicht lange, bis sich auch Vater Cor mit dem Virus ansteckte. In seinem Fall führte dies zum Kauf von „Kübel“, einem Tra- bant 601 Kübel. „Die Front ist identisch mit der eines normalen 601“, sagt Cor, „aber das Heck ist natürlich völlig anders, weil offen.

Außerdem besteht die Karosserie ab der A- Säule komplett aus Blech statt Duroplast. Der Kübel kam bei der NVA und den Grenztrup- pen zum Einsatz, es gab aber auch eine Aus- führung für die Forstverwaltung, und so einen P601 F besitzt Cor seit 2007. „Mir gefällt an ihm die Seltenheit, aber auch die Offenheit; freizügiger kann man kaum fahren.“ Mit den drei Trabis in ihrer Sammlung be- gannen die Kievits, ihren Horizont zu erwei- tern. Allerdings nicht auf andere Marken aus dem Ex-Ostblock, sondern speziell auf DDR- Fabrikate. So gelangten die beiden Wartburg und der ebenfalls von den Vorderrädern ange- triebene Barkas in ihre Sammlung. „Der Bar- kas ist in vieler Hinsicht sehr praktisch“, sagt Erwin. „Man muss sich keine Gedanken ma- chen, ob der Wocheneinkauf noch reinpasst, auch die Anschaffung eines Gartensets aus dem Baumarkt ist kein Problem. In anderer Hinsicht ist er allerdings überhaupt nicht prak- tikabel. Schauen Sie sich nur die Serviceklappe an, durch die man an den mittig eingebauten Motor gelangt: Sie befindet sich zwischen den Vordersitzen … Aber hey, man sieht sie kaum, und niemand weiß genau, wozu sie dient, aber das gehört zum Spaß dazu. Und dass wir den Barkas in Eigenregie aus Deutschland mitge- bracht haben, war ein Abenteuer für sich.“ Doppelt so viel Power wie der Trabi Mindestens ebenso begeistert ist Erwin vom Wartburg. „Nicht nur wegen des charakteris- tischen Motorgeräuschs, sondern auch, weil er sich etwas angenehmer fahren lässt als ein Trabant. Im Verkehr schwimmt man im 353

„Zum Glück hat uns die Fahrt Spaß gemacht, sonst wären wir auf den beiden Trabis sitzen- geblieben …“

problemlos mit, mit seinen 50 PS hat er mehr als doppelt so viel Leistung wie der Trabant. Davon abgesehen, finde ich, dass es einfach ein wohlproportioniertes Auto ist. Oft wird man mit dem gleichen mitleidigen Blick be- dacht wie anno 1989 – nach dem Motto: Man schaue sich nur die Ossis mit ihren altmodi- schen Kisten an – aber alle vergessen, dass der Wartburg 353 bei seiner Einführung 1966 recht modern war. Man nehme nur den Front- antrieb, den westdeutsche Hersteller oft erst Jahre später einführten.“ Die Liebe zu ostdeutschen Autos teilen die Kiewer nicht nur untereinander, sondern auch mit Gleichgesinnten. „Wir haben eine Website zu unseren Autos, sind aber auch clubintern aktiv. Anfangs waren wir Mitglied im Trabant Club Niederlande, was mit dem Barkas und den Wartburgs natürlich etwas schwierig war. Zudem schien es in diesem Club mehr um Politik als um die Liebe

AUTO CLASSIC 3/2025

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