04-2019 D

A M S g l o b a l l l

SERVE AND MULTIPLY 4/2019

Aber das ist doch unvernünftig?!

Familien und Singles im Einsatz

...ganz persönlich:

Aber das ist doch un Familien und Singles i

1 Jahr, 73 Heiratsanträge Das Unkraut um mich herum blüht in allen Farben, wunderschöne orange und violette Mangos hängen über mir an den Bäumen und der Wind rauscht durch die Blätter. Von den Baumkronen her hört man ver- schiedenste Vögel zwitschern und aus der Ferne mischt sich vergnügtes Kindergeschrei dazu. Ziemlich idyllisch, nicht? Beinahe romantisch. Und als wäre das noch nicht genug, erhalte ich in diesem Moment einen Heiratsan- trag! Schade nur, dass ich dem jungen Herrn, der mich fragt, ob ich seine Frau werden möchte, heute zum ers- ten Mal begegne. In den letzten acht Monaten in Guinea habe ich solche und ähnliche Situationen immer wieder erlebt. Sei es der Mechaniker unter seinem Baum, die Auberginen- Verkäuferin auf demMarkt oder ein x-Beliebiger auf der Strasse – sobald sie erfahren, dass ich als junge, weis- se Frau noch nicht verheiratet bin, heisst es: «Oh, ich habe einen Mann für dich. Ich / mein Sohn / mein Neffe / mein Cousin / sonst ein Bekannter sucht noch eine.» Die meistenWerber lassen sich damit abwimmeln, dass sie zuerst meinen Vater in der Schweiz fragen müssten oder dass der Chef es nicht erlauben würde. Diese Anträge lösten in mir fast nie irgendwelche Ge- fühle aus. Weder nervten sie mich noch schmeichelten sie mir besonders, da sie meistens scherzhaft gemeint waren. Eine Situation wird mir jedoch in Erinnerung bleiben: Als ich nach meinem Einsatz nach Uganda weiterreiste, kam am Flughafen ein Mann auf mich zu. Es war, wie so oft, ein junger Afrikaner, der sich erhoff- te, durch eine weisse Frau nach Europa zu kommen. Er wartete auf den gleichen Flug wie ich, also setzte er sich am Gate neben mich. Die ganze Situation war mir eher unangenehm und die üblichen Sprüche nervten mich und so versuchte ich, das Thema zu wechseln. Daraus ergab sich eine spannende Unterhaltung über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Christen und Muslimen. Ich war erleichtert, als eine Stunde spä- ter das erlösende Boarding angekündigt wurde – doch Gottes Führung im Gespräch hatte dieses Zusammen- treffen und eine normalerweise nicht gesuchte Situati- on zu einer der interessantesten Begegnungen meiner Zeit in Guinea gemacht.

Nicole KUTTER, ehemalige Kurzzeiterin im ActionVIVRE Süd, Guinea

2

4/2019

EDITORIAL

ernünftig?! Einsatz

Unser jüngster Langzeiter ist derzeit 26 Jahre alt, unsere älteste Mitarbeiterin 65. Insgesamt sind momentan 11 Familien mit einem bis vier Kin- dern, 7 Ehepaare, 14 ledige Frauen und 8 ledige Männer mit SAM global im Einsatz. Was für eine schöne Vielfalt! Wieso, weshalb, warum? Doch weshalb wagt man sich als Familie in den Einsatz? Ist es nicht schwierig, als Single alleine auszureisen? Wo sind die Vor-, wo die Nachteile? Wie sehen die Vorbereitungen aus? Wie ist es für Kinder, in einem fremden Land aufzuwachsen? Was macht man, wenn man sich im Einsatzland verliebt? Und welche Herausforderungen und Erlebnisse warten, wenn man als ganze Familie wieder in die Schweiz zurückkehrt? In diesem Focus erzählen verschiedene Mitarbeitende, wie sie ihren Einsatz als Ehepaar, Single oder Familie erleben. Ein paar besondere Highlights in diesem Focus für mich: die ehrlichen Antworten unserer Sin- gle-Mitarbeitenden auf den Seiten 6-9 , der Be- richt über das Familienleben in Guinea auf Seite 12 und die lustigen Zitate von Kindern, die mit ihren Eltern im Einsatz sind, auf Seite 15 . Und natürlich Seite 21 über unser neues Einsatzland Nepal! Und – hach, eigentlich noch ganz viel an- deres. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Freu- de beim Lesen dieser Ausgabe! Haben Sie Fragen? In Zukunft möchten wir im Focus jeweils eine Frage unserer Leserinnen und Leser aufnehmen und beantworten. Haben Sie Fragen an eine Mit- arbeiterin oder einen Mitarbeiter, beispielsweise in Bezug auf etwas, was er oder sie in diesem Fo- cus sagt? Oder möchten Sie von der Homebase etwas wissen? Dann melden Sie sich bei uns – am besten per E-Mail oder Brief.

Sarah BRÜHWILER, Kommunikation

PS: Zum Thema «Einsatz mit 50 plus» gibt es einen eigenen Focus, den Sie kostenlos bei uns bestellen können: winterthur@sam-global.org oder 052 269 04 69.

Der beste Zeitpunkt Einsatz ja, aber erst, wenn ... – jede und jeder von uns könnte diesen Satz auf irgendeine Weise vervollständigen und er würde jedes Mal anders lauten. Aber wann ist denn eigentlich der beste Zeitpunkt für einen Einsatz? Gibt es so etwas wie den idealen Moment überhaupt?

Hier ein paar Aussagen zu diesem Thema:

Familienstand

argumente gegen einen Einsatz

argumente für einen Einsatz

Ich möchte nicht ledig bleiben und im Einsatz finde ich vielleicht keinen geeigneten Partner.

Ich bin frei und flexibel und muss nur für mich selber Verantwortung übernehmen.

Ich bin (noch) ledig

Wir sind ein frisch verheiratetes Paar und haben (noch) keine Kinder

Wir müssen uns zuerst noch besser kennenlernen und möch- ten uns ein finanzielles Polster zulegen.

Ohne Kinder können wir beide ganz in die Kultur und die Sprache eintauchen und unsere Fähigkeiten einbringen.

Wir nutzen die Fernschule oder die inter- nationale Schule und ermöglichen unseren Kindern, (mindestens) eine zweite Sprache zu lernen und interkulturelle Kompetenz zu erwerben. Zudem gibt es durch die Kinder spannende Kontakte. Wir haben Erfahrung und Know-how gesam- melt, die wir weitergeben können. Zudem bringt man uns aufgrund des Alters in den Ein- satzländern automatisch Respekt entgegen.

Wir möchten unseren Kindern eine hervorragende Ausbildung in einem guten Umfeld bieten.

Wir haben schulpflichtige Kinder

Wir möchten uns nicht mehr auf etwas Neues einstellen und auch nicht auf den Komfort verzichten.

Wir sind Ü50

4

ür einen Einsatz Fazit: Jede Lebensphase und jeder Familienstand bringt im Einsatz He- rausforderungen, aber auch Vorteile mit sich!

