Politische Dimension Internationaler Jugendarbeit

Aus der Reihe: Innovationsforum Jugend global: Qualifizierung und Weiterentwicklung der Internationalen Jugendarbeit

// Qualifizierung und Weiterentwicklung der Internationalen Jugendarbeit

Politische Dimension der Internationalen Jugendarbeit

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Inhalt

Vorwort | Lothar Harles...............................................................................................................................4 Einleitung: Internationale Jugendarbeit – ein politisches Projekt? | Daniel Poli.............................................5 Politische Dimension der Internationalen Jugendarbeit ............................................................................... 6 Politische Dimension im Kontext Internationaler Jugendarbeit | Andreas Thimmel.................................6 … und wie sieht’s in der Praxis aus? Interviews mit Akteuren der Internationalen Jugendarbeit | Interview mit Marie Schwinning und Katharina Teiting..........................14 Internationale Jugendarbeit als politischer Erfahrungsraum | Sandra Kleideiter, Georg Pirker, Stephan Schwieren................................................................................20 Politisch und gesetzlich relevante Dokumente als Referenzrahmen für die praktische Arbeit | Georg Pirker............................................................................................................ 24 Politische Dimensionen erlebbar machen . ................................................................................................. 27 Politische Dimensionen und Politische Bildung in der Internationale Jugendarbeit aus dem Blickwinkel der Praxis | Ulrich Ballhausen, Eva Feldmann-Wojtachnia......................................27 Anknüpfungspunkte für politische Bildungsprozesse in Gruppen- und Individualformaten der Internationalen Jugendarbeit | Hannah Kalhorn..............................................................................29 Anlasspädagogik | Ulrich Ballhausen, Eva Feldmann-Wojtachnia...........................................................34 Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in internationalen Begegnungen zur Völkerverständigung | Kirstin Schüssler.............................................................35 Tabuverletzungen und bewusste Grenzüberschreitungen in internationalen Begegnungen und interkulturellen Lernprozessen | Nikolaus Teichmüller.......................................36 Aktuelle politische Ereignisse, die alle Planungen über den Haufen werfen | Nikolaus Teichmüller.........................................................................................................................37 Wege und Grenzen der Anlasspädagogik in der europapolitischen Jugendbildung | Stéphanie Bruel, Daniel Horst...........................................................................................................38 Handlungsempfehlungen zur konstruktiven Bearbeitung unerwarteter Anlässe in internationalen Jugendbegegnungen | Ulrich Ballhausen, Eva Feldmann-Wojtachnia ..................... 41

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Absichtspädagogik | Ulrich Ballhausen, Eva Feldmann-Wojtachnia.......................................................43 Europäische Jugendwochen im Haus am Maiberg | Stephan Schwieren...........................................45 Graffiti-Projekt „Die Jugend gestaltet Europa: regards croisés franco-allemands“. Europapolitik für junge Auszubildende durch politisch-ästhetische Bildung erfahrbar machen | Stéphanie Bruel, Daniel Horst .......................................................................... 47 Picturing Politics – Young Eyes Visualizing European Politics after the Election | Anselm Sellen, Karsten Lucke............................................................................................................50 Queer Easter – Bildungsarbeit für vielfältige sexuelle Identitäten | Tim Scholz.................................53 Stories that move. Discussing Diversity and Discrimination. Eine internationale Jugendkonferenz in Berlin | Patrick Siegele........................................................55 … und wie kann der Funke überspringen? | Tim Scholz............................................................................58 Impulse Internationaler Jugendarbeit zu einer aktiven Bürgerschaft | Stephan Schwieren.....................58 Freiwilligendienste und gesellschaftspolitisches Engagement | Astrid Oelpenich, Jonathan Mack......................................................................................................61 Peer-Leader International – Wie durch internationalen Austausch aus benachteiligten Jugendlichen globale Vorbilder werden | Andreas Joppich...............................................................64

Anforderungen an die Internationale Jugendarbeit als politischer Erfahrungsraum | Ulrich Ballhausen, Eva Feldmann-Wojtachnia, Sandra Kleideiter...................................................................67

Auswahlliteraturliste . ................................................................................................................................. 70

Impressum .................................................................................................................................................. 71

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Vorwort

Vorwort

Vorsitzender von IJAB, Geschäftsführer der Arbeits­ gemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke in der Bundes- republik Deutschland (AKSB); Kontakt: harles@aksb.de

D iese Handreichung rückt die politische Dimension von Internationaler Jugendarbeit in den Mittel- punkt des Interesses. Mehr als die meisten der für die staatlich geförderte Kinder- und Jugendhilfe benannten Aufgaben weist die Internationale Jugendarbeit einen besonderen politischen Akzent auf, der in den vergangenen Jahren in der praktischen Arbeit etwas in den Hintergrund getreten ist. Im Grunde ist die Internationale Jugendarbeit eng verbunden mit den politischen Zielsetzungen der Au- ßenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Davon geben die verschiedenen Kulturabkommen mit ih- ren Schwerpunktsetzungen auf den Jugendaustausch Zeugnis. Auch die Gründung der Jugendwerke mit Frankreich und Polen sowie von Koordinierungsstellen für den Austausch mit Tschechien, Russland und Israel sind Ausdruck dieser politischen Ziele. Aus diesen Zielsetzungen ergaben sich für die Begegnun- gen und die Zusammenarbeit auch immer besondere Aufgaben der Wissensvermittlung über fremde Länder und Kulturen, der Förderung der politischen Urteils- und Handlungsfähigkeit über geschichtli- che Entwicklungen und aktuelle Handlungserfordernisse sowie des eigenen und fremden Wertesystems und Wertebewusstseins. Diese mündeten dann in der Regel darin, dass die beteiligten jungen Menschen dazu motiviert wurden, sich als informierte Bürgerinnen und Bürger aktiv in ihrer eigenen Gesellschaft und für die Zusammenarbeit der am Austausch beteiligten Staaten einzusetzen. Gerade in Zeiten, in denen sich Fremdenfeindlichkeit und die Angst vor fremden Kulturen wieder ver- stärkt zeigen, kommt der Politischen Bildung und der Internationalen Jugendarbeit sogar eine weitere gesellschaftliche Aufgabe zu. Diese Form der Jugendarbeit kann nicht nur dazu beitragen, Berührungs- ängste junger Menschen gegenüber fremden Kulturen abzubauen, sondern darüber hinaus deren eige- ne politische Urteilsfähigkeit schärfen und sie motivieren, sich für Toleranz in allen Bereichen von Ge- sellschaft und Politik einzusetzen, weil sie die Situation in anderen Ländern und Regionen kennen und vergleichen können. Die Artikel dieser Publikation zeigen unter unterschiedlichen Blickwinkeln auf, wie Politische Bildung und Internationale Jugendarbeit zusammenspielen (können) und inwieweit sich diese beiden Bildungsansät- ze in der Praxis bereichern können. Es ist zu wünschen, dass damit eine Diskussion über die Perspektiven der politischen Dimension der in der Internationalen Jugendarbeit angestoßen wird.

