01-2020 D

SERVE AND MULTIPLY 1/2020 A M S g l o b a l l l focus

ISLAM

INHALT

...ganp zersönlich: Ein besonderer Monat

ISLAM

Schon um fünf Uhr morgens weckt mich das Klimpern von Geschirr. Warum sind die Nachbarn schon so früh auf? Ach ja, der Fastenmonat Ramadan hat begonnen. Jeder nimmt ein Frühstück zu sich, denn zwischen dem Sonnenaufgang um ungefähr 6 Uhr und dem Sonnenuntergang um 19.30 Uhr verzichten die Mus- lime auf jegliches Essen UND Trinken, und dies wäh- rend dreissig Tagen. In dieser Zeit bringen mir verschiedenste Nachbarn jeden Morgen ein bis zwei Flaschen Wasser, damit ich sie für sie kalt stelle. Keiner meiner Nachbarn hat einen Kühlschrank. Ich schreibe die Flaschen mit den Namen an und stelle sie in meine Kühlbox. Am Abend nach 19 Uhr kommt ein Nachbarskind nach dem anderen, um die Flaschen für seine Familie abzuholen. Die Freude über das eiskalte Wasser ist jedes Mal gross. Damit lässt sich das tägliche Fasten gut brechen. Ich bete, dass sich all diese Menschen auch einmal an Jesus, der das leben- dige Lebenswasser gibt, so freuen dürfen. Nichts trinken – bei 40 Grad im Schatten Die ersten Tage sind die Leute sehr motiviert, das Fas- ten einzuhalten. Auch Kinder ab ungefähr zwölf Jahren fasten mit. Aber mit der Zeit geht die tägliche Arbeit im- mer schwerer von der Hand. Kein Wunder, bei 40 Grad im Schatten. Auch die kleineren Kinder bekommen nicht mehr täglich etwas zum Mittagessen. Sie müssen notgedrungen ebenfalls bis zum Abend warten – oder kommen bei mir vorbei und fragen nach Brot undMilch. Geschafft! Wie freuen sich alle, wenn die dreissig Tage dem Ende zugehen. Ist der Fastenmonat geschafft, findet ein grosses Fest statt. Für diesen Tag kaufen sich alle neue Kleider und Schuhe, welche dann auch mit Stolz ge- tragen werden. Für die Kinder gehören natürlich auch Sonnenbrille und Plastik-Armbanduhr dazu. Die Haare der Mädchen werden wunderschön geflochten. Was für ein Festtag! Ab zwölf Uhr gibt es für alle ein reichhalti- ges Mittagessen. Nun darf man auch wieder tagsüber Musik hören.

Für mich stellt sich jedes Jahr die Frage: «Wie würde wohl Jesus den Fastenmonat angehen?»

Daniela SEITZ, ActionVIVRE Nord, Guinea

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EDITORIAL

Der Glaube – verbindend oder trennend?

«Für uns ist es keinProblem, dass dieseMenschen einen anderen Glauben haben. Für uns sind die- jenigen ein Problem, die gar nicht glauben und beten!», erklärte ein muslimischer Guineer über- zeugt, als er von einem Vertreter der Schweizer Fachorganisation Unité auf den christlichen Glauben unserer Mitarbeitenden angesprochen wurde. Gemeinsam mit der Unité, über die wir Unterstützungsgelder vom DEZA erhalten (un- gefähr 10 % unseres Budgets), wollten wir im Rahmen einer Wirkungsanalyse unter anderem herausfinden, ob sich unser Glaube negativ auf unsere Arbeit auswirkt. Dabei kam klar heraus: Das Gegenteil ist der Fall. Das Fremde schreckt ab Die Antwort des Guineers hat mich berührt. Die- ser Muslim fühlt sich unseren Mitarbeitenden näher, weil sie auch glauben – selbst wenn es nicht der gleiche Glaube ist. Der Glaube verbin- det. Doch gilt das für mich auch? Sind mir die Muslime in der Schweiz besonders nahe, weil sie glauben? Wenn ich ganz ehrlich bin: eigentlich nicht. So ganz andere Traditionen, andere Um- gangsweisen, andere Gebete, und dann noch der Terror in einigen Ländern – vieles ist mir fremd und schreckt mich ab.

Verständnis schaffen, Ängste überwinden

Doch die letzten Jahre hier bei SAM global ha- ben mich vieles gelehrt. In den meisten unserer Einsatzländer leben vor allemMuslime. Ich weiss heute mehr über den Islam und verstehe da- durch die Kultur und die Menschen besser. Von unseren Mitarbeitenden und Kurzzeitern höre ich Geschichten, die von Gastfreundschaft und Herzlichkeit geprägt sind. Und von Rahel, der Leiterin unseres Projekts ProCONNECT in der Schweiz, werde ich immer wieder ermutigt, die Angst vor dem Fremden zu überwinden und Schritte auf Muslime in meinem Umfeld zuzu- machen. Inzwischen haben sich dadurch schon schöne, herzerwärmende und prägende Begeg- nungen ergeben. In diesem Focus möchten wir Sie auf diese Reise mitnehmen. Wir geben spannende Fakten über den Islam weiter, setzen uns mit wichtigen Fra- gen auseinander und lassen unsere Mitarbeiten- den erzählen, weshalb sie sich unter Muslimen engagieren und wie sie die Arbeit in einemmus- limischen Land erleben. Ich wünsche Ihnen viele spannende Erkenntnisse und berührende Lese- momente!

1/2020

Sarah BRÜHWILER, Kommunikation

Basiswissen Is lam Mehr als eine Religion Der Islam ist mehr als eine Religi- on im westlichen Sinn. Ein Mus- lim gehört von der Geburt bis zum Tod zur islamischen Welt- familie, «Umma» genannt. Der Islam ist Teil der Identität und Volkszugehörigkeit und zudem eine Weltanschauung, die alle Lebensbereiche inklusive Essge- wohnheiten, Lebensstil, Kultur und Politik umfasst. Koran Der Koran ist die heilige Schrift des Islams. Er besteht aus 114 Kapiteln, Su- ren genannt, und ist in arabischer Reimprosa verfasst. Im Unterschied zur Bibel ist der Koran nicht chronologisch und thematisch aufgebaut, sondern nach Länge der einzelnen Suren: Nach der Eröffnungssure kommt zuerst die längste Sure, danach in abnehmender Länge alle anderen und die kürzeste am Schluss. Das erschwert eine fortlaufende Lektüre und eine zeitliche Einord- nung der Ereignisse.

