03-2018 D

A M S g l o b a l l l

SERVE AND MULTIPLY 3/2018

MIT BILDUNG LEBEN VERÄNDERN

...ganz persönlich:

Veränderte Herzen und verändertes Denken Letztes Jahr kam Kumara, ein 25-jähriger Singhalese aus dem Süden Sri Lankas, ans CCS, um eine Maurerausbil- dung zu machen. Er war kurz vor Kriegsende der Armee beigetreten, weil er nicht gewusst hatte, was er sonst mit seinem Leben anfangen sollte. Ungefähr fünf Jahre lang diente er in der Armee, dann trat er wieder aus. Inzwischen hat Kumara sein Leben Jesus anvertraut, was Auswirkungen auf sein Verhalten hat. Wegen seiner Ar- meevergangenheit wurde er anfangs vor allem von un- seren tamilischen Lehrlingen oft angegriffen und provo- ziert. Trotzdem ist er fröhlich geblieben und hat sich allen gegenüber stets höflich und hilfsbereit verhalten. Diese Freude und sein innerer Frieden beeindrucken mich im- mer wieder! Kumara ist als Kind leider nie wirklich in den Genuss ei- ner Schulbildung gekommen. Am CCS hatte er zum ers- ten Mal in seinem Leben Mathematikunterricht. Es war für ihn nicht einfach, mit 25 Jahren noch das Einmaleins zu lernen. Doch es ist motivierend zu sehen, wie er sich schulisch stetig weiterentwickelt und immer besser wird. Er möchte dazulernen und saugt alles in sich auf. Alles nur eine Illusion!? Das Verhalten unserer Lehrlinge im 2. Lehrjahr unterschei- det sich stark von dem von Kumara und irritiert uns immer wieder: Sie sitzen oft teilnahmslos im Schulzimmer und scheinen an nichts von dem, was wir ihnen beibringen, interessiert zu sein. Sven und Ruedi, die den Unterricht lei- ten, sind oft ziemlich frustriert. Wie lässt sich dieser Mangel an Motivation erklären? Sri Lanka ist stark buddhistisch geprägt. Im Buddhismus geht man davon aus, dass alles, das ganze Sein, das Leben, die eigene Existenz, nur eine Illusion ist. Diese Überzeugung ist tief in der Kultur verwurzelt. Wenn man mit einem sol- chen Denken aufwächst, ist es nachvollziehbar, dass die Motivation zum Lernen nicht allzu gross ist. Deshalb beten und hoffen wir, dass Jesus die Herzen un- serer Jungs wirklich verändert und sie eine neue biblische Denkweise für ihr Leben bekommen. Wir beten, dass Jesus ihnen Einsicht schenkt, welche Möglichkeiten eine solide Ausbildung ihnen für ihre Zukunft bietet, und dass ihre Le- ben nachhaltig verändert werden.

INHALT

Irene KÖRNER, Mitarbeiterin CCS Sri Lanka

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ED I TOR I A L

Wo wären wir ohne Bildung?

Sind Sie gerne zur Schule gegangen? Für mich gehörte sie damals einfach irgendwie dazu – man musste halt hin. Richtig zu schätzen lernte ich meine Ausbildung erst vor und während dem Studium, als ich mir mit di- versen Neben- und Ferienjobs mein Geld verdiente. Da wurde ich so richtig dankbar, dass ich das studieren durfte, was ich wollte – und nun auch in diesem Bereich arbeiten kann. Wichtig fürs ganze Land Wenn ich jetzt darüber nachdenke, wird mir bewusst, wie wertvoll meine Schulbildung ist.Wie könnte ichmei- nen Alltag bewältigen, wenn ich nie lesen gelernt hätte? Wie könnte ich meine Finanzen im Griff behalten, wenn mir niemand den Umgang mit Zahlen beigebracht hät- te? Wie könnte ich für mich selber und andere einste- hen, wenn ich meine Rechte nicht kennen würde? Wie könnte ich anderen etwas beibringen und sie fördern, wenn ich selber nie Förderung erlebt hätte? Und wie wichtig Bildung erst für unser ganzes Land ist! An wen würden wir uns bei einer ernsthaften Krankheit wen- den, wenn es keine guten Ärzte gäbe? Wohin mit dem kaputten Auto, wenn niemand wüsste, wie es repariert werden kann? Wer könnte uns bei Fragen zum Glauben und zur Bibel helfen, wenn sich niemals jemand intensiv damit auseinandergesetzt hätte? Wie würde unser Land aussehen, wenn niemand die Gesetze kennen und sich dafür einsetzen würde, dass sie eingehalten werden? Ohne Bildung keine Fortschritte Gute Bildung und ein gut entwickeltes Schulsystem gehören für uns in der Schweiz ganz selbstverständ- lich dazu – es ist sogar für jedes Kind obligatorisch, die Schule zu besuchen. In unseren Einsatzländern hinge- gen ist gute Aus- und Weiterbildung ein Privileg, von dem nur wenige profitieren. Das hat Auswirkungen auf die Gesellschaft. Ohne gute Bildung und die Multiplika- tion von Wissen sind kaum Fortschritte möglich – nicht in der Gesundheitsversorgung, nicht in der Landwirt- schaft, nicht in der Wirtschaft, nicht in der Politik, nicht im Bildungswesen. Um Nachhilfe angefleht Eine Kurzzeiterin hat kürzlich in ihrem Blog beschrie- ben, dass regelmässig Kinder aus der Nachbarschaft zu ihr kommen und inbrünstig um Nachhilfe betteln (Seite 17). Das hat mich tief berührt. Bildung wird gebraucht – und gewollt. Geben wir unser Know-how weiter! Es wird Leben verändern.

Sarah BRÜHWILER, Kommunikation

Unser «Igel»: Mit Bildung Leben verändern

Es gibt unendlich viele Bedürf- nisse und Nöte in dieser Welt. Als SAM global können wir leider nicht allen begegnen, dazu feh- len uns die Ressourcen. Um aber nicht gelähmt dazustehen, son- dern in gewissen Bereichen einen Unterschied machen zu können, müssen wir unseren Igel kennen. Moment – unseren Igel? Der Wirtschaftswissenschaftler Jim Collins ist nach aufwändigen Re- cherchen zum Schluss gekommen, dass es für jedes Unternehmen ent- scheidend ist zu wissen, worin es wirklich gut ist und wo seine Leiden- schaft liegt und sich dann darauf zu konzentrieren. Er spricht vom «Igel- Prinzip»: Ein Igel weiss genau, was er am besten kann – sich bei Gefahr zusammenrollen und seine Stacheln ausfahren. Also fokussiert er sich da- rauf und beherrscht diese Strategie perfekt. Was macht uns als SAM global aus, wo liegen unsere Kompetenzen, was ist unsere Leidenschaft? Darü- ber haben wir uns als Team Gedan- ken gemacht und sind zum Schluss gekommen: Unser Igel ist «Mit Bil- dung Leben verändern»! Was ist damit gemeint? In unserer Arbeit legen wir schon seit längerem viel Wert darauf, die Leute vor Ort in verschiedenen Be- reichen und auf unterschiedlichen Ebenen auszubilden. Wir sind über- zeugt, dass wir so die Entwicklung in unseren Einsatzländern am besten unterstützen können. Es geht uns dabei nicht darum, möglichst viel Information weiterzugeben, son-

