Ergebnisdokumentation des Deutsch-Japanischen Studienprogramms 2023 in Japan
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
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Einleitung
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Das Spannungsfeld junger Menschen in Japan
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Linda Scholz
Medienbildung im Sinne von Globalisierung
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Florian Seidel
So fern und doch so nah - Von Mensch zu Mensch in den digitalen Raum
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Daniela Sachweh
Gesellschaftliche Teilhabe durch Chancengleichheit?
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Çağatay Başar
Wer ist eigentlich für die Medienerziehung zuständig? Ein Blick auf P2P-Projekte
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Beate Kremser
Jugendarbeit im Spannungsfeld zwischen ehren- und hauptamtlichem Engagement
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Matthias Stock
Mediennutzung: Problem oder Chance?
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Bastian Krupp
Der Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Medienbildung
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Gyde Hansen
Abschluss
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Impressum
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Einleitung Im Juni 2023 fand ein ganz besonderer Deutsch-Japanischer Fachkräfteaustausch der Kinder- und Jugendhilfe zum Thema „Das mediale Umfeld junger Menschen: Herausforderungen und Lösungsansätze”statt.NichtnurwurdedieJubiläumskonferenzanlässlichdes50-jährigenBestehensder deutsch-japanischenZusammenarbeitvonFachkräftenderKinder-u ndJugendhilfen achträglichgefeiert, sondern es fand auch der erste analoge Austausch seit der Coronapandemie statt. Nachdem der Fachkräfteaustausch nach einer langen Tradition internationaler Begegnungen seit dem Jahr 2020 nur online durchgeführt wurde,konntediedeutscheDelegation2023wiedernachJapanreisen.Auchwenn Japan die Tore für internationale Besucher*innen im Vergleich zu anderen Ländern im Rahmen der Pandemie erst spät wieder öfnete, begegneten uns neugierige und ofene Gastgeber*innen, die uns herzlich willkommen hießen und uns einluden, ihre Kultur und Gesellschaft kennenzulernen. Bei unserem zweiwöchigen Aufenthalt erhielten wir nicht nur einen Überblick in das japanischeSchul- undBildungssystem,sondernerhieltenauchEinblickeinkulturelleundgesellschaftlicheA spekteJapans. Schnell erfuhren wir, dass es große Unterschiede zwischen schulischer und außerschulischer Jugendarbeit in Japan und Deutschland gibt. So fndet in Deutschland Medienbildung verstärkt im außerschulischen Bereich statt, während japanische Schulenhierv ielVerantwortungübernehmen,was mutigeundengagierteLehrer*innenvoraussetzt.InbeidenLändernhabenwirjedochgemeinsam,dass wir junge Menschen wertschätzen, beteiligen und befähigen wollen, dass wir wissen, dass hierbei Technikversorgung, individuelle und zukunftsorientierte Projekte sowie Kompetenzerwerb eine große Rollespielenunddasswird ieGesellschaftbessermachenwollen,damitesjungenMenschengutg eht.In den folgenden Beiträgen schildern wir unsere Erfahrungen, die jedoch immer nur einen Querschnitt dieser für uns fremden Kultur wiedergeben können.
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Das Spannungsfeld junger Menschen in Japan
Linda Scholz
Kultur ist im stetigen Wandel und seit jeher beeinfussen sich traditionelle Werte und jugendkulturellePhänomene,nehmenBezugaufeinanderundentwickelnsichdadurchstetigweiter. In einer postmodernen Welt verschmelzen moderne Medien, popkulturelleTrendsundTraditionzu einem konvergenten Verständnis von Gesellschaft und Kultur. Dieser Zwist zwischen Tradition und ModerneistinvielenBereichenJapansinbesonderemMaßeerkennbarundwirktsichdortaucha uf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus. Japanische Kultur zwischen Tradition und Moderne Hochhaus-Panoramas mit riesigen Wolkenkratzern, Neon-Leuchtreklame, Menschenmassen und ElektrogeschäfteoderBars,diebiss pätindieNachtg eöfnethabenverbindetmanebensomitJapanwie historische Tempel, bedächtige Schreine, wunderschöneNatur,Sauberkeit,OrdnungundRuhe.Bezirke wie Shibuya, mit der meistfrequentierten Straßenkreuzung der Welt, das vielfältige H arajuku, mit zahlreichen Modeläden und Cosplay-Kultur, das Nachtleben von Shinjuku oder das Elektro-Einkaufsviertel Akihabara sind nur wenige Minuten Fußweg von traditionellen Schreinen und TempelnoderParkanlagenentfernt,w iedemheiligenMeijiSchreininmittenvomYoyogiParkimZentrum der Weltmetropole Tokyo. Egal ob traditionelle Izakayas oder skurrile Tier-Cafés, Ikebana-Kunst oder laute Pachinko-Hallen, andächtige Tee-Zeremonien oder leuchtende Karaoke Bars, das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne ist in allen Bereichen japanischer Kultur erkennbar. Neben der Technologisierung und derMediatisierungdesAlltags,fndetimZugedermedialenGlobalisierungauch eine transkulturelle Kommunikation statt, die sich besonders auf Jugend- und Popkultur auswirkt. Es entsteht eine kulturelle Konvergenz, wobei der Kulturwandel in einem traditionell geprägten Land wie Japan auch gesellschaftliche Probleme für junge Menschen mit sich bringen kann. Denn diese Konvergenz fndet immer im kulturellen Kontext statt und so ist es für Heranwachsende