So oft in unseremLeben verschieben wir das, was wir tun möchten oder anpacken sollten, auf später. Und ir- gendwann kommt der Zeitpunkt, an dem es zu spät ist – und ein Einsatz im Ausland beispielsweise aus ge- sundheitlichen Gründen nicht mehr in Frage kommt. Möge Gott uns eine so starke Vision schenken, dass wir bereit sind, Zweifel und Ängste zu überwinden und den Einsatz nicht weiter hinauszuschieben! Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt und ob ein besserer Moment kommen wird. Deshalb: Könnte es sein, dass der ideale Zeitpunkt gera- de jetzt ist?! Gott führt gut Wissen Sie, welche Zeit in meinem Leben ich am wenigsten missen möchte? Meine Einsatzjahre in Gui- nea! Weder vorher noch nachher habe ich jemals so viel mit Gott er- lebt. Oft habe ich während meiner Zeit in Guinea gedacht: Fast hätte ich all das verpasst, weil ich immer wieder Ausreden fand. Ich mag es zum Beispiel überhaupt nicht, wenn es heiss ist, und deshalb kam Guinea zuerst gar nicht in Frage. Doch wie gut, dass ich Gott irgendwann ge- sagt habe, dass er bestimmen kann – den Zeitpunkt und das Einsatzland. Er hat gut geführt! Unser himmli- scher Vater, der uns geschaffen hat und uns durch und durch kennt, weiss am besten, was passt. Da er uns unendlich liebt und es gut mit uns meint, wäre es ein kapitaler Feh- ler, ihm nicht zu vertrauen und die Werke zu verpassen, die er für uns schon lange vorbereitet hat (Ephe- ser 2,10). Wir wollen Vertrauen riskieren, zu jedem Zeitpunkt, jung, alt, mit und ohne Familie – es lohnt sich!

Jürg PFISTER, Leiter SAM global

Als Single im Einsatz

«Ich bin Single.» Dieser Satz löst in unseren Brei- tengraden häufig mitleidige Blicke, verlegenes Lächeln, halbherzige Ermunterungenund schnel- le Themenwechsel aus – insbesondere, wenn die ledige Person die 30 schon überschritten hat. Auch wenn es um einen Auslandeinsatz geht, ist der (fehlende) Partner für viele das Killerkri- terium Nummer eins. Wir haben sieben Single- Mitarbeitende gefragt, wo sie die Vor- und die Nachteile ihres Zivilstands sehen, was ihr Partner mitbringen müsste und was sie anderen Sing- les raten würden – ganz ohne Verlegenheit und schnelle Themenwechsel.

Helen, 60, seit 1984 im Einsatz

Ist es dir schwergefallen, dich als ledige Person für einen Einsatz zu entscheiden? Helen: Nein, eigentlich nicht. Ich war damals 25 Jahre alt und hatte ja noch Zeit, um einen Lebenspartner zu fin- den. Ich habe mir auch immer einen Partner gewünscht, aber es gab bis- her niemanden, der mir zusagte und die Berufung teilte. Jenny: Die Entscheidung für einen Einsatz war kein Problem für mich, da ich zum Singlesein eine grundsätz- lich positive Einstellung hatte und immer noch habe. Die Würde, den Wert, die Bedeutung und die Freiheit, die Gott uns Frauen gibt, ganz unab- hängig von unserem Zivilstand, ha- ben mich immer fasziniert und all das war mitentscheidend, dass ich ihm überhaupt mein Leben anvertraut habe. So hat mein Singlesein bei der Entscheidung für den Einsatz auch keine Rolle gespielt. Timo: Das Ziel «Einsatz in Afrika» war für mich schon länger klar, aber ich wollte gerne mit einer Frau gehen. 2017, in meinem Praktikum in Benin, habe ich gemerkt, dass ich Gott da- mit Bedingungen stellte und nicht of- fen dafür war, auch als Single schon auszureisen. Da ich aber ansonsten bereit war für den Einsatz, wusste ich, dass die Bewerbung der nächste rich-

Ich verzichte viel lieber auf Familie und auf Komfort, als darauf, das zu tun, was mir Gott aufs Herz gelegt hat. Frédéric: Ursprünglich dachte ich, dass ich nicht alleine einen Einsatz machen würde. Aber als Gott mich rief, wurde mir klar, dass ich gehen sollte, auch wenn ich noch ledig war. Für mich war das Wichtigste, Gott zu folgen. Agathe: Als junge Frau stellte ich mir immer vor, dass ich einmal mit meinem Ehemann ausreisen würde. Während einem Kurzein- satz im Tschad las ich die Verheissung in Psalm 22,28: «Alle Enden der Erde werden sich erinnern und zum Herrn zurückkeh- ren.» Es war, als würde Gott mich fragen: «Wenn ich dich bitte, allein zu gehen, bist du dann bereit?» Die Antwort kam aus tiefstem Herzen: «Natürlich NEIN, ich dach- te, ich würde heiraten und dann mit mei- ner Familie gehen, aber nicht allein!» Den ganzen Tag über hatte ich die Verheissung aus dem Psalm im Kopf und gleichzeitig diese Frage von Gott. Schliesslich sagte ich: «Gott, wenn du versprichst, dass Menschen aus meiner Einsatzregion hier im Tschad dich kennenlernen, wie es in der Verheis- sung steht, bin ich bereit zu gehen, auch wenn ich alleine gehen muss.» Nach mei- ner Rückkehr absolvierte ich verschiedene Ausbildungen, bevor ich dann für einen Langzeiteinsatz in den Tschad zurückkehr- te. Das bedeutet aber nicht, dass es für mich immer leicht war, das Ledigsein zu akzeptieren.

tige Schritt war. Ich habe realisiert, dass ich Gott vertrauen soll und er mich führt – auch wenn ich mir das Ganze anders vorgestellt hatte. Naemi: Ich glaube, der Schritt aus der Komfortzone und dem bekannten Um- feld braucht immer eine Portion Mut und ist mit Unsicherheit und Ängsten ver- bunden – egal ob alleine, als Paar oder als Familie. Nach meinem ersten Kurzein- satz vor über 10 Jahren sagte ich zu Gott: «Wenn du unbedingt willst, dann diene ich dir im Ausland, aber alleine kann ich das nicht.» Nach dem zweiten Kurzein- satz vier Jahre später war mein Fazit: «Okay, ich geh auch alleine ins Ausland, wenn es sein muss.» So führte mich Gott über die Jahre Schritt für Schritt zu dem Punkt, an dem ich sagen konnte: «Gott hat mich gerufen und ich möchte fol- gen, egal ob mit oder ohne Partner, denn ich glaube, dass er es gut mit mir meint und er es ist, der meine Bedürfnisse und Sehnsüchte ausfüllt.» Nach über drei Jah- ren im Einsatz ist für mich klar, dass sich dieser Schritt gelohnt hat. Ich fühle mich am richtigen Platz und erlebe immer wie- der, wie Gott mich ermutigt, wenn Zwei- fel aufkommen. Zudem heisst es ja nicht, dass ich für immer Single bleibe, nur weil ich als Single ausgereist bin. Gott hat viel- fältige Möglichkeiten. Astrid: Für mich ist das Ziel meines Le- bens, Gott nachzufolgen. Für mich war immer klar, dass ich dorthin gehe, wo er mich hinführt – mit oder ohne Partner.

6

Wie wichtig ist für dich, dass dein Partner / deine Partnerin dei- Leidenschaft für interkulturelle Arbeit teilen würde? Jenny: Gott hat mich in diese interkulturelle Aufgabe geführt. Solange er sie be- stätigt, war und ist ein Partner, der eine ganz andere Berufung hat, kein Thema. Timo: Die Berufung für die interkulturelle Arbeit ist für mich der entscheidende Faktor. Mehr als einmal ist eine Beziehung nicht zustande gekommen, weil letzt- lich die gemeinsame Berufung gefehlt hat. Solange ich davon überzeugt bin, dass Gott mich in Afrika haben will, ist für mich auch klar, dass eine Partnerin die gleiche Überzeugung für sich braucht. Helen: Eine klare Berufung von Gott würde es für beide brauchen, sonst ginge es nicht. Das war und ist für mich völlig klar.

