Refugees welcome – auch in der Internationalen Jugendarbeit

Gute Praxis in Formaten der Internationalen Jugendarbeit mit jungen Geflüchteten. Aus der Reihe: Innovationsforum Jugend global - Qualifizierung und Weiterentwicklung der Internationalen Jugendarbeit.

// Qualifizierung und Weiterentwicklung der Internationalen Jugendarbeit

Refugees welcome – auch in der Internationalen Jugendarbeit Gute Praxis in Formaten der Internationalen Jugendarbeit mit jungen Geflüchteten

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Impressum

Herausgeber:

Godesberger Allee 142-148 53175 Bonn Tel. +49 (0)228 9506 0 E-Mail: info@ijab.de www.ijab.de

Verantwortlich: Marie-Luise Dreber

Redaktion: Kerstin Giebel, Christian Herrmann, Dr. Anneli Starzinger

Fotos: Oliver Volke (S. 5, S. 41), Sportjugend Baden-Württemberg (S. 10), Diakonisches Werk der evangelischen Kirche in Württemberg e. V. (S. 12), AWO Württemberg (S. 20-22), Steffen Walther & Jan Bernert (S. 24), Christian Herrmann (S. 30), Georg Pirker (S. 32), Heike Abt (S. 34), Kerstin Giebel (alle weiteren Fotos)

Gestaltung: blickpunkt x, Köln

Hinweis: Die hier veröffentlichten Beiträge geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder, die nicht der Meinung der Redaktion bzw. des Herausgebers entsprechen muss.

Druck: DCM Druck Center Meckenheim GmbH

Dezember 2016

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Inhalt

Editorial | Kerstin Giebel ..........................................................................................................4

Junge Geflüchtete als Thema in der europäischen und internationalen Jugendpolitik Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend | Albert Klein-Reinhardt .......6

Gute Praxis in Formaten der Internationalen Jugendarbeit | Kerstin Giebel ...........................9

Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug Erste Erfahrungen der Sportjugend Baden-Württemberg | Elena Hafner ......................... 10 Ran ans Leben – Freiwilligendienste für Geflüchtete Einblicke in die Arbeit der Diakonie Baden-Württemberg | Dorothee Stauß . ................... 12 Europäische Workcamps mit Geflüchteten – ewoca³ und ewoca³(+) – for everyone! Internationales Bildungs- und Begegnungswerk | Katharina Teiting . ............................... 16 Tandem-Juleica-Ausbildung: Pilotprojekt zur Integration von jungen Geflüchteten AWO Württemberg | Tanja Reißer ................................................................................... 20 „Multiplikator(inn)enausbildung: Politische Bildung von und mit Geflüchteten“ Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar Christian-Friedrich Lohe, Markus Rebitschek, Erik Wrasse .................................................. 24 Not in Our Countries?! Refugees, Asylum and Fundamental Rights Education in Youth Work Ein deutsch-tschechisches Fachkräfteprogramm von AdB, mkc und Brücke Most Stiftung Georg Pirker...................................................................................................................... 30 Wissenschaftlich-psychologische Empfehlungen für die Arbeit mit Geflüchteten Institut für Kommunikationsmanagement | Heike Abt .................................................... 34 Der kommunale Integrationsansatz im Programm „Willkommen bei Freunden – Bündnisse für junge Flüchtlinge“ Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) | Dagmar Gendera ..................................... 38

Rechtliche Rahmenbedingungen zur Arbeit mit jungen Geflüchteten .................................. 40

Förderhinweise Eurodesk | Robert Helm-Pleuger, Regina Schmieg und Annette Westermann ................. 41

Gelebte Vielfalt in der Jugendarbeit – eine Schlussbemerkung | Kerstin Giebel .................. 44

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Editorial

Editorial

D ie Themen Flucht und gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten spiegeln sich spätestens seit 2015 in zahlreichen öffentlichen und jugendpolitischen Diskursen wider und haben auch Auswirkungen auf die Praxis der Internatio- nalen Jugendarbeit.

Träger der Kinder- und Jugendhilfe suchen nach Möglichkeiten, um geflüchtete junge Menschen an internationalen Aktivitäten teilhaben zu lassen.

Dabei stellen sich Fragen: Ist das möglich vor dem Hintergrund geltender Richtlinien? Sind Formate der Internationalen Jugendarbeit überhaupt geeignet, um die Zielgruppe der Geflüchteten anzusprechen bzw. sie an derartigen Aktivitä- ten teilhaben zu lassen? Welche Rahmenbedingungen braucht es dafür? Was gilt es aus Sicht des Leitungspersonals zu beachten? Diesen und anderen Fragen stellten sich Fach- und Führungskräfte aus unterschiedlichen Bereichen der Internationa- len Jugendarbeit im Rahmen des IJAB-Projekts Innovationsforum Jugend global über einen Zeitraum von einem Jahr. Was zunächst als Fachdiskurs auf der Online-Plattform https://www.ijab.de/nc/innovationsforum/ begann, mündete später in ein Kolloquium, das im Herbst 2015 feststellte: Die Thematik ist sehr vielschichtig, es besteht großer Hand- lungs- und Klärungsbedarf. So entstand die Idee einer Experimentellen Fachtagung, die schließlich im Juni 2016 in Stuttgart stattfand und den Titel trug „Experimentelle Fachtagung: Formate der Internationalen Jugendarbeit und de- ren Mehrwert für die Arbeit mit jungen Geflüchteten bzw. für den Bereich der Flüchtlingshilfe. Eine kritische Bestands- aufnahme.“ Die außerordentlich breite Resonanz auf die Veranstaltung lässt erahnen, wie hoch der Bedarf an Orientierung, kol- legialem Austausch und der Aneignung von Methoden ist und zwar nicht nur innerhalb des originären Arbeitsfeldes Internationale Jugendarbeit, sondern auch über seine „Grenzen“ hinweg, z. B. bei Betreuer/-innen in Gemeinschafts- unterkünften, Lehrkräften an Schulen, Mitarbeitenden aus der Verwaltung bis hin zu Theaterpädagog(inn)en. Ziel der Veranstaltung war es, auszuloten ob und inwieweit klassische Formate der Internationalen Jugendarbeit geeignet sind, mit der Zielgruppe junge Geflüchtete zu arbeiten. Schnell kristallisierte sich heraus: Ja, es ist durchaus möglich, Ge- flüchtete in die Internationale Jugendarbeit einzubeziehen. Patentrezepte für die Umsetzung gibt es jedoch nicht, wohl aber Rahmenbedingungen, die beachtet werden sollten.

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Editorial

Kerstin Giebel, Koordinatorin für Qualifizierung und Weiter- entwicklung der Internationalen Jugendarbeit bei IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e. V.