Mohammed Mohammed, auch Muhammad genannt, ist der Gründer des Islams und gilt im Islam als Prophet und Gesandter Gottes. Er lebte von 570 bis 632. Sein Leben lässt sich grob in zwei Abschnitte einteilen, die für verschiedene Lehren stehen:

• Islam bezeichnet die Glaubensrichtung. Isla- misch, muslimisch und moslemisch sind die ent- sprechenden Adjektive. • Muslim, Moslem, Mohammedaner , früher auch Muselmann (weiblich: Muslimin, Moslemin, Muslima) sind die Anhänger des Islam. • Die Moschee ist das Gotteshaus der Muslime. Sie treffen sich dort zum Gebet, für Vorlesungen, Pre- digten und soziale Anlässe. Frauen und Männer beten separat. Viele Moscheen haben zudem ein oder mehrere Minarette: ein erhöhter Standplatz oder Turm für den Gebetsrufer. • Neben dem Koran kennt der Islam noch weitere wichtige Schriften: Die Hadith sind die Überliefe- rungen der Aussprüche und Handlungen von Mo- hammed. Die Siren (Einzahl Sira ) sind Biographi- en von Mohammed. Von den Hadithen und den Siren gibt es verschiedene Versionen. • Die Scharia ist die Gesamtheit der islamischen Rechtsgrundsätze. Die islamische Rechtswissen- schaft baut auf dem Koran, der Sunna (Hadith), dem Konsens (Idschma) und dem Analogieschluss (Qyias) auf. • Islamismus (Adjektiv: islamistisch, Anhänger: Is- lamist) bezeichnet den extremen, fundamentalis- tischen und militanten Islam. • Dschihad (auch Jihad) bedeutet grundsätzlich «Anstrengung». Der Begriff wird in der islamischen Tradition in einem militärischen Kontext verwen- det. Der schiitische Islam und auch moderne sun- nitische Autoren unterscheiden den kleineren (militärischen) Dschihad, der den «Heiligen Krieg» zur Verbreitung des Islams bezeichnet, vom grös- seren (inneren) Dschihad, der «Anstrengung» zur Bekämpfung innerer Gelüste. • Die Kleidervorschriften für Frauen im Koran sind unterschiedlich auslegbar. Während es Muslimin- nen gibt, die ganz auf eine Kopfbedeckung ver- zichten, tragen andere entweder einen Hidschab (bedeckt die Haare, das Gesicht bleibt frei), einen Tschador (dunkles Tuch von Kopf bis Fuss, das Gesicht bleibt frei), eine Nikab (Schleier, der das Gesicht fast vollständig bedeckt, die Augenpartie bleibt frei) oder eine Burka (vollständigeVerschlei- erung, Augenpartie ist mit einem Netz bedeckt).

Zeit in Mekka (610-622) •

Mohammad ist ein einsamer Prediger des Monotheismus Positive Haltung gegenüber Juden, Christen und der Bibel Toleranz gegenüber Andersgläubigen Mohammad ist ein erfolgreicher Kriegsherr Negative Haltung gegenüber Juden, Christen und der Bibel Aggressive missionarische Strategie und Deklaration des heiligen Kriegs (jihad)

Zeit in Medina (622-630) •

Stammvater Abraham Ismael, der Sohn von Abraham und seiner Magd Hagar und somit der Halbbruder von Isaak, gilt als Vorfahre aller Araber – und da- durch aller Muslime. Aus diesem Grund re- den manche Christen von «Cousins», wenn sie von Muslimen sprechen, da Christen und Muslime den gleichen Stammvater ha- ben. Auch gibt es mehrere Geschichten und Personen, die sowohl in den Schriften des Islams als auch in denen des Judentums res- pektive Christentums vorkommen.

Muslime weltweit Weltweit gibt es heute rund 1.5 Milliarden Muslime. In folgenden Län- dern leben am meisten Muslime: Indonesien: 219 960 000 (87.1 %*) Indien: 194 810 000 (14.9 %*) Pakistan: 184 000 000 (96.4 %*) Bangladesch: 144 020 000 (90.6 %*) Nigeria: 90 020 000 (50.0 %*) Ägypten: 73 000 000 (95.31 %*) Iran: 77 650 000 (99.5 %*) Türkei: 75 460 000 (98.0 %*) Algerien: 37 210 000 (97.9 %*) Irak: 36 200 000 (99.0 %*)

* der Bevölkerung Quellen: Operation World, Pew Research Center

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Die 5 Säulen des Islams Bekenntnis

shahada genannt, zweimal gesprochen genügt zur Bekehrung

Almosen Fasten Gebet

salat genannt, fünfmal am Tag

zakat genannt, 2,5 % des Einkommens

saum genannt, tagsüber während des Fastenmonats Ramadan, der sich zeitlich jedes Jahr verschiebt hadj genannt, nach Mekka, wenn möglich mindestens einmal im Leben

Pilgerfahrt

Die fünf Säulen sind die wichtigsten Regeln für einen Muslim und es ist für gläubige Muslime eine Selbstverständlichkeit, diese zu befolgen.

Geschichte Mohammeds

und des Islams

801 Der Frankenkönig Karl der Grosse erobert Barcelona wieder zurück 1095-127 acht Kreuzzüge, Besetzung Jeru- salems durch die Kreuzritter 1453 Eroberung Kons- tantinopels durch die Türken 1683 die Türken belagern Wien

632 Tod Mohammeds 632

619 Tod Khadidjas; Moham- med wird polygam 622 Auszug von Mohammad und seiner Getreuen nach Medina (Hedschra); die Gebetsrichtung ändert sich in Richtung Mekka 624 Mohammed besiegt die Truppen Mekkas in der Schlacht von Badr 630 Rückkehr nach Mekka und Kontrolle über das Pilgerzentrum der Ka’ba

570 Geburt von Mohammed in Mekka 576 Mohammed wird Vollwaise 579 Heirat mit Khadidja, einer reichen Händlerin 610 Beginn der Visionen und der Predigten 615 Auszug seiner Anhänger nach Äthiopien

Ganze arabische Halb- insel unter islamischer Herrschaft 638-715 Eroberung von Jerusa- lem, Syrien, Meso- potamien, Kairouan (Tunesien), Nordafrika, spanische Halbinsel und Indien 732 Entscheidungsschlacht gegen den Franken- könig Karl Martell bei Tours und Poitiers

Religiöse Richtungen &

Strömungen im Islam

Richtungen: Sunniten: Mehrheitslehre nach Koran und Tradition Salafiten: orthodoxe Lehre nach Koran und Tradition entsprechend Mohammad und den ersten vier Kalifen Wahhabiten: saudische Richtung des Salafismus Schiiten: Minderheitslehre nach Koran, Tradition und esoterischer Einsicht des Imams Sufi: mystische Richtung des Islams, tanzende Derwi- sche in der Türkei, Mehrheit in Afrika und Südasien

Strömungen (nach Henri Boulad): Liberaler Islam: Namensmuslime Mystischer Islam: Sufi-Islam

Volksislam: Islam gemischt mit Animismus (Geisterglauben) Staatsislam: z. B. saudischer, türkischer, marokkanischer Islam Radikaler Islammit Überzeugungsstrategien (z. B. Tariq Ramadan) Revolutionärer Islam mit Gewalt (z. B. Muslim-Brüder, iranische Schiiten, IS)

Dr. Hannes WIHER, ehemaliger Mitarbeiter in Angola und Guinea

Der Is lam in unseren Einsatzländern

In den meisten unserer afrikanischen Einsatzländer ist der grösste Teil der Bevölkerungmuslimisch, und auch in den asiatischen Län- dern ist der Islam teilweise weit verbreitet. Unter den weltweit über 1.5 Milliarden Muslimen gibt es sehr unter- schiedliche Personen – extreme Fanatiker, moderate, tolerante Gläu- bige, gottesfürchtige Muslime und nominelle Angehörige, von denen einige praktisch Atheisten sind. Somit sind auch die folgenden Zahlen mit Vorsicht zu geniessen, denn alle, die sich Hindus, Muslime oder Christen nennen, werden entsprechend gezählt, auch wenn sie nur nominell dazugehören.

GUINEA

TSCHAD

KAMERUN

INDIEN

*

Einwohner

ca. 12.5 Mio

ca. 15.5 Mio

ca. 25 Mio

ca. 1368 Mio

Arabisch, Französisch, ca. 130 Lokalsprachen

Französisch, 34 Lokalsprachen

Hindi, Englisch, ca. 420 weitere Sprachen

Französisch, Englisch, ca. 270 Lokalsprachen

Sprachen

Hindus Muslime Christen

4.5% (0.56 Mio)

44% (6.82 Mio)

2.3 % (31.5 Mio)

69.2% (17.29 Mio)

88% (10.55 Mio)

53% (8.21 Mio)

14.2% (194 Mio)

20.9% (5.22 Mio)

79.8 % (1090 Mio.)

