03-2019 D

Wie erkenne ich,

ob ich für interkulturelle Arbeit berufen bin?

Die Rolle der Gemeinde Gemeinde als Trainingsfeld: All diese Qualitäten von Silas sind nicht von heute auf morgen ent- standen, sondern über Jahre des Dienstes langsam gewachsen. Die Mitarbeit in der Gemeinde in Jerusalem war keine verlore- ne Zeit. Sie war vielmehr Gottes Schule und Trainingsfeld, um geistliche Gaben zu entfalten, Erfahrungen im Dienst zu sam- meln, im Glauben zu wachsen und sich im Dienst zu bewähren: Gott bereitet seine Mitarbeiter vor! Insofern lautet die Grundfra- ge nicht: «Wie finde ich meinen Platz in der weltweiten Arbeit?» sondern vielmehr: «Wie werde ich die Person, die Gott gebrau- chen kann?» Gemeinde als Ort der Beru- fung: Silas wurde in der Ge- meinde in Jerusalem gefördert; die Gemeinde wählte ihn aus und sandte ihn zum Kurzeinsatz nach Antiochia. Dort arbeitete Silas mit in Lehre, Unterweisung und Seelsorge. Die Gemeinde in Antiochia lernte ihn kennen. Sie adoptierte ihn, segnete ihn und sandte ihn, den Fremden, als ihren Mitarbeiter aus. Wir sehen daran, dass mindestens zwei Gemeinden (Jerusalem und Antiochia) an der Vorbereitung, Berufung und Sendung des Silas teilhatten. Berufung gehört hi- nein ins normale Leben der Ge- meinde. Keine private Entscheidung : Sind wir solche Gemeindemitar- beiter wie in Jerusalem, die ei- nen fähigen Silas wahrnehmen, fördern, zum Leiter aufbauen, ihm Verantwortung übertra-

Der auferstandene Jesus hat seiner Gemeinde den Auftrag gegeben, das Evangelium in alle Welt zu tragen. Die ganze Gemeinde und jeder einzelne Christ sollen daran beteiligt sein – einige sogar hauptamt- lich in einer anderen Kultur. Wie erkenne ich, ob ich zu die- sem besonderen Dienst beru- fen bin? Wie schenkt Gott Ge- wissheit? Berufung – da denken wir sofort an übernatürliche Ereignisse wie den brennenden Dornbusch bei Mose (2. Mose 3), die Engelser- scheinung bei Gideon (Richter 6), die Vision des Jesaja (Jesaja 6) oder den Lichtstrahl vom Him- mel bei Saulus (Apostelgeschich- te 9). Diese aussergewöhnlichen Erfahrungen haben unser Ver- ständnis vom biblischen Begriff der Berufung geprägt. Gott kann so spektakulär eingreifen, doch in den meisten Fällen sieht sei- ne Führung ganz anders aus: unscheinbar, leise, schrittweise – dies ist viel öfter die Regel, wie im Alten und Neuen Testament deutlich wird. «Paulus aber wählte Silas» Betrachten wir zum Beispiel die Berufung von Silas, dem engsten Mitarbeiter des Apostel Paulus. Von seiner Berufung lesen wir in Apostelgeschichte 15,40 ledig- lich: «Paulus aber wählte Silas und zog fort, von den Brüdern der Gnade Gottes anbefohlen.» Hier wird nicht erkennbar, dass Gott mit ihm direkt gesprochen hat – Silas erscheint unbeteiligt