nicht immer einfach, im Spannungsfeld zwischen Jugendkultur und Pfichtbewusstsein die eigene Identität herauszuarbeiten. Zusätzlich sind digitale Medien für junge Menschen relevant, um in der Peer-Group mitreden zu können und Beziehungen aufzubauen (vgl.Spieleratgeber-NRW). Die japanische Kultur ist durcheinstarkesnationalesBewusstseingeprägtundsozähltdieRolleinder Gesellschaft mehr als Individualismus. Schon aus historischer Perspektive folgte ein Samurai dem Regelwerk der Kriegerkaste, dem sogenannten bushidō, dem Weg des Kriegers. Dieser beschreibt den ausgeprägten Moral- und Ehrenkodex sowie die Lebensphilosophie der Samurai und defniert unter anderemdieMotiveP fichtbewusstsein,TreueundEhrgefühlalszentraleElemente(Hallermayer,2008,S. 39). Dieser Gesellschaftskodex ist auch heute noch erkennbar und defniert die Wertevorstellung vom Wohl der Gemeinschaft, in dem Egoismus, persönliches Verlangen und Individualismus keinen Platz haben.Sod efniertderWertekanonderjapanischenG esellschaftnichtnurtraditionelleAspekte,sondern auch klassische Ordnungs- und Hierarchiesysteme (Hallermayer 2008, S. 212). Shakai ( 社会 ) ist das japanische Wort für Gesellschaft und Shinshakaijin ( 新 社 会 人 ) beschreibt ein neues Mitglied der Gesellschaft, welches nach der schulischen respektive universitären Laufbahn in die Arbeitswelt und
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damit auch in die Gemeinschaft eintritt. Kinder zu einem ehrenwerten und sinnvollen Mitglied der Gesellschaft zu erziehen, ist das erstrebenswerte Ziel von japanischen Eltern und Pädagog*innen. Besonders die breite Mittelschicht sieht einen schulischen und berufichen Werdegang, der einen Berufseinstieg in einemGroßunternehmenzumZielhatunddadurchSicherheitbisinsAlterverspricht, als optimalen Lebenslauf an (vgl. Phillipps, 2020, S. 268). Die traditionellen Werte der Familie und Gesellschaft können fürJugendlichejedochimKontrastzumAuslebendereigenenInteressenunddem eigenen jugendlichen Erproben stehen und zu einem stetigen Spannungsfeld führen, in dem sich Heranwachsende befnden.
Heranwachsende zwischen Pfichtbewusstsein und individuellen Interessen Auch wenn viele junge Menschen in den verschiedensten kulturellen Regionen der Welt beim Erwachsenwerden zwischen den Erwartungen von Eltern und Lehrer*innen und den individuellen WünschenundInteressensowiedemAuslotenvonGrenzenzeitweiseanecken,befndensichjapanische Kinder und Jugendliche im außerordentlichen Maß im Zwiespalt. Denn in vielen Regionen wird das pubertierende Rebellieren als eine natürliche Phase der Adoleszenz angesehen. Im Vergleichzueinem westlich geprägten Lebensstil unterliegen japanische Kinder und Jugendliche jedoch oftmals einem besonderenDruck,dieElternunddieGesellschaftnichtzue nttäuschenundn ichtausderRollezufallen. Auch die niedrige Geburtenrate und die daraus resultierende schrumpfende und, aufgrundderhohen Lebenserwartung, alternde Bevölkerung ist ein Faktor, der die Belastung und Anforderungen für
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Heranwachsende erhöht (vgl. Bericht MEXT). So ist die Adoleszenzphase auch die Zeit, in der die Schüler*innen einen erhöhten Leistungsdruck verspüren. Denn der Ausbildungsweg ist gepfastert mit wichtigen Aufnahmeprüfungen, die darüber entscheiden, welche Hochschulen Heranwachsende besuchen. Die Anstrengungen zu dieser Zeit determinieren also die zukünftige Laufbahn, auch da Japaner*innen häufg in derselben Firma bleiben und den Arbeitgeber im Vergleich zu westlichen Ländern seltener wechseln (vgl. Bericht MEXT). Daher absolviert die Hälfte der Heranwachsenden im Anschluss an die Schule ein Studium. Mit diesem Bildungsstand gehört Japan zur Weltspitze, es gibt jedochwiederumkaumM öglichkeiteneinesindividuellenBildungswegso derQuereinstiegs(vgl.Phillipps, 2020, S. 269). Die Adoleszenzphase ist demnach durch Pfichtbewusstsein, verantwortungsvolles Verhalten und einen anstrengungsorientierten Ansatz geprägt. Eltern, Familienangehörige und Lehrer*innen,dieinderRegelnurdasBestefürdaseigeneKindmöchten,wasindemFalleg uteNoten und ein guter Abschluss sind, ermutigen weiter, feißig zu lernen, um später erfolgreich zu sein. Und wenn dann auch noch fehlende soziale Kontakte oder gar Mobbing in der Klasse dazukommen, fehlt Kindern und Jugendlichen oft eine Vertrauensperson, der sie Sorgen klagen können. Bei einer Befragung von dem stellvertretenden Schulleiter Shinichiro Tanaka der städtischen Obiyama Junior High School, die bei Schüler*innen verschiedener Schulen durchgeführt wurde, wurde nach Gründengefragt,warumsichSchüler*innenkeineHilfetrotze inerNotlagesuchen.Alsh äufgsteGründe wurdenangegeben,dassesdenSchüler*innenleidtue,d ieZeitd esGegenübersinAnspruchz un ehmen und man den Gesprächspartner*innen keine Sorgen bereitenwolle.ObwohlknappüberdieHälfteder über7000befragtenSchüler*innenzwischen10und15Jahrenangaben,dassimAlltagmulmigeGefühle oder gewisse Unstimmigkeiten vorhanden seien und sie sich nervös oder irritiert fühlen, suchen sich diese jungen Menschen dennoch keine Hilfe. Besonders die Befragten, diehäufgOnline-Spielenutzen oder Kontakte zu Online-Bekanntschaftenpfegen,hattenseltenerdasGefühl,vonGleichaltrigeninder Umgebung gebraucht zu werden. So suchen die Kinder und Jugendlichen, die denken, sie seien nicht dienlich und die im Alltag Unbehagen empfnden, im Internet häufger nach Bekanntschaften