dern die Menschen so zu schulen und zu prägen, dass sich ihr Leben sowie ihr Umfeld ganzheitlich und langfristig verändern. Dazu gehö- ren die Vermittlung von Fachwis- sen, Werten, Rechten und Pflichten sowie die Weitergabe der Botschaft der Versöhnung. Nur wenn die Men- schen vor Ort gut ausgebildet sind, können sie eine angemessen be- zahlte Arbeit finden, aus der Armut ausbrechen und wirklich Verantwor- tung übernehmen – für sich selbst, ihre Familien und die Gesellschaft. Zudem braucht ein Land gut ausge- bildete Fachkräfte, um Fortschritte zu machen – sei es in der Medizin, in der Landwirtschaft, im Bildungssek- tor oder in der Regierung. Ausbildung ist uns dabei auf allen Stufen wichtig: Wir investieren in Kindergärten, Primar- und Sekun- darschulen, besuchen die Eltern der Schülerinnen und Schüler, um die Familien positiv zu prägen, und engagieren uns in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen. Für Jugendliche und junge Erwach- sene bieten wir eine duale Berufs- ausbildung an, in der Theorie und Praxis verknüpft werden. Wir bilden Fachkräfte verschiedener Bereiche praktisch aus und begleiten sie im Arbeitsalltag. In der theologischen Ausbildung ist uns wichtig, aufzu- zeigen, wie die Botschaft der Bibel im entsprechenden Kontext zu ver- stehen ist, damit sie Leben positiv verändert, und Studierende und Pastoren zu motivieren, sie dement- sprechend weiterzugeben. In den Ländern, in denen der Nationalisie- rungsprozess läuft, fördern wir die Organisationsentwicklung und die Kompetenzen der Mitarbeitenden. Bildung soll auch dazu führen, dass

Projekte ohne unsere Leitung und Präsenz vor Ort weitergehen. Jedes Projekt, das wir übergeben können, setzt wieder Ressourcen frei und un- sere Mitarbeitenden können andere Aufgaben anpacken und neue Leute ausbilden. Serve And Multiply: Leute ausbilden, sodass sie andere ausbilden können Wir wollen Menschen dienen (serve), indem wir sie fördern und aus- und weiterbilden. Sie werden befähigt, das Gelernte in der Praxis umzuset- zen und selber Verantwortung zu übernehmen. Nur wenn sie etwas umfassend verstehen und als wichtig erachten, können und wollen sie es auch an andere weitergeben (multi- ply). Und das ist unser Ziel – wir wol- len so in Menschen investieren, dass sie zu Multiplikatoren werden und selber wiederum andere ausbilden, in allen Bereichen. So zieht unsere Ar- beit immer weitere Kreise – weit über unser persönliches Wirken hinaus. Für mich persönlich ist es jedes Mal ein Highlight, wenn ich Leute antref- fe, die ich vor vielen Jahren geschult habe, beispielsweise Laienpastoren in Guinea oder Theologiestudenten in der Schweiz, und sehen darf, dass sie das Gelernte an andere weiterge- ben und so Know-how multipliziert wird.

Jürg PFISTER, Leiter SAM global

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«Bildung ist ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung»

Daniel Neuhaus lebt seit über 20 Jah- ren in Afrika und arbeitet dort für den internationalen Verband christlicher Schulen ACSI (Association of Christi- an Schools International). Wir wollten von ihm wissen, weshalb Bildung so wichtig ist, wie gute Bildung aussieht und wie sich christliche Werte auf die Ausbildung auswirken. Daniel Neuhaus, seit einigen Jahren liegt in der Entwicklungszusammenarbeit ein besonderer Fokus auf Bildung. Weshalb? Bildung ist eng mit der Würde des Men- schen verbunden, denn sie kann eine Person aus der Dunkelheit herausholen. Eine gebildete Person wird zu einer wich- tigen Stütze der Gesellschaft. Bildung ist dadurch ein Schlüsselfaktor für die Ent- wicklung der Länder und das Wohlerge- hen der Menschen. Weshalb ist Bildung in Entwicklungslän- dern häufig mangelhaft? Die Regierungen sind oft völlig über- fordert von den Bedürfnissen und der Anzahl der Kinder, die zur Schule gehen sollten. Vor kurzem sagte ein Vertreter der Regierung der Elfenbeinküste, dass allein in einem einzigen Stadtteil von Abidjan täglich über 520 Kinder gebo- ren werden – die Schulen müssten re- gelmässig dementsprechend erweitert werden. Ein weiteres Problem ist die Art des Unterrichts: Es geht in der Schule nur darum, etwas auswendig zu lernen und möglichst viele Diplome zu erhalten und nicht etwa darum, etwas wirklich zu be- greifen und anwenden zu können. Welche Kompetenzen sollten in der Aus- bildung besonders gefördert werden? Jedes Kind sollte eine allgemeine Grund- bildung erhalten und dann seinen Fähig- keiten entsprechend ausgebildet wer- den. Das Ziel der Schulbildung soll nicht nur sein, Diplome zu erhalten, sondern Know-how, praktische Fertigkeiten und Lebenskompetenzen zu erlangen. Die Bildungspolitik muss sich an der so- zioökonomischen und kulturellen Ent- wicklung eines Landes orientieren, denn der Qualifikationsbedarf der zukünftigen

Arbeitsnehmenden ist in jedem Land ein anderer. Beispielsweise sollte ein Land wie Gabun, das hauptsächlich von der Rohölproduktion abhängig ist und fast alle seine Nahrungsmittel importiert, den Agrar- und Viehsektor sowie die Fischerei und den Bergbau weiterent- wickeln und entsprechende Fachkräfte ausbilden. Aus meiner Sicht ist es zudem wichtig, dass Spiritualität ein integraler Bestand- teil von Bildung ist. Wenn Kinder er- fahren, dass sie einen Vater im Himmel haben, der sie liebt, haben sie die Mög- lichkeit, ihn kennenzulernen und seinen Plan für ihr Leben zu entdecken. Ich bin überzeugt, dass Gott seine Kinder ge- mäss Josua 1:8 in ihrer Aufgabe und ih- rem Beruf segnen wird – egal ob sie als Leiter, Unternehmer, Bauern, Handwer- ker oder Händler tätig sind oder in der Kirche arbeiten. Braucht es im Bereich Bildung noch Un- terstützung aus dem Norden? Wenn ja, wo? Vor allem müssen qualifizierte Lehrer ausgebildet und Schulen gebaut wer- den, insbesondere in ländlichen Ge- bieten. Die Türen dafür stehen in vielen Ländern weit offen: häufig gewähren die Regierungen kostenloses Land sowie die benötigten Genehmigungen für die Eröffnung von Schulen. Ein weiterer Bereich sind die Fach- und Berufsschulen, denn dort besteht be- sonderer Nachholbedarf: Es braucht mehr Schulen, die praktische und tech- nische Fertigkeiten vermitteln und Be- rufsmöglichkeiten eröffnen. Den weni- gen Berufsschulen, die es gibt, mangelt es an geschultem Personal und der be- nötigten Infrastruktur. Dabei könnten gut ausgebildete junge Erwachsene sehr viel zur Entwicklung der Länder im globalen Süden beitragen. Im Norden verfügen wir über viel Know-how und ausgereifte Berufsbildungssysteme, die relativ einfach an die Bedingungen im Süden angepasst werden können und die hier viel bewirken. Aus meiner Sicht ist es zudem wichtig, dass das Weitergeben der Guten Nach- →