und passiv. Im Mittelpunkt steht vielmehr der Apostel Paulus, der sich in einer ernsten personellen Notlage befindet und dringend Mitarbeiter benötigt. Da kommt ihm Silas aus Jerusalem in den Sinn, der einen Kurzeinsatz bei ihm in Antiochia gemacht hatte. Paulus scheut dabei keine Mühe und Umstände, um Silas als Mitarbeiter an seiner Seite zu haben. Vordergründig ist es eine menschliche Ent- scheidung von Paulus, geboren aus dem Mitarbeiterengpass, den guten persönlichen Erfahrungen während des Kurzeinsatzes und strategischen Überlegungen. Dahinter aber steht Gottes Führung, und Silas kann dies als Gottes Berufung in seinem Leben annehmen. An diesem Beispiel werden drei Grundprinzipien deutlich: 1. Gott beruft durch Fakten Gott gebraucht menschliche Überlegungen, nüchterne Zahlen und Fakten. Bei William Carey, dem Pionier der modernen Mis- sionsbewegung vor 200 Jahren, waren es demografische Daten über verschiedene Länder, die ihm die Augen dafür öffneten, wie viele Menschen noch nie von Gottes Liebe gehört hatten. Bei Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf war es eine persönli- che Begegnung mit dem ehemaligen Sklaven Anton. So erfuhr er am Rande der Krönungsfeier des dänischen Königs in Ko- penhagen vom Elend der Sklaven in der Karibik – und ein Jahr später wurden die ersten Mitarbeitenden auf diese Insel ent- sandt. Gott gebraucht Vernunft (Apg. 14,6), Logik (Apg. 16,13), strategische Überlegungen (Apg. 13,6), seelsorgerliches Mitge- fühl (Apg. 15,37), Umstände (Apg. 14.19) und selbst Verfolgung (Apg. 9,24), um zu führen und Gewissheit zu schenken. 2. Gott redet durch Mitmenschen Gott spricht oft nicht selbst zur berufenen Person, sondern durch andere Menschen. Beim Apostel Paulus war es Anani- as in Damaskus (Apg. 9,15). Bei Timotheus war es Paulus (Apg. 16,3), und bei Johannes Markus war es Barnabas (Apg. 12,25). Immer wieder gebraucht Gott Menschen, um klare Gewissheit zu schenken (Apg. 9,25+27+30; 11,25; 15,40). So wird die per- sönliche Überzeugung (subjektive Berufung) ergänzt durch Faktoren und Umstände, die ausserhalb der Person liegen (ob- jektive Berufung). Dies gibt Gewissheit, die auch durch Krisen hindurchträgt. 3. Berufung als Prozess Berufung ist oft ein langer Prozess und nicht ein punktuelles Er- eignis. Was bei Silas als eine spontane Entscheidung von Paulus erscheint, hatte tatsächlich eine lange Vorgeschichte, wie wir in Apostelgeschichte 15 lesen – Silas war ein bewährter Mitarbei- ter in der Gemeinde mit vielen Qualitäten, der sein Leben für Jesus einsetzte.

gen, ja ihn sogar in den Leitungskreis mit hineinnehmen, um so die nächste Generation von Leitern zu schulen? Halten wir die Augen offen nach potenziellen Kurz- und Langzeitmitarbeitenden? Geben wir jungen Menschen eine Perspektive dafür, was Gott aus ihrem Le- ben machen könnte? Sprechen wir sie konkret auf Aufgaben in der weltweiten Arbeit an? Schlagen wir ihnen vor, ein Jahr ihres Lebens in einen Kurzeinsatz zu investieren? Sind wir Personen, die für andere mitdenken, Berufungen aussprechen und gezielt Menschen anspre- chen, so wie das die Gemeindeleitung in Jerusalem und Paulus getan haben? Dies ist eine Anfrage an alle Jugendgruppenleiter, Kindergot- tesdienstmitarbeiter, Gemeindeältesten, Seelsorger und Pastoren. Ja, das ist unsere Verantwortung vor Gott. Die Berufung von Silas war keine private, persönliche Entscheidung. Viele Menschen hatten An- teil, waren einbezogen in das Geschehen, und das berufende Wort des Paulus «Er aber wählte Silas» (V. 40) schenkte letzte Gewissheit. Haben wir vielleicht so wenige interkulturelle Mitarbeitende heute, weil Gemeindeverantwortlichen der Mut fehlt, Berufungen auszu- sprechen und vielleicht sogar ihre besten Leute zu senden? Durch Sendung von Mitarbeitenden wird eine Gemeinde nicht ärmer, son- dern bereichert. Und ich? Bin ich selbst bereit, mich senden zu lassen, d. h. betend über die An- frage einer anderen Person nachzudenken und als Gottes Reden in meinem Leben anzunehmen? So haben David, Silas, Paulus, Johan- nes Markus und Timotheus ihre Berufung erfahren. Oder schreiben wir Gott vor, wie er zu uns reden muss und gelangen vielleicht nie zur Gewissheit? Hier ist jeder von uns gefragt. Wir alle sind als Betende, als Ermutigerinnen und Ermutiger gerufen, Interessierte in der Vor- bereitung zu umbeten, zu beraten und persönlich zu begleiten. Wir alle dürfen teilhaben an der Berufung und Sendung von Menschen, dürfen Gottes Werkzeug sein. Stehe ich Gott zur Verfügung? Gott will mein Leben ganz. Er will es heute haben. Er will durch mich handeln – als Beter und Ermutiger, als Unterstützer und Missionspartner, als Person, die Berufungen ausspricht, als Teil einer sendenden Gemein- de – vielleicht auch als Person, die er sendet. Jeder Nachfolger von Jesus ist zur Tür seines Nachbarn berufen, zu seinem Arbeitskollegen und zu Bekannten – mancher auch in ein anderes Land. Ja, Ihr Leben zählt!

Dr. Detlef BLÖCHER war von 2000 bis 2018 Leiter der DMG

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