04-2017 D

A M S g l o b a l

SERVE AND MULTIPLY 4/2017

UNSER AUFTRAG Mission ( im ) possible?!

4/2017 INHALT

Wo ist das Ende der Welt? «Gehet hin in alle Welt», sagte Jesus nach seiner Auferste- hung. Bei diesem Satz kommt mir sofort der Gedanke «bis ans Ende der Welt» in den Sinn. Aber wo befindet sich das Ende derWelt? Irgendwo im entfernten Afrika, im Bergland von Nepal oder direkt vor unserer Haustüre? Die folgende Geschichte aus unserem Projekt hat mir gezeigt, wie nah das «Ende der Welt» doch sein kann. Zu gefährlich für Postzustellung Gemeinsammit unserer Partnerkirche haben wir ein Nach- hilfeprojekt gestartet: Dreimal pro Woche kommen rund 20 Schülerinnen und Schüler vorbei und werden von ei- nem Team der lokalen Kirche schulisch gefördert und unterstützt. Die Kirche und damit auch das Projekt liegen etwas ausserhalb der Grossstadt Belém, in der Nähe eines riesigen Abfallberges – eine Gegend, die von Kriminalität geprägt ist. Im letzten Semester haben wir unter anderem das Thema «Der Ort, an dem ich lebe» behandelt. Die Kinder wur- den aufgefordert, sich mit ihrer Umgebung vertraut zu machen. Sie lernten ihre Adresse auswendig, erkundeten ihre Nachbarschaft und wir brachten ihnen bei, wie man Karten liest. Dabei kam die Idee auf, das Auswendiglernen der Adresse zu nutzen, um sich gegenseitig Postkarten zu schreiben. Die Leiterin des Projekts sammelte die Karten ein und wollte sie bei der Poststelle in Belém abgeben, doch sie wurde abgewiesen mit dem Hinweis, dass an diesen Stadtteil keine Post zugestellt werde: Die Gegend sei zu gefährlich, um Briefträger dorthin zu schicken. Und plötzlich merkt man, wie man «zum Ende der Welt» wird – wie das eigene Projekt und die Kinder, die man ins Herz ge- schlossen hat, zum Ende der Welt werden. Niemand traut sich, dorthin zu gehen: es kostet zu viel, ist zu riskant, zu gefährlich, zu dreckig. Wie dankbar bin ich, dass sich diese Kirchgemeinde trotzdem investiert und ein Licht in diesem dunklen Teil der Welt ist! Vor unserer Haustüre In Europa erleben wir das Gleiche etwas anders. Plötzlich kommt das «Ende der Welt» in der Form von Flüchtlingen zu uns, klopft an unsere Haustüre und bringt unser schö- nes, ruhiges und geordnetes Leben durcheinander. Die Leute haben andere Wertvorstellungen als wir, einen an- deren Glauben, eine andere Hautfarbe – sie sind anders. Ich wünsche uns allen eine grosse Portion Mut, uns auf die Menschen aus aller Welt einzulassen und ihnen mit Gottes Liebe zu begegnen.

Damaris LIECHTI, ehemalige Mitarbeiterin im ProVIDA und jetzt im ProRIBEIRINHO in Brasilien im Einsatz

2

EDITORIAL

Gehen – mit Auswirkungen Mit 20 Jahren bin ich nach Brasilien gereist, um dort einen Kurzeinsatz zu machen. Bei der Ausreise war ich mir plötzlich gar nicht mehr sicher, ob das wirklich so eine gute Idee war. Raus aus allem Ver- trauten! Hinein in diese fremde Welt, die mir so gar nichts sagt! Ich verliebte mich jedoch Hals über Kopf in die klei- ne Favela, in der ich arbeitete, in die Menschen vor Ort und in meinen brasilianischen Alltag. Ich durf- te lernen: Gott weiss am besten, wohin ich gehöre. Und wenn ich ihm meine Zeit und meine Ressour- cen zur Verfügung stelle, verändert er etwas – in mir und in meiner Umgebung. Das erleben auch unsere Mitarbeitenden immer wieder. Auf den Seiten 8 und 9 erzählen einige von ihnen, weshalb sie ausgereist sind (auch wenn sie manchmal eigentlich andere Pläne hatten …) und was Gott aus ihrem Einsatz gemacht hat. Unser Auftrag und seine Folgen Mein Kurzeinsatz hat meinen Glauben und mein Bild von interkultureller Arbeit geprägt. Ich habe begonnen zu verstehen, wie wichtig es ist, Theorie und Praxis zusammenzubringen: Nicht nur in der Bibel zu lesen und an Gott zu glauben, sondern sei- ne Liebe durch Taten ganz praktisch erfahrbar zu machen. Weltweit. Das entspricht auch dem Auftrag von SAM global (Seite 6) und ich darf jeden Tag Geschichten darü- ber lesen, welche Auswirkungen das hat: Mitarbei- tende aus allen Einsatzländern berichten, wie sich die Herzen von Menschen verändern, wie junge Erwachsene endlich eine Ausbildung machen kön- nen, wie Ausgeschlossene den Weg zurück in die Gesellschaft finden, wie Kinder dank ihrer Schulbil- dung eine Zukunft erhalten und wie Kranke geheilt werden. Das begeistert mich!