Lothar Harles Vorsitzender IJAB

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Einleitung

Einleitung Internationale Jugendarbeit – ein politisches Projekt?

Leiter des Geschäftsbereichs Qualifizierung und Weiter­ entwicklung der Internationalen

N icht jede Teamerin, nicht jeder Jugendleiter mag das eigene internationale Begegnungsprojekt als politi- schen Lern- und Erfahrungsraum verstehen. Der Begriff ‚politisch‘ gilt als sperrig und viele fühlen sich neben anderen Anforderungen damit überfordert. Doch nahe- zu alle Aktivitäten und Maßnahmen Internationaler Ju- gendarbeit finden im Rahmen politischer Kontexte statt. Sei es durch ihre formal-rechtliche Konstitution in Form jugendpolitischer Leit- und Förderrichtlinien, bilateraler Vereinbarungen und internationaler und europäischer Abkommen, sei es durch das hohe Potenzial politischer Auseinandersetzungen, das sich aus der Diversität der Teilnehmenden an internationalen Begegnungen ergibt oder einer Vielzahl explizit politischer Themen und Frage- stellungen in den einzelnen Aktivitäten und Maßnahmen. Diese Broschüre will ermutigen, vor politischen Bezügen und Inhalten nicht zurückzuschrecken und das eigene Begegnungsprojekt als Beitrag zur Gestaltung eines po- litischen Erfahrungsraums zu verstehen. So können mit Hilfe des besonderen Charakters und der spezifischen Me- thodik Internationaler Jugendarbeit politische Lernpro- zesse für junge Menschen erlebbar gemacht werden, die wichtige Impulse zur politischen Sozialisation setzen und damit gesellschaftliche Mitverantwortung zur Stärkung von Demokratie, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit för- dern. Angesichts hoher Stimmenanteile auch von jungen Wählerinnen und Wählern für rechtsextreme Parteien in Europa, der neuen Qualität rechtsextremer und islam- feindlicher Bewegungen mit hoher Gewaltbereitschaft und zunehmender globaler Krisen und kriegerischer Aus- einandersetzungen tragen wir eine Verantwortung, uns gemeinsam mit Jugendlichen den Herausforderungen

Jugendarbeit bei IJAB; Kontakt: poli@ijab.de

von Friedenssicherung und Stärkung demokratischen Handelns in Europa zu stellen und damit einen Gegenpol zu Ressentiments, Vorurteilen und nationalen Egoismen zu schaffen. Knüpft man an einem lebensweltlich orien- tierten Politikverständnis bei jungen Menschen an, das sich an ihrem Interesse an Ungerechtigkeiten im eigenen Umfeld und in der Gesellschaft orientiert und die Beschäf- tigung mit Politik in der eigenen Sprache zulässt, kann es gelingen, den politischen Gestaltungswillen im Sinne ei- ner aktiven Bürgerschaft zu fördern. Mit dieser Broschüre wollen wir die politische Dimension sichtbarer machen und neben dem wichtigen Beitrag grenzüberschreitender Mobilität zur Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen, Partizipation und aktives politisches Handeln wieder stär- ker in den Mittelpunkt des Diskurses um Bildungsziele, Wirkungen und Grundlagen Internationaler Jugendarbeit rücken. Mit zahlreichen Beispielen, methodischem Wissen und theoretischer Auseinandersetzung möchten wir Sie einladen, mit politischer Brille auf das Feld Internationale Jugendbegegnungen zu blicken und das große Potenzial zur Eröffnung politischer Erfahrungsräume für die Praxis zu nutzen. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und freuen uns über eine lebendige und kritische Ausein- andersetzung mit der politischen Dimension im Kontext der Weiterentwicklung Internationaler Jugendarbeit.

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Politische Dimension der Internationalen Jugendarbeit

Politische Dimension der Internationalen Jugendarbeit Politische Dimension im Kontext Internationaler Jugendarbeit

D ie Geschichte der Internationalen Jugendarbeit in der Bundesrepublik Deutschland ist geprägt vom Spannungs- verhältnis zwischen politischem Anspruch an die Aktivitäten der Jugendarbeit einer- seits und der Orientierung an den Motiven der Jugendlichen bzw. deren Alltags- und Freizeitinteressen andererseits (vgl. Thim- mel 2001, 2010, 2013). Die politischen Begründungen für die Internationale Ju- gendarbeit – die sich als eigenständiges Praxis- und Diskursfeld der Jugendarbeit etabliert hat – veränderten sich zwar in den vergangenen Jahrzehnten, dennoch blieb immer eine spezifische politische Begründung erhalten. Außenpolitische, gesellschaftspolitische und jugendpäda- gogische Ziele wechseln einander ab bzw. ergänzen einander. Auf die Gefahr der In- strumentalisierung pädagogischer Praxis durch politische Ziele wurde im wissen- schaftlichen Diskurs über Internationale Jugendarbeit immer wieder aufmerksam gemacht, und unterschiedliche Autoren mahnten zur Vorsicht gegenüber den aus aktueller Politik und Zeitgeist geforderten jeweils neuen politischen Ansprüchen an die Jugendarbeit. Historisch-politische Begründungen, weshalb die Begegnung und der Austausch von jungen Menschen aus unterschiedlichen Staaten sinnvoll und förderungswürdig sind, begleiten die Internationale Jugendarbeit seit ih- rer Konstituierung in den 1950er Jahren.