richt ein natürlicher Teil der Schulbildung ist. Die Bi- bel ist nicht nur dazu da, um zu predigen, sondern auch, um zu lehren, zu korrigieren und gute Werte wie Gerechtigkeit und Ehrlichkeit weiterzugeben und zu stärken, was alles auch in einer Schule wichtig ist. Schule und Kirche fördern sich gegenseitig – Jo- hannes Calvin sagte einmal: «Die Kirche blüht nicht ohne Schule.» Christliche Schulen sind im französischsprechenden Afrika, aber auch in anderen Gebieten sehr beliebt. Weshalb ist das so? Einen Grund sehe ich darin, dass die Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler respektieren und prak- tisch nie streiken. In öffentlichen Schulen sieht das ganz anders aus. So ist die Wahl der Eltern schnell getroffen. Zudem gelten die christlichen Schulen all- gemein als erfolgreicher: Im Tschad bestanden 2015 nur 15 % aller Maturanden der öffentlichen Schulen die Abschlussprüfungen – bei christlichen Schulen lag die Erfolgsquote bei 75 %. Zudem bin ich überzeugt: Wenn Gott im Zentrum einer Schule steht, segnet er sie und das hat Auswir- kung auf die Atmosphäre – sie ist geprägt von Frie- den, Disziplin, Freude und gegenseitigem Respekt. Welche Auswirkungen hat der christliche Glaube auf die Schülerinnen und Schüler?

Unsere Weltsicht hat einen direkten Einfluss auf unser Leben. Wenn wir glauben, dass Gott das Universum und alles darin erschaffen hat, führt das zu Anerkennung und Respekt für die Schöpfung und die Menschen und zu einem grösseren Vertrauen ins Leben. Es stärkt die ei- gene Identität und die Motivation. Was ist das Hauptanliegen von ACSI? Wir möchten christliche Schulen stärken und Lehrpersonen und Schulleitungen fachlich und theologisch weiterbilden und sie dazu in- spirieren, Gottes Liebe weiterzugeben. Dafür organisieren wir Fortbildungsseminare und produzieren Unterrichtsmaterialien in mehre- ren Sprachen. Wir möchten den Schulen dabei helfen, effektiv zu sein und einen spürbaren po- sitiven Unterschied in der Gesellschaft und im Land zu machen.

Daniel Neuhaus, Direktor von ACSI Frankophonie

SAM global arbeitet im im Bereich der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen im Tschad mit ACSI zummen.

Facts: Kinder von Müttern , die lesen können , haben eine 50 % höhere Chance, das 5. Lebensjahr zu erreichen. In Entwicklungsländern steigt mit jedem Ausbil- dungsjahr das spätere Einkommen um 10 %. Bildung fördert Frieden: Jedes zusätzliche Jahr Schulbildung senkt das Risiko, dass sich eine Person an einem gewalttägigen Konflikt beteiligt, um 20 %. Personen mit einem Primarschulabschluss ste- cken sich halb so oft mit AIDS/HIV an wie Personen ohne Primarschulbildung. Bildung hilft, die Ausbrei- tung ansteckender Krankheiten zu verhindern. Frauen mit sechs oder mehr Jahren Ausbildung suchen während der Schwangerschaft und der Ge- burt viel eher medizinische Unterstützung auf als ungebildete Frauen. Dadurch besteht ein deutlich kleineres Risiko, dass Mutter oder Kind bei der Ge- burt sterben. Ausgebildete Frauen heiraten im Normalfall später und haben weniger Kinder.

Quelle: globalpartnership.org

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Bildung und Glaube – gibt es einen Zusammenhang?

Im Tschad haben vor allem ältere Menschen aus dem Süden ein hohes Bildungsniveau, da sie noch vor oder gerade nach dem Erlangen der Unabhängigkeit 1960 ihre Ausbildung absolvieren konnten. Im Laufe der darauffolgenden Jahre sank das Niveau an den öffentlichen Schulen nach und nach und befindet sich nun auf einem Tiefpunkt. Ein Grund dafür ist, dass man mit der Unabhängigkeit auch vom Schul- system der Kolonialherren wegkommen wollte, sah man doch hinter diesem die westliche Kultur und das Christentum. Und dies, obwohl die öffentlichen Schu- len schon seit längerem laizistisch, also getrennt von der Kirche, geführt wurden. Heutzutage hängt das Bildungsniveau einer Person im Tschad stark vom sozialen Status der Familie ab. Wir be- gegnen hier sehr häufig Muslimen, die nicht lesen und schreiben können und die sich auch nicht darum be- mühen, dass ihre Kinder zur Schule gehen können. Ihre Denkweise ist oft von Fatalismus geprägt. Einige sagen: «Es ist nicht schlimm, wenn mein Kind nicht lesen kann. Gott wird eine Lösung finden.» Wir kennen Kinder in un- serer Ortschaft, die ganz in der Nähe der öffentlichen Schule wohnen, aber nicht für den Unterricht einge- schrieben sind. Wir beobachten, dass sie häufig schon im Alter von 12 oder 13 Jahren mit Komplexen und Eifer- sucht gegenüber denjenigen Kindern, die zur Schule ge- hen, zu kämpfen haben. Sie werden kein einfaches Leben haben. Oft melden sich solche Jungs früh für die Armee und werden an die Front geschickt. Im Dorf selber sind ihre Zukunftsaussichten alles andere als rosig: Durch die Ausbreitung der Dörfer und Städte verschwinden die kul- tivierbaren Böden zunehmend. Es wird schwieriger, von der Landwirtschaft zu leben, und eine andere Arbeit zu finden, ist ohne Ausbildung fast unmöglich – denn häu- fig können diese Kinder auch nicht lesen, schreiben oder rechnen.

Kinder in eine Schule mit einer anderen Glaubensgrundla- ge zu schicken? Mögliche Antworten: • Gut ausgebildeten Muslimen ist bewusst, wie schwie rig das Leben für diejenigen ist, die keine Bildung haben. Sie haben keine Berufschancen und stehen am Rand der Gesellschaft. Durch Bildung öffnen sich jedoch Türen in ganz unterschiedliche Gebiete. Für diese Muslime ist Bildung nicht gleichbedeutend mit «Verwestlichung», also mit der Übernahme von Ideen, Verhaltensweisen und Strukturen aus der westlichen Welt. Für sie ist die Qualität der Ausbildung wichtiger als der religiöse Aspekt. • Christliche Schulen im Tschad sind bekannt dafür, dass die Lehrpersonen den Kindern freundlich begeg- nen und sich gut um sie kümmern. Sie gehen auf all- fällige Schwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler ein und pflegen Kontakt zu den Familien. • Die christlichen Lehrpersonen verhalten sich vorbild- • lich, sie rauchen und trinken nicht. • An den Privatschulen gibt es kaum je Streiks und die Lehrer sind selten abwesend. • Da die Kinder auch Ansichten kennenlernen, die sich von denjenigen der Eltern unterscheiden, gewinnen sie an Reife und erwerben die Kompetenz, zu disku- tieren und eigene Standpunkte zu vertreten. Sie er- halten eine differenziertere Sicht der Welt, die ihnen erlaubt, gut durchdachte Entscheidungen zu treffen. Ein langer Weg, der sich lohnt Es ist interessant, festzustellen, dass sich die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler, die eine höhere christliche Schule abgeschlossen haben, im Leben gut bewähren. Sie zeichnen sich durch Aufrichtigkeit, Integrität und Treue aus und machen dadurch einen Unterschied in der Bevöl- kerung. Der Weg ist lange, aber wir sind überzeugt, dass eine Ausbildung, die auf biblischen Prinzipien beruht, zu einer positiven Entwicklung der Gesellschaft beiträgt.