Die vorliegende Broschüre knüpft an den Diskurs der Experimentellen Fachtagung an. Dabei kommen Akteure zu Wort, die aus ganz unterschiedlichen Perspektiven Stellung beziehen. Im Leitartikel wird zunächst dargelegt, wie sich das Thema junge Geflüchtete in die europäische und internationale Jugendpolitik des Bundesministeriums für Frau- en, Senioren, Familie und Jugend einbettet. Anschließend werden Beispiele gelungener Praxis aus unterschiedlichen Formaten der Internationalen Jugendarbeit vorgestellt, wie z. B. Workcamps und Fachkräfteaustausche. Die Broschüre wird darüber hinaus angereichert durch Fachbeiträge zu Coaching- und Beratungsangeboten der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung im Rahmen des Programms Willkommen bei Freunden, zu Förderfragen im Kontext der Arbeit mit jungen Geflüchteten und schließlich durch eine Synopse zu rechtlichen Grundlagen für die Arbeit mit Geflüchteten. Die Autor(inn)en der Broschüre wollen Mut machen, neue Wege zu beschreiten, ohne dabei Altbewährtes außer Acht zu lassen. Sie lenken den Blick auch auf kritische Aspekte und Grauzonen, die es im Kontext mit der Zielgruppe zu bedenken gibt und die sich nur über einen kontinuierlichen Dialog zwischen allen Beteiligten im Feld klären lassen. Dafür braucht es „Türöffner“. Internationale Jugendarbeit kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Türen zu öffnen, die bis dato noch verschlossen oder unbemerkt blieben. In diesem Sinne ist die vorliegende Publikation eine Einladung an alle, die sich der interkulturellen Arbeit mit jungen Menschen verschrieben haben, die Potentiale Internationaler Jugendarbeit auszuschöpfen und in ihre eigenen Aktivitäten einzubetten. Die Tür ist offen; treten Sie ein und machen Sie sich selbst ein Bild von dem, was möglich ist. Aber bitte vergessen Sie dabei nicht, die Bedarfe und Möglichkeiten der jungen Geflüchteten von Anfang an in Ihre Überlegungen miteinzubeziehen.

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Junge Geflüchtete als Thema in der europäischen und internationalen Jugendpolitik

Junge Geflüchtete als Thema in der europäischen und internationalen Jugendpolitik des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Aktuelle Beschlüsse der Jugend- und Familienministerkonferenz B ei ihrer Jahrestagung am 2. und 3. Juni 2016 war die Integration von jungen Geflüchteten und Flüchtlingsfamilien ein zentrales Thema der Jugend- und Famili- enministerkonferenz (JFMK) in Dresden. Mit Blick auf junge geflüchtete Menschen halten die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Familie, Kinder und Jugend der Länder die Ange- bote der Jugendarbeit, Jugendsozialar- beit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes für einen wesentlichen Beitrag zur Bildung, Entwicklungsför- derung und Integration. Gerade diese Angebote können dazu beitragen, dass sie im gemeinsamen Erleben mit den einheimischen Kindern und Jugendlichen Zugänge zu sinnvollen Freizeitangeboten, zur Unterstützung der schulischen und beruflichen Bildung und zu non-formalen Bildungsangeboten finden, in denen auch die Werte unserer Gesellschaft gelebt und vermittelt werden. Unterstrichen wurde der grundsätzliche Vorrang der integrativen Ausgestaltung und finanziellen Stärkung bestehender Regelsysteme und Strukturen, um Begeg- nungen und gemeinsame Aktivität zwi- schen Menschen unterschiedlicher Her- kunft, in besonderen Lebenslagen sowie

Albert Klein-Reinhardt, Referent für internati- onale und europäische Jugendpolitik im Bun- desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, verortet das Thema „Junge Geflüchtete“ im Kontext aktueller Diskurse, Beschlüsse und Entwicklungen der europä- ischen und internationalen Jugendpolitik.

Zuwanderung junger geflüchteter Menschen als Herausforderung und Chance für die europäische und internationale Jugendarbeit Schon in den gemeinsamen Leitlinien von Bund und Ländern zur Internationalen Ju- gendpolitik und Jugendarbeit, die 2001 in Weimar beschlossen wurden, wird betont, verstärkt benachteiligte junge Menschen in die Programme einzubinden und insbesondere auch den ausbildungs- und berufsbezogenen Jugendaustausch auszubauen. Insbesondere gilt es, junge ausländische Menschen, Migrantinnen und Migranten, Aussiedlerinnen und Aus- siedler, in diese Austauschmaßnahmen einzubeziehen, um damit ihren Integrati-

mit vielfältigen Einstellungen und Lebens- entwürfen zu ermöglichen. Die Entwick- lung einer Eigenständigen Jugendpolitik ist für die JFMK dabei ein strategischer Ansatz, der auch die Chancen für die Integration junger geflüchteter Menschen verbessern helfen kann. Da ein zentraler Aspekt für die zu integrierenden jungen Menschen ein möglichst frühzeitiger Zugang zu Bildung, Ausbildung und Beschäftigung ist, sieht die JFMK alle Partner der Bereiche Schule, Ausbildung, Beschäftigung, Gesundheit und Kinder- und Jugendhilfe in der Verant- wortung, zielorientiert zu kooperieren.

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Junge Geflüchtete als Thema in der europäischen und internationalen Jugendpolitik

onsprozess in Deutschland zu befördern. Alle Beteiligten in Bund, Ländern und Gemeinden, öffentliche und freie Träger, seien deshalb gefordert, die Förderung der Internationalen Jugendarbeit mit allen Kräften zu unterstützen. Weil das Arbeitsfeld selbst die Öffnung der Internationalen Jugendarbeit auch für Ju- gendliche mit Migrationshintergrund als ein vordringliches Anliegen begriff, wurde von Prof. Thimmel und anderen das Pra- xisforschungsprojekt „JiVE. Jugendarbeit international, Vielfalt erleben“ entwickelt, um Wege der Zusammenarbeit zwischen Internationaler Jugendarbeit und Jugend- migrationsarbeit aufzuzeigen und die in- terkulturelle Öffnung des Europäischen Freiwilligendienstes zu unterstützen. Wesentliche Erkenntnisse des in den Jah- ren 2008 bis 2010 vom Bundesministe- rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderten Projekts waren: Internationale Jugendarbeit kann in besonderer Weise zur Integration von jungen Migrantinnen und Migranten bei- tragen, die interkulturelle Öffnung unter- stützen. Sie ermöglicht interkulturelles Lernen in authentischen Zusammenhän- gen. Mit eigenen Methoden konzentriert