und Reaktionen von Unbekannten. Hierfür wurde an der städtischen Obiyama Junior High School durch ShinichiroTanakaeinOnline-Beratungsangebotinitiiert,beidemsichSchüler*innenbeiBedarfanonyme Hilfe von anderen Schüler*innen holen können. Solche Angebote sind jedoch auch in Japan Leuchtturmprojekte und auf das ehrenamtliche Engagement von pädagogischen Fachkräften zurückzuführen. So ist es nicht verwunderlich, dass in Japan die Anzahl an Schulabstinenzlern vergleichsweise hoch ist. Ein weiteres Phänomen der japanischen Gesellschaft sind sogenannte Hikikomori. Dies beschreibt Menschen, d ie sichausderGesellschaftzurückziehenundnurnochinden eigenen vier Wänden leben. Auch wenn dies kein ausschließliches Problem der jungen Generation ist, sind minderjährige Hikikomori automatisch schulabstinent, da sie ihr Haus oder ihre Wohnung nicht verlassen. Dieser soziale Rückzug und die Isolation sind oftmals eine Folge des vorangegangenen Leistungsdrucks. Dass sich also ein Großteil an jungen Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzieht, hängt damit zusammen, dass sie sich den Erwartungen und Ansprüchen der Eltern nicht mehr gewachsen fühlen. Denn in Japan richtet sich Verzweifung allgemein eher gegen sich selbst als gegen andere (vgl. Phillipps, 2020, S. 273-276). So hat Japan eine vergleichsweise hohe Suizidrate bei jungen Menschen unter 19 Jahren, wie e ine Untersuchung der National Police Agency zeigt. Hierbei spielen sicher auch der Leistungsdruck, dem junge Menschen in Japan unterliegen und fehlende Beratungsangebote eine Rolle.
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Da ein Leben abseits der Gesellschaft als nicht erstrebenswert angesehen wird, kann der Zwiespalt zwischenjugendkulturellerIdentitätundPfichtbewusstseinalsodazuführen,dassdiejenigendurchdas Rasterfallen,dienichtderNormentsprechenundsichanpassen.UndeinHandeln,d asnichtdemWohl der Gemeinschaft dient, ist gesellschaftlich nicht anerkannt. Der Zwiespalt der heranwachsenden Generation geht zudem auch miteinemmangelndenSelbstbewusstseineinher.SozeigteeineUmfrage vomKabinettsbüroz umB ewusstseinjungerM enscheninJapan,dasseinG roßteilderBefragtenzwischen 13und29Jahrennichtglaubt,e igeneStärkenz uh aben.LautderUmfragezeigteauchnure ink leinerTeil Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren, von dem man nicht wisse, ob es funktioniert,oderwarder Meinung, seine oder ihre Gedanken anderen klar mitteilen zu können. Die Nippon Foundation führte 2019eineMeinungsumfragemitjeweils1.000PersonenimAltervon17bis1 9Jahrenausverschiedenen LändernzumBewusstseinfürdasLandunddieGesellschaftdurch.DieseUmfragezeigteebenfalls,dass der Glaube das eigene Land und die Gesellschaft verändern, soziale Probleme lösen oder aktive Diskussionen mit Familie oder anderen Personen im Umfeld führen zu können bei japanischen Jugendlichen vergleichsweise gering ist.
Medienerziehung zwischen Potential und Gefahren PädagogischeArbeitf ndetinJapaninderSchulestatt.D aSchüler*innenoftbisa bends,beispielsweisein Schul-AGs oder Sportclubs, in der Schulesind,gibtesauchkeineaußerschulischeJugendarbeit,diemit der in Deutschland vergleichbar ist. Der Vorteil ist, d ass jungeMenscheninihrersozialenInfrastruktur
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bleibenundesverschiedensteAngebotegibt.DerNachteilist,d asssiesichauchbeiProblemennichtaus dieser sozialen Infrastruktur zurückziehen können, denn Probleme mit Lehrer*innen oder Mobbing durch Mitschüler*innen wird hier in den Nachmittagsbereich getragen. Außerdem haben Kinder und Jugendliche auch nur diejenigen Erwachsenen als Bezugs- und Ansprechpersonen, die sie mit dem Lernen und Benoten verbinden. Auch Jugendmedienarbeit fndet fast ausschließlich im schulischen Kontext statt. Zu Beginn der Coronapandemie hat jedes Kind im Rahmen der Bildungsreform ein Tablet bekommen, um dieses im Unterricht zu nutzen. SowerdendieEndgerätederzeitinfastallenElementaryundJuniorHighSchools verwendet. Hierzu bietet der Staat eine Webseite mit praktischen Beispielen, aber auch die nationale Regierung bietet ein Computer B ased Testing-System an. Oft stellt sich dennoch die Frage, wie die Medien optimal im Bildungskontext eingesetzt werden können, um das Lernen zu verbessern und die Leistungen zu optimieren. Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) im Unterricht ist unterteiltinNutzungundEinsatzimKlassenunterricht,inindividuellesStudium,umIKTzubeherrschen und kooperatives Lernen sowie IKTanzuwenden,umZielezuerreichen.SonutztdieYashioGakuenim Bezirk Shinagawa die Tablets beispielsweise im Sportunterricht, um Zeitraferaufnahmen der WeitsprüngederSchüler*innenzumachenunddiekörperlicheTechnikdadurchzuoptimieren,oderim Englischunterricht, indem Schüler*innen online mit Hilfslehrer*innen auf den Philippinen englische Konversationen üben. In der Naruto University of Education Secondary School werden die Tablets wiederum genutzt, u m Webseiten durch Verwendung eines Texteditors in html zu erstellen oder eine Präsentation digital aufzubereiten. Ein Auszug aus dem Motto sowie den pädagogischen Zielen der NarutoUniversityofEducationSecondarySchoolist,dasssieeineS chulefürM enschenist,d ieimGeiste des Respekts und des Dienens leben und die Schüler*innen mit einem gesunden Geist und Körper erziehen, die in der Lage sind, zur Entwicklung der internationalen Gemeinschaft beizutragen.