tische Funktion der bundesrepublikani- schen auswärtigen Jugendpolitik bestand auch darin, ein Gegengewicht zur aus- wärtigen DDR-Jugendpolitik darzustel- len, z. B. durch Programme mit Finnland und Ägypten. Ein weiteres Beispiel für die außenpolitische Funktion sind auch die Programme mit der Sowjetunion zur Auf- rechterhaltung eines jugendpolitischen Dialogs im Rahmen des engen Rahmens der Entspannungspolitik in den 1970 und 1980er Jahren. Aus Sicht der Akteure der Internationa- len Jugendarbeit sollten junge Menschen aus Deutschland in der konkreten Begeg- nung mit Gleichaltrigen aus den Staaten, deren Bevölkerung unter dem Schrecken des Zweiten Weltkrieg gelitten hatten, stellvertretend einen Beitrag zum Frieden und zur Aussöhnung leisten. Aus heuti- ger Sicht ist der ideologische Gebrauch Professor für Wissenschaft der Sozialen Arbeit an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Köln. Forschungsfelder: Internationale Jugendarbeit, Jugend und Europa, Politische Bildung; Kontakt: andreas.thimmel@fh-koeln.de

Für die Entwicklung der Internationalen Jugendarbeit entscheidend und typisch ist das Ringen um eine adäquate Balance zwischen außenpolitischen und jugend- pädagogischen Begründungen. Historisch-politische Entwicklung der Internationalen Jugendarbeit in der Bundesrepublik Deutsch- land Das historische Hauptmotiv für die Inter- nationale Jugendarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg war aus Sicht der Bundesre- publik Deutschland die „Wiedergutma- chung und Sühne“ gegenüber denjeni- gen Ländern und deren Bevölkerung, die das nationalsozialistische Deutschland überfallen und an denen sich dieses vor und während des Zweiten Weltkrieges an Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hatte. Die außenpoli-

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des globalen Lernens mit den Ländern des Südens. Internationale Jugendarbeit wurde aber auch als Bildungsinitiative ge- gen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus im Inland propagiert und damit gesellschaftspolitisch begründet. Die Unterstützung und der Aufbau von ju- gendpolitischen Strukturen in mittel- und osteuropäischen Ländern war eine weite- re Begründungslinie nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes in den 1990er Jahren (Russland, Kasachstan, Ukraine, Weiß- russland, baltische Staaten, Mongolei). Schließlich kamen weitere Begründun- gen zu Beginn des neuen Jahrhunderts hinzu und Internationale Jugendarbeit wurde z. B. als eine Begleitmaßnahme im Kontext der außen- und wirtschafts- politischen Strategie der Bundesrepublik gegenüber Schwellenländern wie Türkei, Brasilien und China angesehen. Schließ- lich wird im Gefolge der sog. Arabellion der Austausch mit nordafrikanischen, arabischen Staaten forciert und seit 2014 wird der Jugendaustausch mit Griechen- land verstärkt. Im Rahmen der zuneh- menden Europäisierung und des Auf- und Ausbaus der EU-Strukturen und der ein- hergehenden zunehmenden Zunahme

der Begriffe „Wiedergutmachung“ und „Sühne“ zu kritisieren, da sie suggerieren, es könne für diese Verbrechen und den Völkermord „eine Wiedergutmachung“ durch die nächste Generation geben. Mit diesem Diskurs der Erinnerung, so eine ad- äquate Formulierung heute, war zugleich der Anspruch verbunden, dass die Bun- desrepublik Deutschland zur Demokratie westlicher Prägung fähig ist und einen substanziellen Beitrag zur Völkerverstän- digung und guten Nachbarschaft leisten will und kann. Es ist unstrittig, dass die Internationale Jugendarbeit dazu einen Beitrag geleistet hat und weiter leistet. Bisher wurden aber keine wissenschaftli- chen Studien aufgelegt, die gesichert he- rausarbeiten konnten, wie dieser Beitrag auf der Makroebene genau zu fassen ist. Völkerverständigung bezog sich zuerst auf die Westintegration und die west- europäischen Länder (z. B. Frankreich) und Israel, dann seit den 1970er Jahren auch auf die mittel- und osteuropäischen Staaten (z. B. Polen, Ungarn, Tschechien). Eine besondere Rolle spielt auch der Aus- tausch mit Japan und den USA. Weitere Begründungen ergeben sich aus der Euro- päischen Integration und der Perspektive

der Kompetenz- und Zuständigkeitsver- lagerung nach Brüssel erfolgte seit Grün- dung der ersten Programmgeneratio- nen „JUGEND für Europa“ zu Beginn der 1990er Jahre kontinuierlich der Ausbau und die Vertiefung von EU-Programmen, die die Förderung von individuellen und gruppenbezogenen Austausch- und Be- gegnungsprogrammen von Jugendlichen mit immer mehr Staaten im Rahmen der EU-Osterweiterung zum Ziel hatten. Gleichzeitig gibt es Tendenzen, die eu- ropäische Jugendarbeit stärker an die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der EU-Kommission auszurichten (Stichwort Employability). Dem stehen wiederum gegenteilige Initiativen und Diskurse ent- gegen, die sich der wirtschafts-, sozial-, arbeitsmarkt- und jugendhilfepolitischen Instrumentalisierung der Internationalen Jugendarbeit entziehen. Aktuell, d. h. im Jahr 2014, verändern sich die welt- und außenpolitischen Rahmen- bedingungen erneut und substanziell. Es scheinen binationale, innereuropäische und weltpolitische Verwerfungen aufzu- brechen, deren globale Folgen aus heuti- ger Sicht noch nicht einzuschätzen sind. Zu nennen sind der Ukraine-Russland- Konflikt, die innenpolitische Entwicklung in der Türkei, die Bürgerkriege und der Völkermord in Syrien und im Irak, der Israel-Palästina-Konflikt sowie die innen-

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tische Zusammenarbeit, (3) Fachkräfte- austausch im Rahmen der Sozialen Arbeit und (4) Freiwilligenarbeit sowie inter- nationale Module in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe und den Schnitt- stellen, z. B. zur Schule oder Berufsaus- bildung, zählen. Zum anderen aber wird hier an der engen Definition von Interna- tionaler Jugendarbeit als (1) Gruppenaus- tausch festgehalten, die sich in Analogie zur Jugendarbeit (offene Jugendarbeit, Jugendbildungsarbeit, Jugendverbands- arbeit, Jugendförderung) im Rahmen der §§ 11 und 12 des Kinder- und Jugendhilfe- gesetzes (SGB VIII) darstellt. Bevor die Frage der politischen Dimen- sion der Internationalen Jugendarbeit allgemein zu erörtern ist, ist folgende Unterscheidung zu treffen. Träger der po- litischen Bildung führen in der Internatio- nalen Jugendarbeit explizit Maßnahmen oder Aktivitäten der internationalen poli- tischen Bildungsarbeit durch und setzen sich als Kern ihrer inhaltlichen Arbeit mit speziellen politischen Fragestellungen auseinander. Sie verstehen ihre Aktivitä- ten in der Internationalen Jugendarbeit als explizite Ausformulierung der poli- tischen Bildung als eigenem Teilbereich der Jugendbildungsarbeit. Träger der Aktivitäten sind insbesondere die Trä- gerverbände der politischen Bildung, die sich auf Bundesebene zur GEMINI (Ge-