Jenny, 62, seit 1992 im Einsatz

Wo siehst du im Einsatz Vorteile als Single? Jenny: Die Unabhängigkeit und Flexibilität, die ich als Single habe, erlebe ich immer wieder als Vorteil. Zum Beispiel konnte ich während meiner Sprachlernzeit bei einer einheimischen Familie wohnen und mich ihrem Lebensrhythmus anpassen. Ich kann spontan irgendwo hingehen, ohne Rücksicht auf einen Mann und Kinder nehmen zu müssen. Timo: Als Single bin ich unabhängig. Ich kann junge Leute besuchen undmeine Zeit freier gestalten. Gerade zu den Jugendlichen habe ich einen freundschaftlichen Kontakt, da ich in der gleichen Situation bin wie sie. Ich glaube, dass ich Single bin, öffnet mir andere Zugänge zu der Jugend. Ganz persönlich bin ich zudemherausgefordert, mich in schwie- rigen oder einsamen Zeiten noch mehr von Gott abhängig zu machen. Naemi: Ich habe mehr Zeit für Beziehungen und bin flexibler. Ich kann spontan zu einem Tee bleiben oder mal ein paar Tage zu einer Freundin ins Dorf gehen. Ich glaube auch, dass viele junge Frauen sich bei uns in der WG wohlfühlen und sich offener und freier verhalten, weil kein Mann anwesend ist. Ich geniesse es auch, unabhängig zu sein. In der interkulturellen Arbeit sehe ich viele Vorteile als Single. Helen: Es ist so, wie Paulus es schreibt: man kann sich voll in die Arbeit hineingeben und muss sich nicht um eine Familie kümmern. Man hat grosse Freiheiten, was die Eintei- lung der Zeit und Organisation der Arbeit betrifft.Im muslimischen Kontext bin ich als ältere Single-Frau in der medizinischen Arbeit freier im Umgang mit Männern. Unverheiratete Frauen werden oft schnell als Prostituierte angesehen, aber wir haben keinen Männerbesuch nachts – wir werden als Exoten, die nicht in das örtliche Gesell- schaftssystem passen, gut beobachtet. So bringt man uns eine gewisse Achtung ent- gegen. Verheiratete Frauen müssen sich an das Gesellschaftssystem anpassen. Astrid: Der Einsatz als Single ist unkomplizierter und günstiger und man ist weniger eingeschränkt – ich kann mir zum Beispiel problemlos am Morgen zwei Stunden Zeit zum Beten nehmen, was mit Familie nicht möglich wäre. Frédéric: Als Einzelperson ist es einfacher, Entscheidungen zu treffen und auch gewisse Risiken einzugehen. Agathe: Ich kann Freunde besuchen, auch am Abend, ohne um eine bestimmte Zeit nach Hause gehen zu müssen, um das Essen zuzubereiten und mich um die Kinder zu kümmern. Meine momentane Arbeit hier könnte ich so nicht machen, wenn ich eine Familie hätte.

Frédéric, 46, seit 2016 im Einsatz

Astrid, 42, seit 2017 im Einsatz

Naemi: Meine Mitbewohnerinnen wechseln ständig und ich wünsche mir manchmal, dass jemand da ist, der bleibt und mit dem ich alles teilen kann. In afrikanischen Ländern ist es unüblich, dass eine Frau in meinem Alter noch unverhei- ratet ist. Somit gehört es fast zum Alltag, dass jemand mich verheiraten oder heiraten möchte. Zudem hat eine unver- heiratete Frau automatisch einen geringeren Status und so- mit weniger Respekt. Man (oder besser gesagt: frau) muss sich den Respekt manchmal mehr «verdienen». Frédéric: Ein Nachteil ist, dass ich niemanden habe, der mir sehr nahe steht, um das zu teilen, was ich erlebe – Freuden, Herausforderungen, Schwierigkeiten oder auch einfach nur den Alltag. Agathe: In einer muslimischen Kultur wird man nie als eine vollständige Person betrachtet, solange man Single ist. Die Menschen können einen nicht in eine «Schublade» stecken, die sie kennen. Aber nach einer gewissen Zeit gewinnt man durch den Dienst, den man tut, den Respekt der Bevölkerung und wird akzeptiert.

Wo siehst du Nachteile?

Wo siehst du Gottes Wirken gerade in

Jenny: Man hat kein Ge- genüber, mit dem man das Leben mit allen Höhen und Tiefen teilen kann. Timo: Es fehlt eine Vertrau- ensperson, jemand, der mich kennt, mit dem ich meine Gedanken offen teilen kann. In Guinea gilt man erst als Mann, wenn man verheiratet ist. In der Arbeit mit Jugend- lichen ist das in Ordnung. Mit Familien, Beamten und älte- ren Männern ist der Kontakt aber schwieriger – es fehlt manchmal der Respekt.

Bezug auf die Partnerfrage?

Jenny: Gott hat mir die Begeisterung über die positiven Seiten des Singleseins erhalten. Timo: Die Partnerfrage hat Gott in den letz- ten Jahren oft genutzt, um meinen Ruf für die Arbeit im Ausland zu bestätigen und mir zu zeigen, dass ich meine Priorität auf die Beru- fung statt auf die Um- stände legen soll. Helen: Man muss ler- nen, Gott zu vertrau- en. Glaube ich, dass er das Beste für mich will? Und dass er besser weiss, was das Beste für mich ist? Das kann in bestimmten Situa-

Agathe, 51, seit 1996 im Einsatz

Hast du besondere Anekdoten oder Geschichten in Bezug auf dieses Thema? Helen: Als ich noch jünger war, wurde ich nach meinen Heimataufenthalten immer gefragt: «Hast du jetzt geheiratet?» Einmal wurde eine ältere Frau richtig böse, als ich verneinte: «Ja, weisst du denn nicht, dass du einen Mann brauchst, um Kinder zu kriegen?», fragte sie. Sie dachte wohl: Jetzt arbeitet dieseWeisse im Spital und weiss nicht mal darüber Bescheid – wie kann man nur so blöd sein! Agathe: Ein Nachbar bot an, mich zu heiraten, weil er Mitleid mit mir hatte, als er sah, dass ich nachts allein in meinem Haus war. Zuerst stellte er aber sicher, dass seine Frau damit auch einver- standen war … das gutgemeinte Angebot lehnte ich natürlich dankend ab.

8

Timo, 28, seit 2018 im Einsatz

Ist das Singlesein für dich ein präsentes Thema im Alltag? Jenny: Mit zunehmendem Alter wird es auch in mei- nem kulturellen Umfeld, wo es die Norm ist, verhei- ratet zu sein und Kinder zu haben, immer weniger ein Thema. Timo: Ja – zum Beispiel, wenn man gefragt wird, ob man verheiratet ist oder wenn man einsame Mo- mente erlebt. Allerdings ist es mir hier nicht häufiger begegnet als in Deutschland. Naemi: Nein, nicht wirklich. Phasenweise beschäftigt es mich schon mal, aber wahrscheinlich weniger, als dies in der Schweiz der Fall wäre. Hier bin ich ein- gebettet in ein Team, das für mich wie eine Familie ist. Zudem habe ich eine sinnvolle Aufgabe, die mich erfüllt. Helen: Natürlich werde ich immer wieder mal ge- fragt, wo mein Mann und meine Kinder sind. Für die Leute wäre es völlig normal, wenn der Ehemann und die Kinder in Europa wären und ich hier. Keine Kin- der zu haben ist aber nicht gut und sogar schlimmer, als keinen Mann zu haben. Wer versorgt einen, wenn man alt ist? Eine Altersrente bekommen hier nur we- nige und die reicht sowieso nicht zum Leben.

tionen recht herausfordernd sein. Astrid: Man kann erleben, dass Gott seine Versprechen hält: Er hat versprochen, dass er jeden Mangel ausfüllen kann – und das sage ich ihm auch, wenn beispielsweise ein technisches Problem auf- taucht: Gott, du bist gefragt! Es ist schön zu erleben, wie er das dann auf seine Art macht. Bei allem, was wir Gott geben, gibt er uns viel mehr zurück. Agathe: Gott ist gut und er weiss, was er macht. Da er meinen Wunsch, zu heiraten, nicht erfüllt hat, gibt er mir die Kraft, um gut als Single leben zu können. Schlussendlich ist für mich nicht entscheidend, ob ich verheiratet oder ledig bin, sondern dass ich zu Jesus gehören darf und an demPlatz bin, an dem Gott mich haben will – und dass er bei mir ist. Das ist es, was mich glücklich macht.

