Clausewitz

Gnadenloser Guerillakrieg

VOM SCHLACHTFELD GEFEGT: Bei Tannenberg 1410 (auch als Schlacht von Grunewald bekannt) besiegt ein polnisch- litauisches Heer das Aufgebot des Deutschen Ordens vernichtend. Für den Ordensstaat ist es gewissermaßen der Anfang vom Ende … Abb.: picture alliance/Photo12

tiken und dem Legen von Hinterhalten. Hierbei wird gerne auf die Mittel des Gueril- lakrieges zurückgegriffen. Ihre leichten Rei- ter verwenden auch nicht den schweren Holzsattel mit hochgezogenem Vorder- und Hinterzwiesel der westlichen Ritter und ihre Taktik erinnert zum Teil an diejenige der öst- lichen Steppenvölker – obwohl sie anstatt von Pfeil und Bogen meist Wurfspeere be- nutzen. Besonders wichtig ist auch die zah- lenmäßige Überlegenheit der Litauer, durch die sie ihre oft schweren Verluste relativ schnell ausgleichen können. Die wichtigste Zeit zur Durchführung von Kriegszügen in das feindliche Gebiet bil- det der Winter, während die selteneren An- griffe im Sommer in größerem Maßstab statt- finden. Die grundlegende Taktik der Ordens- ritter besteht in überfallartigen Angriffen und der anschließenden Verwüstung der umliegenden Gebiete. Im Rahmen dieser Angriffe teilen die Befehlshaber ihre Trup- pen bei den Winterfeldzügen in kleinere Ab- teilungen auf, da diese in dem extrem schwierigen Gelände oft durch meterhohen Schnee eingeschlossen werden können. Da- mit bleibt die Schlagkraft des gesamten An- griffs in jedem Fall weitgehend erhalten. Als „Straßen“ dienen die zugefrorenen Flüsse und der entlaubte Wald bietet zu dieser Jah- reszeit eine relativ gute Sicht auf ansonsten verborgene Siedlungen. Im Lauf der Zeit ler- nen sowohl die Ordensritter als auch die bal- tischen Stämme die Stärken und Schwächen ihrer Gegner kennen. So führen die Litauer ihre Streifzüge gerne in der Mitte des Sep- tembers durch, da sie wissen, dass dies die Zeit der großen Versammlungen des Ordens ist – und deshalb viele Festungen nicht so stark besetzt sind. 1385 kommt es zu einer schicksalhaften Verbindung zwischen Polen und Litauen, was die (vorerst nur offizielle) Christianisie-

Feuerwaffen finden während der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Eingang in das Waffenarsenal der Ordensritter. Krieg auf dem Eis Nach dem Niederwerfen der Prußen muss sich der Deutsche Orden ein neues Ziel su- chen. Dieses findet er in den benachbarten, ebenfalls noch heidnischen Litauern. Diese leisten zähen Widerstand und die hierbei ausgefochtenen Kämpfe sind von einer gro- ßen Grausamkeit beider Seiten gekennzeich- net. Die Litauer verbrennen gefangene Or- densritter in voller Rüstung bei lebendigem Leib, diese rächen sich mit dem Erschlagen aller Litauer, derer sie habhaft werden kön- nen. Gelegentlich werden vor allem hoch- rangige Litauer von den Kämpfern des Or- dens gefangengenommen und gegen Löse- geld zum Kauf angeboten, was für den Orden kein schlechtes Geschäft darstellt. Die einfachen Gefangenen werden verschleppt und müssen auf den Territorien des Ordens arbeiten. Die Feldzüge sind weniger durch große Schlachten, als durch einen andauern- den Kleinkrieg gekennzeichnet, dessen Merkmale Hinterhalte, überfallartige Angriffe und Brandschatzungen sind. Der Vorteil der Ritter des Deutschen Or- dens besteht in ihrer schweren Panzerung, schweren Streitrössern sowie dem Einsatz von treffsicheren Armbrustschützen – diese schlagkräftige Kombination setzt dem weit- gehend ungepanzerten Feinden schwer zu. Vor allem bei Belagerungen stellt die Arm- brust eine wichtige Angriffs- und Verteidi- gungswaffe dar. Unterlagen über die Waf- fenvorräte der Burgen des Deutschen Or- dens geben immer einen großen Vorrat von Armbrustbolzen an. Die militärischen Fähig- keiten der einheimischen (überwiegend nur leicht bewaffneten) baltischen Stämme beru- hen hingegen hauptsächlich auf Überfalltak-

Otto Schertler, M. A., Jahrgang 1962, Autor und Über- setzter aus München. Die Stände und Städte des Ordensgebiets schließen sich 1440 zum Preußischen Bund zusammen und bekämpfen den Deutschen Orden mit der Rückendeckung durch Polen. Der Orden muss schließlich im 2. Thorner Frieden von 1466 Pomerellen, das Culmer Land und das Ermland sowie die Städte Danzig, Elbing und Marienburg dem polni- schen König überlassen und dessen Oberho- heit anerkennen. Mit der Verlegung des Or- denssitzes nach Mergentheim im Jahr 1527 und der Unterstellung Livlands im Jahr 1561 unter die polnische Krone hört das „Reich“ des Deutschen Ordens endgültig auf zu be- stehen. Seine Farben (Schwarz-Weiß) leben allerdings über die preußische Staatsflagge (schwarzer Adler auf weißem Grund), dem Eisernen Kreuz über das Balkenkreuz der Wehrmacht, dem schwarzen Kreuz der Bun- deswehr und nicht zuletzt im schwarz-wei- ßen Dress der deutschen Fußballnational- mannschaft bis heute fort. rung der Litauer mit einschließt. Damit fällt das wichtigste Ziel des Ordens, nämlich der Kampf gegen die Heiden, weg und stürzt den Deutschen Orden in eine tiefe Existenz- krise. Gleichzeitig gerät er in schwere Ge- bietsstreitigkeiten mit Polen, die schließlich 1410 zur großen Schlacht von Tannenberg führen. Hier muss der Deutsche Orden eine schwere Schlappe einstecken. Die Niederla- ge gegen Polen-Litauen von 1410 trifft den Orden ins Mark. Obwohl die Eroberung der Marienburg durch das polnisch-litauische Heer durch den heldenhaften Einsatz von Heinrich von Plauen noch abgewendet wer- den kann, ist der Niedergang des Deutschen Ordens nicht mehr aufzuhalten. Untergang und Fortbestand

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Clausewitz 4/2022

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