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Geduld. Zeit wird mir genug geschenkt und ich bin voller freudiger Erwartung auf die Entwicklungen in mir und um mich herum. Schlaue Sätze und innere Prozesse Aber trotzdem fühle ich mich im Mo- ment auch ziemlich zurückgeworfen auf alles, was ich bis anhin gut über- spielen konnte oder zur Seite zu schie- ben versuchte (eine meiner Stärken, nicht immer positiv, wohl bemerkt). So lassen mich die hygienischen Zustände in unserer grossen Frauen-WG jeden Tag eine neue Überraschung entdecken oder einer Überraschung beim Entste- hen zugucken. Es ist nicht einfach, die Balance zwischen der Identität einer Mitbewohnerin und einer Leiterin zu finden, denn irgendwie bin ich beides, aber eben nicht in allen Bereichen des Projektes. Darüber konnte ich mit un- serer Haus-Verantwortlichen, die sich des Öfteren in derselben Gefühlslage befindet, ein kurzes, aber wertvolles Ge- spräch führen. Nichtsdestotrotz habe ich bei einemmorgendlichen Leitertref- fen eine emotionale Krise aufkommen spüren: denn die allgemeine Meinung, dass ich die Landessprache schon sehr gut verstehe, wirkt sich nun so aus, dass für mich gar nicht mehr übersetzt wird. Auch meine Bemerkung, nicht zu ver- stehen, wurde aus meiner Sicht igno- riert, weshalb ich mich plötzlich den Tränen nahe sah und nach dem Treffen sogleich die Flucht ergriff, um in mei- nem Lieblingskaffee an diesem Artikel weiterzuschreiben. Während ich dies schreibe, fällt mir auf, dass da gleich zwei meiner stärksten Persönlichkeits- merkmale zum Vorschein kommen,

Justine beim Unterrichten der Trainees

nämlich unangenehmen Situationen zu entfliehen und innere Probleme zu verschweigen. Meine eigene Aussage, welche ich noch in der Schweiz mach- te, holt mich wohl schneller ein als er- wartet: «Ungelöstes aus der Heimat holt die Menschen während des Auf- enthalts in einem weit entfernten Land umso stärker ein.» Mit so einer schein- bar klugen Aussage fühlt man sich erst mal gewappnet, doch eigentlich sollte ich mittlerweile wissen, dass man den Kampf gegen innere Prozesse nicht ein- fach mit einem schlauen Satz gewin- nen kann. Das habe ich schon so einige Male erfahren und zwar immer in den denkbar ungünstigsten Momenten. Ei- nerseits weiss ich, was ich brauche, um wieder zur Ruhe und in eine seelische Balance zu finden, andererseits finde ich es auch hier anspruchsvoll, he- rauszukristallisieren, wie weit ich meiner Identität und meinen Be-

dürfnissen Raum gebe und wo bereits die Flucht beziehungsweise der für mich so typische Rückzug beginnt. Auf dem Weg zu mir selbst Aber auch ich bleibe an Tagen wie die- sen nicht in meinem Schneckenhaus ste- cken und komme wieder aus meinem Versteck hervor oder werde herausge- holt. Identität empfinde ich als eine le- benslange, spannende, aber herausfor- dernde Reise. Jeder Schritt auf dieser Reise lohnt sich. Auch wenn ich mich nicht mit jedem davon identifizieren kann, bringt mich doch jeder einzelne ein Stück weiter auf dem Weg und nä- her zu mir selbst.

Justine G. Kurzzeiterin bei Lighthouse

Battambang Kambodscha

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