Naemi, 30, seit 2016 im Einsatz

Was möchtest du Leuten sagen, die wegen ihres Singleseins keinen Einsatz anpacken? Jenny: Ich möchte sie ermutigen, Gott ganz zu vertrauen in dieser Frage. Er hat überraschende Möglichkeiten, egal wo wir sind, und er kann uns erfülltes Leben schenken, egal in welchem Familienstand! Timo: Ich kann das gut verstehen und mir ging es ja ähnlich. Aber wenn Sie das Ge- fühl haben, dass Gott Sie in den Einsatz ruft – und Sie nur zögern, weil Sie Single sind – dann glauben Sie daran, dass Gott gut ist. Er enthält Ihnen nichts vor. Wenn Sie ihm treu folgen, dann wird er Sie segnen und Ihnen noch grössere Dinge zutrauen und anvertrauen – vermutlich anders als Sie denken, aber auf jeden Fall besser. Nichts ist grösser, als Teil von Got- tes Auftrag zu sein. Naemi: Ich ermutige Sie: Wagen Sie Schrit- te in diese Richtung, wenn Sie den Ein- druck haben, Sie sollten einen Ausland- einsatz machen. Gott wird Türen öffnen oder schliessen und er wird Sie ermutigen auf diesemWeg. Es lohnt sich!

Helen: Ich kenne viele Paare, die sich in den Vorbereitungskursen oder im Einsatzland kennengelernt haben. Vielleicht ist der zukünftige Partner schon «draussen»? Vertrauen Sie Gott in dieser Frage? Wie lange wollen Sie warten? Die Jahre gehen vorbei und Sie könnten etwas verpassen! Astrid: Irgendwann ist es als Single vielleicht sogar einfacher, im Ausland zu sein als in Europa? Im Einsatz ist man ganz auf eine sinnerfüllte Aufgabe aus- gerichtet, während man in Europa umgeben ist von befreundeten Familien und täglich daran erinnert wird, was man selber gerne hätte. Frédéric: Ich kann verstehen, dass die Vorstellung, alleine zu gehen, beängs- tigend sein kann. Aber wenn man es auf dem Herzen hat, einen Einsatz zu machen, und vor allem, wenn Gott beruft, lohnt es sich, den Schritt zu wagen! Es wäre schade, sein Leben damit zu verbringen, zu warten und Ausreden zu suchen, um nicht zu gehen. Agathe: Ich habe eine Freundin, die überzeugt war, für die interkulturelle Arbeit berufen zu sein. Aber die Aussicht, vielleicht für den Rest ihres Le- bens Single zu bleiben, war schwierig für sie. Trotzdem beschloss sie, Gott an die erste Stelle zu setzen und die Ausreise zu wagen. Und siehe da: Sie traf ihren Mann im Einsatzland! Ihr Mann kommt aus einem Dorf, das we- niger als 30 km von ihrem eigenen Herkunftsdorf entfernt liegt – getroffen haben sie sich aber mehr als 4000 Kilometer davon entfernt! Natürlich sind die Chancen statistisch gesehen weniger gross, einen Ehepartner während eines Auslandeinsatzes zu finden, aber Gott steht über den Statistiken. Es wäre schade, seine Berufung zu verpassen, weil man auf einen Ehepartner wartet. Immer wieder treffe ich bei Gebets- oder Unterstützertreffen ältere Frauen, die am Schluss zu mir kommen, ganz begeistert und auch ein wenig wehmütig, und sagen: «Weisst du, ich hätte auch gehen sollen … Aber nun bin ich zu alt und nicht mehr gesund genug …»

Liebe über Kulturen hinweg

«Du verliebst dich doch bestimmt und bleibst dann für immer dort!» Fast alle unsere Kurz- und Langzeitmit- arbeitenden hören das vor ihrem Einsatz einmal von ihren Familien und Freunden. Meistens mangelt es im Einsatzland dann auch nicht an Interessentinnen und Interessenten. Als SAM global raten wir davon ab, im ersten Einsatzjahr eine Beziehung einzugehen – es ist in einer fremden Kultur zu Beginn oft schwer, die wirkli- chen Beweggründe des Interessenten zu erkennen und auch die eigenen Gefühle einzuordnen. Doch es kommt immer wieder vor, dass Mitarbeitende im Ausland den Mann oder die Frau fürs Leben treffen. So wie bei Lukas und Somaly. Lukas erzählt: Als ich 2007 nach Kambodscha ausreiste, war eigentlich geplant, dass ich im darauffolgenden Jahr meine Schweizer Freundin heiraten würde. Soweit kam es aber nicht: Wir bra- chen unsere Beziehung ab und ich befand mich auf einmal in der ungewohnten Situation als Single im Ausland. Wie würde ich jetzt eine Schweizer Frau kennenlernen, wenn ich so weit entfernt von der Heimat wohnte? Eine kambodschanische Frau kam für mich gar nicht in Frage – die fremde Kultur, die andere Sprache, die Vorurteile gegen- über interkulturellen Beziehungen und so weiter schreck- ten mich ab. Doch trotz all dieser Überzeugungen verlor ich dann mein Herz an eine Kambodschanerin, mit der ich inzwischen seit bald 10 Jahren verheiratet bin.

haben, die eigenen kulturellen Überzeugungen aufzuge- ben, ist es am besten, Single zu bleiben. Sind wir aber ge- willt, uns in eine Beziehung hineinzugeben, Verschieden- heiten zu achten und zu ertragen, dann ist der kulturelle Hintergrund nicht das Entscheidende. Es soll keine Ausrede sein Manchmal denke ich, dass wir als Menschen uns zu viele Gedanken machen, zu viel analysieren wollen und uns da- mit immer wieder schöne Momente verbauen. Wenn ich Probleme in meiner Ehe habe, geht es nicht darum, etwas oder jemanden dafür verantwortlich zu machen. Wichtig ist, dass ich lerne, diese Spannungen in Liebe auszuhalten und meine Ehepartnerin in aller Verschiedenheit zu achten. Die grösste Herausforderung in einer interkulturellen Ehe ist wohl, die kulturellen Unterschiede nicht als Ausrede für Eheprobleme zu benutzen. Ich bin froh, habe ich mich ent- schieden, meine Frau Somaly zu heiraten. Ja, wir haben ver- mutlich einige kulturelle Reibereien, die wir nicht hätten, wenn wir aus der gleichen Nation kommen würden. Aber die typisch kambodschanischen Charaktereigenschaften bereichern unsere Ehe auch sehr! Das gute Fundament Es gibt kein universales Rezept für die richtige Partner- wahl. Aber wir können uns entscheiden, unsere Ehe, mit wem auch immer, auf einem guten Fundament aufzubau- en: « Die Liebe ist langmütig, gütig, neidet nicht, tut nicht gross, bläht sich nicht auf, benimmt sich nicht unanständig, sucht nicht das Ihre, lässt sich nicht erbittern, rechnet Böses nicht zu, freut sich nicht über die Ungerechtigkeit; sondern sie freut sich mit der Wahrheit, erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, erduldet alles. » (1. Korinther 13,4-7) Lukas BERNHARDT, Lighthouse Battambang, Kambodscha

Auch zwischen Schweizern gibt es Kulturunterschiede

Wie kam das? Die Beziehung zwischen mir und meiner da- maligen Schweizer Freundin scheiterte primär an unserer Verschiedenheit und der fehlenden Geduld, diese Verschie- denheit auszuhalten und kennenzulernen. Der Kulturunter- schied zwischen Frau und Mann ist manchmal grösser als der Kulturunterschied zwischen Nationen. Wenn wir Angst

10

«Ihr seid wirklich mutig!»