sie sich auf die Kompetenzen von Jugend- lichen. Internationale Jugendarbeit bietet also Möglichkeiten zur Partizipation an der Gesellschaft. Sie macht diese Teilhabe aber nicht nur von individuellen Motiven, Anstrengungen und Kompetenzen abhän- gig, sondern bietet entgegenkommende Strukturen. Die Internationale Jugendar- beit ist somit ein komplexes Übungsfeld für junge Menschen, in dem sie – wie im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) postuliert – zu gesellschaftlicher Mitver- antwortung und zu sozialem Engagement anregt und hingeführt werden. Anknüpfend an die Erkenntnisse und Ergebnisse des Modellprojekts hat sich unter dem mittlerweile bekannten Na- men JiVE eine jugendpolitische und auch gesellschaftspolitische Initiative entwi- ckelt, die sich für Bildung, Teilhabe und Integration von Jugendlichen und dabei auch von Jugendlichen mit Migrations- hintergrund einsetzt und damit auch auf die Stärkung von Jugendlichen und För- derung von Chancengleichheit zielt. Mit JiVE haben sich in den letzten Jahren ganz unterschiedliche Akteure gemeinsam auf

den Weg gemacht, die Zugänge zu euro- päischer und internationaler Jugendarbeit zu verbessern. Während die Schnittstellen zu anderen Feldern der Kinder- und Ju- gendhilfe lange nur wenig entwickelt wa- ren, ist es mit JiVE gelungen, zum Beispiel im Bereich der Jugendmigrationsdienste, der Jugendsozialarbeit und bei Kommu- nen, neues Interesse an der Methodik der Internationalen Jugendarbeit zu wecken. Ergebnis ist ein Mehrwert für das Gemein- wesen, die öffentlichen und freien Träger, die jungen Menschen und die Fachkräfte. Zugleich konnte durch die jugendpoliti- sche Initiative eine nachhaltige struktu- relle Verbindung zwischen Internationa- ler Jugendarbeit und den Strukturen der Jugendsozialarbeit/Jugendmigrationsar- beit, Migrantenselbstorganisationen, Ver- eine junger Migrantinnen und Migranten, kommunaler Jugendhilfe, Schulen und an- deren geschaffen werden. Diese Entwick- lungen zeigen, dass der Ansatz richtig ist, mit Förderung durch den Bund Anregun- gen zu geben für die Arbeit vor Ort, in den Kommunen, dort, wo die Jugendlichen leben, dort, wo die Fachkräfte in ihren Diensten und Einrichtungen tätig sind.

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Junge Geflüchtete als Thema in der europäischen und internationalen Jugendpolitik

• Was können wir vom diversitäts- bewussten Ansatz für die Arbeit mit jungen Flüchtlingen und Migrant(inn)en lernen? Damit wurde eine gute Grundlage gelegt. Dieser fachliche Austausch zur Arbeit mit jungen Geflüchteten wird aber sinnvoller- weise nicht nur in Deutschland, sondern über die europäischen Grenzen hinweg geführt. Im Rahmen der Erarbeitung des EU-Arbeitsplans für die Jugend ab 2016 hat sich das BMFSFJ daher dafür einge- setzt, dass das Thema der jungen Geflüch- teten als neuer Schwerpunkt mit aufge- nommen wird. Die Mitgliedstaaten haben sich auf den Titel „Beitrag bei der Bewäl- tigung der Herausforderungen durch die Zuwanderungen in Europa“ geeinigt.

Aktuell ist geplant, zusammen mit Schwe- den als Partner und organisiert über die Nationalagentur JUGEND für Europa ei- nen europäischen Peer-Learning-Prozess mit ausgewählten europäischen Mitglied- staaten zu organisieren. Auch im Rahmen des Programms „Erasmus+, Jugend in Aktion“ wird der besondere Schwerpunkt dieser Thematik durch die Aufforderung der Europäischen Kommission zur Ein- reichung von Vorschlägen unterstützt. Zum Abschluss der europäischen Konfe- renz „Bildung, Partizipation, Integration – Erasmus+ und Geflüchtete“ im April diesen Jahres hat Chiara Gariazzo, Direk- torin bei der Europäischen Kommission und zuständig für Erasmus+ ausgeführt, dass innerhalb des Programms ein Fokus auf Geflüchtete zu erwarten sei, zum Bei- spiel für den nächsten Aufruf für Strate- gische Partnerschaften. Sie verwies auch auf die 13 Mio. Euro, die für den Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen zur sozialen Integration in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung und Jugend zur Förderung der Integration benachteilig- ter Lernender sowie Verhütung und Be- kämpfung diskriminierender Praktiken zur Verfügung stehen und kündigte an, dass das Arbeitsprogramm der Kommis- sion für 2017 dann ganz sicher Inklusion als „Priorität der Prioritäten“ setzen wer- de. Es wird deutlich, dass die europäische und internationale Jugendpolitik Beiträge für die anstehenden Herausforderungen und die Weiterentwicklung einer inklu- siven europäischen und internationalen Jugendarbeit leistet.

Die Initiative JiVE hatte das Thema Migra- tion und Flucht – Herausforderungen und Chancen für die Internationale Jugendar- beit dann konsequenterweise zum The- ma ihres letztjährigen Fachkolloquiums gemacht und im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung zentrale Themen bearbeitet: • Wie können junge Flüchtlinge und Migrant(inn)en in Formate der Inter- nationalen Jugendarbeit einbezogen werden? • Welchen Mehrwert haben Fachkräfte- programme für die Arbeit mit jungen Flüchtlingen und Migrant(inn)en? • Wie können Unterstützungs­ möglichkeiten für mobilitätsbereite junge Menschen aus der EU im Hinblick auf Ausbildung und Arbeit gestaltet werden?

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Gute Praxis in Formaten der Internationalen Jugendarbeit

Gute Praxis in Formaten der Internationalen Jugendarbeit

D ie Internationale Jugendarbeit bietet vielfältige Möglichkeiten, sich über Ländergrenzen hinweg zu engagieren. Dabei wird unterschieden zwischen Kurz- und Langzeitformaten, Gruppen- und Individualprogrammen sowie Angebo- ten unter Beteiligung von zwei, drei oder mehreren Ländern. Internationale Ju- gendarbeit ist integraler Bestandteil der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland und im Sozialgesetzbuch VIII verankert. Zielgruppen sind sowohl Jugendliche als auch Fach- und Führungskräfte, die sich haupt- oder ehrenamtlich engagieren. Das Arbeitsfeld unterliegt einer Reihe von Prinzipien. Dazu gehört vor allem das Prin- zip der Freiwilligkeit und der Selbstorgani- sation. Eine Austauschmaßnahme beruht stets auf dem gleichberechtigten Mitei- nander der Partner. Gemäß dem Prinzip der Wechselseitigkeit findet in der Regel sowohl eine Hin- als auch Rückbegeg- nung statt, sodass beide Seiten (ggf. auch mehrere Partnerländer) als Gastgeber fungieren. Die pädagogische Begleitung der beteiligten Akteure spielt in allen For- maten der Internationalen Jugendarbeit eine zentrale Rolle. Internationale Jugend- arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zur non-formalen und informellen Bildung junger Menschen.