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Allgemein fällt auf, dass es beim EinsatzderTabletswenigerumeinenkreativenAnsatzundPotentiale digitaler Medien geht, sondern um Leistungsoptimierung. Weiterhin werden in japanischen Schulen hauptsächlich die Gefahren von Medien, beispielsweise lange Nutzungszeiten von Online-Games oder Kommunikation mit Fremden übersozialeNetzwerke,thematisiert.Schüler*innensollenfürdieRisiken sensibilisiert werden, um ein Bewusstsein für Gefahren z u entwickeln, diese zu identifzieren, abzuschätzen und letztlich darauf zu reagieren. Also wird der Umgang mit Medien weniger zum Vergnügengenutzt,sondern,wiebereitserwähnt,alsTool,umdieLeistungz uo ptimieren,aberauchals Skill gelehrt, der in einer mediatisierten Gesellschaft relevant ist. So wurde auch im Rahmen der Bildungsreform immer wieder darauf eingegangen, dass die NutzungvonIKTTeildestäglichenLebens am Arbeitsplatz, zu Hause und in allen Teilen der Gesellschaft geworden ist. So betonte der damalige MinisterfürBildung,Kultur,Sport,Wissenschaftu ndTechnologieKōichiHagiuda,dassSchulenOrtesind, andenenFähigkeitenderKindergefördertwerden,uminderGesellschaftzuü berlebenundihrPotential zu erweitern. Weiterhin heißt e s im Bericht zur Bildungsreform vom Ministry for Education, Culture, Sports,ScienceandTechnology(MEXT),dassjapanischeKinderdazuneigen,d igitaleMedienzumS pielen und nicht zum Lernen zu nutzen. Daher müsse IKT als Lernmittel eingesetzt werden und man müsse ihnen beibringen, wie man sie sinnvoll einsetzt. Mediennutzung zwischen Prävention und Kommunikation NebenSpielenundMusiksindlauteinerUmfrage,dievonderLINEMiraiFoundationinZusammenarbeit mitdemKanagawaPrefecturalBoardofEducationdurchgeführtwurde,umdentatsächlichenStandd er Internetnutzung bei Kindern und Student*innen zu verstehen, die sozialen Netzwerke LINE (was laut JIM-StudiebeideutschenJugendlichenv ergleichbarmitW hatsappist),YouTubeundInstagrambesonders beliebt. Auch hier zeigt sich das Interesse von Heranwachsenden, sich online auszudrücken, zu präsentieren und zu vernetzen. Erwachsene sind jedoch häufg über die Mediennutzung von Heranwachsenden besorgt. Auch die Tatsache, dass viele Schüler*innen das ausgehändigte Tablet mit nach Hause nehmen dürfen, führtzuProblemenmitKommunikation,Dauernutzungundpersönlichem Datenschutz, was die Eltern beunruhigt. Abhilfe schafen Projekte wie die Social Media Research Forschungsgruppe der Universität Hyogo. Hier engagieren sich Studierende ehrenamtlich, um Schüler*innen Peer-to-Peer die Gefahren von sozialen Netzwerken durch Informationsabende oder Veranstaltungen, wie Ofine-Camps, nahezubringen. Der verantwortliche Professor Kazuo Takeuchi betont, dass die Studierenden durch ihr Alter noch näher an der Zielgruppe seien und dadurch die behandelten Themen authentisch und glaubwürdig für die Schüler*innen vermitteln können. Ofine-Angebotebieteta uchdieMinami-TajimaNatureSchoold erPräfekturHyogo.AlsS chullandheimin der Natur werden Schulklassen unterschiedliche Naturerlebnisse geboten, wobei der Kontakt mit der Natur, aberauchdasGemeinschaftslebenimMittelpunktstehen,umHeranwachsendenSolidaritätund Verantwortung zu vermitteln. Hier wird deutlich, dass es verschiedene Organisationen gibt, die AlternativangebotefürHeranwachsendeanbieten,wieesauchinDeutschlandderFallist.Angebotezur kreativenMediennutzungoderzuPotenzialendigitalerMedienaußerhalbdesSchul-undLernkontextes konnten wir im Fachkräfteaustausch jedoch nicht kennenlernen. Fazit Junge Menschen sind in Japan in besonderem Maße in einem Zwiespalt zwischen gesellschaftlichen Konventionen und jugendkulturellen Bewegungen, denn die japanische Gesellschaft bewegt sich im Seite9
Spannungsfeldz wischenT raditionu ndM oderne.DiesstelltnichtnurE rziehungsverantwortliche,sondern auch pädagogische Fachkräfte und Lehrer*innen vor eine große Herausforderung. Die Mediatisierung beeinfusstdengesellschaftlichenWandelundsosindn ichtnurM aßnahmendesJugendmedienschutzes und der Medienerziehung, sondern auch kreative Angebote wichtig, um zeitgemäße medienpädagogische Projekte zu realisieren und JugendlicheinihrerLebensrealitätabzuholen.Medien können hier ein Mittel sein, um Heranwachsenden auf Augenhöhe zu begegnen und attraktive und zielgruppengerechte Angebote zu realisieren, denn Medienkompetenzerwerb ist ein Thema von gesamtgesellschaftlichem Interesse. Die Erfahrungen aus dem FachkräfteaustauschhabenmirnochmalsdieRelevanzderaußerschulischen Jugend(medien)arbeit aufgezeigt. Hier haben Heranwachsende einen geschütztenRaumderErprobung unddesAustestens,indemIdentitätsarbeitstattfndetundindemsieohneLeistungsdruckkreativsein und sich selbst verwirklichen können. Gleichwohl haben mich der Mut und der Tatendrang der japanischen Kolleg*innen sowie die angestrebte Chancengleichheit in der Schule und die Herangehensweise an Projekte, nämlich zukunftsorientiert Schritt für Schritt, inspiriert. Diese Wertschätzung des eigenen Tätigkeitsfeldes im internationalen Vergleich sowie Inspiration zeigen nochmals deutlich, wie wichtig internationale Angebote wie der Fachkräfteaustausch von Japan und Deutschland sind. Der interkulturelle Austausch hat nicht nurStrahlkraftaufdieJugendarbeit,sondern kann die Länder auch gesamtgesellschaftlich voranbringen.
