01-2020 D

Kopftuch und Lafaï –

mein Jahr im Tschad

mussten beim Fasten nicht mitmachen, je- doch gab es einige «Regeln» zu beachten: Wir durften in der Öffentlichkeit nichts essen, trinken oder allgemein kauen, was ich gut nachvollziehen konnte. Mehr Mühe hatte ich damit, dass beispielsweise auch schwangere Frauen fasteten. Sie können das Fasten zwar auch nach der Schwangerschaft nachho- len, aber die meisten machten trotzdem mit, da sie nicht danach als einzige 40 Tage lang fasten wollten. Eine Folge davon waren ver- mehrte Frühgeburten, manchmal starben die Babys an Unterversorgung. Das war für mich schwer zu akzeptieren. Dass ich die Ramadan-Feste am Ende der Fastenzeit miterleben durfte, war ein grosses Vorrecht für mich. Die Gastfreundschaft und Freundlichkeit, auch Fremden gegenüber, waren unglaublich. Was mich auch beson- ders bewegte, war, wie sehr sich alle um eine meiner Freundinnen kümmerte, als ihr Mann starb – einige wohnten mehrere Tage bei ihr, um für sie zu kochen und zu sorgen. Eine prägende Erfahrung Als ich mich im Vorfeld online über den Tschad informierte, sah ich eine Warnung: Es wurde davon abgeraten, dieses Land zu be- suchen. Natürlich überlegte ich mir, was alles Schlimmes passieren könnte. Doch ich muss sagen, dass ich mich sicher gefühlt habe. Ich konnte mich zwar nicht so frei bewegen wie in der Schweiz und es gab mehr Regeln, aber diese existieren nur zum eigenen Schutz. Im Nachhinein prägte mich diese Erfahrung sehr. Ich bin zwar froh, dass ich nicht mehr jede Nacht vom Muezzin aus dem Schlaf ge- rissen werde. Doch vermisse ich gewisse Din- ge wie zum Beispiel das familiäre Verhältnis, das die Muslime zueinander pflegen, und das Verhalten der Männer, wenn es zum Beispiel um den Platz in der Raksha geht. Wenn ich heute einen Muslim oder eine Muslimin sehe, dann werde ich immer an die Erlebnisse erin- nert und ich kann ihr Verhalten auch besser verstehen als zuvor.

Vor meinem Abflug in den Tschad wusste ich, dass ich ein Kopftuch würde tragen müssen. Dass das Landmuslimisch geprägt ist, wusste ich auch. Doch was erlebt man sonst noch alles bei einem Kurzeinsatz im Tschad? Schon in der Hauptstadt musste ich ein Kopf- tuch tragen. Dadurch kam ich mir etwas we- niger wie ein Eindringling vor und konnte zeigen, dass ich die Religion und die Men- schen respektierte. An meinem Einsatzort trug ich dann einen Lafaï – ein grosses Tuch zum Verhüllen des Körpers. Zu Beginn war es eine ziemliche Herausforderung, da der Stoff in alle Richtungen rutschte. Doch mit der Zeit entwickelte ich Tricks, mit denen das Tragen angenehmer wurde. Mir wurde schnell klar, dass ich als Frau ge- genüber einem Mann nicht gleichberechtigt war. Als ich einmal in einen Dukan, einen kleinen Laden, eintrat, war ich die einzige Kundin im Raum. Ich versuchte, auf Tschad- Arabisch meine Einkäufe zu erledigen, als ein Mann hineinkam. Sofort war der Verkäufer verschwunden und kümmerte sich um den Mann. Am Anfang war das für mich schon ein Schock, doch ich schluckte meinen Stolz her- unter und blieb freundlich. Mit der Zeit wur- den solche Szenen für mich normal. Es kommt aber auch vor, dass Männer Frauen mit viel Respekt behandeln: Einmal war ich mit den anderen Kurzzeiterinnen auf dem Weg nach Hause und wir fanden keine Raksha (3-räde- riges Taxi). Wir gingen los. Nach 20 Minuten fuhr ein gelbes Taxi auf uns zu. Leider sahen wir schon von weitem, dass es keinen Platz mehr hatte, denn auf der Rückbank sassen zwei Männer. Doch sie hielten an, die Männer stiegen nach vorne, obwohl da eigentlich kein Platz mehr war, und liessen uns hinten einstei- gen. Dies erlebten wir mehrmals. Grosse Hingabe für das Gebet Zu Beginn konnte ich nachts nicht durch- schlafen, weil der Muezzin jede Nacht mehr- mals so laut sang. Doch trotz teils schlaflosen Nächten bewunderte ich die Verbundenheit der Muslime mit ihremGlauben. Wie oft beten wir Christen nur dann, wenn wir etwas wollen oder unserer Meinung nach benötigen! Die Muslime stehen jede Nacht auf, um zu beten. Würden wir Christen auch für ein Gebet mit- ten in der Nacht aufstehen? Auch den Ramadan in einem muslimischen Land zu erleben, war einmalig. Die Christen

Debora SCHOR war für ein Jahr als Kurzzeiterin im Ba- kan Assalam, Tschad

An dieser Stelle geben jeweils junge Erwach- sene und Kurzzeitmitarbeitende etwas aus ih- rem Leben weiter.

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