• Freiwilligendienste • Transnationale Jugendinitiativen • Europäische und internationale Aus- und Fortbildungen (Seminare, Trainings, Konferenzen) • Fachkräfteaustausche • Hospitationen / Job Shadowing. Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkei- ten für Jugendliche, Auslandserfahrungen zu sammeln, etwa über ein Auslandsprak- tikum, einen Sprachkurs oder indem sie Teile ihrer Ausbildung oder ihres Studi- ums im Ausland absolvieren. Ein langfris- tiger und individueller Schüleraustausch ist eine prägende Erfahrung. Hier gibt es Berührungspunkte zwischen dem schuli- schen und außerschulischen Bildungsbe- reich und es entstehen immer mehr neue Mischformen. Eine weitere Möglichkeit ist, als Au-pair ins Ausland zu gehen. Zur Internationalen Jugendarbeit zählen diese Angebote dann, wenn sie pädagogisch be- gleitet werden und bestimmte Qualitäts- merkmale erfüllen. Das vorliegende Kapitel widmet sich der Darlegung von gelungener Praxis. Anhand von ausgewählten Beispielen werden Formate der Internationalen Ju- gendarbeit dahingehend beleuchtet, wie junge Geflüchtete an entsprechenden Ak- tivitäten teilhaben können. Die Broschüre beschränkt sich auf die Formate Europäi-

sche Workcamps, Freiwilligendienste mit Bezug zum Sport und anderen Betäti- gungsfeldern, Aus- und Fortbildungen für Multiplikator(inn)en und Fachkräfteaus- tausche. Den Autor(inn)en der Handrei- chung ist durchaus bewusst, dass einige der Formate einem Betätigungsfeld zu- zusprechen sind, das streng genommen nicht in Gänze den oben genannten Prin- zipien folgt bzw. folgen kann. Somit stellt sich Internationale Jugendarbeit im Kon- text mit jungen Geflüchteten zuweilen als Jugendarbeit in interkulturellen Settings auf nationalem Terrain dar. Was die Ur- sachen dafür sind, haben die Auto(inn)en herausgearbeitet.

Die sich anschließenden Fachbeiträge ori- entieren sich an folgenden Leitfragen:

• In wieweit beziehen Sie in dem von Ihnen vorgestellten Format junge Geflüchtete ein? • Was hat Sie als Träger dazu motiviert? • Welche Gelingensbedingungen braucht es Ihrer Meinung nach, damit junge Geflüchtete an Internationaler Jugendarbeit teilhaben können? • Welche Schwierigkeiten gab bzw. gibt es in Ihrem Fall? • Welche Empfehlungen können Sie an andere Akteure aussprechen, die sich ebenfalls in diesem Bereich engagieren möchten?

Zu den klassischen Formaten der Interna- tionalen Jugendarbeit gehören:

• Jugendbegegnungen • Workcamps

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Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug

Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug Erste Erfahrungen der Sportjugend Baden-Württemberg

D ie BWSJ im Landessportverband Baden-Württemberg (LSV) e. V. ist die sport- und jugendpolitische Vertre- tung von rund 1,6 Millionen Kindern und Jugendlichen bis 27 Jahre der ca. 11.400 Sportvereine im Land mit Sitz in Stutt­ gart. 2016 führte die BWSJ das vom Bund geförderte Format Bundesfreiwilligen- dienst mit Flüchtlingsbezug (BFDmF) mit 20 Freiwilligen ein. Sport bietet eine gute Plattform für Integration und viele Sportvereine in Baden-Württemberg en- gagieren sich bereits aktiv in der Flücht- lingshilfe. Der Dienst wurde dabei zur Unterstützung von Geflüchteten ins Leben gerufen. Mit dessen Hilfe sollen Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene durch sportliche Ange- bote in die Gesellschaft integriert und ihr Aufenthalt in Deutschland mitgestaltet werden. Der überwiegende Schwerpunkt liegt auf der Planung und Durchführung von sportlichen Angeboten für und mit Ge- flüchteten sowie der Betreuung und Un- terstützung von Geflüchteten bei ihrer Unterbringung und Versorgung. Des Weiteren können die Freiwilligen eine Unterstützung und Hilfe für Geflüchtete bei ihrer gesellschaftlichen Orientierung (z. B. Begleitung bei Behördengängen, Arztbesuchen, Freizeitgestaltung in Grup-

Diese setzen sich zum einen aus einem jeweils fünftägigen Einführungs-, Reflexi- ons- und Abschlussseminar sowie einem dreitägigen Seminar „Fit für die Vielfalt“ zusammen. Weitere Bildungstage können beispielsweise durch eine Übungsleiter/- innenausbildung abgedeckt werden. Ge- flüchtete haben innerhalb ihrer Dienstzeit außerdem die Möglichkeit, einen Sprach- kurs zu absolvieren, um Sprachbarrieren abzubauen. Am 1. März 2016 starteten die ersten fünf Freiwilligen im Format BFDmF. Durch die zeitlich sehr kurze Anlaufzeit des neuen Formats war es für die Vereine nicht ein- fach, geeignete Kandidat(inn)en zu fin- den. Außerdem fiel die Bewerbungsphase mitten in das laufende Schuljahr, was eine geringe Bewerber(innen)anzahl zur Folge hatte. Die Freiwilligen können in den Einsatz- orten aktiv in der Flüchtlingsarbeit tätig sein. Neben der Durchführung von ver- Elena Hafner, Koordinatorin für Jugendarbeit im Sport bei der Baden-Württembergischen Sportjugend (BWSJ), beschreibt erste Erfah- rungen der Sportjugend beim Einsatz von Freiwilligen im Rahmen des am 1. März 2016 gestarteten Bundesfreiwilligendienstes mit Flüchtlingsbezug.

penunterkünften, Sprachkurse, etc.) sein. Geflüchtete selbst können einen Einblick in das Vereinsleben bekommen und alle in den Vereinen genehmigten Tätigkeiten ausüben. Der Freiwilligendienst ist in Vollzeit (38,5 Std.) aber auch in Teilzeit (20,5 Std.) mög- lich, um den Vereinen zu ermöglichen, ihr Engagement in diesem Bereich stetig zu erweitern. Die Freiwilligenstellen können dabei so- wohl durch Geflüchtete selbst, als auch durch EU-Bürger/-innen besetzt werden, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagie- ren wollen. Geflüchtete dürfen nicht aus einem sicheren Herkunftsland stammen und müssen eine Arbeitserlaubnis vor- legen können. Voraussetzung für einen Freiwilligendienst ist die Volljährigkeit. Wie in anderen Freiwilligendiensten auch müssen die Freiwilligen während ihres Dienstes 25 Bildungstage absolvieren.

