03-2019 D

Interkulturelle Arbeit? Eigentlich spannend,

aber...

Das ist ganz sicher nichts für mich! oder etwa doch?

Michael MÜLLER

«Ich bin ledig – wenn ich ins Ausland gehe, dann finde ich bestimmt keinen Partner» Heute gehen die meisten ja nicht mehr jahr- zehntelang in den Einsatz, sondern für ein paar Jahre. Ich bin überzeugt, dass es sich lohnt, diese Zeit zu investieren und dafür etwas spä- ter zu heiraten – denn ein solcher Einsatz ist ein Gewinn fürs ganze Leben! Zudem kommt es auch vor, dass sich Paare im Ausland ken- nenlernen – und dann gleich jemanden an ihrer Seite haben, der ihre Vision teilt und ver- steht, was sie erlebt haben. «Wir haben Kinder» Die Zeiten, in denen Kinder in ein Internat ge- geben werdenmussten, sind vorbei. Heute kön- nen die Kinder eine internationale Schule in der Nähe besuchen oder erhalten mit Fernschul- programmen und Kurzzeitmitarbeitenden, die sich um den Unterricht kümmern, gute Betreu- ung vor Ort. Zudem profitieren auch Kinder von einem Einsatz: Sie wachsen (mindestens) zweisprachig auf und erwerben interkulturelle Kompetenz. «Ich will nicht so ein grosses Risiko eingehen» In keinem anderen Land gibt die Bevölke- rung für Versicherungen so viel aus wie in der Schweiz. Wir lieben es, uns abzusichern. Und ja: Wenn wir die Schweiz verlassen, reduziert sich die Sicherheit in einem gewissen Sinn. Aber: Dadurch haben wir auch die Chance, in eine grössere Abhängigkeit von Gott zu kommen und ihn stärker zu erleben. Ich erlebte in Gui- nea, einem der damals unsichersten Länder der Welt, in dem es praktisch keine Ausländer gab, eine der reichsten Zeiten meines Lebens. Ich durfte erfahren, dass wir es riskieren können, Gott zu vertrauen, dass er uns auch in einem unsicheren Land bewahren und mit uns etwas bewirken kann. No risk, no mission!

Die Beziehung zwischen mir und meiner Frau Priska begann schon in unseren Teenagerjahren, vor inzwischen 18 Jahren. Ich wusste damals, dass Priska einem Einsatz im Ausland gegenüber nicht abgeneigt war. Mein Standpunkt war aber klar: «Mit mir ist interkulturelle Arbeit kein Thema». Ich war überzeugt, dass ich mich in einem anderen Land und einer anderen Kultur nicht wohlfühlen könnte. Trotzdem entschied sich Priska für mich. Den Gedanken an einen Auslandeinsatz behielt sie irgendwo im Hinterkopf. Nach meiner Ausbildung zum Spengler-Sanitärinstallateur soll- te ich das Geschäft von meinem Lehrmeister übernehmen – ein Traum schien wahr zu werden! Doch je konkreter das Ganze wur- de, desto mehr bekam ich ein ungutes Gefühl dabei. Und das, ob- wohl das mein Wunsch gewesen war und ich ein super Verhältnis zu meinem damaligen Chef hatte. Wir beteten um klare Führung mit konkreten Zeichen, wenn wir das Angebot ablehnen sollten. Gott sprach unmissverständlich klar und wir erkannten, dass dies nicht der richtige Weg war. Aber was nun?! Ein Eindruck, ein Gespräch, ein Kurzeinsatz Kurz darauf hatte ich eines Abends ganz plötzlich das starke Ge- fühl, dass Gott uns, dass er MICH im Ausland haben wollte. Dieser Eindruck liess mich nicht mehr los und ich erzählte meiner Frau davon. Sie war ausser sich, denn genau an diesemTag hatte sie zu Gott gesagt, dass sie es nun akzeptierte, dass wir wohl für immer an diesem Ort bleiben würden. Sie war bereit, sich darauf einzu- lassen und sich von ihm in der Schweiz brauchen zu lassen. Und da kam ich mit solch einem «Hirngespinst»! Gottes Reden war aber so klar und eindeutig, dass ich es nicht ignorieren konnte. Kurzerhand rief ich den Verantwortlichen vom Missionsteam un- serer Gemeinde an, der erstaunlicherweise schon damit gerech- net hatte, dass wir uns bei ihm melden würden! Nur 15 Minuten später stand er bei uns in der Wohnung. Um etwas abzukürzen: nach einemKurzeinsatz mit SAM global in Guinea war unser Feuer endgültig entfacht. Wir entschieden uns, dass «Langzeiteinsatz» der Weg war, den wir gehen wollten. Motiviert starteten wir unse- re Vorbereitungszeit mit Theologie- und Sprachstudium. Für uns war von Anfang an klar, dass der Einsatz auf rund 8 bis 10 Jahre begrenzt sein würde, sollte Gott nicht etwas anderes sagen. Gaben einbringen und etwas bewirken Wir planten, im Sommer 2014 nach Kamerun auszureisen – doch nur zwei Wochen vor der Abreise wurden diese Pläne durch die Anschläge von Boko Haram abrupt durchkreuzt. Wir waren ziem-