Muslimische Kinder an christlichen Schulen

Gleichzeitig kennen wir viele gut gebildete Muslime, die, wenn sie die Mittel dafür haben, ihre Kinder an eine der privaten christlichen Schulen schicken, von denen es im Tschad mehrere gibt. Warum sind diese Eltern bereit, ihre

Florent NANG-TOUR & Patricia MOSER, ProRADJA’, Tschad

Angola Die Herausforderung : Schlechte medizinische Versorgung und feh- lendes Wissen, vor allem in den Be- reichen Augenmedizin (grauer Star), Lepra und Rehabilitation. Was wir tun : SAM global bildet Fachpersonen in der Augenmedizin, Lepraversorgung und Rehabilita- tionsarbeit aus, die ihr Fachwissen dann wiederum an andere weiter- geben.

Guinea Die Herausforderung : Viele Analphabeten, schlechte Schulbildung, kaum duale Berufsbildung und hohe Ju- gendarbeitslosigkeit. Was wir tun : SAM global bildet Kindergärtnerinnen und Kindergärtner sowie Lehrpersonen aus, hat verschie- dene Privatschulen und Kindergärten aufgebaut und bietet an drei Standorten eine duale Handwerkerausbil- dung an. Immer wieder werden Lehrabgänger dabei un- terstützt, eine eigene Werkstatt zu eröffnen und selber junge Erwachsene auszubilden. Die Herausforderung : In der Kirche braucht es mehr glaubwürdige und gut ausgebildete Leiterinnen und Leiter. Was wir tun: SAM global bildet einheimische Kursleiter aus, die dann wiederum Bäuerinnen und Bauern darin schulen, wie sie ihren Ertrag durch bessere und nachhal- tigere Anbaumethoden wesentlich steigern können. Die Herausforderung : In der Kirche braucht es gut aus- gebildete, glaubwürdige Leiter. Was wir tun : SAM global bildet Personen in den Berei- chen Kinder- und Ehearbeit sowie Theologie aus und be- gleitet sie in ihrer Arbeit.

Brasilien Die Herausforderung : Die Kriminalitätsrate in Belém ist enorm hoch – die Stadt gehört zu den zehn gefährlichs- ten weltweit. Gründe dafür sind unter anderem die grosse Armut und die schlechte Schulbildung in den Slums, wo- durch Jugendliche keine Perspektive für die Zukunft ha- ben. Oft driften sie schon früh in die Kriminalität ab. Was wir tun: Mit Kindergärten, Stützunterricht und Frei- zeitangeboten werden Kinder und Jugendliche gefördert und dabei unterstützt, eine Ausbildung zu machen. Damit haben sie eine Chance auf einen richtigen Beruf – und die Möglichkeit, aus demTeufelskreis von Armut und Krimina- lität auszubrechen.

Ein paar Beispiele, welche Herausforderungen im Bereich Bil Situation in unse

Kamerun Die Herausforderung : Viele Flüchtende und Migranten zie- hen nach Maroua, den Hauptort der Region «Hoher Norden». Dort mangelt es aber an Ausbildungsmöglichkeiten. Was wir tun: Gemeinsam mit der einheimischen Kirche UEEC eröffneten wir 2017 eine Sekundarschule, die 470 Schülerin- nen und Schülern eine qualitativ gute Schulbildung ermög- licht. Die Herausforderung : Viele Mädchen brechen im Alter von 10 oder 11 Jahren die Schule ab, da sie im Haushalt mithelfen müssen. Oft werden sie sehr jung verheiratet. Was wir tun : Gemeinsam mit der UEEC wurde eine Hauswirt- schafts- und Lebensschule für Mädchen gegründet. 62 junge Frauen zwischen 15 und 25 Jahren, welche die Schule früh- zeitig verlassen mussten, erhalten hier eine zweite Chance. Während der dreijährigen Ausbildung lernen sie zu lesen, zu schreiben und zu rechnen und werden in Gartenbau, Haus- wirtschaft, Nähen, Stricken und Informatik geschult. Die Herausforderung : Jeden Sonntag versammeln sich Mit- glieder der UEEC an insgesamt 754 Orten, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern. In der UEEC gibt es aber nur 125 Pasto- ren, 308 Evangelisten und 114 Katechtinnen und Katecheten, was nicht ausreicht, um alle Gruppen zu betreuen. Was wir tun : Wir unterstützen die drei Bibelschulen der Part- nerkirche bei der Ausbildung von Pastoren. Seit 2018 werden am theologischen Institut von Maroua neu auch Theologen auf Bachelor-Niveau ausgebildet.

Burkina Faso Die Herausforderung : Die Peul sind eine muslimische Volksgruppe, die unter anderem im Osten Burkinas lebt. Die meisten von ihnen hatten noch nie die Gele- genheit, die frohe Botschaft von Jesus zu hören. Was wir tun : Gemeinsam mit der Partnerkirche EE/SIM bilden wir interkulturelle Einsatzleistende theologisch und praktisch aus, damit sich diese in dem Gebiet nie- derlassen können und durch ihr Leben und ihre Arbeit die Liebe Gottes bezeugen können.

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China Die Herausforderung : Viele ältere Personen in China, die in Armut aufge- wachsen sind, konnten nie eine Ausbil- dung absolvieren und können weder lesen noch schreiben. Etliche von ih- nen nehmen im Alter ihre Enkelkinder bei sich auf, da deren Eltern als Wan- derarbeiter unterwegs sind. Was wir tun : SAM global bietet älte- ren Menschen in Zusammenarbeit mit einem chinesischen Partner Alphabe- tisierungsprogramme an. Zurzeit neh- men 130 Personen regelmässig an die- sen Kursen teil. Die Herausforderung : Das Christen- tum breitet sich in China sehr schnell aus. Pastoren sind aber oft mangelhaft ausgebildet und überfordert mit ihrer grossen Arbeitslast. Was wir tun : SAM global bietet Retrai- ten für Pastoren an. Dort können sie auftanken und erhalten neue Impulse und Unterstützung.

Tschad Die Herausforderung : Im Tschad brechen 6 von 10 Kindern die Schule be- reits im Primarschulalter ab. Weniger als 4 von 100 Schülern und nur gerade 1 von 100 Schülerinnen schaffen es bis zur Matur. Was wir tun : SAM global leitet die Primarschule Moustakhbal wa Radja‘ mit rund 270 Schülerinnen und Schülern. Zudem unterstützen wir die von einer lokalen Kirche gegründete Primar- und Sekundarschule mit über 500 Schü- lern sowie die zwei Vorschulklassen des Kinderheims Bakan Assalam. Die Herausforderung : Eltern delegieren die Erziehung der Kinder häufig an die Schule. Viele Kinder wachsen ohne Vorgaben und Leitplanken auf. Orien- tierungs- und Sinnlosigkeit machen sich breit. Was wir tun : Wir bilden Leiterinnen und Leiter für Kinderclubs, Sonntags- schule und Jugendarbeit aus. Diese vermitteln den Kindern wichtige Kom- petenzen für das Leben wie Beziehungsfähigkeit, Kritikfähigkeit, Verantwor- tungsbewusstsein, Selbstwert und Orientierung. Die Herausforderung : Die christlichen Grundschulen im Tschad überneh- men einen grossen Teil der Bildungsverantwortung, die eigentlich der Staat tragen müsste. Leider sind die Lehrkräfte oft zu wenig gut ausgebildet. Zu- dem wissen nur wenige, wie sie ihre eigenen christlichen Werte den Schü- lern weitergeben können. Was wir tun : Zusammen mit dem Verband christlicher Schulen im Tschad bilden wir Lehrkräfte weiter. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Vermittlung biblischer Werte.