der „Internationale Jugendarbeit wirkt“ IJAB/FPD 2013), deren methodischer und konzeptioneller Wissensbestand für die Internationale Jugendarbeit weiter kons- titutiv bleibt und nicht zurückgenommen werden darf, hatte zugleich eine gewisse Ausblendung der politischen Dimension und eine Trennung von den Diskursen der politischen Bildung zur Folge. Die aktuelle Neubelebung der Diskussion um die po- litische Dimension in der Internationalen Jugendarbeit versucht, die Perspektiven (individuell, institutionell, politisch) wieder stärker aufeinander zu beziehen. Dazu soll im Folgenden ein Beitrag geleistet werden. Über die politischen Begründungen für die Auswahl der Partnerländer, die politische Relevanz der Internationalen Jugendarbeit allgemein und die „Wiederkehr des Au- ßenpolitischen“ hinausgehend, werden allgemeine Überlegungen zur Verbindung von Internationaler Jugendarbeit und po- litischer Dimension angestellt. Internatio- nale Jugendarbeit wird im fachlichen und politischen Diskurs in zwei Bedeutungen gebraucht. Zum einen in seiner weiten Bedeutung, wozu (1) Gruppenaustausch und Jugendbegegnung, (2) jugendpoli-

politische Situation in China. Aus Sicht der Internationalen Jugendarbeit ist im- mer auch die jeweilige Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland und der EU eine relevante Rahmenbedingung für ihren normativen Gehalt, da die Grund- lagen der Internationalen Jugendarbeit an der Universalität der Menschenrechte orientiert sind. Auf die Bedeutung außen- politischer Themen im Jahre 2014 und den Zusammenhang zur Internationalen Jugendarbeit kann in diesem Rahmen jedoch nur verwiesen werden. Deutlich wird aber die gestiegene Relevanz außen- politischer Parameter.

Die politische Dimension in der Internationalen Jugendarbeit

Neben dieser Entwicklung unterschiedli- cher außenpolitischer Begründungen und Schwerpunktsetzungen wurde die Inter- nationale Jugendarbeit seit den 1970er Jahren von den unterschiedlichen Lesar- ten des interkulturellen Lernens geprägt (Thimmel 2001). Diese wichtige und notwendige jugendpädagogische Wende („Von der Völkerverständigung zum in- terkulturellen Lernen“ Müller 1987; Rea-

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der Kinder- und Jugendhilfe als Freiwilli- gendienst, Gruppenaustausch oder Fach- kräfteaustausch durchgeführt werden. Die politische Dimension – so die zentrale These – ist eine wichtige Hintergrundfolie für alle Aktivitäten und Maßnahmen der In- ternationalen Jugendarbeit, die in Zukunft (wieder) stärker ins Bewusstsein der Akteu- re und des wissenschaftlichen Diskurses über Internationale Jugendarbeit gerückt werden sollte. Diese politische Perspektive wurde in einigen Teilbereichen der Praxis und im fachlichen Diskurs in den letzten Jahrzehnten eher vernachlässigt. Mit den folgenden Überlegungen soll deutlich gemacht werden, dass Internationale Ju- gendarbeit unabhängig von inhaltlichen Schwerpunktsetzungen der jeweiligen Träger die Möglichkeit eröffnet, politische Denkprozesse bei den Teilnehmenden aus- zulösen und damit einen Beitrag zur politi- schen Bildung zu leisten. Diese politischen Wissensbestände und Reflexionsprozesse sind – je nach Zielgruppe, Partnerland, Konzeption – in unterschiedlicher Reich- weite anzuregen und in Gang zu setzen. Dazu bedarf es allerdings größerer An- strengungen als bisher, um eine adäquate wissensorientierte politische Begrifflich- keit und Kategorien zur Beschreibung des Politischen in den jeweils beteiligten Län- dern zu entwickeln und zu benennen. Hier stehen wir erst am Anfang unserer Überle- gungen.

meinsame Initiative der bundeszentralen Träger politischer Jugendbildung im Bun- desausschuss Politische Bildung – bap) zusammengeschlossen haben, sowie die zuständigen Akteure der politischen Bil- dung in den Jugendverbänden. Politische Themen finden explizit entsprechende Berücksichtigung im Programm – und die Teamerinnen und Teamer schenken politischen Themen in der internationalen Jugendarbeit in der Regel größere Beach- tung als die Teamenden bei anderen Trä- gergruppen der Internationalen Jugend- arbeit. Aufgrund der Verschlechterung der Rahmenbedingungen für internatio- nale Bildungsarbeit scheint es – trotz des hohen Engagements einzelner Akteure – zu einem Rückzug dieses Trägerbereichs aus der Internationalen Jugendarbeit zu kommen. Im Folgenden wird aber auf diese Sonderstellung der Träger der politischen Bildung nicht gesondert eingegangen. Auch auf diese Trägergruppe treffen alle im weiteren Verlauf des Textes genannten As- pekte im Hinblick auf die politische Dimen- sion der Internationalen Jugendarbeit zu. Im Rahmen des weiten Begriffs der Interna- tionalen Jugendarbeit gibt es eine Vielzahl von europäischen, internationalen und globalen Aktivitäten, die von den Trägern der Jugendarbeit, der Jugendverbands- arbeit, der Jugendbildungsarbeit, der Ju- gendsozialarbeit sowie von den Trägern

Elemente der politischen Dimension

In der Internationalen Jugendarbeit lassen sich Elemente herausarbeiten, in denen die politische Dimension deutlich wird, unabhängig von der Schwerpunktsetzung und der politischen Begründung im enge- ren Sinne. Diese Elemente des Politischen werden in der Praxis oft als selbstver- ständlich angesehen und sind an dieser Stelle explizit zu benennen. 1 Internationale Jugendarbeit geht erstens in ihrer Grundannahme davon aus, dass Anerkennung und prinzipielle Gleich- wertigkeit der am Austausch beteiligten Individuen, Partnerorganisationen und Länder unhinterfragt gesetzt sind. Diese normative egalitäre Anlage aller Aktivi- täten der Internationalen Jugendarbeit bleibt in der Praxis und konzeptionel- len Planung aufgrund unterschiedlicher 1 Im folgenden Abschnitt sind Überlegungen weiterentwickelt, die erstmals veröffentlicht wur- den im Handbuch „Kritische politische Bildung“ (Lösch / Thimmel (Hg.) 2010) unter dem Titel „Inter- nationale Jugendarbeit und kritische politische Bil- dung“ (Thimmel 2010) S. 497-508.