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Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug

schiedenen Sportangeboten für Geflüch- tete und deren Unterstützung sind sie in die Planung und Koordinierung verschie- dener Integrationsmaßnahmen in den Vereinen involviert. Zwei Stellen wurden dabei mit Geflüchteten aus Afghanistan besetzt. Die Freiwilligen haben sich sehr gut im Sportverein integriert und führen mit Begeisterung selbst Sportangebote in Flüchtlingsunterkünften durch. Für sie bietet der Dienst eine gute Chance, die Sportstruktur in Baden-Württemberg kennenzulernen und aktiv in die Gesell- schaft integriert zu werden. Beide Freiwil- lige möchten sich auch nach Ablauf des Dienstes im Sportverein aktiv bleiben. Auch der Sportverein selbst profitiert von diesem Format. Zwar ist der Aufwand zu- nächst größer, da eine spezifische Einfüh- rung in den jeweiligen Aufgabenbereich und die Betreuung während des Dienstes erforderlich ist. Dennoch ist der unmittel- bare Kontakt mit und die Einbeziehung von Menschen aus anderen Kulturen durch nichts zu ersetzen. Dadurch können Brücken zwischen Kulturkreisen gebaut werden. Dies schafft neue Wege für In- tegration, vereinfacht die Arbeit und den Umgang mit Geflüchteten und fördert im Verein die Offenheit gegenüber anderen Kulturen.

Diese Art des Freiwilligenengagements stellt sowohl für die Freiwilligen als auch die Betreuer/-innen in den Vereinen auch eine große Herausforderung dar. Werden sie doch mit Menschen konfrontiert, die teilweise traumatisiert sind. Vor diesem Hintergrund braucht es ein sensibles pä- dagogisches und soziales Handeln. Aber oftmals fehlt es den Betreuer/-innen noch an Expertise im Umgang mit Geflüchte- ten. Eine weitere Schwierigkeit des ersten Jahr- gangs im Format BFDmF bestand in der Unklarheit hinsichtlich formaler Rahmen- bedingungen. Diese wurden während des Dienstjahres stetig erneuert. Sowohl auf Landes- als auch Bundesebene konnten oftmals von beteiligten staatlichen Stel- len nur unzureichende Aussagen getrof- fen werden. Als Beispiel ist hier die Frage

nach der nötigen Arbeitserlaubnis der Ge- flüchteten, die im Freiwilligendienst tätig werden wollen, zu nennen. Der neue Jahrgang wird voraussichtlich mit 20 Freiwilligen am 1. September 2016 starten. Geplant ist eine Dienstzeit bis 31. August 2017. Die Bewerber(innen)aus- wahl findet durch die Sportvereine statt. Das Format BFDmF bietet gerade in der aktuellen Situation eine große Chance, Geflüchteten den Start in ihrem neuen Umfeld zu erleichtern und andererseits die Integrationsbereitschaft durch den Abbau von Barrieren in den Vereinen und der Gesellschaft zu erhöhen. Gleichzeitig bieten die Vereine den Geflüchteten ein Umfeld, in dem sie sich entfalten können und die Sportstruktur und ehrenamtli- ches Engagement erleben.

Weitere Informationen unter:

• http://www.lsvbw.de/ Homepage der Landessportjugend Baden-Württemberg • http://www.lsvbw.de/sportwelten/sportjugend/freiwilliges_soziales_jahr/ Angebote zum Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug

• Elena Hafner

Tel.: +49 (0)711 280 778 60 E-Mail: e.hafner@lsvbw.de

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Ran ans Leben – Freiwilligendienste für Geflüchtete

Ran ans Leben – Freiwilligendienste für Geflüchtete Einblicke in die Arbeit der Diakonie Baden-Württemberg

Dorothee Stauß, Referentin bei der Diakonie Baden- Württemberg, stellt Einsatzmöglichkeiten für Geflüch- tete im Freiwilligen Sozialen Jahr und im Bundesfreiwilli- gendienst vor. Sie schildert die Herausforderungen und Hürden auf unterschiedlichen Ebenen und beschreibt die Chancen und Gewinne.

D orothee Stauß, Referentin bei der Diakonie Baden-Württemberg, stellt unterschiedliche Berührungspunkte von Freiwilligeneinsatz und Flüchtlingshilfe dar. Zum einen besteht die Möglichkeit für junge Geflüchtete, ein Freiwilliges Soziales Jahr oder einen Bundesfreiwilli- gendienst zu absolvieren. Zum anderen können Freiwillige ihren Dienst in einer Einrichtung der Flüchtlingshilfe leisten. Das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) ist ein so- zialer Freiwilligendienst in Deutschland für Jugendliche und junge Erwachsene, die die Vollzeitschulpflicht erfüllt und noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet haben. Im Be- reich der evangelischen Kirche bezeichnet man ihn auch als Diakonisches Jahr. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für das FSJ sind in Deutschland im Jugendfreiwilli- gendienstgesetz (JFDG) geregelt. Im Bundesfreiwilligendienst (BFD) en- gagieren sich Frauen und Männer für das Allgemeinwohl, insbesondere im sozia- len, ökologischen und kulturellen Bereich. Darüber hinaus gibt es Einsatzmöglichkei- ten im Bereich des Sports, der Integration und des Zivil- und Katastrophenschutzes (§ 1 BFDG). Der Bundesfreiwilligendienst ist 2011 als Initiative zur freiwilligen, ge- meinnützigen und unentgeltlichen Ar- beit in Deutschland eingeführt worden. Er wurde von der Bundesregierung als

• Haustechnik, Hauswirtschaft, Fahrdienste, Verwaltung • Krankenhaus.

Reaktion auf die Aussetzung der Wehr- pflicht 2011 und damit auch des Zivil- dienstes geschaffen und dient dem Ziel, die bestehenden Freiwilligendienste Frei- williges Soziales Jahr (FSJ) und Freiwilli- ges Ökologisches Jahr (FÖJ) zu ergänzen und das bürgerschaftliche Engagement zu fördern. Der Bundesfreiwilligendienst ist auch für Erwachsene über 27 Jahre zugänglich und ermöglicht es daher, das Konzept des Freiwilligendienstes auf eine breitere gesellschaftliche Basis zu stellen. Die Diakonie in Baden-Württemberg bie- tet vielfältige Einsatzstellen für Freiwillige an. Diese sind in folgenden Bereichen an- gesiedelt: • Altenhilfe • Behindertenhilfe • Diakoniestation, Kirchengemeinde • Jugendhilfe • Kindergarten • Eingliederungshilfe • FÖJ

Die meisten Einsatzstellen bestehen im Bereich der Altenhilfe, der Behinderten- hilfe und der Diakoniestation.