ung in unseren Einsatzländern bestehen – und was wir dagegen tun en Einsatzländern

Sri Lanka Die Herausforderung : Die Jugendarbeitslo- sigkeit in Sri Lanka ist sehr hoch. Jugendliche mit schlechter Schulbildung haben praktisch keine Chance auf eine Arbeitsstelle. Was wir tun : Mit der Handwerkerschule CCS bietet SAM global solchen Jugendlichen eine Ausbildung zur Baufachperson. So er- halten sie eine Perspektive für die Zukunft. Die Herausforderung : Gute theologische Bildung ist ein grosses Bedürfnis in Sri Lanka. Was wir tun : SAM global hilft durch Finan- zen und Experteneinsätze mit, dass jährlich ca. 80 Personen eine solide Ausbildung im Bereich Theologie absolvieren und ihr Wis- sen danach an andere weitergeben können.

Kambodscha Die Herausforderung : Das Schulsystem in Kambodscha ist stark von Korrup- tion geprägt. Jugendliche aus ländlichen Gegenden, die in der Stadt eine Aus- bildung machen wollen, geraten oft an die falschen Leute und werden ausge- beutet. Was wir tun : Mit dem Projekt Lighthouse bietet SAM global Jugendlichen Zu- gang zu einer guten Privatschule sowie ein sicheres Zuhause. Die Herausforderung : Viele Menschen in ländlichen Gebieten leben in bitterer Armut. Etliche von ihnen sind Bauern. Was wir tun : Wir stellen bei Bauern Kühe unter und schulen sie darin, wie sie Kälberaufzucht betreiben und so ein gutes Einkommen erwirtschaften können.

Bildung verändert!

Lighthouse Battambang, Kambodscha

Aus unseren Einsatzländern erhalten wir im- mer wieder ermutigende Statements und Ge- schichten, die zeigen, was Bildung auf allen Ebenen bewirken kann. Hua Mei, China «Was ich an dieser Retraite lernen und einüben konnte, ist von unschätzbarem Wert. Ich kam aus tiefer Dunkelheit und litt unter meiner Schwach- heit. Gott gab mir präzise Antworten auf meine wichtigsten Fragen. Ich weiss, dass ich das Gelernte nun in meinem Alltag umsetzen muss, und das ist Knochenarbeit. Aber wie wir an der Retraite so oft hörten: Gott ist in seiner Liebe mit mir.» Pastor aus China Action VIVRE Süd, Guinea «Ich bin nur ein einfacher Arbeiter, habe gerade ein- mal fünf Jahre in der Schule verbracht. Seit ich von den ActionVIVRE-Mitarbeitenden gelernt habe, Ver- brennungen zu behandeln, sehen mich die Leute in der Stadt mit anderen Augen an. Oft werde ich von Menschen auf dem Markt angesprochen; sie schät- zen mich, weil ich ihnen geholfen habe. Nicht selten bekomme ich für mich und meine Familie Geschen- ke wie Bananen, Orangen oder gar ein Huhn.» L. Sa- dio, Wächter einer Mitarbeiterfamilie Reha-Arbeit, Angola «Ich absolvierte eine Ausbildung an der Kranken- pflegerschule, weil ich Menschen, die leiden, nahe sein und ihnen helfen möchte. Es ist mir wichtig, in meinem Beruf Patienten genau so zu behandeln, wie sie es brauchen, und sie durch meine Hände et- was von Gottes Liebe erfahren zu lassen.» Fernando Chilpalanga wurde von SAM global-Mitarbeiterin Elisabeth Gafner ausgebildet und ist heute für die Rehabilitationsarbeit in Mapunda verantwortlich.

«Durch meine Anstellung bei Lighthouse konnte ich sehr viel über mich selbst lernen. Ich bin nun in der Lage, viel ausgeglichener auf- zutreten und meine Aufgaben ernst zu nehmen. Dank dem täglichen Umgang mit den Studierenden habe ich zudem gelernt, meine Mit- menschen besser zu verstehen und ihre Bedürfnisse zu erkennen. Ich möchte weiter dazulernen und das Gelernte auch zu Hause in die Tat umsetzen.» Varun, Mitarbeiterin im Lighthouse Action VIVRE Nord, Guinea «Das Praktikum imKindergarten gabmir ein zweites Standbein neben meiner Reparaturtätigkeit von elektronischen Geräten. Ich habe ent- deckt, wie gerne ich mit Kindern arbeite, und gelernt, ihre Lebenswelt immer besser zu verstehen. Durch die Arbeit imKindergarten kann ich der Gesellschaft etwas zurückgeben und Spuren hinterlassen.» Mon- sieur S. Diamé ist seit dem Start des Kindergartens dabei und führt in- zwischen selber eine Klasse. Pro ESPOIR, Guinea «Die Ausbildung zum Laienpastor ermöglicht mir, die frohe Botschaft von Jesus Christus weiterzugeben und Christen in ihrem Glauben zu stärken. Das, was ich gelernt habe, ist sehr wertvoll und ich wende es gerne in meinem Leben an – beispielsweise erzähle ich meinen Kindern von Gottes Liebe und zweimal pro Woche treffen wir uns als Kleingruppe bei mir zu Hause. Ich bin Teil der Gottesdienstleitung in unserer Kirche und predige manchmal. Zudem besuche ich regelmäs- sig Treffen wie beispielsweise diejenigen zur Überprüfung neu über- setzter Bibelteile. Die Ausbildung hat meine Liebe für Gottes Wort geweckt. Manchmal erwache ich mitten in der Nacht, dann nutze ich die Zeit, um in der Bibel zu lesen. In der Stille hilft mir Gott, sein Wort besser zu verstehen. Das Gelernte verändert mich auch persönlich: Wenn es Probleme gibt, werde ich nicht mehr aufgeregt oder gar wütend, wie das früher oft der Fall war, sondern kann ruhig bleiben und zur Versöhnung beitra- gen.» Joseph Koivogui absolviert derzeit eine Ausbildung zum Laien- pastor.