«Ihr macht mit euren beiden kleinen Kindern einen Einsatz in Afrika? Ihr seid wirklichmutig!» Das habe ich oft gehört, als wir uns darauf vorbereiteten, für mehrere Jahre nach Guinea zu reisen. Es gab aber auch ermutigende Reaktionen, vor allem von Leu- ten, die selbst im Ausland gelebt hatten: «Toll, dass ihr das macht. Es wird eine sehr bereichernde Er- fahrung für eure Kinder sein!» Im Vorfeld kamen manchmal Zweifel auf. Ich machte mir Sorgen darüber, wie wohl unsere Kinder mit der grossen Veränderung klarkommen würden. Ich dachte an die Zeit vor vier Jahren zurück, als wir am gleichen Ort einen Kurzeinsatz leisteten, noch ohne Kinder. Wenn ich damals den Kindern der anderen Mitarbei- tenden zusah, dachte ich jeweils: Was für eine grosse Chance, so aufwachsen zu können, einen anderen Blick auf die Welt zu bekommen und den Wert der Dinge ganz anders schätzen zu lernen! Aber jetzt, als es um meine eigenen Kinder ging, fühlte ich vor allem die Verantwortung, die auf meinen Schultern lastete. Wir ziehen nach Guinea – was nehmen wir mit? Darüber hinaus gab es bei den Ausreisevorbereitungen mit zwei kleinen Kindern vieles zu beachten: Kleidung, Essen, Spielzeug, Medikamente, Impfungen ... Was müssen wir mitnehmen, was findet man vor Ort? Da war es natürlich sehr hilfreich für mich, dass ich schon einmal ein Jahr an unserem Einsatzort gelebt hatte. So konnte ich mir besser vorstellen, wie das Leben für un- sere Familie dort aussehen würde. Ausserdem unter- stützten uns die Mitarbeitenden vor Ort in all diesen Fragen sehr. Dass wir in ein Haus einziehen konnten, das vorher bereits von einer Familie bewohnt worden war, erleichterte die Sache natürlich auch – vieles stand dadurch schon zur Verfügung. Einen neuen Rhythmus finden Bei einer so grossen Veränderung dauert die Anpas- sungsphase natürlich eine Weile. Es braucht Zeit und Geduld, bis jeder sich in der neuen Umgebung wohl- fühlt. Simeo war sechs Monate alt, als wir ausreisten – bei ihm war vor allem das Schlafen am Anfang ein Pro- blem. Maëlio war zweieinhalb Jahre alt. Für ihn waren die Unterschiede zwischen der Schweiz und Guinea sichtbarer: die fremde Sprache, die andere Kleidung, ein ungewohnter «Supermarkt», der Ruf des Muezzins, die Sandpisten und so weiter. All diese neuen Orte und die vielen neuen Menschen, die er kennenlernte, kos- teten ihn in der ersten Zeit viel Energie. Und auch wir Eltern brauchten eine Weile, um einen Rhythmus zu finden, der für die ganze Familie passte. Gott wird versorgen Es ist keine leichtfertige Entscheidung, sein komfor- tables Zuhause, seine Familie und Freunde zu verlas- sen und in ein afrikanisches Land zu ziehen – und mit zwei kleinen Kindern erst recht nicht. Aber inmitten all unserer Zweifel hat Gott uns mit seinem Frieden erfüllt und tief in unseren Herzen den Ruf bestätigt, ihm im Ausland zu dienen. Ich halte an seinen Verheissungen fest und bin überzeugt, dass er, wenn er uns ruft, sich

auch um unsere Kinder kümmern wird. Amélie MAURER, ActionVIVRE Süd, Guinea

Kann man sich eine schönere Kindheit vorstellen?

heit – dank der Einzelbetreuung der Kin- der durch die Lernhelfer sind wir nicht an fixe Schulferien gebunden, sondern kön- nen als Familie selber bestimmen, wann wir Ferien machen und auch einmal unter der Woche mit dem Team einen Ausflug unternehmen. Ausserdem können unsere Jungs in diesem Schulsystem optimal und individuell gefördert werden. Tiefe Freundschaften sind schwieriger Natürlich fehlen ihnen aber auch gleich- altrige Spielkameraden aus dem eigenen Kulturkreis. Die afrikanischen Freunde kommen zwar oft vorbei und sie spielen unbeschwert zusammen, doch je älter die Kinder werden, desto schwieriger ist es, tie- fe Freundschaften zu pflegen. Die einhei- mischen Kinder müssen oft zu Hause hel- fen, sind in der Schule eingespannt oder müssen zum Koranunterricht. Obwohl sich unsere Jungs auf Französisch verständigen können, ist es anders, als in der eigenen Muttersprache zu kommunizieren. Viele wertvolle Erfahrungen Dennoch: Eine schönere Kindheit als in Af- rika ist für uns kaum vorstellbar: Den gan- zen Tag kann man draussen sein, darf im Regen herumrennen, ohne Kindersitz im Auto mitfahren (das finden unsere Jungs

in der Schweiz voll blöd) und findet immer jemanden zum Spielen. Unsere Kinder sind sehr offen gegenüber fremden Men- schen. Sie haben gelernt, dass Menschen verschiedene Prioritäten im Leben haben können und man auch Freunde haben kann, die ganz anders leben, als man sich das gewohnt ist. Sie wissen, woher das Fleisch kommt (sie waren schonmehrmals im Schlachthaus), wie man eine Lasagne von Grund auf selber macht und können ihre Wäsche von Hand waschen. Das ist vielleicht nicht gerade die gefragteste Fä- higkeit in der Schweiz, aber trotzdem eine gute Erfahrung. Das Familienbild hat uns geprägt Letzthin sagte unser Jüngster: «Hier ha- ben die alten Menschen Kinder richtig gern!» Schön, dass ihm das auch aufge- fallen ist. Familie ist im afrikanischen Kon- text sehr zentral. Dieses Miteinander und Füreinander hat auch uns geprägt in un- serer Zeit hier. Zwei oder drei Mal pro Tag sitzen wir alle gemeinsam am Tisch zum Essen. Die Wochenenden verbringen wir meistens mit Ausflügen oder Spielen. Welche Familie in der Schweiz kann das von sich behaupten? Sandra TOGGENBURGER war mit ihrer Familie acht Jahre im ActionVIVRE Süd in Guinea im Einsatz. Im letzten Sommer sind sie in die Schweiz zurückgekommen.

«Was wünschst du dir zu Weihnach- ten?», frage ich meinen 8-jährigen Sohn. Seine Antwort: «Eine Tüte Gum- mibären wäre toll.» Diese Bescheiden- heit rührt mich. Für uns sind kleine Dinge speziell, die in der Schweiz wohl alltäglich sind. Es sind die einfachen Freuden des Lebens, die wir in Afrika sehr schätzen: Ein Aus- flug zum Stausee, Schlangenbrot auf dem Feuer im eigenen Hof, eine Übernachtung draussen unter dem Sternenhimmel. Un- sere Kinder können sich in der Natur hier gut beschäftigen: Sie bauen Pfeilbogen, sammeln Früchte von den Bäumen oder gehen im nahen Bach Fische fangen. Gazellen, Eulen und Enten als Haustiere Während unserer Zeit hier konnten wir auch eine Fülle an verschiedensten «Haus»-Tieren halten: Hunde, Katzen, Hühner, Enten, Kaninchen, Schildkröten, eine riesige Achatschnecke, eine junge Eule, eine kleine Gazelle und einmal gar eine ungiftige Schlange (die wir aller- dings bald wieder in die Freiheit entlies- sen). Ich finde es toll, wenn Kinder mit Tie- ren aufwachsen können und das ist hier in Guinea sehr viel einfacher zu handhaben als in der Schweiz, da wir genügend Platz haben. Auch sonst geniessen wir viel Frei-

12

Was ist mit der Schule?