Bedingungen für einen Freiwilligen­ dienst für Geflüchtete

Für Geflüchtete ist ein Freiwilligendienst grundsätzlich möglich, da dieser keine Erwerbstätigkeit darstellt und nicht der Vorrangigkeitsprüfung unterliegt. Fol- gende Voraussetzungen müssen jedoch erfüllt sein: • Mindestalter: 18 Jahre • Mindestmaß an Deutschkenntnissen • Motivation der Bewerber/-innen • Reguläre Bewerbung und Kopie des Aufenthaltsstatus • Dauer des Freiwilligendienstes: mindestens 6 Monate; zunächst

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Ran ans Leben – Freiwilligendienste für Geflüchtete

• Anspruch auf Urlaub: 28 Tage / 12 Monate (bei einer 5-Tage-Woche) • Leistungen: » » Gesetzliche Krankenversicherung » » Taschengeld für unter 27-Jährige 300 € / bei über 27-Jährigen 345 € » » Zuschuss zur Verpflegung (100 €) » » Unterkunft oder Zuschuss Fahrt- kosten (50 €) • Sozialversicherungsbeiträge trägt die Einsatzstelle • Fahrtkosten zu den Seminaren werden von der Einsatzstelle über- nommen • Angaben zur Probezeit und Kündigung • Anzahl der verpflichtenden Bildungstage • Leistungen nach dem Asylbewerber- leistungsgesetz oder ALG II werden verrechnet.

Die Diakonie gliedert die Bildungstage wie folgt auf: es gibt einen Starttag, drei Semi- narwochen à fünf Tage, vier Fachtage und eine Reflexionswoche. Die Seminare fin- den ausnahmslos in Deutschland statt. Im Bundesfreiwilligendienst verlangt die Di- akonie die Absolvierung von 12 Bildungs- tagen, die als Seminartage einzeln wählbar sind sowie zwei Reflexionstage für Freiwilli- ge im BFD-Sonderprogramm. Ein flexibler Einstieg in alle Programme ist möglich. Der zugelassene Träger des Jugendfreiwil- ligendienstes – in diesem Fall die Diakonie – und die oder der Freiwillige schließen vor Beginn des Jugendfreiwilligendienstes eine schriftliche Vereinbarung ab, die fol- gende Inhalte hat:

12 Monate – bis zu 18 Monate verlängerbar • Vorliegen einer Beschäftigungs- erlaubnis • Geflüchtete mit Aufenthaltsge- stattung und im Duldungsstatus Zu beachten ist: Ein Freiwilligendienst schützt nicht vor Abschiebung. Au- ßerdem muss die Perspektive der Bewerber/-innen über den Freiwilli- gendienst hinaus im Blick behalten werden. Für alle Freiwilligen – damit auch für Geflüchtete – ist die Teilnahme an den zum Freiwilligendienst gehörenden Bildungstagen verpflichtend. Dadurch soll eine pädagogische Begleitung des Freiwilligeneinsatzes gewährleistet werden. Diese hat zum einen das Ziel, Freiwillige auf ihren Einsatz vorzube- reiten. Sie bietet ihnen aber auch die Gelegenheit, außerhalb der prakti- schen Arbeit in der Einsatzstelle ein- mal innezuhalten, um Eindrücke mit anderen Freiwilligen auszutauschen und Erfahrungen aufzuarbeiten. Da- rüber hinaus werden soziale und in- terkulturelle Kompetenzen vermittelt und das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl gestärkt. Bei ei- ner zwölfmonatigen Dienstdauer sind im FSJ 25 Bildungstage vorgesehen. Wird ein Dienst über den Zeitraum von zwölf Monaten hinaus vereinbart oder verlängert, erhöht sich die Zahl der Seminartage um mindestens ei- nen Tag je Monat der Verlängerung.

• Arbeitszeit: Vollzeit, auch Teilzeit (nur im BFD) möglich

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Ran ans Leben – Freiwilligendienste für Geflüchtete

sollten weitere Kontakte und intensivere Unterstützungsangebote direkt mit der/ dem Freiwilligen bereitgestellt werden. Für jede/n Freiwillige/n stellt der Einsatz eine Herausforderung dar. Das gilt umso mehr für junge Geflüchtete. Die Moti- vation für den Einsatz ist dabei entschei- dend. Darüber hinaus spielt das Erlernen der deutschen Sprache eine vorrangige Rolle. Es gilt zu verstehen, wie der Alltag in Deutschland und im Speziellen der Arbeitsalltag in der Einsatzstelle funkti- oniert. Die Vorbereitung des Einsatzes bedarf zahlreicher Regelungen und er- fordert Geduld auf allen Seiten. Die Frei- willigen müssen einiges an persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen, um den Freiwilligendienst erfolgreich zu bewältigen. All das sind nicht zu unter- schätzende Gelingensfaktoren. Auch die Einsatzstelle sieht sich mit dem Einsatz von Geflüchteten einigen Heraus- forderungen gegenübergestellt. Sie muss herausfinden, in welcher Weise und wie schnell jemand in den Dienst eingebun- den werden kann. Es gilt die Deutsch- kenntnisse zu ermitteln, die für eine gute Einarbeitung entscheidend sind. Ein Deutschkurs muss mit der Arbeitszeit abgestimmt werden. Die spezifischen Fähigkeiten des/der Freiwilligen sollten erkannt, gefördert sowie Motivation und Lernbereitschaft unterstützt werden.

der Ausländerbehörde, falls diese noch nicht vorhanden ist. Sie schließt dann die Vereinbarung ab und definiert den konkreten Arbeitsumfang und eine ge- eignete Sprachförderung. Für Beratung und Vermittlung durch die Diakonie sind Vorlauffristen von ca. sechs Wochen ein- zurechnen. Damit ein Freiwilligendienst für eine/n Geflüchtete/n gelingt, sind unterstützen- de Strukturen erforderlich. Die Begleitung durch Ehrenamtliche oder einen Freun- deskreis ist hilfreich. Eine fundierte und verlässliche Anleitung in der Einsatzstelle muss ebenso garantiert sein wie die früh- zeitige und intensive Begleitung durch das Diakonische Werk. Im Bedarfsfall

Die Diakonie Baden-Württemberg bie- tet bereits im Vorfeld des Dienstes Un- terstützung in Form von Info- und Bera- tungsgesprächen an. Diese sind vor Ort möglich und dienen dazu, die Motivation und Arbeitsfeldwünsche der Interes- sierten zu klären. Das Diakonische Werk übernimmt die Stellenvermittlung und stellt den Kontakt zu den Einsatzstellen her. Es besteht die Möglichkeit, zunächst einmal fünf Hospitationstage in der Ein- satzstelle zu absolvieren, um herauszu- finden, ob die Einsatzstelle den eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten entspricht. Zu diesem Zweck muss die Ausländerbe- hörde informiert werden. Des Weiteren kümmert sich die Diakonie um die Bean- tragung der Beschäftigungserlaubnis bei