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das OM als ihre Berufung entdecken! Hanna, Beraterin OM, Kamerun

Medizinische Arbeit: Praxis statt Theorie In der medizinischen Arbeit Oeuvre Médicale (OM) in Kamerun sind die Mitarbeitenden die wohl wichtigs- te Ressource. Doch wie gelangt man an qualifizierte Mitarbeitende – in einem Land mit sehr theoretischer Schulbildung, wo die Schüler oft nicht realisieren, dass der Lernstoff etwas mit dem praktischen Leben und Arbeiten zu tun hat? In einem Land, in dem die Stu- dierenden allem Anschein nach nur auf einen Job in der Administration oder im Bildungswesen vorbereitet werden? Und wo junge Leute meinen, allein eine An- stellung beim Staat sei erstrebenswert? Statt junge Erwachsene direkt nach Schulabschluss an- zustellen, haben wir im OM ein eigenes Ausbildungs- konzept entwickelt: Wir nehmen Schulabgänger als Praktikanten auf und bilden sie während zwei Jahren in Theorie und Praxis aus. Regelmässig absolvieren sie Einsätze in den Gesundheitszentren, wo sie von erfah- renen Mitarbeitenden begleitet und dabei unterstützt werden, das Gelernte in die Praxis umzusetzen. Diese zwei Jahre bieten den Lehrlingen die Möglichkeit, ihre Gaben und Fähigkeiten zu entdecken und zu entwi- ckeln. Diejenigen, die weiterhin im Gesundheitswesen arbeiten möchten und dafür geeignet sind, erhalten nach dem Praktikum Unterstützung für eine staatlich anerkannte Ausbildung – als Krankenpfleger, Labo- rant, Hebamme oder im Verwaltungsbereich. Sie ver- pflichten sich dazu, danach im OM zu arbeiten. Perso- nen, die für eine leitende Aufgabe in Frage kommen, absolvieren vor der Fachausbildung noch ein Jahr Bi- belschule, um eine solide geistliche Basis zu erhalten. Mit diesem Konzept haben wir sehr gute Erfahrun- gen gesammelt. Moussa H. Satou hat zum Beispiel vor mehreren Jahren bei uns als Praktikant angefangen und leitet heute als Koordinator das Werk. Damdam Damaris hat ebenfalls zuerst ein Praktikum absolviert, letztes Jahr das Hebammendiplom erworben und arbeitet jetzt im OM. Sossay hat eine Ausbildung als Laborant abgeschlossen und eignet sich mit seiner ruhigen und genauen Art perfekt, um die Laborunter- suchungen durchzuführen. Seit Juli 2017 absolvieren zehn neue junge Leute ein Praktikum. Wir hoffen, dass die meisten von ihnen die medizinische Arbeit und

Das OM wurde vor über 50 Jahren von interkulturellen Mitarbeitenden gegründet und läuft heute unter kameru- nischer Leitung als Teil der Kirche UEEC. Saran, das Mädchen vom Lande Kürzlich traf ich denVater von Saran. Saran hat über vie- le Jahre die ActionVIVRE-Schule besucht. Letztes Jahr ist sie zu ihrem Bruder nach Kankan, eine grosse Stadt im Nordosten Guineas, gezogen. In einer Privatschule absolvierte sie die 10. Klasse. Ihre neuen Mitschülerin- nen und Mitschüler beachteten sie kaum und spotte- ten teilweise über sie, denn Saran hatte kein Handy, auch keine schönen Kleider, sie war eben ein Mädchen vom Lande. Zudem ist allgemein bekannt, dass die Schulbildung auf dem Land viel schlechter ist als in der Stadt, und so waren alle überzeugt, dass sie das Schul- jahr ohnehin nicht bestehen würde. Saran war frustriert und erzählte ihrem Vater von der Situation. Dieser riet ihr, sich aufs Lernen zu konzentrieren und alles andere, auch das Gerede von den Schulkollegen, vorerst auf die Seite zu schieben. Saran hat diesen Rat Gott sei Dank befolgt und fleissig gelernt. Beim Zwischenzeugnis war sie Klassenbeste. Alle staunten. Wie hatte sie das nur geschafft? Wo kam denn nur dieses Mädchen her? «Die Ausbildung in der ActionVIVRE-Schule hat das Funda- ment für diese tollen Leistungen gelegt», sagt der Vater strahlend. «Saran hat hier eine gute Grundbildung er- halten. Das hat ihr geholfen, in der Grossstadt schulisch nicht nur den Anschluss zu finden, sondern sogar Klas- senbeste zu werden!» Wenn die anderen Schülerinnen und Schüler im Unterricht Mühe haben, fragen sie jetzt bei Saran, dem Mädchen vom Lande, um Hilfe. Daniela, ActionVIVRE Nord, Guinea Veränderung für die ganze Familie Ich weiss nicht, ob Wesley die Möglichkeit gehabt hät- te, einen Kindergarten oder eine Vorschule zu besu- chen, wenn es in seinem Slum kein PePe (christliches Vorschulprogramm) gegeben hätte. Doch es gab eines →

wird hier ‹Telibalo› genannt, was übersetzt ‹Hilfe für das Waisenkind, die im rechten Moment ankommt› bedeu- tet. Jährlich führen wir rund 300 Kurse durch. Daneben hilft ProAGRO der Bevölkerung beim Verwal- ten der Erträge. Wir initiieren sogenannte Getreideban- ken, wo die Bauern einen Teil der Ernte gemeinsam lagern. In schwierigen Zeiten können sie auf diese Re- serven zurückgreifen. Ein weiteres Anliegen von Pro- AGRO ist die Verbesserung der Ernährung: Die meisten traditionellen Speisen sind sehr arm an Proteinen, was vor allem bei Kindern häufig zu Mangelerscheinungen führt. Mit dem Anbau von Soja und Moringa sowie Schulungen, wie diese beim Kochen verwendet wer- den können, möchte ProAGRO die Gesundheit und Entwicklung verbessern. In allen Bereichen arbeiten wir mit der evangelischen Kirche von Guinea zusammen, die das Projekt wo immer möglich unterstützt.» Jonas Théa, ProAGRO, Guinea Eines Tages … Zenaba hat einen älteren Bruder und zwei ältere Schwestern. Ihr Vater starb, als sie erst drei Monate alt war. Als die ProRADJA‘-Schule ihre Tore öffnete, war Zenaba gerade im richtigen Alter, um aufgenommen zu werden. Zenaba ist ein schüchternes Mädchen, zu Hause und auch in der Schule. Bei den Hausaufgaben, die auf Fran- zösisch sind, kann ihr daheim niemand helfen, da ihre Geschwister eine arabische Schule besuchen. So muss- te Zenaba die erste Klasse wiederholen. Trotzdem geht sie sehr gerne zur Schule. Im vergangenen Jahr hat ihre Mutter wieder geheiratet. Zenaba hat eine kleine Halbschwester bekommen, die sie sehr liebt. Die Mutter hofft, dass die Kleine später auch die ProRADJA‘-Schule besuchen kann. Aminé, die grosse Schwester von Zenaba, ist 14 Jahre alt. Ihre Aussteuer ist bereits bezahlt, aber sie hat ihren zukünftigen Mann noch nie gesehen. In fünf Jahren wird Zenaba im gleichen Alter sein. Wir hoffen, dass sie die Schule abschliessen kann, bevor sie verheiratet wird. Durch die Schulbildung hat sich ihr Horizont ganz klar erweitert. Wir sind zuversichtlich, dass sie, spätestens wenn sie eines Tages selber eine Tochter im Teenager- Alter hat, mit ihrem Mann darüber diskutieren und ge- nügend Argumente vorbringen kann, um die Tochter zur Schule zu schicken und sie einen guten Abschluss machen zu lassen. Patricia, ProRADJA‘, Tschad Eine Vision wird Realität Kissidougou, Herbst 2013: In der provisorischen Werk- statt gerade neben unserem Haus sitzen auf einfachen

