Triumph von Tanga
ALS POLITIKER: Von Lettow-Vorbeck (zu- vor für die Deutschnationale Volkspartei im Reichstag, 1928–1930) spricht bei einer
Wahlkundgebung der Konservativen Volkspartei in Berlin, Herbst 1930
Foto: picture-alliance/IMAGNO/Austrian Archives (S)
nuar 1906 bei Gefechten mit den Nama schwer am Auge verwundet. Mit einem Or- den belohnt, kann Lettow-Vorbeck als erfah- render Kriegsteilnehmer nach Deutschland
sie lediglich dazu da, als „primitiv“ gebrand- markte „Wilde“ im Zaum zu halten. Ruhm ist in einer solchen Position kaum zu erwer- ben. Doch der Zufall kommt Lettow-Vorbeck
besser an das afrikanische Klima angepasst sind und zudem wesentlich weniger kosten als Europäer. Mit diesem Truppenaufgebot muss sich Lettow-Vorbeck einer feindlichen Übermacht erwehren, ist Deutsch-Ostafrika doch von Kolonialgebieten feindlicher Mächte umgeben. Für den Fall eines Krieges liegen jedoch keine klaren Anweisungen aus Berlin vor. Während Gouverneur Heinrich Schnee für einen Rückzug ins Landesinnere wirbt, macht sich Lettow-Vorbeck trotz nu- merischer Unterlegenheit für offensives Vor- gehen stark. Direkt zu Kriegsbeginn unternimmt er mit seinen Truppen Vorstöße gegen die briti- schen, belgischen und portugiesischen Ko- lonien (obwohl Portugal erst 1916 in den Krieg gegen Deutschland eintritt). Gegen die Vorsicht Schnees setzt sich der Schutztrup- penkommandeur endgültig durch, als seine Truppen am 4. November 1914 in der Schlacht von Tanga einen eindeutigen Sieg gegen zahlenmäßig überlegene britisch-in- dische Einheiten erzielen. Mit lediglich 1.100 Soldaten gelingt es Lettow-Vorbeck, die 8.000 von See aus gelandeten und schlecht auf ihre Aufgabe vorbereiteten Streitkräfte des Gegners zu zerschlagen. Fortan kann er nahezu selbstherrlich agieren, ohne Eingriffe von „Zivilisten“ fürchten zu müssen. Blutige Siege Bei ihrem Sieg erbeutet die Schutztruppe auch moderne Waffen, Munition und Un- mengen an Ausrüstung. Diese Beute kann sie bereits zwei Monate später in der Schlacht von Jassin gebrauchen: An der
„Ohne seine Führungseigenschaften und die strikte Disziplin, die er durchsetzt, hätte der deutsche Widerstand längst aufgehört.“ Britischer Bericht über Lettow-Vorbeck an den heimischen Generalstab, März 1918
zurückkehren. Nunmehr stehen ihm alle Wege offen. Bewährungschance In Deutschland fungiert Lettow-Vorbeck zu- nächst für drei Jahre als Korpsadjutant in Kassel, ehe er 1909 die Führung des II. See- bataillons in Wilhelmshaven übernimmt. Der Verband untersteht zwar der Marine, wurde aber als schnelle Eingreiftruppe im Falle von kolonialen Aufständen konzipiert. Ihr neuer Kommandeur soll seine Erfahrun- gen aus den zurückliegenden Kolonialkrie- gen in die Ausbildung einfließen lassen, um die Truppe besser auf kommende Unruhen in Übersee vorzubereiten. Als einer der jüngsten Oberstleutnants der preußischen Armee wird er daher im Januar 1914 zum Befehlshaber der Schutztruppe für Deutsch- Ostafrika (heute Tansania, Burundi und Ru- anda) ernannt. Im heimischen militärischen Establish- ment zählt diese Verwendung indes kaum, untersteht die Schutztruppe doch dem zivi- len Reichskolonialamt und vor Ort dem zi- vilen Gouverneur. Schlecht ausgerüstet, ist
zu Hilfe: Anstatt nach einigen Jahren wieder ins Deutsche Reich zurückzukehren, um dort die militärische Karriere fortzusetzen, wird der unerwartete Ausbruch des Ersten Weltkriegs für den Oberstleutnant zur Be- währungschance. Bei Kriegsbeginn stehen Lettow-Vorbeck etwa 2.500 Soldaten zur Verfügung, davon ein Großteil schwarze Askari-Söldner, die
PROMINENTES KONTERFEI: Lettow-Vor- becks Porträt auf einem Notgeldschein des Deutschen Reiches, 1920/21 Abb.:picture-alliance/akg-images
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Clausewitz 4/2022
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