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Ran ans Leben – Freiwilligendienste für Geflüchtete

Chancen für Geflüchtete

Auch für die Bildungstage mit Geflüchte- ten im FSJ oder BFD gibt es besondere He- rausforderungen zu berücksichtigen. Die Seminarmethoden müssen den Voraus- setzungen angepasst werden: das heißt, es sollte vermehrt ohne Sprache und in Kleingruppen gearbeitet werden. Zur Unterstützung der Sprachfähigkeit bietet sich ein Arbeiten in Tandems an. Wichtig ist, die spezifischen Bedarfe der Geflüch- teten fortlaufend zu reflektieren und im direkten Austausch mit ihnen zu klären. Natürlich sind auch die bürokratischen Hürden nicht zu unterschätzen. Im Kon- takt mit Ausländerbehörden und dem Bundesamt für Familie und zivilrechtliche Aufgaben – BafzA – gilt es, gesetzliche Vorgaben, die eingehalten werden müs- sen, zu klären. Die Beschäftigungserlaub- nis, die vor der Vereinbarung vorliegen muss, erschwert das Verfahren enorm. Das muss berücksichtigt werden. Eine „hohe Bleibeperspektive“ ist Vorausset- zung für das Sonderprogramm im BFD. Ist ein Wohnsitzwechsel für den Freiwil- ligendienst innerhalb des Landkreises notwendig? Wer kümmert sich darum? Ein Wohnsitzwechsel für den Freiwilligen- dienst verändert die Zuständigkeit des Landkreises. Insgesamt muss mit einer deutlich länge- ren Vorlaufzeit vor Dienstbeginn gerech- net werden, als das bei deutschen Freiwil- ligen der Fall ist. Und natürlich darf nicht aus den Augen verloren werden, was nach dem Freiwilligendienst passiert.

sen und Umgangsformen der Mitarbeiten- den und der zu Betreuenden u.v.m.). Die Arbeit in der Einsatzstelle und die Bildungs- tage befördern die Sprachfähigkeit. Darü- ber hinaus unterstützt der Dienst die Be- rufsorientierung, weckt Neugierde auf ein spannendes Arbeitsfeld, in dem eine Aus- bildung vorstellbar und möglich ist. Nicht zuletzt eröffnet der Freiwilligendienst die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, Freund- schaften zu entwickeln und das Bewusst- sein einer sinnvollen Tätigkeit zu entfalten.

Neben den erwähnten Herausforderungen und Hürden gibt es selbstverständlich eine Menge Chancen für Geflüchtete im FSJ und BFD. Der Freiwilligendienst unterstützt da- bei, „Alltagsdeutschland“ kennenzulernen einschließlich deutscher Gewohnheiten und Abläufe auch in Arbeitszusammen- hängen. Er vermittelt Vorwissen für die Ausbildung (z. B. was bedeutet pünktlicher Dienstbeginn, Bürokratie, Verhaltenswei-

Weiterführende Informationen unter

• http://www.ran-ans-leben.de/fsj/freiwilligendienst-fuer-gefluechtete/

oder über folgende Kontaktadressen:

• Dorothee Stauß – Freiwillige unter 27 Jahren Tel.: +49 (0)711 16 56-159 E-Mail: stauss.d@diakonie-wuerttemberg.de • Klaus Pertschy – Freiwillige über 27 Jahren Tel.: +49 (0)711 16 56-427 E-Mail: pertschy.k@diakonie-wue.de

Für interessierte Einrichtungen:

• Heike Schmidt-Brücken

Tel.: +49 (0)711 16 56-186 E-Mail: schmidt-bruecken.h@diakonie-wue.de

• Michael Ott

Tel.: +49 (0)711 16 56-310 E-Mail: ott.m@diakonie-wue.de

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Europäische Workcamps mit Geflüchteten – ewoca³ und ewoca³(+) – for everyone!

Europäische Workcamps mit Geflüchteten – ewoca³ und ewoca³(+) – for everyone!

Katharina Teiting vom Internationalen Bil- dungs- und Begegnungswerk (IBB) beschreibt, wie Workcamps im Rahmen des Förderpro- gramms ewoca³ Möglichkeiten bieten, junge Geflüchtete zu integrieren und sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen.

e woca³ ist ein Förderprogramm für Jugendeinrichtungen aus Nordrhein- Westfalen, das internationale Jugendbe- gegnungen unterstützt und ermöglicht. Das Konzept folgt dem Gedanken von Ein- ladung und Gegeneinladung: Jugendliche aus drei Ländern führen innerhalb von drei Jahren drei internationale Workcamps durch – eines in jedem Land. Die Jugendeinrichtungen aus Deutsch- land gehen hierbei Partnerschaften mit jeweils zwei anderen europäischen Län- dern ein. Von der Türkei über Italien, von Polen über Belarus und von Bosnien- Herzegowina bis Finnland entsteht so ein Netzwerk für junge Menschen. Durch inhaltliche und praktische Arbeit folgen die Projekte dem europäischen Thema „Bildung für nachhaltige Ent- wicklung“. Dazu gehört auch, dass die Jugendlichen zusammenwachsen und gemeinsam Freizeitaktivitäten durchfüh- ren. So werden sie durch die internatio- nalen Begegnungen in ihrer persönlichen Entwicklung gefördert. Die Workcamps dauern jeweils 14 Tage und pro Camp nehmen mindestens 18 Jugendliche teil, 6 Jugendliche aus jedem Land. Der IBB als Träger will internationale Projekte für alle zugänglich machen, unabhängig von Herkunft, Bildungsbiographie oder dem Geldbeutel der Eltern. Teilnehmen können

an den europäischen Außengrenzen, Einwanderung in die EU und die ange- spannte europäische Friedensidee the- matisiert werden. Auch die kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, Dis- kriminierung und Ausgrenzung gehört dazu. Gewünschtes Resultat ist, dass die Jugendlichen als Botschafter/-innen von Diversity und als Multiplikator(inn)en ge- gen Rassismus und Ausgrenzung in der Gesellschaft wirken. Das Format Workcamp ist besonders geeignet für die Arbeit mit heterogenen Zielgruppen. Durch die praktische Arbeit in sozialen Projekten können Sprachbar- rieren überwunden werden und die inter- nationale Verständigung wird vereinfacht. Auch für die Geflüchteten bietet dies eine gute Möglichkeit, da auch die anderen Jugendlichen aus verschiedenen Ländern kommen, so dass ohnehin Sprachbarrie- ren in der Gruppe zu überwinden sind.

auch Jugendliche, die als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind.