– und Wesley besuchte es voller Freude. Zwischen sei- nem 4. und 6. Lebensjahr lernte er dort viele wichtige Dinge: Er lernte Zahlen, Farben, Formen und das ABC kennen, lernte, etwas auszuschneiden, zu malen und zu kleben, lernte Wichtiges über Hygiene und dass er sich vor dem Essen die Hände waschen und nachher die Zähne putzen sollte. Er lernte sich selbst und sei- nen Stadtteil kennen, lernte etwas über Tiere, Umwelt und Umweltschutz. Täglich hörte er eine biblische Ge- schichte und lernte Jesus kennen und lieben. Alles, was Wesley im PePe lernte, erzählte er zu Hause seiner Fami- lie. Dadurch erfuhren seine Eltern mehr von Jesus. Ich kann mich noch anWesleys strahlende Augen erinnern, als er mir eines Tages erzählte: «Tante, meine Mutter gehört nun auch zu Jesus!» Als Zeichen dafür liess sie sich taufen. Es war ein Freudentag für die ganze Fami- lie! Doch nicht nur Wesleys Begeisterung für Jesus war ansteckend, sondern auch sein Lerneifer. So beschloss seine Mutter Sonja, wieder die Schulbank zu drücken und ihren Schulabschluss nachzuholen. Wir staunten über ihren Mut und ihre Entschlossenheit. Sie begann zudem, im PePe mitzuarbeiten und half tatkräftig mit, einen eigenen Raum für das PePe zu bauen, wobei ihre handwerklichen Fähigkeiten so richtig zur Geltung ka- men. Mich fasziniert es immer wieder zu sehen, wie die Investition in Kinder Veränderung für die ganze Familie bedeuten kann! Debora, ProVIDA, Brasilien Telibalo = Hilfe, die im rechten Moment ankommt «Ich heisse Jonas Théa. Ich bin in Guinea geboren und aufgewachsen. Nach meinem Biologiestudium kam ich 2011 zu ProAGRO. Dort erhielt ich eine umfassen- de landwirtschaftliche Ausbildung und lernte neue Methoden kennen. Jetzt bin ich als Kursleiter und Be- rater für Landwirtschaft in meiner Heimat unterwegs. Insgesamt arbeiten 24 Kursleiter und Kursleiterinnen bei ProAGRO. Unser Ziel ist, die Ernährungssituation und die wirtschaftliche Entwicklung hier zu verbessern – in einem Land, in dem 80 Prozent der Bevölkerung von Landwirtschaft leben, in dem die Nahrungsmittel- versorgung aber eines der grössten Probleme darstellt und das zu den ärmsten der Welt zählt. Dafür reise ich umher und schule Gruppen von Bäuerinnen und Bau- ern darin, wie sie ihr Land besser bewirtschaften und höhere Erträge erzielen können. Unsere Methoden er- möglichen zudem eine Reduktion der Produktionskos- ten und des Arbeitsaufwandes. Ausserdem bleibt die Bodenfruchtbarkeit langfristig erhalten. In meiner Prä- fektur arbeiten inzwischen bereits über die Hälfte der Reisproduzenten mit dieser neuen Technik! Die Erträge stiegen von einer Tonne pro Hektare auf vier Tonnen an. Die Leute schätzen die Verbesserungen sehr – ProAGRO

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Bänken ein paar junge Guineer, drei Frauen und elf Männer. Sie sind unsere ersten Interessenten für die Mechaniker-Ausbildung. Einige von ihnen sind Studierende der nahen Universität, andere sind arbeitslose Uni-Abgänger, ein paar gehen noch zur Schule und einer, Sekou Abel, hat bei der staatlichen Berufsschule bereits eine Lehre als Automechaniker abgeschlossen. Nun fragt man sich: Wieso möchten studierte Leute, Philosophen, Soziologen, Elektroingenieu- re, Chemielehrer, Mathematiker, Primarschulleh- rer, Bauingenieure und ein Absolvent der staatli- chen Berufsschule bei mir etwas über Mechanik lernen? Leider sind die Ausbildungen in Guinea wenigmarktorientiert und noch weniger praxiso- rientiert, wodurch viele trotz Abschluss ohne Job dastehen. An diesem ersten Morgen der Ausbildung un- terrichte ich nur wenig Theorie, danach geht es schon los mit einfachen praktischen Arbeiten an einem Generator. Einige haben trotz Anleitung Mühe im Umgang mit dem Hammer, andere zie- hen die Schrauben so fest an, dass sie abbrechen. Sekou Abel hingegen hat beides schon im Griff – seine Fähigkeiten und sein Talent sind unüber- sehbar. Ein paar Monate später diskutieren wir mit den Lehrlingen über ihre Träume und Visionen. Die meisten hoffen, dass sie nach der Ausbildung eine Anstellung finden. Einer träumt davon, ei- nes Tages selber als Ausbildner zu arbeiten – er hat es übrigens geschafft und ist heute Lehrer an der staatlichen Berufsschule. Zwei junge Männer träumen von einer eigenen kleinenWerkstatt, die an unsere Ausbildungswerkstatt angegliedert ist. Einer von ihnen ist Sekou Abel. Nach Abschluss der Ausbildung ist es dann tat- sächlich soweit: In der Heimat von Abel, im 40 Kilometer entfernten Yendé, helfen wir mit, eine kleineWerkstatt zu bauen und einzurichten. Abel hat ein grosses Anliegen dafür, den jungen Er- wachsenen in Guinea eine Perspektive zu eröff- nen und ihnen Gottes Liebe weiterzugeben. Er startet gleich mit acht Lehrlingen. Mittlerweile ist ein Nähatelier dazugekommen und erste Absol- venten von Abels Ausbildung haben ihre eigenen Werkstätten aufgebaut. Einfach und klein, mit wenig Infrastruktur, aber die Arbeit ist gut und die jungen Erwachsenen verdienen ihren eige- nen Unterhalt. Und Abel? Er absolviert zurzeit in der Hauptstadt Conakry eine Weiterbildung als Diagnostiker und wird anschliessend voraussichtlich wieder in Kis- sidougou und Yendé als Spezialist und Ausbild- ner wirken. Fredi, ProTIM 2-2-2 Kissidougou, Guinea

Ein Tag im Leben von Philippe Toggenburger immer mehr als genug zu tun.

Noch etwas verschlafen geniesse ich das Frühstück mit meiner Familie – französisches Baguette und Corn- flakes. Unsere drei Kinder – wann sind Kinder eigentlich je müde?! – bereiten gerade fröhlich plap- pernd ihr Znünibrot vor, als ich das Haus verlasse und mit dem Motor- rad in Richtung Atelier brause. Dort fängt die Arbeit mit den Lehrlingen pünktlich um 8.00 Uhr an. Schon eine einzige Minute Verspätung hat eine Geldstrafe zur Folge, die auch der Maître, der Lehrmeister, zu be- zahlen hat. Es ist uns wichtig, dass wir den Lehrlingen neben Fachwis- sen und praktischen Kompetenzen auch gute Werte vermitteln kön- nen. «Travail, justice, solidarité», auf Deutsch «Arbeit, Gerechtigkeit, So- lidarität», steht auf der guineischen Nationalflagge, aber genau diese Dinge fehlen in diesem Land. Wir wollen die Zeit mit unseren Lehr- lingen dazu nutzen, um mit ihnen eine gute Arbeitsmoral einzuüben – Pünktlichkeit, Freude an der Ar- beit, Fleiss, Qualität. Wir möchten sie dabei unterstützen, ihr Leben gut zu gestalten und sowohl im Beruf als auch privat ehrlich zu sein, durch- dachte Entscheidungen zu treffen und zu Fehlern zu stehen. Wir wollen ihnen vorleben, wie man Konflikte bewältigt und dass Freundschaften an schwierigen Situationen nicht zerbrechen müssen, sondern wach- sen können; wir möchten ihnen hel- fen, ein guter Sohn, Ehemann, Vater zu sein oder zu werden sowie ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft, welches die nachkommende Gene- ration positiv prägt. Im Atelier werden am Morgen als Erstes die verschiedenen Arbeits- gruppen für den Tag zusammen- gestellt und die Aufgaben verteilt. Heute braucht es Maurer für eine Baustelle, Dachdecker für eine an- dere und eine Schreinergruppe in der Werkstatt. Die Bevölkerung hier vor Ort hat unsere Arbeit zu schätzen gelernt und so haben wir Arbeit und Leben teilen