*Quellen: OperationWorld, Wikipedia

Islam in Guinea In Guinea gibt es mehr als 30 muslimische Volks- gruppen. Die wichtigsten drei sind die Peul/Ful- be, ehemalige Nomaden, die den Islam in Guinea verbreitet haben, sowie die Susu und die Malinke. Viele Muslime sind grundsätzlich tolerant und der Meinung, dass es am Ende das Gleiche ist, ob wir an den Gott der Bibel oder des Korans glauben. Insgesamt leben Muslime und Christen friedlich nebeneinander. Leider machen sich aber auch ver- mehrt extremistische Tendenzen bemerkbar. Wer beginnt, Jesus nachzufolgen, erlebt oft Verfolgung. So sind es imMoment nur einzelne, die diesen Mut hatten respektive haben. Islam im Tschad Der Islam kam ab dem 11. Jahrhundert über die Karawanenstrasse in den Tschad und hat sich stark ausgebreitet. Während die arabischstämmigen Muslime ihre Religion streng ausüben, mischen die sesshaften «Bergler» sowie die Peul auch animis- tische Elemente dazu. Mit den Handelstätigkeiten und durch die Versetzung von muslimischen Be- amten hat sich der Islam nun auch im christlich ge- prägten Süden verbreitet. Als kürzlich eine christli- che Ministerin verweigerte, auf den Namen «Allahs, des Allmächtigen» ihren Eid abzulegen, wurde kur- zerhand ein anwesender General muslimischen Glaubens an ihrer Stelle vereidigt. Dies zeigt auf, dass die Polarisierung auch im Tschad zunimmt. Islam in Kamerun Von den gut fünf Millionen Muslimen Kameruns lebt der Grossteil im Norden des Landes – genau

dort, wo unsere Partnerorganisation am meisten Kirchen hat. Im Nordwesten grenzt Kamerun an den Norden Nigerias, der eine Hochburg der Ext- remistengruppe Boko Haram ist. Seit 2014 gibt es auch in Kamerun immer wieder Übergriffe dieser gewaltbereiten Gruppierung. Rund 12‘000 Men- schen sind ihr bereits zum Opfer gefallen. Viele junge Muslime ohne Aussicht auf Arbeit und ge- nügend Essen lassen sich mit Versprechen auf Land und Wohlstand ködern. Die Gewalt hat Zehntau- sende zur Flucht bewogen. Zahlreiche moderate Muslime haben aber auch begonnen, ihre Religion zu hinterfragen und sind auf der Suche nachWahr- heit. Islam in Indien Nach Indien kam der Islam schon sehr früh. Beson- ders das Sultanat von Delhi (1206-1526) und die Mogulenherrschaft (1526-1858) haben den Islam stark geprägt. Bis 1947 folgte die britische Koloni- alzeit. Danach wurden die muslimisch geprägten Gebiete Pakistan und Bangladesch von Indien ab- getrennt. Die verbliebenen knapp 200 Millionen Muslime in Indien sind eine kleine Minderheit, die von der hinduistischen Mehrheit bedrängt wird.

Jürg PFISTER (Länderverantwortlicher Guinea)

Andreas ZURBRÜGG (Länderverantwortlicher Tschad und Kamerun)

Hans STAUB (Länderverantwortlicher Indien)

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Is lam? Wie erlebt ihr den

Das haben wir vier unserer Mitarbeitenden ge- fragt, die in muslimischen Ländern arbeiten. Hier ihre Antworten:

Weshalb ist es euch ein Anliegen, euch in einemmuslimischen Land zu investieren?

Timo: Mir liegt vor allem die Volksgruppe der Peul amHerzen. Über 40 Millionen Peul leben in ganzWestafrika verteilt. Es gehört zu ihrer Identität, Muslime zu sein. Ich finde sehr bemerkenswert, dass sich der Glaube so tief in die Identität einer Volksgruppe einprägen kann. Für mich ist es daher nötig, den Islam zu kennen, um die Traditionen und Denkweisen der Peul zu verstehen. Tobias: Nun, wir wollten nicht explizit in ein muslimisches Land. Gott liebt alle Menschen und so sind wir einfach mit dem Wunsch ausgereist, seine Liebe den Menschen vorzuleben und weiterzuge- ben. Anne-Marie: Als das Thema Auslandeinsatz für mich aktuell wur- de, sagte ich zu Gott, dass ich bereit wäre, überall hinzugehen – aus- ser in ein muslimisches Land. Als sich der Tschad immer klarer als mögliches Einsatzland abzeichnete, hat mir Gott eine Liebe zu den Muslimen geschenkt und meine Angst weggenommen. Es beein- druckt mich immer wieder, wie enorm viel diejenigen Muslime, die den Glauben ernst nehmen, investieren, um vielleicht ins Paradies zu kommen – wenn sie denn genug gute Werke haben. Deshalb ist es mir ein Anliegen, ihnen die gute Nachricht weiterzugeben. Agathe: Als ich vor einigen Jahren ausreiste, war der grösste Teil aller interkulturellen Mitarbeitenden in Ländern tätig, in denen es bereits Kirchen gab, aber nur wenige unter Völkern, die noch nicht mit der frohen Botschaft von Jesus in Berührung gekommen waren. Das war einer der Beweggründe für mich, in den Tschad zu gehen.

Wie sehr spielt der Glaube im Alltag eine Rolle? Könnt ihr uns ein Beispiel erzählen? Tobias: Gott ist hier in Guinea viel konkreter in den Alltag integriert und am Erlebten beteiligt. Es gibt keine Zweifel, dass Gott das Geschehen beeinflusst. Man kommt im Gespräch auch schnell auf Gott zu sprechen. Timo: Vor allem die Gebetszeiten sind sehr prä- gend. Am Nachmittag gehen fast alle zum Gebet. Und wenn keine Moschee in der Nähe ist, dann wird halt auf der Strasse gebetet. Auf dem Rückweg vom Besuch bei einem anderen Team sind wir an einer Baustelle vorbeigefahren. Zwei der Arbeiter lagen gerade auf den Knien und beteten. Mitten auf der Baustelle – und mitten in der Regenzeit. Ansonsten prägen vor allem die Fastenzeit und die Feste den Alltag sowie bestimmte Aspekte der Le- bensweise wie die Polygamie oder die Geschlech- terrollen. Auch in Gesprächen geht es immer wieder um solche Themen. Ich habe aber generell das Ge- fühl, dass es weniger um persönliche Überzeugun- gen geht als vielmehr um die Traditionen der Peul beziehungsweise der Muslime. Anne-Marie: Bei vielen Leuten habe ich den Ein- druck, dass ihr Glaube vor allem mit Regeln verbun- den ist: die rituellen Gebete sprechen, den Ramadan einhalten, gute Werke tun und nach Mekka reisen, wenn es die finanzielle Lage erlaubt. Agathe: Für die Menschen, denen ich begegne, ist der Glaube Teil ihres Lebens und Alltags und kei- ne Privatangelegenheit. Für meine Nachbarn ist es normal, über Gott zu sprechen – schon im täglichen Gruss erinnert man an Gott. Eines Tages, bevor ich nach Europa zurückreiste, fragte mich eine Freundin: «Agathe, ist es wahr, dass es in Europa Menschen gibt, die nicht an Gott glauben und die sagen, dass Gott nicht existiert?» – «Ja», antwortete ich, «es gibt sogar viele, die so denken.» - «Aber», antwortete sie, «warum gibt es dort, wo jeder zur Schule geht und studiert hat, Menschen, die nicht an Gott glauben? In unserem Land wissen alle, auch die kleinen Kin- der, dass es Gott gibt!»

