04-2018 D

Ein Tag im Leben von Rafael Pereira

Rafael ist 35 Jahre alt und in Belém aufge- wachsen. Er kam ursprünglich als Prakti- kant zu ProVIDA und arbeitet jetzt im «Novo Rumo» (Besuche in Jugendgefängnissen) mit. Um 5.50 Uhr läutet meinWecker – aufstehen ist angesagt! Ich starte den Tag mit einer Gebets- zeit, dann helfe ich meiner Frau, unseren 5-jäh- rigen Sohn für die Schule bereit zu machen. Bevor ich selber aus dem Haus gehe, überprüfe ich meine Mails und lese die Nachrichten des Tages. Da in meinem Quartier nur selten ein Bus fährt, gehe ich meistens zu Fuss bis zur Hauptstrasse und nehme dort den Bus zu einem der elf Ju- gendgefängnisse, die ich regelmässig besuche. Die Reisezeit beträgt je nach Gefängnis zwi- schen 30 Minuten und zwei Stunden. Hoffnung für die Hoffnungslosen Belém gehört zu den gefährlichsten Städten der Welt. Insbesondere in den Favelas ist die Lage prekär. In vielen Familien herrschen Ge- walt und Missbrauch, Drogenhandel und Pro- stitution sind weit verbreitet – so landen viele Kinder und Jugendliche schon früh auf der Strasse und driften in die Kriminalität ab. Die Jugendgefängnisse in Belém sind voll mit jun- gen Frauen und Männern im Alter von 13 bis 17 Jahren. Einige haben einen einfachen Diebstahl begangen, andere mit Drogen gedealt, wieder andere Raubüberfälle verübt oder jemanden ermordet. Oft haben diese Jugendlichen nie- manden, der für sie da ist, und keine Hoffnung mehr für ihr noch so junges Leben. Vor 15 Jah- ren haben wir deshalb als ProVIDA begonnen,

Mädchen- und Jungengefängnisse zu besuchen. Es ist uns wichtig, den Jugendlichen zuzuhören und zu vermitteln, dass sie wertvoll sind und geliebt werden. Wir zeigen ihnen, dass sie neu anfangen und einen anderen Weg einschlagen können – und unterstützen sie dabei, Schritte in diese Richtung zu ma- chen. Es erstaunt mich immer wieder, wie dankbar sie dafür sind, dass sich jemand Zeit nimmt und ihnen einfach mit Liebe begegnet. Seit ich für ProVIDA arbeite, konnte ich schon meh- rere Jugendliche begleiten, die neue Hoffnung gefasst und sich für ein anderes Leben entschieden haben. Nach ihrer Ent- lassung haben sie eine Ausbildung absolviert und gehen heute einer normalen Arbeit nach. Familienzeit am Abend Heute ist Mittwoch – und so steht nach dem Mittagessen mit den Jugendlichen im Gefängnis unsere Teamsitzung auf dem Programm. Zum ProVIDA-Team gehören fünf Personen. Wir beten, lesen gemeinsam in der Bibel und planen die nächsten Wochen. Ich schätze diese Treffen, denn sie geben uns Gele- genheit, auszutauschen und uns gegenseitig zu ermutigen. Dann geht es nach Hause – wegen dem Feierabendverkehr dauert die Busfahrt heute zwei Stunden. Daheim helfe ich mei- ner Frau bei der Hausarbeit und spiele mit meinem Sohn. Ich geniesse diese Zeit mit meiner Familie sehr, denn hier kann ich richtig auftanken und mich erholen. Um 20 Uhr bringe ich mei- nen Sohn ins Bett und erzähle ihm eine Bibelgeschichte. Dann habe ich noch etwas Zeit mit meiner Frau, bevor ich beginne, die Aktivitäten für den nächsten Tag vorzubereiten. Um 1 Uhr geht es ins Bett.

20

Made with FlippingBook Annual report