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keit kann sich im Laufe des Austauschs verfestigen oder der Konstruktionscha- rakter von sozialer Zugehörigkeit kann dekonstruiert werden. Die Internationale Jugendarbeit bietet aber auf jeden Fall die Chance, sich reflexiv mit der jeweiligen Staats- oder Nationalkonstruktion ausei- nanderzusetzen. In diesem Zusammenhang steht drittens das Konzept der „reflexiven Internatio- nalität“. Reflexive Internationalität wird hier als Perspektive verstanden, die sich aus der Verschränkung der Diskurse der Internationalen Jugendarbeit einerseits und dem erziehungswissenschaftlichen Diskurs um Interkulturelle Pädagogik / Mi- grationspädagogik andererseits ergibt. Das Internationale bietet dabei einen Bil- dungs-, Lern- und Freizeitraum, der eine differenzierende Thematisierung von Staaten, Kulturen, Lebensweisen, Werten und Normen ermöglicht, aber die Rich- tung und die Tiefe der Thematisierung nicht normativ vorgibt. Die Kategorie des ‚Nationalen‘ der beteiligten Gruppen wird in der Bildungspraxis nicht mehr als die relevante Kategorie gefasst, der sich andere Differenzlinien unterordnen. Viel- mehr werden alle Aktivitäten und das spezifische Sprechen, Denken und Han- deln der Personen aus unterschiedlichen nationalen Kontexten für die beteiligten Jugendlichen zum Anlass, die Bedeutung – oder auch Nicht-Bedeutung – unter- schiedlicher Differenzlinien in den Blick zu nehmen. Es bedarf von Seiten der Tea- menden einer sensiblen Haltung, wann und in welcher Weise die Kategorie ‚Na- tion‘ bzw. ‚Staat‘ als relevant thematisiert wird und wann sie lediglich dazu dient,

vermeintliche Grenzen zu markieren, stereotypisierende Zuschreibungen zu reproduzieren und Prozesse des „Other­ ing“ fortzuführen oder einzuleiten. Diese Lesart des Umgangs mit tatsächlichen oder konstruierten Differenzen in der In- ternationalen Jugendarbeit orientiert sich im Begriff der reflexiven Internationalität auch am Konzept der diversitätsorientier- ten Bildungsarbeit (vgl. Leiprecht 2011), verweist aber zugleich strukturell und or- ganisatorisch darauf, dass die Eigenstän- digkeit des Feldes Internationale Jugend- arbeit erhalten bleibt und nicht entgrenzt wird. Die Kategorien ‚Nation‘, ‚Staat‘ oder ‚Gesellschaft‘ bleiben situativ und kon- textabhängig relevante Kategorien im Rahmen der politischen Dimension, die als Hintergrundfolie in der Internationa- len Jugendarbeit mitschwingt. Sowohl in der face-to-face-Begegnung als auch in der medial-virtuellen Kommunikation können mit einem solchen Konzept ste- reotype Konstruktionen hinsichtlich Na- tionalität, Staatlichkeit und Kulturalität thematisiert und eine sensibilisierende Auseinandersetzung über die Relevanz unterschiedlicher Differenzlinien eröffnet werden. Viertens spielen politische Themen in der Internationalen Jugendarbeit inso- fern eine Rolle, als Auslandsmobilität im Bildungskontext bzw. Grenzüberschrei- tung dazu führen kann, über die Gestal- tung des Politischen im eigenen Land, im Partnerland sowie europa- oder weltweit nachzudenken und vermeintlich sicher geglaubte Tatsachen, Machtverhältnisse und Routinen der eigenen Perspektive im Ländervergleich kritisch zu hinterfragen.

sozioökonomischer, und sprachlicher Machtungleichgewichte oft verborgen, ist aber in der Grundanlage konstitutiv und nicht hintergehbar. politischer Auch die Aufforderung zur Partizipation bzw. der partizipativen Gestaltung der Reise und des Austauschs ist von zentra- ler Bedeutung und ist anschlussfähig an die fachliche Diskussion in der deutschen Jugendarbeitsforschung, wie sie z. B. von Benedikt Sturzenhecker und Albert Scherr (2013) als subjektorientierte Jugendar- beit und Demokratiebildung immer wie- der angemahnt wird. Eine verpflichtende Partizipation ergibt sich auch aus dem eu- ropäischen Diskurs über youth work, wie er insbesondere im europäischen Netz- werk der Partnerschaft zwischen Europa- rat und der EU in Jugendfragen geführt wird (EU / CoE-Youth-Partnership). Internationale Jugendarbeit bezieht sich zweitens auf die Auseinandersetzung mit dem Konstrukt einer „kollektiven Identität“ bzw. der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Staatsbürger(inne)n (bzw. Jugendlichen, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben), die das jewei- lige Land im Austausch „vertreten“. Die- se Zugehörigkeit der Einzelnen zu einem Staat ist ein wichtiger Ausgangspunkt der internationalen Jugendarbeit. Die indivi- duelle Bedeutung staatlicher Zugehörig-

