01-2014 D

Besuche, Brasilien 1975

Maisverteilung, Angola 1973

GESCHICHTE LEBEN SCHREIBT

Andere Ansichten zu verstehen und mit der Verschiedenartigkeit der Kulturen leben zu lernen; das sind Herausforderungen für die Mitarbeitenden in den Einsatzländern. Zwei Beispiele wollen wir Ihnen nicht vorenthal- ten: Mitgegangen – mitgehangen auf Japanisch … heisst der Artikel von Rudolf Hostettler im SAM-Boten vom September/Oktober 1978: „Um es gleich vorwegzunehmen, das Mitverant- wortungs- und Schuldgefühl der Japaner geht weit über das erwähnte Sprichwort hinaus. Als Il- lustration rollte in den ersten Wochen dieses Jah- res geradezu ein Musterbeispiel über die Bühne. Anlass dazu war allerdings ein schockierendes Verbrechen. Ein junger Polizist „entdeckte“ die Leiche einer erwürgten 22-jährigen alleinwohnenden Stu- dentin. In der Untersuchung stellte sich dann aber heraus, dass der Gesetzeshüter selber zum Täter geworden war. Diese Schreckensnachricht verbreitete sich in Windeseile unter den 40‘000 Mann zählenden Tokyo-Polizeitruppen. Vom Generalsuperintendenten bis hinunter zum Rek- ruten gab es keinen Mann, der nicht erschüttert den Kopf in Schande hängen liess. […] Der Polizeichef des betreffenden Stadtteils begleitete persönlich den Sarg mit der Leiche bis zum Elternhaus der Studentin, einige Stunden ausserhalb Tokyos. Während der ganzen Toten- zeremonie verharrte er in schweigender Ach- tungstellung. Kaum in Tokyo zurück, reichte er

auf dem Hauptquartier sein Amtsniederlegungs- gesuch ein. Ohne Abschiedsrede zog er sich dar- auf in sein Privathaus zurück. Auf die zudringli- chen Fragen der Reporter gab er nur eine knappe Antwort: „Wären wir noch in der alten Zeit, so müsste ich durch Seppuku (Harakiri-Selbstmord) die Schuld auf mich nehmen. […]“ In dem immer noch sehr stark gruppenorientier- ten Gesellschaftsdenken der Japaner wird die Schuld eines Einzelnen – und sei er in noch so bescheidener Position – zur Schande der ganzen Einheit. So sehr, dass der Leiter, der Präsident, der Schulinspektor, der Offizier oder wie der Obers- te einer solchen Gruppe auch genannt wird, die Schuld und Schande als Erster auf sich nehmen muss und auch im modernen Japan auf sich nimmt.“ Telefonieren in Brasilien Wie die Unterschiedlichkeit in ganz alltägli- chen Dingen aussehen kann, veranschaulicht uns Heiri„Ari“ Aeberhard: „Welche Nummer bitte?“, fragend schaut die Telefonistin auf, […]. Es ist heiss und stickig im kleinen Raum der Telefonzentrale in São Félix do Xingú. „222.2708 Belém, bitte.“ „[…] Das wird eine Stun- de oder mehr dauern, bis ich Ihr Gespräch vermit- teln kann.“ […] Ari schaut sich um. Ausser einem Geschäftsmann warten noch drei Frauen, ein Arzt der staatlichen Gesundheitsstelle und drei jüngere Männer auf eine Verbindung. […] Endlich hellt sich das Gesicht der Telefonistin auf.

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