Mit schulpflichtigen Kindern ins Ausland – ist das nicht verantwortungslos? Dadurch sind die Kinder doch bestimmt benachteiligt, wenn sie mal in die Schweiz kommen? Und wie funktioniert Schule in ei- nem solchen Land überhaupt? – Wenn man mit Kin- dern im Schulalter einen Einsatz plant, stellen sich viele wichtige Fragen. Während es früher normal war, dass Kinder weit weg von der Familie in einem Internat lebten, gibt es heute andere Lösungen. Sa- rah Büchli, Mutter von vier Kindern, erzählt: Ich selber bin in Ostafrika aufgewachsen. Eingeschult wurde ichmit fünf Jahren in eine afrikanische Dorfschule. Das einzige andere weisse Kind dort war mein älterer Bru- der. Riesige Klassenmit Kindern, die zuhause keinenTisch oder Stuhl besassen, geschweigedenneinenKugelschrei- ber, und Lehrer mit ziemlich rabiaten Erziehungsmetho- den gehörten zu meinem Schulalltag. So verbrachte ich meine ersten drei Schuljahre. Danach wechselten wir an eine französische Privatschule in der Nähe. Die lokale Schule ist manchmal keine Option Als wir 2012 nach Guinea kamen, planten wir, unse- re Kinder auch in eine lokale Schule zu schicken. Aber wir leben hier in einer kleinen, sehr entlegenen Stadt. In unserer Region gibt es keine internationalen Schu- len und auch in den kirchlichen Privatschulen sind die Bedingungen schwierig: schlecht ausgebildete und un- terbezahlte Lehrer, Klassen mit bis zu 60 Kindern, keine Hilfsmittel, ständige Gefährdung des Unterrichts durch Streiks, politische Unruhen und Epidemien, und so wei- ter. Der Gedanke, unsere Tochter so einzuschulen, war ziemlich beunruhigend. Unterrichtsmaterial kommt per Päckli Wir entschieden uns deshalb für eine andere Lösung: für die deutsche Fernschule und den Einsatz von Lernhelfe- rinnen und Lernhelfern. Per Päckli kommt jeden Som- mer das Schulmaterial für das ganze Jahr – vorbereitete Unterrichtslektionen, Übungsblätter, Prüfungen, Bastel- ideen. Zusammen mit den Lernhelfern, meist Kurzzeiter aus der Schweiz, erstellen wir einen Stundenplan für die

Kinder im Team, die verschiedene Schulstufen besuchen. Die Lernhelfer gestalten den Unterricht anhand des Fern- schulmaterials und ergänzen ihn mit eigenen Ideen. Sie sind dabei regelmässig mit der Fernschule in Kontakt. Teilweise sitzen in einer Lektion Kinder aus verschiede- nen Stufen, teilweise gibt es Einzelunterricht. Die Lern- helfer haben dank der kleinen Klassengrösse Zeit, auf individuelle Schwierigkeiten einzugehen. Den Kindern geht es gut damit, sie mögen ihre Schule – und das Ma- terial ist meines Erachtens sehr gut und bereitet optimal auf einen Schuleinstieg in der Schweiz vor. Fehlende Peergroup und Spannungspotenzial Trotzdem hat dieses System natürlich seine Mängel: in unserer kleinen Schule sind nur unsere Kinder und die unserer Teamkollegen. Gerade wenn die Kinder älter werden, fehlt ihnen mit der Zeit eine gleichaltrige Grup- pe Mitschüler. Dies ist für uns ein Hauptgrund für unsere Rückkehr in die Schweiz im Sommer 2020. Dass die Teamkollegen die einzigen anderen Eltern der Schule sind, birgt Spannungspotenzial: Hätte beispiels- weise die andere Familie das Gefühl, dass unser Kind den Unterricht stört, könnte das zu Problemen im Team führen. Das wäre verheerend – denn damit das Projekt funktioniert, ist es wichtig, dass wir eng und gut zusam- menarbeiten. Ich bin daher sehr froh um unser super Ver- hältnis im Team! Das ist ein Privileg! Wir sind überzeugt, dass man auch heute noch den Auf- trag von Jesus «verkörpern» muss: wir müssen ihm so gehorchen, dass wir das im eigenen Leben, am eigenen Körper spüren. Wir wagen, wir verzichten in gewissen Bereichen, wir versuchen zu glauben. Wenn wir das als Familie machen, sind die Kinder automatisch «mit drin». Wir verzichten dadurch hier zwar auf bestimmte Vorteile von Schweizer Schulen, können ihnen aber trotzdem eine sehr gute Schulbildung ermöglichen. Das ist ein Privileg!

Sarah BÜCHLI, ProESPOIR, Guinea

«Eine gute Frau ist eine Frau, die …» Familienwerte einmal anders

Gaëlle und Cédric leben mit ihren zwei Kindern in Guinea und inves- tieren sich dort in die Kirche und die Familien. Gerade in der Fami- lienarbeit sind sie mit ganz ande- ren Fragen und Werten konfron- tiert, als sie sich gewohnt sind. «Pastor, wie kommt es, dass Ihre Kin- der so fröhlich, aufgeweckt und in- telligent sind?» Diese Frage stellten wir vor kurzem einem unserer Mitar- beitern der Evangelisch-Protestanti- schen Kirche von Guinea (EPEG). Er ist der nationale Koordinator für die Arbeit mit Kindern, die von SAM glo- bal seit Jahren gefördert und unter- stützt wird. Seine Antwort war eine grosse Ermutigung für uns: «Das ist das Ergebnis von dem, was ich in den letzten Jahren gelernt habe, durch persönliche Beziehungen zu den Mitarbeitenden von ProTIM 2-2-2 und durch meine Ausbildung bei Kids-Team. Ich gebe das Gelernte nicht einfach nur an andere weiter, ich versuche, es zuerst in meiner ei- genen Familie zu leben.» Andere Familienstrukturen Je länger wir hier arbeiten, desto mehr wird uns bewusst, wie wich- tig die Arbeit unter Paaren, Famili- en und Kindern ist – nicht nur zum Wohle der einzelnen Familien, son- dern auch für das Wachstum der Kir- che und die Entwicklung der guinei- schen Gesellschaft. Guineische Familien haben meist

fünf bis acht Kinder, manchmal auch mehr. Die afrikanische Grossfamilie umfasst oft drei Generationen und somit zahlreiche Personen, die in einem Kontext extremer Armut er- nährt werden müssen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Mann meh- rere Frauen hat. Dies führt zu Riva- litäten, Bevorzugung und Proble- men im Zusammenleben. Eheliche Untreue ist sehr verbreitet und wird oft verharmlost. Viele Paare sind mit den Folgen der Beschneidung kon- frontiert, die die Sexualität erheblich erschweren. Wovon sind Beziehungen geprägt? Neulich wurde uns gesagt: «In Gui- nea ist eine gute Frau eine Frau, die gut gehorcht und gut kocht.» Die Kirche versucht, eine andere Bot- schaft zu vermitteln. Wir möchten die Kommunikation zwischen den Ehepartnern und ihr Miteinander fördern. Wir wollen Paaren beibrin- gen, Beziehungen zu leben, die von der guten Nachricht von Jesus Christus geprägt sind und die nicht nur von traditionellen Bräuchen und Verpflichtungen bestimmt werden. Keine Förderung der Kinder Während im Westen die Kinder oft im Mittelpunkt der Familie stehen, manchmal sogar zu sehr, werden die guineischen Kinder meist sich selbst überlassen. Die Erwachsenen be- schäftigen sich kaum mit ihnen und

die Kinder werden praktisch nicht gefördert. Bei einer Schulung mit rund 50 Müttern waren alle über- rascht zu hören, dass es eine gute Sache ist, mit den Kindern zu spie- len. Die Mütter befürchteten, dass die Kinder respektlos und wider- spenstig würden, wenn sich die El- tern auf die gleiche Stufe mit ihnen begäben. Auch in der Schule ist eine Entwicklung der Intelligenz und Kre- ativität der Kinder praktisch unmög- lich – zu gross sind die Klassen mit ihren 80 bis 100 Schülerinnen und Schülern und oftmals fehlt auch das pädagogische Wissen dafür. Die Familie legt das Fundament Wir leben nun seit zehn Monaten mit unseren beiden Kindern, zehn und zwölf Jahre alt, in Guinea. Hier haben wir die Bedeutung des Fami- lienlebens erst recht erkannt. Die Familie ist der erste Ort, an dem Identität aufgebaut und der Glaube weitergegeben wird, wo die Kinder gefördert werden und ihr Potenzial entfalten können – oder eben nicht. In den verschiedenen Schulungen, die wir für Paare, Leitende, Sonn- tagsschullehrpersonen, Eltern und so weiter geben, versuchen wir zu vermitteln, dass sich Gottes Liebe in sehr konkreter Weise in unseren Be- ziehungen untereinander zeigt. Und dies zuallererst in der Familie. Gaëlle und Cédric CHANSON, ProTIM 2-2-2 Kissidougou, Guinea

14

Zum Schmunzeln – mit Kindern in Afrika Kinder sehen die Welt mit anderen Augen – und na- türlich auch die Leute und die Kultur im Einsatzland.

