03-2014 D

LERNEND bleiben

Was gefällt dir in deiner zweiten Heimat besonders? JENNY: Die Spontaneität der Menschen und ihre Gast- freundlichkeit. Man kann hier in Guinea unangemeldet zu Besuch gehen. Aber auch die Vitalität der Guineerinnen und Guineer im Alltag gefällt mir. Trotz in vieler Hinsicht harter Lebensbedingungen sind die Leute oft fröhlich und aufgestellt, sie können den Augenblick geniessen. Ihnen sind Menschen und Beziehungen wichtiger als Program- me und Aktivitäten. Das finde ich genial, weil es bei Gott auch so ist. Aber es ist für mich auch eine Herausforderung, denn von meiner eigenen kulturellen Prägung her bin ich eher aufgabenorientiert. Ich bin und bleibe am Üben, in diesem Bereich immer wieder ein gutes Gleichgewicht zu finden. Wo fällt dir das Angewöhnen an das Fremde schwer? Weshalb? OUSMANE: Seit ich mein Land verlassen habe, fühle ich mich noch viel fremder, obwohl ich in guten Händen bin. Bereits meine Hautfarbe und die Sprache machen mich zu einem Fremden. Ausserdem besteht eine grosse Kluft zwischen Guinea und Deutschland, was das Entwicklungs- niveau, aber auch die Kultur angeht. So dominieren in Gui- nea beispielsweise Gemeinschaft und Gastfreundlichkeit, aber imWesten sind sowohl das Wetter als auch die Bezie- hungen eher kalt. Das Entwicklungsniveau der beiden Länder ist sehr ver- schieden, was mir insbesondere bei den öffentlichen Ver- kehrsmitteln, dem Bildungssystem aber auch bei berufli- chen und häuslichen Aktivitäten auffällt. Letztere werden oft mit Hilfe von Geräten und Maschinen (Waschmaschine, Staubsauger) erledigt. Es ist nicht leicht für mich, auto- matisch in die Funktionsweise dieses Systems einzutau- chen, in dem die Maschine häufig den Menschen ersetzt. Das kennen wir in Guinea nur bedingt. Deshalb finde ich mich häufig in Situationen wieder, in denen ich mich wie ein Baby fühle. Oder wenn ich zum Beispiel die Bilder in meinem Sprachbuch nicht interpretieren kann, weil ich die

Darstellung nicht verstehe, sehe ich mich als den Dümms- ten der Welt. Manchmal stelle ich meiner Frau praktische Fragen, aber weil es sich für sie um offensichtliche Dinge handelt, ver- steht sie nicht immer den Sinn davon. Als ich wissen wollte, wie man die Bereiche der 1. und 2. Klasse in der Bahn er- kenne, hat sie meine Frage nicht verstanden, weil es für sie etwas Selbstverständliches ist. Wegen dieser Kultur- und Entwicklungsunterschiede werde ich oft sogar zum Frem- den für meine Frau, so wie sie auch fremd wird für mich. JENNY: Schwer fällt es mir dann, wenn in allen Lebens- bereichen eine fatalistische Einstellung in meinen Augen sinnvolle und not-wendende Entscheidungen und Initiati- ven verzögert, behindert oder ganz verhindert. Oder wenn der so ganz andere Umgang mit Wahrheit und Unwahrheit das Vertrauen erschwert oder immer wieder zerstört. Ein weiterer Punkt ist die Art und Weise, wie Autorität und Macht ausgeübt werden (zwischen den Geschlechtern/ Generationen, am Arbeitsplatz, in der Politik und der Re- ligion), die meinem eigenen Gerechtigkeitsempfinden wi- dersprechen. Was hat dir beim Eingewöhnen in deiner zweiten Heimat geholfen und den Einstieg erleichtert? JENNY: Mir wurde zu Beginn genug Zeit gewährt, mich auf das Sprachelernen sowie das Eintauchen in die Kultur zu konzentrieren. Ausserdem war das Knüpfen und Pflegen verschiedenster Beziehungen zu Einheimischen sehr wich- tig. Dabei war auch einVorteil, dass ichmich als Single-Frau sehr flexibel auf solche Beziehungen einlassen konnte. So habe ich während des Pularlernens mehrere Monate in ei- ner einheimischen Familie gelebt. Natürlich war auch das Eingebundensein in ein gutes Team, durch welches ich Un- terstützung, Ermutigung, Ergänzung und Korrektur erhielt, sehr hilfreich. OUSMANE: Ich muss zugeben, dass wenn ich die Sprache

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