Clausewitz

F ür London ist Deutsch-Ostafrika bestenfalls ein Nebenschauplatz im Ersten Weltkrieg. Was auch immer in der über 7.000 Kilo- meter von England entfernten Kolonie vor sich geht – es kann nicht so wichtig sein, hierfür kampfstarke Einheiten zu vergeuden. Des- halb werden die Indischen Expeditionsstreit- kräfte B dorthin geschickt, eine Truppe min- derer Güte. Befehligt wird dieser Verband konsequenterweise von Brigadegeneral Arthur Aitken, der ebenfalls einen denkbar schlechten Ruf genießt: Er gilt als inkom- petenter Stümper. Nur seine Arroganz und Selbstüberschätzung können seine Unfähigkeit als Offizier übertrumpfen. Er hält sich für ein Militärgenie, seine zweitklassige Truppe für die Elite des Empire und die Deutschen und Afrikaner für eine Bande von Idioten, mit denen er im Hand- umdrehen fertig wird. enfalls rieg. lo- h r t in die kaner Hand-

Niemand bei den indischen Expeditionsstreitkräften hat die geringste Ahnung über die lokalen Verhält- nisse, die Topografie und ähnliche grundlegende Dinge Tangas – die Hafenstadt im damaligen Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) ist immer- hin das Ziel des Unternehmens. Aitken lehnt in seiner grenzenlosen Selbstüberschätzung sogar das Angebot erfahrener Offiziere ab, ihm Informationen über die Askaris und den Kriegsschauplatz in Ostafrika mitzu- teilen. „Alles überflüssig! Die Hunnen und Neger kriegen von mir eine Abreibung, die sie niemals vergessen werden!“ – so drückt sich Aitken sinngemäß aus, als ihm gut gemeinte Ratschläge offeriert werden. Nieman hat di nisse Din D h in s i d t N n Ai Rat So nentru die Qual Mann, die s So sehr er die Deutschen und ihre Eingebore- nentruppen abqualifiziert, so sehr überschätzt er die Qualität der eigenen Soldaten. Von den zirka 8.000 Mann, die seinem Kommando anvertraut sind, können lediglich die nepalesischen Gurkhas und das 2nd Batta- lion des Loyal North Lancashire Regiment als kampfstark bezeichnet werden. Der Rest der 27th Indian Brigade zählt zu den schlechtesten Truppen der Indienarmee – die Männer sind ungenügend ausgebildet, können kaum ihre Gewehre richtig bedienen und sprechen ein Kauder- welsch aus einem Dutzend verschiedener Sprachen, da sie aus allen Teilen des indischen Subkontinents kommen. Die Kampfmoral der Männer leidet zusätzlich durch die Katastrophale Überfahrt von Indien nach (zunächst) Mombasa in Britisch-Kenia: Wegen einer Verzögerung müssen die Soldaten tagelang in völlig überhitzten Kabi- nen verbringen und werden mit falschem Essen versorgt. Die Folgen: Hitzeschlag, Durchfall und Erbrechen. Endlich in Afrika angekommen, verbietet Aitken eine Erholung an Land. Angeblich aus Gründen der Geheimhaltung. Dabei weiß jeder, der es wissen will, längst Bescheid – die Presse berichtet lang und breit über die baldige Ankunft Aitkens und seiner Truppe, im Abfahrtshafen von Bombay stehen überall Kisten mit der Aufschrift „Indische Expe- ditionsstreitkräfte, Mombasa, Ostafrika“ herum und der Funkverkehr zwischen der Flotte und ihrem Zielhafen ist unverschlüsselt. Paul von Lettow-Vorbeck weiß also ganz lediglich die li d L

STELLT SICH SELBST EIN BEIN: Arthur Aiken ist maß- los arrogant, über- schätzt die eigenen Soldaten und hält von den Deutschen und ihren Askaris wenig. Er hält es nicht für nötig, auch nur die geringste Auf- klärung über seinen Gegner auszuführen. Das Resultat ist eine krachende Nieder- lage Abb.: Archiv Clausewitz

genau, was ihm bevorsteht… Landungszone: Sumpf

Gewissermaßen als Vorhut trifft als erstes britisches Schiff die HMS Fox in Tanga ein, um den Deutschen die einsei- tige Aufkündigung sämtlicher (inoffizieller) Waffenstill- standsabkommen, die bisher ausgehandelt worden sind, mitzuteilen. Kapitän Francis Wade Caulfield trifft aller- dings nur auf einen mittleren deutschen Beamten, den er – etwas naiv – nach Minen im Hafenbecken fragt. „Ja, ja“ nickt der Deutsche eifrig, „der Hafen ist voll davon!“ Dann entschuldigt dieser sich bei Caulfield, angeblich, um den Gouverneur der Kolonie, Heinrich Schnee, zu holen. Doch der Deutsche taucht nicht mehr auf, sondern schlüpft in seine Uniform, hisst die Reichsflagge und informiert Let- tow-Vorbeck von der Ankunft der Briten. Als Caulfield dämmert, das wohl niemand mehr kommen wird, um mit ihm zu sprechen, kehrt er auf sein Schiff zurück und

LEHRSTÜCK FÜR DIE MILITÄR- AKADEMIE: Arthur Aitken demonstriert anschaulich, wie man eine Invasion nicht (!) durchführt. Die Abbildung zeigt, wie die englischen Truppen unter dem Feuer von Lettow-Vor- becks Soldaten auf ihre Schiffe zurück ƃÙFKWHQ Abb.: Archiv Clausewitz

85

Clausewitz 5/2025

Made with FlippingBook flipbook maker