ISP Isar Sales Partner GmbH · Seite 106 · Ratgeber Herbst 2025
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Wer war Vatel ? Ein Mann, der allein durch seinen Tod Berühmtheit erlangte. François Vatel wurde Mitte der 1620er-Jahre in Allaines in der Picardie als Sohn einer wohlhabenden Bauernfamilie geboren. In seinen Zwanzigern übernahm er die Stellung des Haushofmeisters bei Nicolas Fouquet, dem nanzminister, ein hochangesehener Pten. Er war unter anderem für die Organisation der Bankette und Empfänge des Ministers zuständig. So führte er bei dem berühmten Festmahl auf Schls Vaux-le-Vicomte im August 1661 Regie, von dem fälschlicherweise behauptet wird, es habe Fouquets Sturz besiegelt.
tot um. Unterdessen kommt der Fisch, von allen Seiten. Wir suchen Vatel, damit er ihn in Empfang nimmt. Wir gehen hinauf zu seinem Zimmer, klopfen an, treten die Tür ein und finden ihn ertrunken in seinem eigenen Blut.« Ein Drama, das die Gemüter bewegt? Keineswegs, glaubt man der Schilderung der Madame de Sévigné, denn die Festlichkeiten gehen weiter, als wäre nichts geschehen. Vatel: Mythos oder Wirklichkeit? Mit gängigen Irrtümern gilt es aufzuräumen: Vatel war kein Koch, sondern ein Maître d’hôtel, eine Art Oberkellner, er hinterließ kein Rezept, kein kulinarisches Werk, auch die Gastrosophen jener Zeit verloren kein Wort über ihn. Allein die Briefe der Marquise de Sévigné hielten die Erin- nerungen an den wortkargen Perfektionisten wach. Das 19. Jahrhundert sorgte dafür, dass Vatel in die Analen der französischen Gourmetgeschichte aufgenommen wurde – sehr o¢ als Koch. Im Jahre 1801 brachte Joseph Berchoux in seinem langen Gedicht La Gastronomie die Texte der Marquise de Sévigné in Versform. Antonin Carême wür- digte Vatel seinerseits mit einem Aphorismus: »Der fran- zösische Koch wird in seiner Arbeit von einer untrennbar mit der Kochkunst verbundenen Frage der Ehre getrieben: Dem Zeugnis des Todes des großen Vatel.« ( L’art de la cui- sine française au XIXe siècle , 1833). Dazu stellte er drei sei- ner Rezepte unter die Schirmherrscha¢ des Helden: palais de boeuf à la Vatel, turbot en maigre à la Vatel und cabil- laud en maigre à la Vatel (Rindgaumen, Steinbu & Kabel- jau à la Vatel). Carême liebte es, große Persönlichkeiten zu bemühen, um seine ornamentale Küche mit Symbolik zu versehen. In diesem Fall war er es, der Vatel adelte. Denn das à la Vatel blieb ein Zeichen der Ehrerbietung gegenüber einer Persönlichkeit, die zur Leitfigur geworden war. Der Große Larousse Gastronomique (2009) erinnert daran, dass die Vatel-Suppe »eine Consommé mit Seezungen-Fumet, garniert mit Eierstich, Krebs-Coulis und Seezungenfilet« ist. Im Laufe der Jahrzehnte gab es zahlreiche Beispiele für Vatels posthume Berühmtheit. 1886 erschien La cui- sine de nos pères mit Vatel-Rezepten und zwei Jahre spä- ter eine Fortsetzung mit Fisch. Überflüssig zu sagen, dass man eine Definition dieser Grundsätze vergeblich sucht. Restaurants haben sich seinen Namen ebenso zu eigen gemacht wie eine 1981 in Paris gegründete, global operie- rende Gruppe von Hotelfachschulen. Der Name Vatel steht heute noch für hohe Ansprüche und Exzellenz . Unverzichtbare Oublies Viele Bäcker haen sich auf die Zubereitung einer Gebäcksorte spezialisiert. So stellten die oubloyeurs ausschließlich oublies her, ein leichtes Gebäck, das in einem mit zwei lan- gen Griffen versehenen Waffeleisen direkt im Feuer gebacken wurde. Eine Quelle aus dem Jahr 1397 unterscheidet zwischen grandes oublies , oublies de supplication und oublies d’esterels . Worin der Unterschied genau bestand, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die oublies de supplications (wörtlich: »der Bigesuche«) waren vermut- lich schwerer und dicker, eine Art oublies renforcées (»ver- stärkt«) wie sie auch genannt werden. Obwohl sie weit verbreitet waren, ist kein Rezept für oublies aus dem Mielalter überliefert. Das erste belegte Rezept stammt aus dem Thresor de santé, ou mesnage de la vie humaine divisé en dix livres (1607): Für Oublies rühre man feines Mehl mit Wasser, Wein, Eiern und Zucker oder Honig an. Man backe sie zwischen zwei Eisen, doch bevor man sie her- auszieht, falte man sie heiß um einen runden Stock. Man kann auch etwas Sauerteig hinzugeben.