Familie Ringger, Kamerun (2010-2016) und Sri Lanka (ab Ende 2019)

Familie Vögeli, Guinea (seit 2013)

Im ersten Heimataufenthalt in der Schweiz hat Céline (damals 3 Jahre alt) immer die Schuhe ausgezogen, be- vor sie ein Haus betreten hat, so wie das in Guinea üblich ist – das galt auch für die Gemeinde oder die Migros. Als Céline sprechen lernte, konnte sie die Sprachen nicht richtig einordnen. Schweizerdeutsch wurde einfach zu «Weiss» (die Sprache, welche die weissen Menschen in ihrem Umfeld sprachen) und Französisch zu «Schwarz» (die Sprache, die die Einheimischen mit uns sprachen). Das klang dann so: «Mama und Daddy sprechen Weiss und unsere Nachbarn sprechen Schwarz.» Letzthin erklärte Céline einem Maurer, der bei uns Arbei- ten ausführte, dass man seine Kinder bei Ungehorsam nicht schlagen soll, wie das in Guinea üblich ist. Man soll sie in ein Zimmer schicken, die Türe schliessen und nach zehn Minuten wieder kommen und dem Kind alles noch- mals in Ruhe erklären. Céline erzählt auch gerne von Gott: «Der wahre Gott kann Kranke heilen und in einer Minute zehn Bäume wachsen lassen!» Céline schwärmte nach einem der ersten Schultage: «Das ist die beste Schule auf der gaaanzen Welt!» – Sie ist die einzige Schülerin ihrer Lehrerin.

Abigajil hat während dem Taufgottesdienst ihr Bäbi mit einem Stofftuch auf den Rücken gebunden, ist zu den einheimischen Frauen hinüberspaziert und hat sich ganz selbstverständlich mitten auf die vorderste Bank zwischen andere kindertragende Frauen gesetzt. Kaum konnte Amos laufen, ging er regelmässig in die Schreinerei hinter unserem Haus, um mitzuhelfen und zu kontrollieren. Er wurde jeweils mit «Bonjour le Super- visor» begrüsst. Sein allererstesWort war «tappugo» (Nä- gel einschlagen). Abigajil hat mit 15 Monaten einer Nachbarin bei uns im Quartier geholfen, Wäsche im Zuber zu waschen. Als der kleine Junge der Frau zu ihr kam und mit der Hand im Zuberwasser spielen wollte, sagte sie im selben Ton wie dessen Mutter bestimmt und laut «laisse!» und wusch ihr Wäschestück recht geschickt weiter.

Familie Toggenburger, Guinea (2011-2019)

Eloan erzählt einem erstaunten Besucher aus der Schweiz, dass unser Wächter schon mal einen Koran getötet habe. Der Besucher fragt nach und merkt dann, dass Eloan einen Waran gemeint hat. Als Amael drei Jahre alt war, bekam er zu Weihnachten ein kleines Kochset. Schnurstracks ging er nach draus- sen, holte sich drei Steine und bildete damit eine typisch guineische Kochstelle, auf die er dann seine kleinen Pfannen stellte. Erinn: «Wenn ich gross bin, will ich einen Beruf, der nicht zu streng ist, bei dem man viel verdient und der einfach rockt. Zum Beispiel Missionar.» Im ersten Heimataufenthalt besuchten wir ein Restau- rant und freuten uns alle auf Schnitzel, Pommes und Co. BeimVorlesen der Speisekarte fing Amael (damals 3 Jah- re alt) an zu weinen: «Ich will aber Reis und Sauce!»

Familie Diallo, Guinea (seit 2017)

Uns kam eine verschleierte Frau entgegen. Marc Lamine (damals 2.5 Jahre alt) zeigte mit ausgestrecktemArm und Finger auf sie und sagte: «Mama, die Frau ist komisch!» Mir war das etwas peinlich (auch wenn sie es natürlich nicht verstanden hatte), zumal ich ja ihre Reaktion nicht an ihrem Gesicht ablesen konnte. Aber sie reagierte sehr freundlich auf meinen Gruss. Als wir weitergingen, fragte ich Marc, was denn so komisch sei. Er sagte: «Sie hat sich versteckt» und fing an zu lachen.

heimkommen nach 10 Jahren im Tschad

Nach mehr als zehn Jahren Ein- satz im Tschad und mehreren Hei- mataufenthalten in der Schweiz hatten wir uns an das Hin und Her gewöhnt. Wenn wir für einen Hei- maturlaub in die Schweiz kamen, wussten wir, was uns erwartete und wie wir diese Zeit geniessen konnten – und wir freuten uns auf eine baldige Rückkehr nach Afrika. Wenn wir in den Tschad zurück- kehrten, brauchten wir jeweils nur ein paar Tage, um uns wieder zuhause zu fühlen. Die definitive Rückkehr in die Schweiz war eine neue Situation für die ganze Fami- lie, der wir mit gemischten Gefüh- len entgegenblickten. Für uns Eltern war es eine Rückkehr in unsere Herkunftskultur. Wir haben schnell viele Schweizer Gewohnhei- ten wiederentdeckt, die während des letzten Jahrzehnts etwas in Verges- senheit geraten waren. Als Herausfor- derung empfanden und empfinden wir alle die Bekleidung. Nach zehn Jahren im Tschad wussten wir genau, welches Outfit für welchen Anlass das richtige war. Hier in der Schweiz fühlen wir uns manchmal ein wenig verloren – auch im Umgang mit den tiefen Temperaturen: Wie können wir den Kindern erklären, dass lange Ho- sen nicht nur für diejenigen sind, die schnell frieren? Im Herbst galt einer der ersten Blicke unseres Sohnes am Morgen dem Aussenthermometer. Zeigte es unter 10 Grad an, musste er Jeans tragen, auch wenn er sich in sei- ner Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühlte. Undwas die Schuhe anbelangt: unsere Kinder würden es vorziehen, immer barfuss herumzulaufen. Die Rollen sind wieder aufgeteilt Auch für uns als Ehepaar war die Ver- änderung sehr gross. Nachdem wir so viele Jahr lang eng zusammen- gearbeitet und ein Projekt zu mehr oder weniger gleichen Teilen getra- gen hatten, teilten sich unsere Rollen

