Wissen & Personen / Greenwashing
Jürgen Schmude, wissenschaftlicher Leiter des Bayerischen Zentrums für Tourismus (BZT) und emeritierter Professor für Tou- rismuswirtschaft und Nachhaltigkeit an der LMU München, nimmt mir den Wind aus den Segeln. »Das Thema Nachhaltig- keit ist in der Tourismusbranche noch gar nicht wirklich als Marketingthema ange- kommen. Hotels und Reiseveranstalter sind gerade erst dabei, zu verstehen, dass das immer wichtiger wird.« Nachhaltig orientierte Veranstalter machten deutlich weniger als zehn Prozent des Marktes aus, die große Mehrheit wirt- schafte konventionell. Dass Betriebe auf ihren Webseiten gezielt mit ökologischen Aspekten wie Bio-Essen aus der Region werben, sieht Jürgen Schmude positiv: »Verbraucher sagen bei Umfragen immer wieder, dass sie viel zu wenig Informatio- nen über Nachhaltigkeit bekommen und entsprechende Angebote nicht finden. Wenn Anbieter Maßnahmen nennen, ist das erstmal gut und ein Mehrwert für die Konsumenten. Der Hinweis auf regionales Bio-Essen zeigt, hier bemüht man sich um das Beste für Verbraucher und Region.« Auch andere kleine Maßnahmen, die zunehmend Verbreitung fänden, seien po- sitiv zu bewerten, etwa dass Handtücher
jedem Neubau steckt graue Energie (Ener- gie, die bei Materialgewinnung, Transport, Bau, Entsorgung usw. anfällt), aber viel- leicht sind die Materialien tatsächlich re- gional, recycelt und recycelbar, das Gebäu- de energieautark. Möglicherweise ist es also besser, bestehende Gebäude zu däm- men und mit effizienten, umweltfreundli- chen Heizungen auszustatten. Studien zeigen, dass die größten Einsparpotenziale in den Bereichen Beleuchtung, Bausubs- tanz und Heizungsanlagen liegen. »Insge- samt können touristische Betriebe bis zu 50 Prozent ihres laufenden Energiever- brauchs mit intelligenten Maßnahmen, die Amortisierungszeiträume von bis zu fünf Jahren haben, einsparen«, heißt es dazu in einer Interreg-Studie zu Qualitätstouris- mus im Alpenraum, die von der Fachhoch- schule Salzburg und der Johannes Kepler Universität Linz durchgeführt wurde. Wei- tere Einsparmöglichkeiten liegen laut der Studie in der energetischen Nutzung von Biomasse oder Solarenergie sowie der Di-
daran messen lassen, ob sie die emissions- arme öffentliche Anreise fördern. Hat die Region ein gut ausgebautes Busnetz? Gibt es die Möglichkeit, Fahrräder und vielleicht E-Bikes oder E-Autos zu leihen? Bietet das Hotel einen Shuttle-Service zum nächsten Bahnhof an oder gibt es ein Wandertaxi? Ein Helikopterlandeplatz gehört da eher nicht dazu. Ebenso wenig eine 33 Millionen Euro teure »Parking Lounge« für 640 Au- tos mitten im Ortszentrum, wie sie Ischgl 2015 baute. Vier Jahre später bezeichnete sich der Skiort als »größtes klimaneutrales Skigebiet der Alpen«. Ob das zusammen- passe, fragt die Alpenschutzorganisation Cipra. Da mögen die 45 Liftanlagen mit selbst produziertem Ökostrom laufen und die 239 Pistenkilometer dank GPS-Ermitt-
gitalisierung von Prozessen. Es ist kompliziert
Umfänglich zu bewerten, wie ökologisch und sozialverträglich ein Unternehmen wirklich ist, sei für Verbraucher eigentlich kaum möglich, sagt Jürgen Schmude. Er rät daher, sich auf die großen Hebel Anreise und Dauer des Aufenthalts zu konzentrie- ren. Also lieber seltener in die Berge fahren und dafür länger bleiben. »Wenn man alles richtig machen will, dürfte man eigentlich gar nicht mehr reisen. Das ist aber auch nicht die Lösung, denn Reisen hat so viele positive Effekte für einen selbst, aber auch für die Wertschöpfung am Zielort.« Wer Reiseanbieter oder Unterkunft dann trotzdem noch nach Nachhaltigkeits- aspekten auswählen möchte, sollte auf möglichst viel Transparenz achten. Welche Kompensationsprojekte sind das, mit de- nen anfallende Emissionen ausgeglichen werden sollen? Von welchen Höfen kom- men welche Nahrungsmittel? Wurde nur eine kleine Solarthermieanlage aufs Dach gepackt oder die ganze Heizung ausge- tauscht? Ach ja, den Wochenendtrip ins Luxus- hotel habe ich damals natürlich nicht ge- macht – nicht mit dem Helikopter und auch nicht mit dem Zug.
Unternehmen und Destinationen, die sich selbst als nachhaltig bezeichnen, müssen sich vor allem daran messen lassen, ob sie die emissionsarme öffentliche Anreise fördern.
nicht mehr standardmäßig täglich gewa- schen werden. Wobei der Forscher ein- schränkt: »Das ist gut für die allgemeine Sensibilisierung, aber auf den persönlichen Reisefußabdruck hat es keine große Aus- wirkung. Das ändert nur zwei oder drei Nachkommastellen.« Der größte Hebel Was viel wichtiger ist: die Mobilität. 70 bis 80 Prozent der Emissionen eines Urlaubs entfallen auf An- und Abreise sowie Fort- bewegung vor Ort. Unternehmen und Des- tinationen, die sich selbst als nachhaltig bezeichnen, müssen sich also vor allem
lung im gerade richtigen Maß beschneit werden. Etwas Skepsis ist bei solchen Super- lativen also durchaus angebracht. Übrigens auch dann, wenn Klimaneutralität durch Aufforstungsprojekte (in fernen Ländern) erreicht werden soll. Viel zu oft werden die Bäume zwar gepflanzt – in Monokulturen –, aber anschließend nicht gepflegt, sodass sie gar kein für die CO2-Bindung relevantes Alter erreichen. Und wie steht es um die Ökobilanz von schickem Neubau versus kleine alte Pen- sion? Zwar werden bei einem neu gebauten Chaletdorf viele Flächen versiegelt und in
46 DER GRÜNE BERGSTEIGER 08/22
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