Ich schaue in der Schreinerei vor- bei. Hier läuft alles bestens – Alpha hat die Arbeit und die ihm zuge- teilten Lehrlinge gut im Griff. Er hat letztes Jahr die Lehre bei uns ab- geschlossen und wir haben ihn da- nach als Vorarbeiter angestellt. Ib- rahima, unser zweiter Vorarbeiter, betreut die Maurerarbeiten. Auch hier läuft alles gut. So gehe ich mit der Dachdecker-Equipe mit. Die Arbeit am Dachstock ist geome- trisch recht herausfordernd. Am letzten Freitag haben wir im The- orieunterricht versucht, die Dach- schrägen im Modell zu konstruie- ren. Für die meisten Lehrlinge war dies eine riesige Herausforderung. Ihre Schulbildung weist leider sehr grosse Lücken auf, das guineische Schulsystem krankt in vielen Berei- chen. Die Arbeit macht allen Spass, nur der Meister – also ich – betet im Stillen, dass der Übermut nicht zu einemSturz aus demhohen Gebälk führt. Die ernüchternde Erinnerung an meine letzte Besichtigungstour des örtlichen Spitals lässt mich die Lehrlinge zur Vorsicht mahnen. Die gemeinsame Arbeit und die Mit- tagspause bieten viel Raum für ein gutes Miteinander und wertvolle Gespräche. Nicht selten ergibt sich eine Situation, in der ich eine Ge- schichte aus meinem Leben oder dem Leben der alten Propheten teilen kann. Nach getaner Arbeit mache ich mich auf den Heimweg. Dort habe ich zuerst eine Stunde Pause vor mir, danach geniesse ich den Abend mit meiner Familie. Die Kin- der haben viel zu erzählen von der Schule und auch meine Frau Sand- ra hatte einen ausgefüllten Tag mit verschiedenen Projekten. Bald sind wir alle müde und Ruhe kehrt in unser Haus ein. In der nächtlichen Stille können wir uns erholen und den Geist für den neuen Tag vorbe- reiten.

Philippe TOGGENBURGER, ActionVIVRE Süd, Guinea

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Weshalb duale

Die duale Berufsbildung ist je länger, je mehr auch imAusland gefragt. Rudolf Strahm, ehe- maliger Preisüberwacher und vehementer Verfechter der dualen Ausbildung, hat die Gründe dafür aufgeführt: In zahlreichen Län- dern herrscht grosse (Jugend-)Arbeitslosig- keit und viele Länder befinden sich zudem in einer Akademisierungsfalle – sie haben sehr viele Uni-Abgänger, die das praktische Hand- werk dann aber zu wenig beherrschen, um arbeiten zu können. Dazu kommt, dass ange- sichts der technologischen Entwicklung ein Mangel an hochqualifizierten Fachkräften besteht – sogar in den USA. Mit der dualen Berufsbildung kann vielen dieser Probleme entgegengewirkt werden. In Guinea gibt es – vereinfacht gesagt – zwei Sorten von Menschen: «les personnes réussies», also die Erfolgreichen, und «les personnes non réussies», die Versager. Als erfolgreich gilt, wer ein Studium gemacht hat, auch wenn er danach als Mototaxi-Fahrer arbeitet. Alle anderen, in Guinea also rund 97 Prozent der Menschen, sind Versager. Na, das sind ja schöne Aussichten … SAM global leitet in Guinea drei Berufsbildungs- projekte, um jungen Männern und Frauen eine solide Ausbildung und dadurch eine bessere Perspektive für die Zukunft zu bieten. Alle drei Projekte arbeiten nach dem dualen Modell: wenig, aber angepasste Theorie, dafür viel Pra- xis und Anwendung des Gelernten. Besonders wichtig ist zudem, dass die Ausbildung kultur- angepasst erfolgt und die Lehrlinge gut auf die Realität des Marktes vor Ort vorbereitet werden. Lehre beim afrikanischen Meister Auch in Guinea gibt es eine Art Berufsausbil- dung. Das Problem dabei: Ein richtiger afrikani- scher «Meister» hält die Lehrlinge oft bewusst auf tiefem Niveau und gibt ihnen selten bis nie Einblick in seine «Berufsgeheimnisse». Die Vor- teile für denMeister: Die Lehrzeit dauert dadurch 6–8 Jahre, wodurch er jahrelang eine günstige Arbeitskraft hat. Gleichzeitig muss er sich keine Sorgen machen, dass der Lehrling nach der Aus- bildung zur Konkurrenz für ihn wird. Häufig sind die Meister selber nicht sonderlich gut ausgebil- det und überhaupt nicht auf dem neusten Stand der Technik. Über den Meister hinauswachsen Die Einstellung dieser Meister ist ein Grund da- für, weshalb es wenig Entwicklung gibt. Immer wieder betone ich deshalb in meinen Ausbil- dungsprogrammen, dass es mein grösster Stolz ist, wenn ein Lehrling über mich als anerkannter Lehrmeister hinauswächst und eine Arbeit ge- schickter oder kompetenter ausführen kann als ich. Ich bringe ihnen alles bei, was ich weiss und kann – und je besser die Lehrlinge werden, des- to motivierter sind sie, noch mehr zu lernen. Sie spornen sich gegenseitig an, wodurch das Ni-

veau und die Qualität der Arbeit immer mehr steigen – und auch die Kundenzu- friedenheit. Unwissenheit erzeugt Scham Ein Beispiel dazu: Ein Meis- ter in Kissidougou namens Ojé hat schon mehrmals die Federung unseres VWs repariert. Einmal will das Auto nach erfolgter Repa- ratur bei der Probefahrt aber nicht geradeaus fah- ren, sondern es zieht wie ein übermütiges Pferd von links nach rechts. Stand- haft wehrt sich Meister Ojé zuerst, in unsere Werkstatt mitzukommen und die notwendigen Reparaturen und Einstellungen dort gemeinsam mit mir vorzu- nehmen. Nach längerem «Palaver» mit allen Über- zeugungskünsten willigt er ein, zusammen mit sei- nen Lehrlingen (die aber keine Schule besuchen!) zu uns zu kommen. Von Lenkgeometrie versteht er nicht viel – kann er ja auch nicht, weil er selber nie le- sen gelernt hat und sein ehemaliger Meister auch nur wenig darüber wuss- te. Diese Unwissenheit erzeugt Scham und in der Schamkultur versucht man das wenn immer möglich zu vermeiden. Aber mit einigen Erklärungen, prak- tischen Beispielen und viel Geduld beginnt er zu ver- stehen, wie das Fahrwerk mit Schnur, Senkblei und Metermass gezähmt wer- den kann, sodass der VW jetzt ordentlich geradeaus fährt. Nebenbei bemerkt: Der guineische Bildungsmi- nister hat unsere Anstren- gungen mit Wohlwollen beobachtet und uns jetzt ermutigt, zusätzlich eine Ausbildung zum Landma- schinenmechaniker im du- alen System anzubieten. Fredi RAYMANN, ProTIM 2-2-2 Kissidougou

Berufsbildung so wichtig ist

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