nun viel mehr auf. Ich hatte Respekt davor, mich in der Rolle der Pastorenfrau wiederzufinden, die sich um den Haushalt, die Kinder und die Hauswartsauf- gaben der Kirche kümmert, oft ohne «Früchte» der Arbeit zu sehen. Fussgängerstreifen? Abfalleimer? Lange im Voraus legten wir alles, was unsere Rück- kehr anbelangte, in Gottes Hände: Arbeit, Haus, Auto, Schule ... und wir waren sehr dankbar zu er- leben, dass er uns nicht vergessen hatte. Schon ein Jahr im Voraus standen die zukünftige Arbeitsstelle von Andreas und unser Wohnort fest – ein Segen! Unsere drei älteren Kinder wurden in der Schule von fürsorglichen Lehrpersonen begrüsst und fanden schnell Freunde. Auch mit dem Schulstoff hatten sie keine Probleme. Nach und nach haben sie gelernt, was Fussgängerstreifen sind, dass es überall Abfall- eimer hat und dass nicht wie im Tschad das halbe Quartier kommt, ummit ihnen zu spielen, sobald sie aus dem Haus gehen. Sie rennen nicht mehr nach draussen, um zu tanzen, sobald es regnet, und sie haben festgestellt, dass die Schweizer nicht ganz so kinderfreundlich sind wie die Tschader. Eine wunderbare Zeit in unserem Leben Unser erster Ausflug in die Eishalle war denkwürdig und erinnerte an gewisse Szenen des Films «Cool Runnings», in dem sich vier Jamaikaner als Bobfah- rer für die Winterolympiade qualifizieren möchten: Unsere Kinder waren nie zuvor im Leben Schlitt- schuh gelaufen und die jüngeren hatten überhaupt noch nie einen Winter erlebt – dementsprechend lustig ging es zu und her! Wir haben sehr viel ge- lacht in diesem vergangenen Jahr! Es stimmt, dass unsere Kinder in einigen Bereichen Lücken haben, aber wir haben nichts gefunden, was nicht aufge- holt werden könnte. Im Gegensatz dazu ist alles, was sie im Tschad erlebt, erfahren, geschmeckt und geliebt haben, ein grosses Plus für ihr Leben. Wir sind so dankbar, dass wir trotz aller Schwierigkeiten durchgehalten und dieses schöne Abenteuer Afrika erlebt haben. Die ganze Familie ist sich einig, dass es enorm schade gewesen wäre, diese wunderbare Zeit unseres Lebens zu verpassen. Wir möchten alle Familien, die sich überlegen, die- sen Schritt zu wagen, ermutigen. Wenn Gott euch führt, auszureisen, wird er euch auch bei der Rück- kehr führen.

Patricia MOSER war mit ihrer Familie bis Sommer 2018 im ProRADJA’, Tschad im Einsatz

16

unter Kontrolle hat, dass er das Beste für uns will und wir unsere Hoffnung auf ihn setzen können. Das über- trumpft alle Nachteile. Alle vier Jahre habt ihr als Familie ein Jahr in der Schweiz verbracht. Wie waren diese Wechsel für dich? Als Kind freute ich mich immer sehr darauf, im jeweiligen Land meine Freunde und Verwandten zu sehen und fand die Wechsel spannend, auch wenn mir die Abschiede jeweils schwerfielen. Gar nicht einfach war es, als wir in meinen Teenagerjahren in die Schweiz kamen: Der Schuleinstieg war schwierig und ich wurde von meinen Klassenkameraden ausge- grenzt und als Ausländer verspottet. Dass Menschen andere so behandeln können, hatte ich bis zu diesem Zeit- punkt nicht gewusst. So wurde aus meiner Zeit in der Schweiz, auf die ich mich immer so sehr gefreut hatte, eine Zeit des Kampfes. Nach diesem Jahr wusste ich nicht, ob ich je wieder in die Schweiz zurückkehren wollte. Doch die Lehre als Automechaniker wartete schon auf mich. Einerseits war ich Gott sehr dankbar für diese Lehrstelle, gleichzeitig fürchtete ich mich davor, wieder in die Schweiz zu gehen. Aber ich durfte einen gu- ten Lehrplatz haben und später auch zwei gute Arbeitgeber, die mir sehr geholfen haben, meine negativen Eindrücke der Schweiz zu überwin- den. Heute fühle ich mich als «stol- zer» Schweizer und komme immer gerne zurück. Du arbeitest jetzt seit 2017 selber in Brasilien. Weshalb bist du nochmals ausgereist? Ich wusste schon früh, dass ich eines Tages auch so etwas Ähnliches ma- chen wollte wie meine Eltern. Gott

hat mir dann gezeigt, dass meinWeg wieder nach Brasilien führt – und zwar als Mobilisator. Während mei- ner theologischen Ausbildung in Ka- nada hat er mir die Jugend aufs Herz gelegt. Und in diese investiere ich mich jetzt zusammen mit meinem genialen Team. Inzwischen durften wir schon hunderte Jugendliche für interkulturelle Arbeit motivieren und erste Früchte unserer Arbeit sehen. Würdest du deinen Kindern auch wünschen, so aufzuwachsen wie du? Ja und Nein. Ich bete, dass Gott ih- nen die schweren Zeiten, die ich in der Schweiz hatte, erspart – aber ansonsten wünsche ich ihnen eine Kindheit, wie ich sie hatte! *Was ist ein TCK? Als Third Culture Kids (TCK), auf Deutsch Drittkulturkinder, werden Kinder und Jugendliche bezeichnet, die nicht in der Kultur ihrer Eltern oder in dem Land aufwachsen, das gemäss ihrem Pass ihr Heimatland ist. Kinder von interkulturellen Mit- arbeitenden sind somit typische TCK (früher häufig auch als Missionars- kinder (MK) bezeichnet). Auch Kinder von beispielsweise Diplomaten gel- ten als TCK. TCK übernehmen sowohl Gewohnheiten und Prägungen aus der Kultur des Einsatzlandes als auch aus der Kultur der Eltern. Sie sind aber in keiner der beiden Kulturen ganz zuhause und formen aus den ihnen bekannten Kulturen eine wei- tere Kultur, weshalb man von einer Drittkultur spricht. TCK finden sich meist in fremden Kulturen zurecht und sind besonders anpassungsfä- hig, erleben aber manchmal auch Wurzellosigkeit und Schwierigkeiten in der Identitätsfindung.

Joel ist der Sohn von interkulturel- len Mitarbeitenden und ein soge- nanntes TCK* – ein Third Culture Kid. Wie er das erlebt hat, erzählt er im Interview: Wo und wie bist du aufgewachsen? Joel: 1990, ein Jahr nach meiner Ge- burt, sind meine Eltern mit mir nach Brasilien ausgereist, um im Bundes- staat Piauí Gemeinden zu gründen. Ich habe meine ganze Kindheit in Brasilien verbracht und die Kultur hat mich sehr geprägt. Meine erste Sprache war Portugiesisch – ich ver- stand Schweizerdeutsch zwar von Anfang an, konnte es aber zuerst nicht sprechen. Wie hast du deine Kindheit erlebt? Sehr positiv. Nicht viele Kindern haben die Gelegenheit, in einer an- deren Kultur aufzuwachsen, von Geburt auf eine andere Sprache zu lernen und dabei noch Spass zu haben. Als Kind durften wir so ei- niges machen, was in der Schweiz nicht möglich gewesen wäre – zum Beispiel verbrachten meine Brüder und ich die Nachmittage oft auf den Bäumen in unserem Garten, gingen fischen und vieles mehr. Das war ein grosser Segen. Natürlich gab es auch Dinge, auf die wir verzichten mussten, weil wir in Brasilien mitten in der «Pampa» wohnten. Beispielsweise qualifizier- te ich mich als Kind während einem Heimataufenthalt für einen grossen Schwimmwettkampf. Schwimmen war damals meine Leidenschaft. Der Wettkampf fand jedoch genau am Tag unseres Rückflugs nach Brasilien statt – somit konnte ich nicht teil- nehmen. So hatte dieses Aufwachsen seine Vor- und Nachteile. Doch schon als Kind durfte ich lernen, dass Gott alles

18

Page 1 Page 2 Page 3 Page 4 Page 5 Page 6 Page 7 Page 8 Page 9 Page 10 Page 11 Page 12 Page 13 Page 14 Page 15 Page 16 Page 17 Page 18 Page 19 Page 20 Page 21 Page 22 Page 23 Page 24 Page 25 Page 26 Page 27 Page 28

Made with FlippingBook - professional solution for displaying marketing and sales documents online