01-2020 D

Wie sind die Reaktionen von Mus- limen, wenn ihr sagt, dass ihr an Jesus glaubt? Tobias: Grundsätzlich positiv. Man kann offen mit ihnen über den Glauben reden und sie interessieren sich für unsere An- sichten, auch wenn sie nicht immer unserer Meinung sind. Timo: Es wird von einem Weissen erwar- tet, dass er Christ ist. Von daher sind die Leute nicht sonderlich überrascht. Anne-Marie: Es gibt unterschiedliche Reaktionen. Einige wollen mich davon überzeugen, dass der Islam die richtige Re- ligion ist, andere zeigen Interesse und stel- len Fragen. Viele sagen jeweils am Schluss: «Wir glauben ja fast das Gleiche.» Die meis- ten nehmen es auch gerne an, wenn ich anbiete, im Namen von Jesus für ihre Babys oder für eine schwierige Situation zu beten. Doch wenn ich sage, dass Jesus für mich mehr als ein Prophet ist, nämlich derjeni- ge, von dem ich Vergebung erhalten kann, wird es schwieriger. Agathe: Die meisten Muslime kennen Jesus – für sie ist er einfach ein grosser Pro- phet und der Sohn von Maria, so wie es im Koran steht.

Anne-Marie, Bakan Assalam, Tschad

Wie erlebt ihr den Islam?

Tobias: Wir leben hier in einer Gesellschaft, die einen moderaten Is- lam auslebt. Timo: Es wundert mich nicht, dass der Islam in Afrika verbreitet ist. Er passt sehr gut in die Scham- und Ehrkultur. Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern um Status, Respekt und Ehre. Es wird nicht hinter- fragt. Die Leute folgen oft widerstandslos den Regeln des Islams. In den Schulen hier wird den Kindern vor allem vermittelt, dass sie den Schulstoff auswendig lernen müssen – es geht nicht ums Verstehen oder Reflektieren. Der Islam vermittelt seine Lehren genauso: die Mus- lime sollen den Koran und die Traditionen der Koranlehrer auswendig lernen. Anne-Marie: Hier ist der Islam oft mit Animismus und somit mit ok- kulten Praktiken verbunden. Wenn ein Muslim sich für Jesus entschei- det, erlebt er starken Druck von der Familie und Gesellschaft. Manch- mal muss er auch noch mit anderen Konsequenzen rechnen.

Inwiefern stimmt das Bild vor Ort mit dem überein, das ihr in der Schweiz vom Islam und Muslimen hattet? Tobias: Es sind gottesfürchtige Menschen, die Gott und seinen Willen su- chen und versuchen, ihm mit ihrem Handeln zu gefallen. Timo: Man erlebt, dass die Muslime hier ihre Religion nicht gut kennen. Es wird ihnen von klein auf beigebracht, was im Koran steht. Aber sie reflektieren das nicht wirklich. So erleben wir häufig, dass wir durch unsere Lektüre besser Bescheid wissen als sie. Ich habe gemerkt, dass hier das Fachwissen über den Islam keine grosse Rolle spielt. Anne-Marie: Ich verband den Islam mit Gewalt, Terror und Anschlägen, doch hier habe ich noch nie etwas in diese Richtung erlebt – die Menschen sind mir gegenüber offen, gastfreundlich und hilfsbereit. Agathe: Bevor ich ausreiste, hatte ich auch einige Klischees und vorgefertig- te Ideen im Kopf. Hier vor Ort sieht man den Islam aber nicht als System oder Religion, sondern man sieht die Menschen: Nachbarn und Familienmütter, die sich sehr anstrengen, um ihre Kinder zu ernähren und zu versorgen, Eltern von Schulkindern, die das Beste für ihre Kinder möchten, Kranke ... kurz gesagt: Menschen, die letztlich die gleichen Sorgen haben wie wir. Und dann öffnen sich die Türen und wir erhalten Einblick in ihr Leben und sie in unseres.

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