Agathe, ProRADJA', Tschad

Wie sind die Reaktionen von Mus- limen, wenn ihr sagt, dass ihr an Jesus glaubt? Tobias: Grundsätzlich positiv. Man kann offen mit ihnen über den Glauben reden und sie interessieren sich für unsere An- sichten, auch wenn sie nicht immer unserer Meinung sind. Timo: Es wird von einem Weissen erwar- tet, dass er Christ ist. Von daher sind die Leute nicht sonderlich überrascht. Anne-Marie: Es gibt unterschiedliche Reaktionen. Einige wollen mich davon überzeugen, dass der Islam die richtige Re- ligion ist, andere zeigen Interesse und stel- len Fragen. Viele sagen jeweils am Schluss: «Wir glauben ja fast das Gleiche.» Die meis- ten nehmen es auch gerne an, wenn ich anbiete, im Namen von Jesus für ihre Babys oder für eine schwierige Situation zu beten. Doch wenn ich sage, dass Jesus für mich mehr als ein Prophet ist, nämlich derjeni- ge, von dem ich Vergebung erhalten kann, wird es schwieriger. Agathe: Die meisten Muslime kennen Jesus – für sie ist er einfach ein grosser Pro- phet und der Sohn von Maria, so wie es im Koran steht.

Anne-Marie, Bakan Assalam, Tschad

Wie erlebt ihr den Islam?

Tobias: Wir leben hier in einer Gesellschaft, die einen moderaten Is- lam auslebt. Timo: Es wundert mich nicht, dass der Islam in Afrika verbreitet ist. Er passt sehr gut in die Scham- und Ehrkultur. Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern um Status, Respekt und Ehre. Es wird nicht hinter- fragt. Die Leute folgen oft widerstandslos den Regeln des Islams. In den Schulen hier wird den Kindern vor allem vermittelt, dass sie den Schulstoff auswendig lernen müssen – es geht nicht ums Verstehen oder Reflektieren. Der Islam vermittelt seine Lehren genauso: die Mus- lime sollen den Koran und die Traditionen der Koranlehrer auswendig lernen. Anne-Marie: Hier ist der Islam oft mit Animismus und somit mit ok- kulten Praktiken verbunden. Wenn ein Muslim sich für Jesus entschei- det, erlebt er starken Druck von der Familie und Gesellschaft. Manch- mal muss er auch noch mit anderen Konsequenzen rechnen.

Inwiefern stimmt das Bild vor Ort mit dem überein, das ihr in der Schweiz vom Islam und Muslimen hattet? Tobias: Es sind gottesfürchtige Menschen, die Gott und seinen Willen su- chen und versuchen, ihm mit ihrem Handeln zu gefallen. Timo: Man erlebt, dass die Muslime hier ihre Religion nicht gut kennen. Es wird ihnen von klein auf beigebracht, was im Koran steht. Aber sie reflektieren das nicht wirklich. So erleben wir häufig, dass wir durch unsere Lektüre besser Bescheid wissen als sie. Ich habe gemerkt, dass hier das Fachwissen über den Islam keine grosse Rolle spielt. Anne-Marie: Ich verband den Islam mit Gewalt, Terror und Anschlägen, doch hier habe ich noch nie etwas in diese Richtung erlebt – die Menschen sind mir gegenüber offen, gastfreundlich und hilfsbereit. Agathe: Bevor ich ausreiste, hatte ich auch einige Klischees und vorgefertig- te Ideen im Kopf. Hier vor Ort sieht man den Islam aber nicht als System oder Religion, sondern man sieht die Menschen: Nachbarn und Familienmütter, die sich sehr anstrengen, um ihre Kinder zu ernähren und zu versorgen, Eltern von Schulkindern, die das Beste für ihre Kinder möchten, Kranke ... kurz gesagt: Menschen, die letztlich die gleichen Sorgen haben wie wir. Und dann öffnen sich die Türen und wir erhalten Einblick in ihr Leben und sie in unseres.

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Hattet ihr schon einmal Angst in Bezug auf den Glauben? Tobias: Nein. Einheimische, die sich vom Islam abwenden, müssen jedoch mit Sanktionen rechnen. Timo: Extremismus erleben wir in Guinea nicht. Ausgestossen werden Personen, die sich vom Islam abwenden und sich zu einem anderen Glauben bekennen. Aber uns gegenüber ist man offen. Allerdings nehmen viele in Guinea wahr, dass der Wahabismus, eine strenge Form des Islams, zunimmt. Es werden, auch bei uns, immer mehr Frauen mit Vollverschleierung gesehen – ein Anzeichen dafür, dass der Extremismus zunehmen könnte. Anne-Marie: Nein. Agathe: Da wir uns in einem Land befinden, das schon Angriffe von Boko Haram erlebt hat, sind wir uns der Gefahr bewusst. Und wenn wir kleine Kinder sehen, die gedrillt werden und sich abmühen, tut das weh. Aber im Allgemeinen werden wir von den Muslimen als «die Leute des Buches» respektiert.

Tobias, ActionVIVRE Nord, Guinea

Welche besonderen Erlebnisse habt ihr schon gemacht? Tobias: In unserer Gastkultur ist es wichtig, einander zu segnen. Wenn wir sie im Namen Gottes segnen, freuen sie sich darüber und wir spüren oft, wie das tiefer berührt als ein gut gemeinter Wunsch. Biete ich an, für Verletzte oder Verwundete zu beten, sind sie grundsätzlich offen und dankbar und freuen sich darüber. Timo: Meine erste Woche in Guinea habe ich in einem kleinen Dorf verbracht. Ein Lehrmeister aus dem Atelier hatte einen Laptop bekommen, auf dem auch christliche Filme gespeichert waren. Eines Abends startete er den Jesus-Film. Viele muslimische Jugendliche kamen dazu und sahen interessiert zu. Der Lehrmeister sagte, dass sie den Film oft und gerne anschauen. Auch wenn es vielleicht in ers- ter Linie darum geht, überhaupt einen Film zu schauen, so hat es mich überrascht, dass ein christlicher Film ohne Probleme gezeigt und gesehen werden kann und Jesus die Jugendlichen offensichtlich fasziniert. Anne-Marie: In unserem Kinderclub habe ich einige Erlebnisse gemacht, die mich bewegt haben. Unser Nachbarsmädchen, neun Jahre alt, kam in den Club. Beim nächsten Mal kam sie wieder – mit einem blauen Auge: Mit traurigem Blick erklärte sie, dass ihre Eltern sie geschlagen hätten, als sie von ihrem Besuch im Kinderclub erfuhren. Trotzdem kam sie auch danach mehrere Male vorbei. Vie- le Kinder würden gerne kommen, doch ihre Eltern verbieten es ihnen. Bewegt haben mich auch die drei Mädchen, die mich eindringlich gebeten haben, das muslimische Bekenntnis aufzusagen, da ich sonst in die Hölle kommen würde. Ich spürte, dass sie mich mögen und es gut mit mir meinen! Agathe: Gott schenkt immer wieder einzelnen Muslimen Träume und Visionen, in denen er sich ihnen offenbart, oder sie werden durch Teile von Gottes Wort oder durch Videos berührt. Das ist ermutigend zu sehen.