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Je nach Setting und Zielgruppe werden damit politische Themen im engeren Sinne bearbeitet, wie z. B. Bildungs- und Jugendpolitik, Demokratie, Religion, Umwelt- und Gesellschaftspolitik, Wirt- schafts- und Sozialpolitik. Zudem werden Wissensbestände über das politische und ökonomische System der besuchten Län- der aufgebaut und/oder aktualisiert. Hier ist eine weitere Schnittstelle zur politi- schen Bildung. Fünftens zeigt sich die internationale politische Dimension in der Ausgestal- tung der bi- oder multinationalen Part- nerschaftsorientierung. Ein gemeinsa- mes Verständnis von Jugendarbeit in den Partnerländern ist wichtig für die Effekti- vität bei der Ausarbeitung gemeinsamer Konzeptionen und der Durchführung von gemeinsamen Seminaren oder anderer Austauschaktivitäten. In institutioneller Hinsicht sind Nichtregierungsorganisati- onen (NRO) in vielen Ländern Partner der außerschulischen politischen Bildung und der Jugendarbeit in Deutschland. Den Partnern fehlt oft eine finanziell ähn-

lich ausgebaute Infrastruktur bzw. eine entsprechend unabhängige Stellung im bildungs- und jugendpolitischen System, wie es in der Bundesrepublik Deutsch- land der Fall ist. Sechstens geht es auch um die Aner- kennung der Partner in der konkreten Bildungspraxis. Kritik an politischen und / oder sozialen Verhältnissen im Partnerland zu üben ist oft heikel. Eine Voraussetzung dafür ist in der Regel ein längerer Prozess gemeinsamer Erfahrung

der Akteure. So kann eine vertrauensvol- le Atmosphäre aufgebaut und eventuel- les Misstrauen abgebaut werden. Diese Kommunikationsprozesse der Beteiligten beziehen sich sowohl auf die Akteure in konkreten Gruppen bzw. den relevanten Partnerorganisationen als auch auf die Summe aller Aktivitäten, die im Rahmen der Internationalen Jugendarbeit mit dem jeweiligen Land durchgeführt wer- den. Nationale Stereotypen, die sich auf historische und aktuelle Politik beziehen und über die jeweiligen Medien, aber

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z. B. auch über das nationale Schulsys- tem transportiert werden, rahmen die Kommunikation und sind immer mitein- zubeziehen und zu reflektieren. In der Kommunikation sind Grundregeln der Diplomatie und eines adäquaten freund- lichen Umgangs zu beachten, aber auch eine spezifische Verantwortung gegen- über den z. B. am Seminar oder in der Be- gegnungsgruppe Beteiligten aus anderen Ländern. Oft herrscht in anderen Ländern eine andere Vorstellung von den Möglich- keiten der Kritik an den politischen Eliten bzw. dem politischen System eines Lan- des als in der deutschen Jugendarbeit. In der Tradition der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland ist Kritik an Politiker(inne)n und Politik „erlaubt“ und sogar erwünscht. Dies ist nicht in allen Partnerländern der Fall. Die intensive und vertrauliche Kommunikation zwischen

den Beteiligten unterscheidet z. B. das Format des binationalen Fachkräfteaus- tauschs von eher unverbindlichen Fach- tagungen. Beim letztgenannten Format kommt es selten zu persönlichen und fachlich tieferen Begegnungen. In der Planung gemeinsamer gemischt-natio- naler Seminare ist zu beachten, dass die Generierung politischer Themen oft aus nationalen Kontexten entsteht und die Partnerorganisation für das aus dem eige- nen nationalen Diskurs erarbeitete Thema noch gewonnen werden muss. Hier sind eine intensive Abstimmung und vielfach Kompromisse im Sinne der Sache not- wendig. Eine kritische Perspektive weiß dabei um die Gefahr der Instrumentali- sierung der Partner für eigene partikulare Themen und widersetzt sich dem Anlie- gen, in der Internationalen Jugendarbeit nur die eigenen Themen zu bearbeiten.

Siebtens wird auf Ebene der Struktu- ren und Angebote von Internationaler Jugendarbeit die politische Dimension schließlich auch darin gesehen, dass der Zugang zu diesem Konzept non-formaler Bildung und grenzüberschreitender Mo- bilität für Jugendliche aller Lebensalter und Milieus zu fördern und zu gewähr- leisten ist. Mobilitätsermöglichung für benachteiligte Jugendliche und junge Menschen mit geringeren Teilhabemög- lichkeiten sowie Schülerinnen und Schüler aus allen Schulformen und Ausbildungs- gängen erfordert stärkere strukturelle und finanzielle Anstrengungen im non- formalen Bildungsbereich als bisher ge- schehen. Hier besteht Nachholbedarf für zielgruppenspezifische Internationale Ju- gendarbeit. Diese zusätzliche Förderung für strukturell benachteiligte Gruppen in der Internationalen Jugendarbeit darf aber nicht zum Rückzug der öffentlichen Förderinstitutionen aus der Finanzierung von nicht zielgruppenbezogener politi- scher Bildungsarbeit und Internationaler Jugendarbeit gehen. Unterschiedliche Formate und Zielgruppen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

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Ausblick

Literatur

Internationale Jugendarbeit bietet als Methode und mit der Vielzahl unter- schiedlicher Maßnahmetypen ein hohes Potenzial, politische Bildungsprozesse anzustoßen. Dies gilt für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, Teamer und Te- amerinnen und Träger. Die Förderstruktur der Internationalen Jugendarbeit bringt es einerseits mit sich, dass sich die geför- derten Aktivitäten an außen- und gesell- schaftspolitischen Leitbildern orientieren, die dem politischen Mainstream folgen und schnellem Wandel unterliegen. An- dererseits ist in der Trägerautonomie und der Jugendpolitik auch verankert, dass es den Akteuren der politischen Bildungs- arbeit selbst überlassen bleibt, inwiefern ihre politische Bildungsarbeit den schnell wechselnden Moden folgt oder kritisch emanzipatorisch vorgeht und z. B. auch entgegen einer spezifischen Förderpoli- tik an einer Partnerschaft mit einem Land weiter festhält, das aktuell nicht unter die zu fördernden Schwerpunktländer fällt. Zu fragen ist, wie die politische Dimensi- on der Internationalen Jugendarbeit, die sich auf unterschiedlichen Ebenen ent- falten kann, verstärkt in den Diskurs und auch in die Praxis eingebracht werden kann.

• IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. / Forscher-Prakti- ker-Dialog Internationale Jugend- arbeit (Hg.) (2013): Internationale Jugendarbeit wirkt. Forschungser- gebnisse im Überblick. 2. Aufl., Bonn • Leiprecht, Rudolf (2011): Diversi- tätsbewusste Soziale Arbeit. Schwal- bach / Ts. • Lösch, Bettina / Thimmel, Andreas (Hg.) (2010): Kritische politische Bildung. Ein Handbuch. Schwal- bach / Ts. • Scherr, Albert / Sturzenhecker, Benedikt (2013): Selbstbestimmte Lebensführung und Demokratie- bildung. Oder: Warum es immer noch wichtig ist, Jugendarbeit als Ort emanzipatorischer Lernpro- zesse zu gestalten. In: Spatschek Christian / Wagenblass Sabine (Hg.): Bildung, Teilhabe und Gerechtigkeit. Weinheim und Basel 2013. S. 54-76 • Müller, Werner (1987): Von der ‚Völ- kerverständigung zum Interkultu- rellen Lernen‘ – Die Entwicklung des

internationalen Jugendaustauschs in der Bundesrepublik Deutschland. Starnberg

• Thimmel, Andreas (2001): Pädago- gik der internationalen Jugendarbeit.

