03-2017 D

«Erhaltet euch die Sehnsucht nach Gottes Reden!»

Renate (50) und Emanuel (51) Wieland sind seit Oktober 2016 im Projekt ProTIM 2-2-2 Kissidougou in Guinea im Ein- satz. Im Interview erzählen sie, wie es dazu gekommen ist, was ihnen bei der Abreise durch den Kopf gegangen ist und was sie anderen Ü50ern mitgeben möchten. Wieso habt ihr euch für einen Einsatz entschieden – und wieso jetzt? Interkulturelle Arbeit ist seit Beginn unserer Ehe ein Thema für uns, doch als junge Familie wären wir einem Einsatz nicht ge- wachsen gewesen. Der Wunsch blieb aber über all die Jahre in unseren Herzen. Jetzt mit 50 ist ein guter Zeitpunkt, noch ein- mal etwas Neues zu wagen: Unsere Töchter sind mit ihrer Aus- bildung fertig und wir haben noch einige Arbeitsjahre vor uns. Wie hat sich der Entscheidungsprozess abgespielt? Uns ist es wichtig, immer wieder zu fragen, wo Gott uns haben will. Meistens lässt er viel Freiheit, manchmal beruft er ganz klar. Wir wurden von ihm stark ermutigt, nicht stehen zu blei- ben, sondern vorwärts zu gehen, Tür um Tür aufzutun und da- rauf zu vertrauen, dass er selber die «falschen» Türen wieder schliessen wird. So wollten wir vor ein paar Jahren wissen, ob ein Einsatz für uns als nicht mehr ganz junge Menschen überhaupt in Frage kam. Auf einer Informationsreise konnten wir alle Projekte in Guinea besuchen. Wir merkten, dass es für uns beide gute Einsatzmöglichkeiten gibt, dass es jedoch aufgrund der Aus- bildung unserer Töchter für uns noch zu früh war, um auszu- reisen. Es folgte eine Zeit, in der wir viel nachgedacht und mit Freun- den über einen Einsatz geredet haben – und auch mit SAM global in Kontakt geblieben sind. Als alle unsere Töchter dann ihren Abschluss in der Hand hielten, war für uns klar: Jetzt spricht nichts mehr gegen einen Einsatz! Auch unsere Töchter standen demVorhaben von Anfang an positiv gegenüber und unterstützen uns jetzt ganz praktisch. Gleichzeitig ist die Tren- nung von ihnen das Schwierigste für uns. Wie habt ihr euch auf den Einsatz vorbereitet? In den letzten zwei Jahren besuchten wir neben unserem nor- malen Arbeitsleben mehrere Kurse: In Paris frischten wir unser Französisch auf, wir besuchten Seminare, um uns auf die inter- kulturelle Arbeit vorzubereiten, und absolvierten berufsspezi- fische Kurse, unter anderem einen Tropenkurs. Auch das Lesen von Büchern über den Islam und den Animismus war hilfreich. Was ging euch bei der Abreise durch den Kopf? Vieles! Freude darüber, dass das, was wir in der Theorie gelernt hatten, endlich praktisch wurde, und «Gwunder» auf das, was uns erwartete. Sehr schwierig war es, Familie und Freunde los-

zulassen. Auch Angst vor allem Ungewis- sen kam auf.

Und jetzt – was macht ihr in Guinea? Emanuel ist dabei, die Mechanik-Werk- statt fertigzustellen. Beide unterrichten wir an der Bibelschule in Télékoro, Ema- nuel das Fach Mechanik, Renate Ernäh- rung und Gesundheit. Wir engagieren uns auch für eine einfache Mechanisie- rung der Landwirtschaft sowie in den Be- reichen Bodenverbesserung und Anbau und Nutzung von medizinischen Pflan- zen. Dazu kommen unzählige kleinere Arbeiten wie Literaturarbeit, Unterhalt der Häuser, Wundversorgung, Kontakte zu den Pastoren etc. Was findet ihr toll, was ist schwierig? Wir lernen viele tolle Menschen kennen, ein neues Land, eine neue Kultur, eine an- dere Weltansicht, treffen auf viele offene Türen, werden wertgeschätzt … – vie- les, was toll ist, ist gleichzeitig aber auch schwierig. Auch der Umgang mit der grossen Armut und die lokale Sprache (noch) nicht zu verstehen sind Herausfor- derungen. Dadurch, dass wir ohne Kinder ausgereist sind, haben wir viel freie Kapazität. Be- stimmt sind wir durch die schon gewon- nenen Lebenserfahrungen gefestigtere Persönlichkeiten, als wir mit 25 gewesen wären. Wir müssen auch nicht mehr jede Dummheit ausprobieren. Erhaltet euch die Sehnsucht nach Gottes Reden. Habt den Mut loszulassen – auch finanzielle Sicherheiten. Habt den Mut zu scheitern. Für uns war es zudem sehr hilf- reich, dass wir im Vorfeld einmal ein paar Wochen vor Ort sein und interkulturelle Arbeit ganz praktisch erleben konnten. Und: wagt einen Einsatz – es ist eine rie- sige Chance! Was ist jetzt vielleicht besser, als es mit 25 gewesen wäre? Welchen Tipp würdet ihr anderen Per- sonen über 50 mitgeben?

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