Autorin Linda Scholz | Medienkulturwissenschaftlerin und Medienpädagogin Fachreferentin Computerprojekt Köln e.V. als Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW Redaktionsleitung Spieleratgeber-NRW Literatur- und Quellenangaben Cabinet Ofce. 2018. International Survey of Youth Attitude 2018. Verfügbar unter: https://www8.cao.go.jp/youth/english/survey/2018/pdf_index.html
Hallermayer, Eva. 2008. Filme analysieren – Kulturenverstehen. Über Akira Kurosawas »Yojimbo« und seine beiden Remakes »Per un pugno di dollari« und »Last man standing«. Konstanz: UVK VerlagsgesellschaftmbH.
Line Mirai Foundation. 2021. 青少年のネット利用実態把握を目的とした調査 令和元年度最終報告書 (Wörtlich übersetzt: Umfrage mit dem Ziel, den tatsächlichen Stand der Internetnutzung unter jungen Menschen zu verstehen - Abschlussbericht für das Geschäftsjahr 2019). Verfügbar unter: https://linecorp.com/ja/csr/newslist/ja/2021/367
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest. 2022. JIM-Studie 2022. Jugend, Information, Medien. Verfügbar unter:https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/2022/
National Police Agency. 2020. 令和4年中における自殺の状況 (Wörtlich übersetzt: Selbstmordsituation im Jahr 2020). Verfügbar unter:https://www.npa.go.jp/safetylife/seianki/jisatsu/R05/R4jisatsunojoukyou.pdf
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Nippon Foundation. 2019. 日本財団「 18 歳意識調査」第 20 回 テーマ:「国や社会に対する意識」( 9 カ国調 査) (Wörtlich übersetzt: 20. Thema der „Sensibilisierungsumfrage bei 18-Jährigen“ der Nippon Foundation: „Bewusstsein von Land und Gesellschaft“ (Umfrage in 9 Ländern)). Verfügbar unter: https://www.nippon-foundation.or.jp/who/news/pr/2019/20191130-38555.html?fbclid=IwAR3zpGWs2FVL Q0QlFBJCm8mIu3gowhusUK34sbAX7xK_Z-OtabwR6oWV7CA
Phillipps, Susanne. 2020. Japan. Alles, was Sie überJapan wissen müssen. Berlin: MANA-Verlag.
Spieleratgeber-NRW. 2023. Jugendkultur. Verfügbar unter: https://spieleratgeber-nrw.de/ratgeber/jugendkultur/
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Medienbildung im Sinne von Globalisierung
Florian Seidel
DaGlobalisierungunddigitaleTechnologienunserenAlltagimmers tärkerdurchdringen,gewinntd ie Frage an Bedeutung, wie junge Menschen auf diese veränderten Bedingungen vorbereitet werden können.EinSchlüsseldazuliegtinderMedienbildung,diesowohltechnologischealsauchkulturelle und soziale Aspekte umfasst. Herausforderungen und Ziele einer globalisierten Gemeinschaft IneinerZeit,inderdieWeltvorvielfältigenAufgaben,wiederEtablierungeinernachhaltigenW irtschaft, dem Schutz der Umwelt und derFörderungsozialerGerechtigkeitsteht,wurdeimSeptember2015die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung von sämtlichen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedet(VereinteNationen,2015).Siebetonteindringlich,dassdiegenanntenH erausforderungen nur durch gemeinsame Anstrengungen aller Nationen bewältigt werden können. Sie fordert dazu auf, den globalen Aktionsplan zuimplementierenundgemeinschaftlichaneinemStrangzuziehen,umeine nachhaltigeGestaltungunsererWeltfürkommendeGenerationenzug ewährleisten. HochwertigeBildung nimmt dabei als eines von 17 Nachhaltigkeitszielen eine essenzielle Schlüsselrolle ein (Bundesministerium für Bildung, Österreich, 2016). Angesichts der komplexen Gegebenheiten und der Struktur unserer digitalisierten Welt, ist eine verstärkte Betrachtung von Medienbildung in einem globalen Kontext durchaus angebracht. Desinformation, Hate-Speech, Künstliche Intelligenz, Big Data oderdieAuswirkungendesdigitalenKapitalismusbeeinfussenundprägentagtäglichdieLebensrealität von Millionen Kindern und Jugendlichen auf der ganzen Welt. Während unseres Besuchs in Japan konntenwirfeststellen,dassbeideLändervorähnlichenFragenundHerausforderungenimKontextder Digitalisierung stehen. Aufgrund unterschiedlicher sozial-gesellschaftlicher Strukturen und historischer Hintergründe verfolgen wir jedoch verschiedene Strategien bei der Bewältigung.