Geschichte, Praxis und Konzepte Interkulturellen Lernens. Schwal- bach / Ts.

• Thimmel, Andreas (2010): Inter- nationale Jugendarbeit und kriti- sche politische Bildung. In: Lösch, Bettina / Thimmel, Andreas (Hg.): Kritische politische Bildung. Ein Handbuch. Schwalbach / Ts., S. 497- 508

• Thimmel, Andreas (2013): Von der Völkerverständigung zur

Jugendmobilität. Zur Aktualität der Internationalen Jugendarbeit. In: Jugendstiftung Baden-Württemberg (Hg.): Zukunftskonferenz Jugendmo- bilität. Broschüre zur Konferenz am 11./12.07.2013 in Stuttgart. Online unter: http://www1.fh-koeln.de/im- peria/md/content/www_nonforma- le_bildung/materialiendownlodas/ broschuere_grenzueberschreitende_ jugendmobilitaet.pdf (06.06.2014).

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… und wie sieht’s in der Praxis aus? Interviews mit Akteuren der Internationalen Jugendarbeit

Die Interviews führte Sandra Kleideiter.

Frage: Marie, du arbeitest bei der Ar- beitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke in der Bundesrepublik Deutschland. Bei euch als Zentralstelle gehen jährlich zahlreiche Anträge aus ganz Deutschland im Bereich der Interna- tionalen Jugendarbeit ein. Deine Aufgabe ist es u. a., diese Anträge und die Verwen- dungsnachweise inhaltlich zu prüfen. Wir wollen heute auf die politische Dimen- sion in der Internationalen Jugendarbeit schauen. Marie: Bei diesem Stichwort fällt mein Blick natürlich direkt auf die unterschiedli- chen Fördergeldgeber. Schaut man in de- ren Leit- und Richtlinien, findet man dort einen politischen Auftrag. Frage: Dort werden als Ziele z. B. Völ- kerverständigung, Förderung der euro- päischen Integration, Abbau von Frem- denfeindlichkeit, Friedenssicherung und Demokratiestärkung genannt. Was davon findest du in euren Anträgen wieder? Welche politischen Ziele werden verfolgt? Welche politischen Themen?

Marie Schwinning, Koordinatorin für Politische Bildung und Projekte bei der Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke in der Bundes­ republik Deutschland (AKSB); Kontakt: schwinning@aksb.de Katharina Teiting, Projektreferentin im Förderprogramm ewoca³ beim Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk e.V. (IBB); Kontakt: teiting@ibb-d.de Sandra Kleideiter, Referentin bei der afj, zuständig für Politische Bildung, Internationale Jugendarbeit und Europa; Kontakt: politische.bildung@afj.de

Marie: So explizit werden diese großen Ziele natürlich nur selten von den Antrag- stellenden benannt. Aber viele Veranstal- tungen können trotzdem einen Beitrag dazu leisten, sie zu erreichen. Sehr beliebt sind bspw. Programme mit historisch- politischen Fragestellungen und Themen. Gedenkstättenbesuche und Besichti- gungen von Kriegsschauplätzen dienen dazu, dass sich die Jugendlichen mit ihrer (gemeinsamen) Geschichte auseinander- setzen. Auch das hat eine politische Di- mension. Dann gibt es die Begegnungen, die ausdrücklich gesellschaftliche und politische Themen in den Blick nehmen. Sie zielen dann etwa darauf ab, dass die

Teilnehmerinnen und Teilnehmer beste- hende Vorurteile abbauen, ihr Demo- kratieverständnis erweitern, politische Systeme vergleichen oder sich konkret mit politischen Institutionen und Themen der EU auseinandersetzen. Manchmal werden auch konkrete Politikfelder aus verschiedenen (nationalen) Perspektiven verglichen: Umweltpolitik, Migrationspo- litik oder Energiepolitik. Ich denke, jedes dieser kleinen Ziele kann einen Beitrag zu den von dir genannten Oberzielen leisten. Frage: Katharina, du arbeitest beim Inter- nationalen Bildungs- und Begegnungs- werk (IBB). Ihr seid ein großer Träger der

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machen und sich darüber austauschen, wie schwer es in den verschiedenen Län- dern ist, einen Job zu finden oder ob es einfach ist, etwas zu finden, dass einem Spaß macht. Da sieht man, finde ich, ganz gut, dass durch internationale Begegnun- gen im non-formalen Kontext wichtige politische Fragen unserer Zeit von jungen Menschen diskutiert werden. Wichtig ist es dann nur, dass das auch aufgegriffen und mit den Teilnehmenden inhaltlich vertieft wird. Die internationalen Freund- schaften, die bei solchen Begegnungen geschlossen werden, ermöglichen es auf jeden Fall, die Perspektive von Menschen in anderen Ländern einzunehmen. Das ist ein sehr guter Anknüpfungspunkt für po- litische Bildung, denke ich. Frage: Ich selber habe eine Zeit lang auch mal Anträge geprüft. Ich kann mich noch an einen Träger erinnern, der glücklich und zufrieden beschrieb, die Jugendlichen würden nach der internationalen Begeg- nung nun mehr im Garten der Eltern hel- fen. Dies ist nicht die „politische Dimensi- on“, von der wir hier reden. Beschreiben Antragstellende ihre Maßnahmen in der internationalen und europäischen Ju- gendarbeit selber als politisch? Als einen Beitrag für eine demokratische und ge- rechte Gesellschaft? Marie: Die einen mehr, die anderen weni- ger. Bei vielen Veranstaltungen der Inter- nationalen Jugendarbeit geht es um ein erstes Kennenlernen des Alltagslebens oder der Kulturen in den anderen Län- dern, um internationale Freundschaften oder um das Ausprobieren der bisher er- worbenen Sprachkenntnisse. So hat zum