Timo, ActionVIVRE Süd, Guinea

Wie können wir ins

Gespräch kommen?

Ich war mehrere Jahrzehnte im Nor- den von Kamerun im Einsatz und war durch die medizinische Arbeit ständig in Kontakt mit Muslimen. Für mich war die Sprache oft eine grosse Bar- riere: Nur mit guten Kenntnissen in Mandara, Kanuri, Choa-Arabisch oder Fulfuldé – alles völlig unterschiedliche Sprachen – hätte ich mich wirklich ver- tieft mit ihnen unterhalten können. Ich freute mich, als verschiedene inter- kulturelle und einheimische Kollegen im Team begannen, sich vermehrt für Kontakte in diesem Bereich einzusetzen, und unterstützte sie im Gebet. Zudem beschaffte ich Material für die Kranken- seelsorger und förderte sie durch Schu- lungen. Viele Patienten waren froh, über ihre Ängste und Sorgen sprechen zu kön- nen und nahmen es dankbar an, wenn man ihnen anbot, für sie zu beten. Auch die medizinische Arbeit selber, dass wir dort waren und so praktisch halfen, war ein starkes Zeugnis. Doch immer hatte ich den Wunsch, selber mehr mit Musli- men über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Aus dem eigenen Leben erzählen Die Orientalen und Afrikaner sind oft reli- giöser als wir aus der westlichenWelt, die wir meinen, Religion sei Privatsache. Sie können es nicht verstehen, wenn wir so «neutral» sein wollen und den Glauben

aus unseren Gesprächen ausklammern. Trotzdem fand ich es sowohl in Afrika als auch hier in Deutschland nie einfach, mit Muslimen über den Glauben zu disku- tieren – da fiel Argument um Argument, und mir gingen diese zuerst aus, einfach weil ich den Koran zu wenig kannte. Doch ich merkte: wenn ich einfach wei- tergebe, was ich mit Gott erlebt habe, er- zähle, was Jesus für mich bedeutet, dann kommen Menschen zum Nachdenken und stellen Fragen. Mit dem Al Massira*- Kurs habe ich zudem jetzt ein prima In- strument gefunden, den Plan Gottes mit uns Menschen auf kulturangepasste Wei- se zu thematisieren, klar und respektvoll und ohne sinnlose Debatten auszulösen. Hier in Deutschland arbeiten wir mit Al Massira unter Migranten aus dem Orient. Auch in Kamerun stiess der Kurs auf gros- ses Interesse. Ich freue mich, nun bei der Schulung von Afrikanern mithelfen zu können, damit diese Al Massira dann mit ihren Freunden und Nachbarn durchfüh- ren können. Eine neue Offenheit – durch Boko Haram? Im äussersten Norden von Kamerun hat sich durch den Terror der islamistischen Gruppe Boko Haram vieles verändert. Manche wollen diese Gruppe nicht dem Islam zuordnen. Andere sind enttäuscht und fragen sich, wieso im Namen der

muslimischen Religion so viel Leid verur- sacht wird. Einige beginnen, sich ernst- haft Gedanken zu machen. So beispielsweise A., ein ehemaliger Kor- anlehrer, den ich vor ungefähr zwei Jah- ren in Kamerun kennenlernte. In schwe- rer Krankheit war er immer deprimierter geworden, weil er im Koran keinen An- haltspunkt fand, um mit Gewissheit ins Paradies zu kommen. In einem christli- chen Spital konnte er eine Bibel erste- hen, las tage- und nächtelang und fand Antwort auf seine quälenden Fragen: Es gibt einen Weg zu Gott, es gibt Gewiss- heit, durch Jesus! Dies hat sein Leben völ- lig umgekrempelt. Er wurde gesund und gab seine neue Erkenntnis und Freude weiter, was ihm einiges an Feindschaft einbrachte. Seine Frau konnte den Druck von aussen nicht ertragen und verliess ihn und nahm auch die Kinder mit. Er blieb standhaft und ist heute ein grosser Ermutiger für Menschen auf der Suche.

Hanna WEIBERLE war in Kamerun im Einsatz und unterstützt die Projekte jetzt mit regelmässigen längeren Besuchen vor Ort.

*Al Massira bedeutet auf Deutsch «die Reise». Mehr Informationen: www.almassira.de

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Ein hoher Preis Eine unserer Partnerorganisationen in Indien arbeitet unter ande- rem auch unter Menschen mit muslimischem Hintergrund. Sie orga- nisiert Seminare für Interessierte, Kurse zur Vertiefung und produ- ziert die TV-Talkshow «Haqeeqat», welche Fragen von Menschen aus diesem Hintergrund aufgreift. Einer der Mitarbeitenden der Organi- sation ist P. Er erzählt Folgendes aus seinem Leben: Ich komme aus einer Stadt im Kaschmirtal im Norden von Indien. Ich bin in einer führenden orthodoxen muslimischen Familie aufgewachsen und kam 2006 zum Glauben an Jesus. Mein Leben bis dahin war ziemlich düs- ter – es war geprägt von Alkohol, Rauchen, Geldspiel, Partys und vielem mehr. Aber Gott hatte einen anderen Plan für mein Leben! Ein Wunder mit Folgen 2005 habe ich A. geheiratet. Durch sie habe ich auch Gott kennengelernt. Sie selber kam 2004 durch ein Wunder im Leben ihrer 4-jährigen Nichte zum Glauben an Jesus. Ihre Nichte hatte ein Loch im Herz. Die Eltern pro- bierten jede mögliche ärztliche Behandlung aus, aber nichts führte zu einer wirklichen Heilung. In dieser Zeit lernten sie einen Pastor aus Kasch- mir kennen, der ihnen von Jesus erzählte und anfing, für das Mädchen zu fasten und zu beten. Innerhalb von zwei Monaten wurde sie ganz geheilt. Sogar die Ärzte haben dies bestätigt. A. begann, Gott zu suchen, und er- zählte auch mir von diesem Ereignis. Ich war sehr erstaunt und sagte ihr, dass ich mehr über diesen Isa, das ist der Name von Jesus im Islam, lernen wollte, der noch heuteWunder tut. Sie brachte mich ebenfalls mit diesem Pastor in Verbindung, der mir die gute Nachricht von Jesus erklärte und für mich betete. Sein Gebet löste eine grosse Veränderung in meinem Le- ben aus und brachte mich Gott näher. Eine schwierige Aufgabe Meine Familie und mein Umfeld erfuhren bald davon. Sie begannen, mir Fragen zu stellen, mich auszuschliessen und mich wegen meines neu- en Glaubens brutal zu schlagen. Und sie drohten, sowohl mich als auch meine Frau zu töten. Eine Fatwa, eine verbindliche Anweisung eines isla- mischen Geistlichen, wurde gegen uns ausgesprochen, die besagte, dass wir wegen unserer Entscheidung für einen anderen Glauben getötet wer- den sollten. Nach Rücksprache mit dem Pastor zogen wir in eine nahege- legene Stadt an eine Bibelschule. Aber zwei Monate später fanden meine Eltern das heraus und auch der Pastor bekam nun Probleme. Irgendwie schafften wir es, an eine andere Bibelschule in einem anderen Bundes- staat zu gelangen. Nach unserem Studiumgingen wir zurück nach Kasch- mir. Ich wollte andere dabei begleiten, hier die Gute Nachricht weiterzu- geben. In 16 von 22 Distrikten in Kaschmir gibt es meines Wissens noch keine Leute, die Jesus kennen. Ich werde nicht aufgeben Doch eines Tages fanden meine Eltern heraus, womit wir beschäftigt wa- ren. Sie luden uns sehr freundlich zu sich ein. Aber am darauffolgenden Tag wurden wir geschlagen und für mehrere Tage angekettet. An einem Tag bemerkte ich, dass meine Schwiegermutter, die für einige Zeit im gleichen Haus wohnte, ihrer eigenen Tochter Gift verabreichte. Sogleich fing ich an zu schreien, meine Ketten wurden gelöst, ich brachte meine Frau mit dem Taxi ins Spital. Sie konnte nicht mehr richtig atmen und nichts trinken. Sie sagte den Ärzten, dass ihre Mutter ihr Gift gegeben hatte. Auch die Polizei wurde auf die Sache aufmerksam gemacht, es wurden Akten erstellt, aber es geschah nichts, um meine Frau zu retten oder jemanden zu verhaften. Nach 24 Stunden war meine Frau tot. Ich war tief traurig, aber habe beschlossen, meinem Gott zu folgen und ihn nicht aufzugeben. Ich weiss, dass er mein Retter ist und A. nun bei ihm ist.