Stillleben mit Fischen und Meeresfrüchten, 17. Jahrhundert
Erfinder der Crème Chantilly?
Am Schloss Chantilly Nach einem Aufenthalt im Ausland tauchte Vatel 1667 als Hofmeister beim Prinzen von Condé wieder auf. In Aus- übung seines früheren Amtes hae er 1671 die Feierlich- keiten anlässlich des Besuches Ludwig XIV. auf Schloss Chantilly zu beaufsichtigen. Ein Ereignis von dem wir fast ausschließlich durch die Schilderung in einem Brief der Madame de Sévigné wissen, anders gesagt: ihr verdankt Vatel seinen Ruhm.
Die erforderlichen Vorbereitungen sind gewaltig, fast 2000 Personen werden erwartet. Tage zuvor schreibt die Marquise de Sévigné: »Vier Mahlzeiten sind gefordert; an 25 Tafeln werden fünf Gänge serviert, unzählige weitere gar nicht mitgerechnet.« Doch als am 23. April der Hof- staat eintri, ist alles bereit. Die Sonne scheint, im Garten sind Zelte errichtet. Beim Abendessen dann die ersten Misstöne, es fehlen mehrere Braten. »Monsieur, ich werde diesen Affront nicht überle- ben; ich habe Ehre und Ruf zu verlieren.« Sévigné schildert einen erschöp¢en, überarbeiteten Mann – »Mir schwirrt der Kopf, seit zwölf Nächten habe ich nicht geschlafen«, soll er sich beklagt haben. Zweiter Dolchstoß, bislang noch symbolischer Art: Das Feuerwerk wird durch einen offen- bar stark bewölkten Himmel getrübt. François Vatels Freitod Der nächste Tag ist ein fleischloser Freitag. Vatel möchte Seefisch anbieten und ist für den Fang von der Tide abhän- gig. Eiligst entsendet er zu den Häfen zwischen Seine und Somme. Man kann sich lebha¢ vorstellen, wie er auf Lachs, Meerforelle, Seezunge, Steinbu, Barbe, Kliesche und Rochen wartet. Um vier Uhr morgens tri eine Ladung Fisch ein, doch viel zu wenig. Der verzweifelte Maître d’hô- tel ist sich sicher, dass keine weitere Lieferung folgen wird. »Vatel geht hinauf in sein Zimmer, legt seinen Degen an die Tür und stößt ihn durchs Herz, doch erst beim drit- ten Versuch, die ersten beiden sind nicht tödlich, fällt er
Mitnichten. Die Legende hat vermutlich der Konditor Pierre Lacam Ende des 19. Jahrhunderts in die Welt gesetzt und entbehrt jeder Grundlage. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert findet man in kulinarischen Abhandlungen Zubereitungen mit gesüßtem Schlagrahm, etwa die lattemelle in den Banchetti von Cristoforo di Messibugo, einem 1549 in Ferrara gedruckten Werk, oder den neige in L’Ouverture de cuisine von Lancelot de Casteaus, das 1604 in Lüttich erschien.
Der Name Vatel steht heute noch für hohe Ansprüche und Exzellenz. Menon soll der Erste gewesen sein, der die Bezeichnung »Chantilly« 1750 in La science du maître d‘hôtel verwendete. Sein fromage à la chantilly war eine Eisspeise aus gesüßter und mit Zitrone aromatisierter Schlagsahne. Die Bezeichnung – man findet auch à la Gentilly – wurde auf diese Art geeister Speisen angewandt, bevor sich vermutlich ab Ende des 18. Jahrhunderts die »Crème à la Chantilly« als das durchsetzte, was sie bis heute ist – gesüßte Schlagsahne.