Internationalen Jugendarbeit. Seit mehr als 25 Jahren organisiert ihr Fahrten, Schü- lerbegegnungen, interkulturelle Trainings und internationale Konferenzen. Würdest du eure Begegnungsprojekte als politisch bezeichnen? Wenn ja, warum? Katharina: Auf jeden Fall! Einige unse- rer Begegnungen haben eine explizite politische Ausrichtung, behandeln also bestimmte Themen wie zum Beispiel An- tidiskriminierung. Außerdem werden bei uns aktuelle Themen wie Rassismus durch die Auseinandersetzung mit Geschichte behandelt. Gerade wenn man dann mit jungen Menschen aus unterschiedlichen Regionen Europas an historischen Orten arbeitet, entstehen oftmals sehr inter- essante Diskussionen, die weit über die historische Betrachtung hinausgehen. Die Jugendlichen sprechen dann oft da- rüber, wie in ihren Herkunftsländern mit den verschiedenen Themen umgegangen wird oder wie ihr Umfeld durch kriegeri- sche Auseinandersetzungen in der Ver- gangenheit beeinflusst wurde. Ich arbeite selber ja in einem europäischen Projekt. Hier wird auch oft Europa an sich zum Thema gemacht. Je nachdem, wo die Ju- gendlichen herkommen, tauschen sie sich zum Beispiel darüber aus, wie es war, an den Grenzen kontrolliert zu werden und überhaupt ein Visum beantragen zu müs- sen. Da wird dann schon manchmal fest- gestellt, dass es unfair ist, dass die Gruppe aus Russland nicht so einfach mal nach Deutschland kommen kann wie die spa- nischen Freunde. Gerade in den letzten Jahren passiert es auch immer öfter, dass die Teilnehmenden sich darüber unterhal- ten, wie sie denn nach der Schule weiter-

Beispiel ein Antragsteller das Ziel formu- liert, den Gästen ein möglichst abwechs- lungsreiches Programm zu bieten, so dass diese sich ein Bild von den Sehenswürdig- keiten in Nordrhein-Westfalen machen können. Einem anderen reicht es, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ler- nen, sich in einer fremden Umgebung mit einer fremden Sprache zurecht zu finden. Andere Antragstellende verstehen ihre Arbeit ganz selbstverständlich als politi- sche Bildung und arbeiten die politische Dimension der Angebote sehr konkret heraus. Sie führen dann bspw. explizit aus, dass sie durch die Veranstaltungen einen Beitrag zum Zusammenwachsen in Europa leisten, Schlüsselkompetenzen vermitteln, bestehende Vorurteile abbau- en oder das Demokratieverständnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwei- tern wollen. Frage: Wie wird dies in der Praxis umge- setzt? In welchem Begründungszusam- menhang finden eure Maßnahmen statt? Katharina: Das Programm, in dem ich arbeite, ist hier wahrscheinlich etwas speziell. Wir führen nicht nur „einfache“ Jugendbegegnungen durch, sondern for- dern von unseren Projektpartnern auch direkt eine inhaltliche Auseinanderset- zung und pädagogische Aufbereitung zum Thema Bildung für nachhaltige Ent-

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wicklung. Die praktischen Projekte, die von den Jugendlichen umgesetzt wer- den, beziehen sich also oft auf eine der Dimensionen von Nachhaltigkeit oder zumindest werden verschiedene Aspek- te immer mit eingebunden. Wichtig ist uns hierbei ein Austausch zwischen den jungen Menschen, d. h. es soll immer die Perspektive der verschiedenen Länder mit beachtet werden. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel, dass die Teilnehmen- den ein praktisches Projekt zum Thema Recycling machen und dann in mehreren Sessions erläutern, wie die Handhabung in ihren Herkunftsländern ist. Ein anderes Projekt hat sich aber auch mit dem Thema Grenzen in und um Europa auseinander- gesetzt und ein kleines Monument auf Zy- pern an der Demarkationslinie errichtet. Nach der praktischen Arbeit haben die Jugendlichen sich dann über ihre Erfah- rungen mit Grenzen unterhalten und was es bedeutet, nicht einfach in ein anderes Land oder auch nur eine andere Region reisen zu können.

Frage: Und wenn keine politischen Ziele und Themen explizit verfolgt werden – glaubst du dennoch, eine politische Di- mension in der Internationalen Jugendar- beit erkennen zu können? Marie: Auch wenn Internationale Jugend- arbeit nicht immer explizit politische Ziele verfolgt, leistet sie oftmals auch indirekt einen Beitrag zur politischen Bildung der jungen Menschen. Im Rah- men von internationalen Begegnungen agieren sie bewusst oder unbewusst als Vertreter /-innen des Landes und über- nehmen für die ausländischen Partner die gastgebende Rolle. Als Gastgebende stellen sie ihr Land, ihren Staat und die Gesellschaft vor. Dazu müssen sie sich na- türlich erst einmal selber mit ihrer Kultur auseinandergesetzt haben. Das ist eine wichtige Grundlage für politisches und gesellschaftliches Engagement. In der in- ternationalen Begegnung und in den Ge- sprächen mit Jugendlichen aus anderen Ländern finden automatisch ein Perspek- tivwechsel und eine Reflexion statt: Hier können die Jugendlichen bspw. die Ei- gen- und Fremdwahrnehmung der eige- nen Kultur abgleichen. Schließlich findet politische Bildung ja auch immer dann

statt, wenn Menschen Kenntnisse über Inhalte von politischen und gesellschaftli- chen Diskursen vermittelt bekommen. So werden sie in ihrer Meinungsbildung un- terstützt und zur Partizipation an öffent- lichen Diskursen ermutigt und befähigt. Die Jugendlichen erleben die Vorteile der Europäischen Union (EU) ganz unmittel- bar: Sie reisen ohne Probleme und auf- wändige Grenzkontrollen in ein anderes Land. Vielleicht erinnern sie sich bei der nächsten Europawahl daran, wenn mal wieder jemand fordert, die EU abzuschaf- fen. Letztendlich ist aber alles eine Frage der Reflexion. So kann ein Programm, das auf den ersten Blick nicht politisch erscheint, durch einen guten Transfer politisch werden. Andererseits wird das beste politische Programm sich nicht ef- fektiv auf die jungen Menschen auswir- ken, wenn die politische Dimension nicht reflektiert und der Brückenschlag zum eigenen Leben nicht hergestellt wird. Katharina: Ich stimme Marie da auf jeden Fall zu. Die Begegnung mit jungen Men- schen aus anderen Ländern führt, wenn sie pädagogisch begleitet wird, fast immer dazu, dass über die eigene Perspektive noch einmal genauer nachgedacht wird.

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