Die Gefahr ist real –

Gott auch!

Rückzug oder Weitermachen? Als die Gefahr grösser wurde, haben sich die meisten westlichen Partner in die Hauptstadt zurückgezogen oder gar das Land verlassen. Wie können wir im Hinblick auf die Gefahr und diese Veränderungen weiterhin zusam- menarbeiten und die Arbeit sogar ausweiten und verstärken, zum Wohl des ganzen Vol- kes? Wir befinden uns in einem Kampf, wie er in Epheser 6,12 beschrieben wird. Jesus hatte seine Jünger vor solchen Gefahren ge- warnt (Matthäus 10,16-42, Johannes 16,1-3). Er hat aber auch gesagt: «In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden» (Johannes 16,33). Wichtig ist, in solchen Situationen nicht in Panik zu ge- raten und aus der Angst heraus zu reagieren, sondern Gott zu vertrauen, dass er die Situa- tion im Griff hat. Dann kann mit allen Betrof- fenen gemeinsam besprochen und entschie- den werden, was getan werden soll. Es gibt Grund zur Hoffnung – in allen Lagen Andere vor uns haben uns ein Beispiel ge- geben: «Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde ge- macht hat» (Psalm 121,1-2). Auch die Begeg- nung von Saulus mit Jesus macht uns Mut. Wie Hananias wollen wir Gott zur Verfügung stehen, der uns in diesen unruhigen Zeiten besondere Aufträge anvertrauen kann (Apos- telgeschichte 9,10-19). Hier drückt sich unsere Hoffnung aus für alle, die auf die eine oder an- dereWeise an den Terroraktivitäten in Burkina Faso mitgewirkt haben. Für die Kirchen gilt es, beharrlich dranzublei- ben im Gebet und mit Ermutigung. Wach- samkeit ist geboten. Bis jetzt haben wir noch keinen Pastoren oder interkulturellen Mitar- beiter versetzen müssen. Die Botschaft der Versöhnung von Jesus Christus findet weiter- hin ihren Weg, sogar in die muslimische Ge- meinschaft. Wir bitten Gott um Weisheit und Unterscheidungsvermögen. Das Gebet und das Hören auf Gott sind dafür wesentlich. Eine Veränderung ist möglich – wir glauben daran und wir wollen in diese Richtung arbeiten. Gott allein gehört alle Ehre – in der Vergan- genheit, jetzt und bis in alle Ewigkeit.

Seit 2004 unterstützt SAM global den evangelischen Kirchenverbund EE/SIM in Burkina Faso bei der Ausbildung von transkulturellen Mitarbeitenden. Diese werden von der nationalen Kirchenlei- tung nach Abschluss der Ausbildung überall im Land eingesetzt, um der Be- völkerung zu dienen, teilweise auch in der sogenannten «roten Zone», also in Gebieten, welche von islamistischen Gruppierungen bedroht und beherrscht werden. Pastor Albert Yonli ist der Prä- sident des Kirchenverbunds EE/SIM mit seinen rund 950 Gemeinden und 152‘000 Mitgliedern. Er erzählt, wie er die Entwicklung in Burkina Faso erlebt: In Burkina Faso fühlten wir uns früher alle miteinander verwandt und verschwägert – das ist natürlich etwas übertrieben ausge- drückt und mit einem Augenzwinkern zu verstehen, aber dieses Gefühl der Zugehö- rigkeit war der Zement des sozialen Zusam- menhalts. Die verschiedenen ethnischen Gruppen pflegten gute Beziehungen un- tereinander, die von Respekt und Toleranz geprägt waren. Das «Land der aufrichtigen Menschen», was Burkina Faso übersetzt heisst, war stolz auf diese Kultur des fried- lichen Zusammenlebens zwischen traditi- onell gläubigen Animisten, Muslimen und Christen. Niemand sah die Gefahr kommen. Drohungen, Entführungen und Morde Seit 2016 verschlechtert sich jedoch die Situation rapide. Der Osten wurde zur Hochburg von islamischen Fundamenta- listen. Nun bedrohen bewaffnete Gruppen Zivilisten, entführen die einen und ermor- den die anderen, stecken Schulen in Brand und bedrohen die Lehrpersonen mit dem Tod. Im Januar 2019 wurden mehr als 1000 Grundschulen mit 150’000 Schülerinnen und Schülern und vier Gesundheitseinrich- tungen geschlossen. Die Ziele der Anschlä- ge sind vielfältig: die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte, das Militär, Staatsange- stellte, Lehrpersonen und religiöse Leiter. Mit den Dschihadisten ist nicht zu spas- sen: Wenn sie drohen, jemandem die Keh- le durchzuschneiden, machen sie das oft auch wirklich. Zum ersten Mal wird das Blut von Christen wegen ihrer religiösen Zuge- hörigkeit vergossen.

Namihanla Albert YONLI, Präsident EE/SIM

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In einer Forschungsarbeit setzt sich Benjamin Josi mit der Frage auseinander, weshalb sich Muslime dazu entscheiden, Jesus nachzufolgen. Mit spannenden Erkenntnissen. «Der Islam ist nicht primär eine Religion, sondern eine Gemeinschaft. Diese Gemein- schaft hat zwar durchaus religiöse Aspekte; der primäre Fokus dieser Gemeinschaft aber liegt nicht auf dem religiösen, sondern auf dem sozialen Aspekt», schreibt Ben- jamin Josi, der über zwei Jahrzehnte in muslimischen Ländern gelebt und gearbeitet hat, in seinem Buch «Muslimen zum Segen werden». «Ein Muslim wird als Muslim geboren, und seine ganze Identität wird dadurch definiert.» In den meisten Fällen gibt es keine bewusste Entscheidung für diesen Glauben – vielmehr findet das ganze Leben eines Muslims, von der Geburt bis zum Tod, automatisch innerhalb der musli- mischen Lebensgemeinschaft statt: Die Gemeinschaft ist für die Lösung seiner Prob- leme zuständig, hilft bei der Suche nach Studienplatz, Arbeitsstelle und Ehepartner, steht bei Krankheit oder wirtschaftlicher Not bei. Alles muss daran gesetzt werden, dieses soziale Gefüge in Harmonie zu halten. «[…] Ein Ausbruch aus dieser Gemein- schaft ist für den durchschnittlichen Muslim […] gar nie eine Option. Wer daraus aus- brechen will, wird zumVerräter.» Er riskiere, «alle familiäre Nähe, alle wirtschaftlichen Sicherheiten und gegebenenfalls sogar sein Leben zu verlieren.»