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Hierbei lassen sich aber zwei Aspekte als zentrale Gemeinsamkeiten zwischen Japan und Deutschland hervorheben. Beide Länder haben sich das Ziel gesetzt, Kinder und Jugendliche zu fördern und zu befähigen, um mündige und digital souveräneMitgliederderGesellschaftzuwerden(Boberach,Moy& Wolf, 2013). Besonders Kompetenzen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)spielendabeieinee ntscheidendeR olle.Angesichtsd erraschvoranschreitendenEntwicklungstehen GesellschaftenjedochimmerwiedervorneuenHerausforderungen,weshalbpräventiveAnsätze,dieauf eined igitaleResilienzabzielen(Atteneder,Peil,M aier-Rabler&Steinmaurer,2017),besondereBedeutung haben. Diese Ansätze sollen Kinder und Jugendliche mit dem erforderlichen Mindset ausstatten, um zukünftige Anforderungen und Entwicklungen in einer digitalisierten Gesellschaft erfolgreich zu bewältigen.AndieserStellelohntessicheinenBlickaufdieBildungsgrundsätzeJapansinBezugaufdie außerschulische Bildung zu werfen. Bildungsgrundsätze in Japan und ihr Einfuss auf die Anforderungen von Digitalisierung und Medienbildung Anders als in Deutschland sind in Japan Aktivitäten, die im außerschulischen Bereich zuverortensind, stärker in die Struktur von Schule eingebunden, vergleichbar mit dem Konzept der Ganztagsschulen hierzulande.Wieunsw ährendunsererStudienreiseberichtetw urde,istv orallemdiee rweiterteRolleder Lehrkräfte ein Merkmal,indemsichJapanvonDeutschlandstrukturellunterscheidet.Diesesindneben der Gestaltung des Unterrichts auch mit anderen pädagogischen Aufgaben betraut, wie z.B. der Organisation und Durchführung von Freizeitaktivitäten, Bildung von AGs und Beratungsangeboten. In Deutschland werden die genannten Beispiele u.a. Schulsozialarbeiter*innen, Schulpsychologen*innen oder Einrichtungen der Ofenen Kinder- und Jugendarbeit zugeordnet und sind dadurch in unserem Bildungssystem auf mehr Schultern verteilt. Das erweiterte Aufgabenspektrum von japanischen LehrkräftenführtnebeneinemerhöhtenVerantwortungsdruckauchzue inerstärkerenArbeitsbelastung und wird mittlerweile auch dort tendenziell kritisch gesehen (Fischer, 2023). Dass Lehrkräfte in Japan stärker die Rolle von Bildungsmanager*innen einnehmen, ist u.a. auch in den Bildungsgrundsätzen inklusive außerschulischer Bildungsaktivitäten begründet,demsogenannten JapaneseEducationalModel of Holistic Education oder in der japanischen Spracheals Tokkatsu b ezeichnet (Tsuneyoshi, 2021, S. 1–3) .
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InderjapanischenBildungbeziehtsich Tokkatsu a ufeineng anzheitlichenBildungsansatz.Dieserumfasst nicht nurakademischeFähigkeiten,sondernauchsoziale,körperlicheundemotionaleAspekte.DasZiel von Tokkatsu ist es, Heranwachsende zu befähigen, vielseitige Kompetenzen zu entwickeln, ihre PersönlichkeitzuformenundsichalsaktiveMitgliederderGesellschaftzue ngagieren(Fan& Popkewitz, 2020, S. 155). Einige der Grundsätze des Konzepts lassen sich wie folgt zusammenfassen: ● Ganzheitliche Entwicklung: T okkatsu strebt eine umfassende Entwicklung von Kindern und Jugendlichen an, die ihre intellektuellen, körperlichen, emotionalen und sozialen Aspekte berücksichtigt.
● Breites Spektrum an Aktivitäten: Das Konzept umfassteinebreitePalettevonAktivitätenwie Sport, Kunst, Musik, praktische Fähigkeiten, Sozialkompetenz und mehr.
● Interdisziplinäre Ansätze: Es fördert die Verbindung zwischen verschiedenen Fächern und Aktivitäten, für ein tieferes Verständnis und eine vielseitige Entwicklung.
● Praktisches Lernen: Schüler*innen lernen durch praktische Erfahrungen und eigenes Handeln (learning-by-doing).
● Stärkung der Persönlichkeit: Zielt darauf ab, Selbstachtung, Selbstvertrauen und die sozialen Fähigkeiten zu stärken.
● FörderungvonEigenverantwortung: Schüler*innenhabendieMöglichkeit,eigeneAktivitätenzu bestimmen und daran teilzunehmen, was Partizipation fördert und eigenverantwortliches Handeln unterstützt.
● IntegrationindenSchulalltag: DasKonzeptistintegralerBestandteildesSchullebensundnicht nur als Ergänzung zum akademischen Unterricht gedacht.