Haushofmeister François Vatel soll sich eigenhändig erdolcht haben, weil der Fisch ausblieb.
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Backwaren Konditoren waren sicherlich der wichtigste Berufsstand und erste Anlaufstelle für das »Streetfood« jener Zeit. Sie boten mehr oder weniger umfangrei- che Snacks, süßer und auch herzhaf- ter Natur.
Straßenküche – eine andere Geschichte der Esskultur
Pâtissiers boten auch eine breite Palee an wei- teren Speisen an, deren genaue Beschaffenheit wir nicht immer kennen: Fleisch- und Fischpasteten, Tartes, rissoles (gefüllte und friierte Teigtaschen) mit Kalbs- und Schweinefleisch, darioles (eine Art
Ein Oublies- Händler
Die Geschichte der französischen Küche ist auch eine Geschichte der »Nahrung für das Volk«. So manchem volkstümlichen Gericht gelang es im Laufe der Zeit, sein Image aufzumöbeln und die feinsten Tafeln zu erobern. Die Berührungspunkte in der Ernährung zwischen Reich und Arm waren zahlreicher als man annehmen würde. Ein Abstecher in die Küche der Straße wir ein erhellendes Licht auf diesen Teil der kulinarischen Geschichte..
Flan), talmouse (mit Frischkäse gefülltes Gebäck), échaudés (pochiertes Gebäck), ratons (Crêpes-Art), casse-museaux (Art Käseküchlein) …
Ein Kuchenhändler im 18. Jahrhundert.
damals genannt wurde, kaufen konnte (die Bezeichnung boulanger setzte sich erst im 14. und 15. Jahrhundert durch). Darunter waren auch einige teurere Brot, die eher einer Delikatesse gleichkamen, wie zum Beispiel die mit Eiern oder Buer angereicherten, briocheähnlichen fouaces . Diese Luxusbrote waren also an sich schon Kuchen. Und die Bäcker boten noch andere Backwaren dieser Art, wie die échaudés , ein Gebäck, das zunächst gebrüht und anschließend im Ofen gebacken wird, oder flamiche , eine Art Quarkkuchen. Ihnen war es sogar gestaet, Fleisch- und Fischpasteten anzufertigen, was nicht ohne Reibe- reien mit der Konditorzun blieb.
Pariser Spezialitäten » to go « im Mittelalter Schon zur damaligen Zeit war es gang und gäbe, in Taver- nen oder Gasthäusern zu essen oder sich mit fertig zube- reiteten Speisen oder Lebensmieln zu versorgen. Die »Straßenkost« bestand zunächst noch aus verschiedenen Brotsorten, die man bei den talemeliers , wie die Bäcker
Ein perfektes Beispiel für den billigen Imbiss »zum Mitnehmen« waren die kleinen Pasteten im Paris des Mittelalters, ohne dass man genau sagen könnte, woraus sie eigentlich bestanden. Viel- leicht gibt das folgende Rezept Aufschluss. Man nehme den Kern der Lende und schneide ihn in zarte Zungen, das Fett darüber wird gehackt. Für die Sauce werde dunkles Brot kräftig gerös- tet, dann in Verjus und Essig eingeweicht und durch ein Seihtuch passiert. Und die Gewürze, die
Eine Einkaufsstraße im Mittelalter (Miniatur, 15. Jahrhundert)
Konditoren waren sicherlich der wichtigste Berufsstand und erste Anlaufstelle für das » Streeood « jener Zeit. Sie boten mehr oder weniger umfangreiche Snacks, süßer und auch herzhaer Natur.
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Darstellung eines Straßenbäckers im 17. Jahrhundert (Nicolas de Larmessin)
Loïc Bienassis ist Historiker und Experte für die Geschichte der Gastronomie. Als wissenschaftlicher Referent am ȺEuropäischen Institut für Geschichte und Nulturen der Ernährungȹ erforscht er das kulinarische Erbe und dessen EinŦuss auf unsere Esskultur. ¢udem ist er Nolumnist der renommierten Radiosendung Zn va dÑguster auf France Inter und Autor zahlreicher Werke, die die Faszination der franzĘsischen Nüche einem breiten Publikum näherbringen.
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