Jesus – ( k ) ein Thema im Koran?

Gründe für den Glaubenswechsel

Beschreibung

Im Koran

In der Bibel

Geboren von einer Jungfrau

3:47, 19:20-22, 21:91, 66:12

Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, wenn sich Muslime für einen anderen Glauben interes- sieren und sogar entscheiden. Und das gibt es gemäss Benjamin Josi derzeit mehr als je zuvor. Er wollte herausfinden, was Muslime so sehr von Isa, wie Jesus im Koran heisst, überzeugt, dass sie den Glauben wechseln, obwohl sie die schwer- wiegenden Konsequenzen kennen. Dafür hat er 390 Interviews mit Je- sus-Nachfolgern aus muslimischem Hintergrund geführt und sie nach dem Auslöser für ihren Glaubens- wechsel gefragt (häufig wurden mehrere Faktoren genannt): • 64 % sagten, dass Verse über Isa (Jesus) im Koran eine wichtige Rolle spielten. • 57 % gaben an, dass das Zeugnis und die Liebe eines Jesus-Nachfolgers mitver- antwortlich waren für ihre Entscheidung. • 41 % hatten ein überna- türliches Erlebnis: Sie hat- ten einen Traum oder eine Vision, in der Jesus vorkam, oder erlebten Heilung. • 30 % wurden durch Bi- belverse zum Nachdenken bewegt. Jesus im Koran Vor allem der erste Punkt erstaunt – doch gemäss Benjamin Josi gibt es zahlreiche Stellen im Koran, die auf Isa (Jesus) und sein ausserordentli- ches Leben hinweisen. Ein paar Bei- spiele, wie Jesus im Koran beschrie- ben wird:

Mt. 1:18-25, Lk. 1:26-38

Ein Zeichen für die Menschen

Lk. 2:8-35, Joh. 20:30-31, Apg 10:38

3:49, 19:21, 21:91

Eine Barmherzigkeit von Gott

Joh. 1:14-16

9:21

19:34

Joh. 14:6, Eph. 1:13

Wort der Wahrheit

3:49, 5:110

Krankenheiler

Mt. 4:23-24, Lk. 17:11-19, Mk. 7:31-37

Auferstanden und zum Himmel aufgestiegen

3:55, 19:33-34

Lk. 24:1-53, Mk. 16:9, Apg. 1:9

Vollbringt Wunder

2:253, 3:49-50, 5:110-115

Joh. 10:32, Luk. 7:22

Weckt Tote auf

3:49, 5:110

Joh. 11:1-44, Mt. 8:18-26

Gottes Gesandter

2:87, 2:253, 3:49, 61:6

Hebr. 3:1, Mt. 10:40

Kommt zurück

43:61

Mt. 25:31-46, Apg. 1:11

Ist rein, sündlos

19:19

Lk. 23:4, Hebr. 4:14-16

Wir sollen ihm folgen

43:61

Joh. 10:27, 14:6

Wir sollen ihm gehorchen

Mt. 17:5, Joh. 15:10-14

43:63

Der Koran spricht von Jesus wie von keinem anderen Propheten. So lässt sich auch er- klären, weshalb gemäss der Untersuchung von Benjamin Josi die wichtigsten Impulse für das Interesse an Jesus aus dem Koran selber kommen. Mehr dazu im Buch «Muslimen zum Segen werden» von Benjamin Josi

Als Peul- Christ

in Guinea Ich wurde in eine religiöse muslimische Familie in Guinea hineingebo- ren und gehöre zum Volk der Peul. Ich lernte den Gott des Korans und seine Propheten gut kennen und war schliesslich in der Lage, den Ko- ran inmeiner Muttersprache auszulegen. Ich bemühtemich, alle Prinzi- pien des Islams zu respektieren und anzuwenden, ummir das Paradies nach dem Tod zu verdienen. Aber ich musste erkennen, dass ich dazu aus eigener Kraft nicht in der Lage war. Zu jener Zeit hatte ich viele beunruhigende Träume über den Tod. Im Jahr 1998 erhielt ich eine Bilderbibel, und die chronologische Abfolge der Er- eignisse und Themen beeindruckte mich – das ist so ganz anders als beim Koran, der grösstenteils aus Zitaten besteht und Aufbau durch die Länge der Suren vorgegeben wird. Ich wandte mich an meinen Koranlehrer, um zu erfahren, was es mit Jesus auf sich hat. Er liess mich wissen, dass die Zeit von Jesus vorbei wäre. Jetzt sei die Zeit von Mohammed, und nur durch den Glauben an Allah, an Mohammed und durch gute Werke würde man viel- leicht gerettet werden. Ich dachte, dass Gott mich nicht lieben würde, sonst hätte er mich zur Zeit von Jesus leben lassen, damit ich sicher ins Paradies hätte kommen können. Im Gymnasium lernte ich dann einen Christen ken- nen. Ich verteidigte ihn oft bei verbalen Auseinandersetzungen mit unseren muslimischen Kollegen. Schliesslich wurden wir gute Freunde und er führ- te mich zu Personen, die mir Antworten auf meine Fragen geben konnten. Nach neun Monaten Auseinandersetzung mit der Bibel und dem Koran ent- schied ich mich im Jahr 2000 dazu, Jesus nachzufolgen. Ein Hochverrat an der Gemeinschaft In Guinea leben über vier Millionen Peul, also Menschen, die der muslimi- schen Volksgruppe der Peul angehören. Sie sind mit Abstand die grösste Volksgruppe im Land mit seinen insgesamt zwölf Millionen Bewohnerin- nen und Bewohnern. Weltweit gibt es etwa 50 Millionen Peul (auch Fulani oder Fulbe genannt). Die Peul haben den Islam in mehr als 30 afrikanische Länder gebracht. Das Volk ist stolz darauf, dass es – wie sie sagen – keinen nicht-muslimischen Peul gibt. Ein Peul, der Christ wird, fordert den Rest der Gemeinschaft heraus. Es ist ein Hochverrat, eine Provokation und eine Be- leidigung gegenüber der Familie, der ganzen Volksgruppe und allen Musli- men, einschliesslich des Propheten, des Islams und des Korans. Jeder Peul, der Jesus folgt, wird mit dem Ausschluss aus der Familie und damit aus dem sozialen System konfrontiert, dazu mit Aggressionen und sogar mit Mord- drohungen. Man wird also auf allen Ebenen der Gemeinschaft beraubt. In Guinea gibt es rund 300 bis 500 evangelisch gläubige Peul. Christen unterstützen Heute engagiere ich mich mit meinem Team unter Christen mit muslimi- schen Hintergrund: Wir begleiten und betreuen sie auf ihrem Weg und un- terstützen sie bei praktischen Problemen wie kulturellen Fragen, dem Ver- hältnis zur Familie, bei der Frage der Partnerwahl und so weiter. Wo nötig leisten wir auch materielle Hilfe. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Stär- kung und Unterstützung von Führungskräften. Wir wollen Projekte entwi- ckeln, die es Christen mit muslimischem Hintergrund ermöglichen, frei und in Würde ihren Glauben an Christus zu leben. Zudem wird der christliche Glaube kulturangepasst an den 25 Schulen unserer Partnerkirche themati- siert, die von rund 16'000 Schülerinnen und Schülern besucht werden.