Der IBB will gesellschaftliche Inklusion wie auch Gleichberechtigung von jun- gen Menschen voranbringen. Zur gesell- schaftlichen Inklusion gehört auch die Inklusion von Geflüchteten im lokalen Umfeld. So können junge Geflüchtete gleichaltrige junge Menschen aus ihrer Umgebung kennen lernen. Durch die Zu- sammenarbeit in den Camps wird eine positive Haltung gegenüber Geflüchte- ten von den Jugendlichen entwickelt. Ein wichtiges Thema von ewoca³ ist Diversity, Wertschätzung von Vielfalt. Ziel ist es, dass sich die Jugendlichen in den Work- camps mit diesem Thema auseinander- setzen und Diversity leben. ewoca³ steht für europäische Bildung und somit auch für die kritische Ausei- nandersetzung mit der EU. Gemeinsam mit Geflüchteten können in den Begeg- nungen auch Themen wie die Situation

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Europäische Workcamps mit Geflüchteten – ewoca³ und ewoca³(+) – for everyone!

„Fremd sein“ ist bei den Begegnungen normal. Jugendliche und Leitungsperso- nal kennen sich noch nicht gut und haben einen ganz unterschiedlichen Hinter- grund. Das macht es einfacher, Teil der Gruppe zu werden. Durch den Fokus auf die praktische Arbeit können auch The- men wie Krieg und Flucht nicht nur verbal, sondern auch praktisch verarbeitet bzw. künstlerisch aufgearbeitet werden. Im Rahmen von Workcamps ist es mög- lich, dass die jungen Menschen gemein- sam an und in Unterkünften arbeiten. So hat zum Beispiel ein Projekt die Renovie- rung und Einrichtung eines Kinderraums in einer Unterkunft zum Gegenstand gehabt. Das Engagement der jungen Geflüch- teten wird durch ihre Mitarbeit in den Workcamps in der Gesellschaft sichtbar gemacht. Ehrenamtliche Tätigkeit von Geflüchteten, gerade in ländlichen Berei- chen, wird so vor Ort von der Gemeinde positiv wahrgenommen.

Allerdings gibt es auch ein paar Schwierig- keiten und Hindernisse. Die Realisierung von Rückbegegnungen ist rechtlich meist schwierig beziehungsweise sogar unmög- lich. Es gibt zwar über Kooperation mit Schulen die Möglichkeit, Ausnahmen zu erlangen, diese sind aber abhängig von Einzelfallentscheidungen. Oft ist es selbst bei positiver Entscheidung ein Problem, die Eltern ins Boot zu holen, weil sie nicht wollen, dass die Jugendlichen an der Maß- nahme im Partnerland teilnehmen. Grund dafür ist die Angst, in Länder zu reisen wie Griechenland oder die Türkei. Insgesamt besteht eine große Unsicherheit, ein Kind für zwei Wochen alleine verreisen zu las- sen. Die Tatsache, dass die Geflüchteten nicht an den Rückbegegnungen teilneh- men können, kann zu Frustration führen, da sich die jungen Menschen natürlich freuen würden, die anderen Teilnehmen- den wiederzusehen.

Ein weiterer Stolperstein ist auch der lange Zeitraum: Zum einen warten viele Geflüchtete auf ihre Aufenthaltsgenehmi- gung beziehungsweise einen Termin zur Anhörung. Dafür sind die Fristen in der Regel sehr kurz, was es schwierig macht für die Geflüchteten, 14 Tage unterwegs – also abwesend – zu sein. Zum anderem gibt es in einigen Camps keine Internet- verbindung. Dies kann zu emotionaler Belastung führen, weil die Jugendlichen nicht online mit ihren Angehörigen in Verbindung stehen können. Es besteht die Gefahr der Re-Traumatisierung. Daher muss ein gutes Programm ausgearbeitet werden, das genau berücksichtigt, wel- che Aktivitäten durchgeführt und wel- che vermieden werden (Bootsfahrten, Gedenkstättenbesuche etc.). Auf Grund der Intensität der Erfahrung durch Krieg und Flucht sollte die Auswahl der Themen sehr gut bedacht werden. Insbesondere

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Europäische Workcamps mit Geflüchteten – ewoca³ und ewoca³(+) – for everyone!

Welche Rahmenbedingungen braucht es?

Ruhephasen und Auszeiten müssen mit eingeplant und auf besondere Bedürfnis- se eingegangen werden. Den Familien der Geflüchteten ist das Konzept der non-verbalen Bildung, insbe- sondere auch das Format der Workcamps, häufig nicht bekannt, was zu Unsicherhei- ten und Skepsis führt. Die traumatischen Erfahrungen durch Krieg und Flucht ver- stärken die Angst und Sorge der Eltern, die sich schwer damit tun, ihre Kinder für zwei Wochen in fremde Betreuung zu ge- ben (selbst dann, wenn das Camp in der direkten Umgebung stattfindet). Die meisten Teamer/-innen sind Sozial­ pädagog(inn)en oder Ehrenamtliche, die keine zusätzliche psychologische oder

therapeutische Ausbildung im Bereich Traumatisierung haben. Es ist daher fraglich, ob die Teamer/-innen mit der Belastung umgehen können, die es be- deutet, wenn der/die Geflüchtete in die traumatisierte Erfahrung zurückfällt. Das Leitungsteam muss sehr gut vorbereitet werden und zumindest intensiv im Be- reich der interkulturellen Begegnungsar- beit weitergebildet sein. Teilweise besteht Sorge bei den Partner- ländern, mit Geflüchteten zusammen- zuarbeiten. Die Einbindung der Geflüch- teten muss daher vorher kommuniziert werden, um eventuelle Vorbehalte auszu- räumen. Es muss verhindert werden, dass sich die Geflüchteten rassistischen Kom- mentaren ausgesetzt sehen.

1. Es muss Sprachkompetenz vor-

handen sein, das heißt es muss Ansprechpersonen geben, die die Herkunftssprache beherrschen, um mit den Teilnehmenden in ihrer Sprache zu kommunizieren.

2. Gute Kommunikation mit den

Sozialarbeiter(inne)n und mit den Eltern im Vorfeld ist notwendig. Am besten sollte es mehrere Vorberei- tungstreffen gemeinsam mit den Eltern der Geflüchteten geben, um mehr über Werte, Haltung, Menta- lität zu erfahren, sich kennenzuler- nen und besondere Bedürfnisse zu besprechen. Durch mehrere Treffen mit den Eltern und den jungen Menschen werden das Vertrauen und die Sicherheit vermittelt, dass die jungen Geflüchteten gut in den Camps aufgehoben sind. Darüber

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