● Vorbereitung auf die Zukunft: Durch die Förderung vielfältiger Fähigkeiten undKompetenzen sollenSchüler*innendaraufvorbereitetwerden,erfolgreichineinersichwandelndenGesellschaft zu agieren. Trotz der weiter oben genannten Kritikpunkte ist der Bildungsansatz von Tokkatsu durchaus zukunftsweisendfürdieFörderungvonMedienkompetenz.Vergleichtmanbeispielsweisedasjapanische Konzept mit dem des OECD Lernkompass (Bertelsmann Stiftung et al., 2021, 2021, S. 33), einem Bildungskonzept, das in Zusammenarbeit mit vielen Ländern, darunter Deutschland und Japan, entwickelt wurde, lassen sich viele grundlegende Schnittstellen erkennen. Beide Ansätze betonen die WichtigkeitderMedienbildungalsintegralenB estandteileinerumfassendenBildung.Sielegend enFokus auf die Entwicklung von Schüler*innen, die nichtnurakademischeKenntnisseerwerben,sondernauch soziale, emotionale, praktische und medienbezogene Fähigkeiten erlangen. Ein weiterer Schlüsselaspekt, der in diesem Zusammenhang Relevanz hat, ist das Prinzip der Student Agency und Co-StudentAgency (BertelsmannStiftungeta l.,2021,S. 33). StudentAgency b eziehtsichaufdie Seite14
Fähigkeit der Schüler*innen, aktiv und selbstbestimmt an ihrereigenenBildungteilzunehmenundihre Lernprozesse mitzugestalten. In ähnlicher Weise betont Co-Student Agency die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Schüler*innen in der Gestaltung des Lernumfelds unddes Lehrplans. Diese Überschneidung fndet sich ebenfalls im Tokkatsu- Ansatz wieder. Durch dieBetonung der individuellen Entwicklung und Förderung sozialer Kompetenzen ermutigt Tokkatsu Schüler*innen, aktiv an ihren Lernprozessen mitzuwirken und ihre Interessen und Fähigkeiten einzubringen. Die interdisziplinärenAktivitätenunddieBerücksichtigungindividuellerBedürfnisseförderneineengagierte und eigenverantwortliche Lernhaltung, die eine Grundlage für die Entwicklung von Medienkompetenz und digitaler Souveränität bildet. Folgendes Beispiel aus dem Bildungsreport der OECD "How Learning Continued during the COVID-19 Pandemic" (OECD&TheWorldBank,2 022,S. 225–230)verdeutlichtn ocheinmaldenBezugzwischend en genannten Bildungskonzepten: DieObiyamaNishiElementarySchoolinKumamotoJapan,hatteschonaufgrunddesErdbebensimJahr 2016 begonnen, ihre digitale Infrastruktur innerhalb der Schule weiterzuentwickeln. Zu Beginn der Pandemie 2020 war es ihnen in kürzester Zeit möglich, auf technischer Ebene von Präsenz- zu Onlineunterrichtzuwechseln.GleichzeitigwaresdasZiel,dieGrundsätzevon Tokkatsu a ufdendigitalen Schulalltag zu übertragen. Dies wurde anfänglich mit verschiedenen von denLehrkräftenproduzierten Webvideos umgesetzt. Der eigentliche Durchbruch gelang aber erst, als die Schule anfng, die Schüler*innen in die Organisation und Gestaltung des Online-Schulalltags mit einzubeziehen. Hierzu wurden mit den höheren Jahrgangsstufen Arbeitsgruppen gegründet, die sich regelmäßig in verschiedenen Zoom Breakout-Rooms e igenverantwortlich organisierten und Ideen entwickelten, wie man mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Online-Tools einen angenehmen und motivierenden Schulalltag gestalten kann. Im Rahmen unserer Studienreise konnten wir ähnliche Erfahrungen sammeln. Ein besonders beeindruckendes Beispiel erlebten wirwährendunseresBesuchsanderUniversitätHyogo.Dortwurde uns die Arbeit der SocialMediaAssociation vorgestellt,einerehrenamtlichenForschungsgruppe,dievon etwa70StudierendeninZusammenarbeitmitProfessorKazuoTakeuchigegründetwurde.IhrH auptziel istes,AufklärungsarbeitzuleistenundLehrmaterialzuentwickeln,welchessichaufdieMediennutzung vonKindernundJugendlichenkonzentriert.LauteigenerAussageführtdieGruppeimLaufeeinesJahres etwa300WorkshopsundV orträgeanSchulenimganzenLanddurch.Ä hnlichePeer-to-Peer-Projekte,wie die Medienscouts(Godina,2011) existierenzwarauchinDeutschland,jedochistdasBesondereandiesem Beispiel die intrinsischeMotivationderStudierenden,sichindieForschungsgruppeeinzubringen.Diese Motivation spiegelt sich auch im Kontext von Student Agency und Co-Student Agency wider. Die Studierenden bringen sich nicht nur aktiv in die Entwicklung von Lehrmaterialien ein, sondern nutzen auch ihre Ideen und Expertise, u m die Angebote fächendeckend in bestehendeBildungsstrukturenzu integrieren. DieszeigtdenMehrwerteinerengagiertenundeigenverantwortlichenLernhaltung,diesich auchim OECDLernkompass wiederfndet.DerAustauschm ita nderenBildungseinrichtungenundprivaten FirmenbeiderErstellungvonLehrmaterialiensowiedieumfassendeUmsetzungderAngebotetragenzu einem vielfältigen Bildungsangebot bei.
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WirkönnenandieserStellefesthalten,dasserfolgreicheMedienbildungbesondersgutg elingt,wennsie in einem Bildungsumfeldverortetist,welchesEmpathie,kritischesDenkenundselbständigesVerhalten fördert. Im Folgenden soll erörtert werden, wie der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) einen zusätzlichen Nutzen zur Stärkung kultureller Bildung bieten kann. Potenziale und Bedingungen kultureller Medienbildung Kultur zeichnet sich durch ihre Vielschichtigkeit, ihre d ynamische Natur und ihre Fähigkeit zur Veränderungaus(Fuchs,2 005,S.1 59).PädagogikspieltindiesemKontextderkulturellenTransformation eine Schlüsselrolle und lässt sich in mancherlei Hinsicht als die Vision für die Gesellschaft derZukunft interpretieren. Im Kontext von Medienbildung ergeben sich daraus folgende Fragestellungen:
● Wie prägt der heutige Medienkonsum unsere Sicht auf die Welt und inwiefern kann er den interkulturellen Dialog fördern?
● WelcheWeiterentwicklungeninderMedienbildungsindnötig,umdieseFaktorenangemessenzu berücksichtigen?
IndieserDiskussionsolltenzweiAspektebesondershervorgehobenwerden.Einerseitsdieeinzigartigen Qualitäten und das transformative PotenzialmodernerMedienwiez.B.Videospiele,dieihrenUrsprung größtenteils in Japan haben undinDeutschlandunterderjüngerenGenerationbesondersbeliebtsind. Andererseits ist Sprache eine essenzielleSäuleunsererheutigenGesellschaft,insbesondereimKontext der momentanen Möglichkeiten digitaler Technologien in den Bereichen Information und Kommunikation.