Ousmane DIALLO, Mitarbeiter im ProTIM 2-2-2 Conakry, Guinea

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Kopftuch und Lafaï –

mein Jahr im Tschad

mussten beim Fasten nicht mitmachen, je- doch gab es einige «Regeln» zu beachten: Wir durften in der Öffentlichkeit nichts essen, trinken oder allgemein kauen, was ich gut nachvollziehen konnte. Mehr Mühe hatte ich damit, dass beispielsweise auch schwangere Frauen fasteten. Sie können das Fasten zwar auch nach der Schwangerschaft nachho- len, aber die meisten machten trotzdem mit, da sie nicht danach als einzige 40 Tage lang fasten wollten. Eine Folge davon waren ver- mehrte Frühgeburten, manchmal starben die Babys an Unterversorgung. Das war für mich schwer zu akzeptieren. Dass ich die Ramadan-Feste am Ende der Fastenzeit miterleben durfte, war ein grosses Vorrecht für mich. Die Gastfreundschaft und Freundlichkeit, auch Fremden gegenüber, waren unglaublich. Was mich auch beson- ders bewegte, war, wie sehr sich alle um eine meiner Freundinnen kümmerte, als ihr Mann starb – einige wohnten mehrere Tage bei ihr, um für sie zu kochen und zu sorgen. Eine prägende Erfahrung Als ich mich im Vorfeld online über den Tschad informierte, sah ich eine Warnung: Es wurde davon abgeraten, dieses Land zu be- suchen. Natürlich überlegte ich mir, was alles Schlimmes passieren könnte. Doch ich muss sagen, dass ich mich sicher gefühlt habe. Ich konnte mich zwar nicht so frei bewegen wie in der Schweiz und es gab mehr Regeln, aber diese existieren nur zum eigenen Schutz. Im Nachhinein prägte mich diese Erfahrung sehr. Ich bin zwar froh, dass ich nicht mehr jede Nacht vom Muezzin aus dem Schlaf ge- rissen werde. Doch vermisse ich gewisse Din- ge wie zum Beispiel das familiäre Verhältnis, das die Muslime zueinander pflegen, und das Verhalten der Männer, wenn es zum Beispiel um den Platz in der Raksha geht. Wenn ich heute einen Muslim oder eine Muslimin sehe, dann werde ich immer an die Erlebnisse erin- nert und ich kann ihr Verhalten auch besser verstehen als zuvor.

Vor meinem Abflug in den Tschad wusste ich, dass ich ein Kopftuch würde tragen müssen. Dass das Landmuslimisch geprägt ist, wusste ich auch. Doch was erlebt man sonst noch alles bei einem Kurzeinsatz im Tschad? Schon in der Hauptstadt musste ich ein Kopf- tuch tragen. Dadurch kam ich mir etwas we- niger wie ein Eindringling vor und konnte zeigen, dass ich die Religion und die Men- schen respektierte. An meinem Einsatzort trug ich dann einen Lafaï – ein grosses Tuch zum Verhüllen des Körpers. Zu Beginn war es eine ziemliche Herausforderung, da der Stoff in alle Richtungen rutschte. Doch mit der Zeit entwickelte ich Tricks, mit denen das Tragen angenehmer wurde. Mir wurde schnell klar, dass ich als Frau ge- genüber einem Mann nicht gleichberechtigt war. Als ich einmal in einen Dukan, einen kleinen Laden, eintrat, war ich die einzige Kundin im Raum. Ich versuchte, auf Tschad- Arabisch meine Einkäufe zu erledigen, als ein Mann hineinkam. Sofort war der Verkäufer verschwunden und kümmerte sich um den Mann. Am Anfang war das für mich schon ein Schock, doch ich schluckte meinen Stolz her- unter und blieb freundlich. Mit der Zeit wur- den solche Szenen für mich normal. Es kommt aber auch vor, dass Männer Frauen mit viel Respekt behandeln: Einmal war ich mit den anderen Kurzzeiterinnen auf dem Weg nach Hause und wir fanden keine Raksha (3-räde- riges Taxi). Wir gingen los. Nach 20 Minuten fuhr ein gelbes Taxi auf uns zu. Leider sahen wir schon von weitem, dass es keinen Platz mehr hatte, denn auf der Rückbank sassen zwei Männer. Doch sie hielten an, die Männer stiegen nach vorne, obwohl da eigentlich kein Platz mehr war, und liessen uns hinten einstei- gen. Dies erlebten wir mehrmals. Grosse Hingabe für das Gebet Zu Beginn konnte ich nachts nicht durch- schlafen, weil der Muezzin jede Nacht mehr- mals so laut sang. Doch trotz teils schlaflosen Nächten bewunderte ich die Verbundenheit der Muslime mit ihremGlauben. Wie oft beten wir Christen nur dann, wenn wir etwas wollen oder unserer Meinung nach benötigen! Die Muslime stehen jede Nacht auf, um zu beten. Würden wir Christen auch für ein Gebet mit- ten in der Nacht aufstehen? Auch den Ramadan in einem muslimischen Land zu erleben, war einmalig. Die Christen

Debora SCHOR war für ein Jahr als Kurzzeiterin im Ba- kan Assalam, Tschad

An dieser Stelle geben jeweils junge Erwach- sene und Kurzzeitmitarbeitende etwas aus ih- rem Leben weiter.

Gewalt? Is lam

– Religion des

Friedens oder der

schen Stämmen nach wie vor praktiziert wird. Mit «nicht masslos» ist gemeint, dass man nicht masslos viele Personen als Rache für den Ge- töteten umbringen soll. Gemäss den Gesetzen der Scharia gibt es mindestens fünf Arten von gerechtfertigtem Töten: • Blutrache: (siehe oben) • Todesstrafe: beispielsweise für Ehebruch oder Homosexualität • Ehrenmord: in den Hadithen, der Sammlung von Taten und Aussprüchen von Mohammed, lehrt dieser zum Beispiel die Stei- nigung von Ehebrechern • Tötung bei Religionswechsel: «Wer seine Religion wech- selt, den tötet», soll Mohammed gemäss den Haditheversen ge- lehrt haben • Im Verteidigungs- und im Angriffskrieg: für die Sache des Islams ist Töten erlaubt Es gibt allerdings auch friedliche Verse im Koran, die dazu aufrufen, Feinden nicht mehr Schaden zuzufügen, als sie selber angerichtet ha- ben. Beides ist da: sowohl die kriegerischen als auch die friedlichen Verse. Bleibt es also letztlich jedem selber überlassen, wie er die Verse verstehen will?

Sure 17:33: «Und tötet nicht den Menschen. Das hat Allah verboten, ausser es gibt einen rechtmässigen Grund. Wer ungerechterwei- se getötet wird, dessen nächstem Verwand- ten haben Wir Ermächtigung erteilt (Recht einzufordern); doch soll er nicht masslos im Töten sein.» Wer nur den ersten Teil des Verses liest, könnte zum Schluss kommen, dass hier das Töten verboten wird. Doch der zweite und dritte Teil zeigen etwas anderes: Es gibt Aus- nahmen, in denen das Töten als «rechtmäs- sig» gilt. Die erste Ausnahme wird gleich erwähnt: Wenn jemand unschuldig getötet wurde, so hat Allah, als «Wir» bezeichnet, dem nächsten Verwandten das Recht gege- ben, ebenfalls zu töten. Was dabei herauskommt, ist nichts anderes als Blutrache, wo bei Mord und Gegenmord viele Unschuldige ums Leben kommen. Es ist kein Zufall, dass diese Blutrache bei vielen islami-

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