lich niedergeschmettert von dieser Nachricht, waren wir doch motiviert zu gehen und alles war bereit, sogar die Koffer waren so gut wie gepackt. Dank Gottes gutem Plan reisten wir nur fünf Wochen später nach Guinea aus. In der Zeit rund um die Ausreise kamen manchmal Zweifel auf, ob ich mich wirklich eignete – denn ich bin zum Beispiel überhaupt nicht der Redner! Doch in Guinea sind vor allemBeziehungen und Kontakte wichtig. Es wird enorm geschätzt, wenn du deinem Ge- genüber Aufmerksamkeit und Zeit schenkst, auch wenn es nur für ein kurzes Gespräch ist, und das ist eine grosse Stärke vonmir. Der Rest ergab sich dann von selbst. So durften wir in Guinea vier Jah- re lang eine wertvolle, wenn auch durchaus herausfordernde Zeit erleben. Wir konnten unsere Gaben einbringen, Dinge bewirken, Beziehungen knüpfen, Vorbild sein, Fragen zu unserem Lebens- stil beantworten, Menschen in Alltagsgesprächen auf Jesus hin- weisen, junge Erwachsene ausbilden und ihnen eine Perspektive für die Zukunft schenken, selber an den Aufgaben und Verant- wortungen wachsen, sehen, wie Menschen aus muslimischem Hintergrund eine Entscheidung für Jesus trafen, spüren, wie wir in der Bevölkerung wertgeschätzt wurden und vieles mehr. Ich könnte ganze Seiten damit füllen. Ich habe ein Stück Heimat in Guinea zurückgelassen – und das hätte ich mir noch vor ein paar Jahren nicht im Traum vorstellen können. Kein falscher Weg, sondern eine Aufgabe auf Zeit Anders als – von uns – geplant, mussten wir unseren Einsatz vor- zeitig und sehr kurzfristig abbrechen, da meine Frau aufgrund ei- ner Allergie schwere gesundheitliche Probleme bekam. Innerhalb von nur zwei Wochen musste sie packen und sich verabschieden und reiste mit unseren drei Kindern zurück in die Schweiz, ich folgte ihnen vier Wochen später. So war das nicht geplant gewesen! Wie weiter? So ein unvorbe- reiteter Wechsel löst vieles aus und überfordert ein Stück weit. Es braucht (viel!) Zeit, um die Erlebnisse zu verarbeiten und sich wie- der mit der «Situation Schweiz» anzufreunden. Doch unser Gott ist so überwältigend gut, dass er bereits so vieles für uns vorbe- reitet hat und wir getragen sind von ihm. Wir hatten nie das Gefühl, dass Gott uns falsch geführt hat oder wir einen falschen Weg gegangen sind. Es war eine Aufgabe auf Zeit. Wieso Gott sie früher beendet hat als gedacht, ist seine Ent- scheidung. Wir sind gespannt, was er mit unserem Leben noch vorhat.

«Ich bin nicht speziell berufen dafür» Viele erwarten eine übernatürliche Berufung, wie sie bei- spielsweise Paulus erlebt hat. Aber es gibt ganz viele ver- schiedene Arten von Berufung! Silas zum Beispiel wurde berufen, indem Paulus zu ihm sagte: «Komm mit!» – und er ging mit (mehr dazu auf Seite 18). Er hat einfach auf ein vorhandenes Bedürfnis reagiert. Manchmal suchen wir zu weit, denn die Bedürfnisse sind da – und es wäre toll, wenn mehr Leute wie Silas einfach sagen würden: «Ich bin da, ich bin bereit zu dienen, wenn ich gebraucht werde.» Ja: gerade der technische oder medizinische Bereich ent- wickelt sich in der Schweiz schnell und da ist man nach ein paar Jahren Einsatz nicht mehr auf dem neusten Stand. Dafür lernt man in anderen Bereichen dazu und entwickelt andere Fähigkeiten – zum Beispiel interkulturelle Kompe- tenz, was in der multikulturellen Schweiz einen hohen Stel- lenwert hat. Zudemhat man im Einsatz oft die Möglichkeit, als Leiterin oder Leiter zu wachsen und Leitungsaufgaben zu übernehmen, auf die man in der Schweiz noch viel län- ger hätte warten müssen. Man hat mehr Raum, kreativ zu sein, sich zu entwickeln, gross zu denken, Visionen und Ideen umzusetzen – ich durfte in Guinea beispielsweise Gaben bei mir entdecken, von denen ich nichts wusste. In der Schweiz ist unsere Aufgabe meist enger eingegrenzt und so kommen oft nicht alle unsere Gaben und Fähigkei- ten zum Tragen. Viele denken immer noch, interkulturelle Mitarbeiten- de seien Übermenschen. Dabei hat jede Person, die eine Lehre oder sonst eine Ausbildung in der Schweiz gemacht hat, in unseren Einsatzländern enorm viel zu geben, denn die Schulen in der Schweiz sind überdurchschnittlich gut. Da unterschätzen wir uns häufig. Die allerwichtigsten Vor- aussetzungen für einen Einsatz sind Flexibilität, die Bereit- schaft, eine Fremdsprache zu lernen, und der Wunsch, zu dienen, das eigene Know-how weiterzugeben und Gottes Liebe zu teilen. «Ich habe Angst, beruflich den Anschluss zu verlieren» «Ich bin zu wenig begabt für einen Einsatz im Ausland»

Jürg PFISTER, Leiter SAM global

Michael MÜLLER, ehemaliger Projektleiter im ActionVIVRE Süd, Guinea

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