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ComputerspielebieteneinebesondereChancefürkulturelleMedienbildung,dasiemehrereEbenendes LernensundderInteraktionmiteinanderk ombinieren(Motyka,2 016,S. 65–69).Spieler*innentauchenin komplex konstruierte Welten ein, die oft eine Vielzahl an unterschiedlichen Kulturen, Traditionen und gesellschaftlichen Strukturen repräsentieren. In einigen Fällen, wiebeispielsweiseimVideospiel Yakuza: Like a Dragon (Ryu Ga Gotoku Studio, 2020), werden sogar historische und gesellschaftliche Kontexte beleuchtet, die für das Verständnis der jeweiligen Kultur von Bedeutung sind. Durch diese immersive ErfahrungerhaltendieSpielendennichtnureintieferesVerständnisfürunterschiedlicheL ebensweisen, sondern lernen auch, diese zu schätzen. VieleSpieleverfügenübereigenegeneralisierteSymbol-undRegelsysteme(Schell,2016,S. 235–242). Diese sind oft intuitivundkönnenvonMenschenausunterschiedlichenKulturkreisenleichtverstanden werden, wodurch eine universelle Verbindung zwischen den Spielenden hergestellt wird. Das trift besonders auf Multiplayer Games zu, bei denen Mitspieler*innen aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zusammenkommen. Dadurch entsteht ein potenzieller Raum für interkulturellen Dialog und Austausch. Spieler*innen lernen voneinander, teilen Erfahrungen und schafen so eine inklusive Gemeinschaft. Darüber hinaus bieten viele Spiele individuell anpassbare Spracheinstellungen, wiezum BeispieldieOption,DialogeimOriginaltonmitUntertitelninderZielspracheanzuzeigen.Dieskannn icht nur Sprachbarrieren abbauen, sondern auch das Erlernen von Fremdsprachen fördern. In der Zeit, die wir in Japan verbracht haben, fel uns auf, wie das digitale Spielen als Instrument für informelle und interkulturelle Gespräche fungieren kann. Gleichzeitig halfen unsere kollektiven kulturellenErlebnissedabei,einfundiertesVerständnisfürd ieHerausforderungenundProblematikenzu entwickeln, die in der medialen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen in beiden Ländern gleichermaßenexistieren.Computerspielekönnens omitalsWerkzeugedienen,umEmpathiezufördern, Sprachkenntnisse zu erweitern und ein breiteres Verständnis für die globale Gemeinschaft zu schafen. Wie schon angedeutet, spielt die Sprache in einer digitalisierten Gesellschaft eine tragende Rolle. Die Förderung bilingualerBildungkanneineSchlüsselrolleinderVerbindungvonkulturellerMedienbildung und Sprachkompetenz spielen. Bilinguale Bildungsansätze gehen davon aus, dass Schüler*innen ihre gesamten sprachlichen und kulturellen Ressourcen nutzen sollten, um efektiv zu lernen und zu kommunizieren. Dies passt gut zum Konzept des Translanguaging , das mehrsprachige Menschen als Besitzer eines integrierten sprachlichen Repertoires sieht (Scheiter & Gogolin, 2023, S. 77–79). In bilingualen Bildungssettings lernen Heranwachsende nicht nur, wie sie in zwei oder mehr Sprachen efektivkommunizierenkönnen,s ondernauch,wiesiezwischenverschiedenenkulturellenundm edialen Kontexten wechseln. Dies fördert sowohl die Sprachkompetenz als auch die Fähigkeit zur kritischen AuseinandersetzungmitMedieninhaltenausverschiedenenPerspektiven.Ineinerimmerdiverserenund vernetzten Welt können diese Fähigkeiten von unschätzbarem Wert sein, mit dessen Hilfe Kinder und Jugendliche komplexe soziale und kulturelle Themen besser verstehen und artikulieren können. Bilinguale Bildung kann dazu beitragen, soziale Ungleichheiten zu verringern. Kinder aus Minderheitensprachen-Gemeinschaften haben oft w eniger Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung und sind in traditionellen, monolingualen Bildungssystemen benachteiligt. Entsprechende
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Bildungsansätze können helfen, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren, indem sie alle Sprachen und Kulturen im Klassenzimmer wertschätzen und fördern.
Schließlich dient Translanguaging als praktisches Modell für lebenslanges Lernen und Anpassungsfähigkeit. In einer Welt, die sich ständig wandelt und in der die Fähigkeit, schnell neue Fähigkeiten zu erlernen und sich an neue Umstände anzupassen, immer wichtiger wird,könnendiein multilingualen Bildungsumfeldern erworbenen Fähigkeiten lebenslang von Nutzen sein. Folgendes Beispiel aus dem Aufenthalt in Japan soll noch einmal die fruchtbare Verbindung zwischen bilingualer Sprachkompetenz und dem Einsatz von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien unterstreichen:
An der Yashio-Gakuen Schule im Tokioter Stadtteil Shinagawa konnten wir einige Unterrichtseinheiten beobachten, in denen Informations- und Kommunikationstechnologien integriert waren. Dazu gehörte aucheineEnglischstunde,indereineinnovativeMethodeangewandtwurde.Prof.ShingoShiotavonder UniversitätShizuokaerklärteunsimVorfeld,dassseit2019nahezujedesKindinJapaneinp ersönliches digitales Endgerät erhält, diesgaltauchfürdieYashio-GakuenSchule.Besondersaufälligwar,dassdie Schüler*innen ihre digitalen Endgeräte ständig bei sich trugen und in verschiedenen Fächernvielseitig anwendeten.
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