Sarah BRÜHWILER, Öffentlichkeitsarbeit

PS: Ab nächstem Sommer suchen wir in verschie- denen Bereichen wieder Kurzzeitmitarbeitende, die sich für 6–12 Monate im Ausland engagieren möchten! Mehr dazu auf Seite 22.

Mission ( im ) possible?!

Als Jesus seinen Jüngern den Auftrag erteilte, die gute Nachricht der Versöh- nungmit Gott überall hinzu- tragen und den Menschen auf der ganzenWelt in Liebe praktisch zu dienen, konn- te sich wohl keiner so recht vorstellen, wie das je mög- lich sein sollte. Die ganze Welt! Eine gigantische Auf- gabe! Doch den ersten Aposteln gelang es dann tatsächlich, grosse Teile der damaligen Welt auf den Kopf zu stel- len. Im Laufe der Zeit gab es aber auch viele Rückschläge, Fehlentwicklungen, Macht- missbrauch und andere Vor- kommnisse, auf die die Kir- che bis heute nicht stolz sein kann. Trotzdemhat sichGottes Lie- be durch all die Jahrhunder- te und durch alle Schwierig- keiten hindurch ihren Weg gebahnt, wie ein Blick in die Geschichte zeigt. Vor wenigen Tagen feier- ten Protestanten rund um den Globus ihre 500-jährige Geschichte, die offiziell am 31. Oktober 1517 begann, als der Theologe Martin Luther in Wittenberg seine 95 The-

18.–20. Jahrhundert: Neue Bewegungen und Kirchen entstehen In Europa schrieben in den da- rauffolgenden Jahrhunderten unter anderem John Wesley (1703–1791), Gründer der Me- thodistenkirche, und William Booth (1829–1912), Gründer der Heilsarmee, Kirchenge- schichte. Wesley und Booth war die damalige Kirche zu eli- tär. Sie wollten neue Zeichen der Nächstenliebe setzen und kümmerten sich vor allem um Randständige und die arme Bevölkerung. In Amerika reis- ten in dieser Zeit Prediger wie Charles Finney (1792–1875) und Dwight Lyman Moody (1837–1899) durch das Land und brachten eine neue Lei- denschaft in viele Kirchen. 1906wurde zudemdie Pfingst- bewegung gegründet, die sich schnell ausbreitete und viel bewirkte. Jede dieser Bewegungen setz- te auf ihre eigene Art neue Zeichen. Der praktische Dienst am Menschen und die Förde- rung von Bildung waren aber bei allen zentrale Elemente.

sen veröffentlichte und damit eine gewaltige Umwälzung in Gang brachte. Dank Luther war die Bibel plötzlich für alle zugänglich und verständlich. Jeder konnte sich nun selber mit Gottes Liebe auseinander- setzen – und dabei feststellen, dass man diese Liebe weiter- geben soll, indem man sich um andere kümmert, ihnen dient, sich für sie einsetzt und ihnen mit Liebe begegnet. So begannen Christen, ihre Ver- antwortung gegenüber ande- ren wahrzunehmen. Die Ideen der Reformation er- fuhren durch Huldrych Zwing- li und Johannes Calvin auch in der Schweiz Unterstützung. Basierend auf der Bibel ent- wickelte Calvin eine Arbeits- und Wirtschaftsethik, die als Grundlage für die industrielle Revolution und die Demokra- tisierung vieler Staaten gilt. Zudem sah er es als Auftrag der Christen an, sich um die Armen zu kümmern – und durch sein Vorbild begannen immer mehr Menschen, sich mit Finanzen und Taten für soziale Projekte zu engagie- ren, wodurch Waisenhäuser, Krankenhäuser und weitere karitative Einrichtungen ent- standen.

ProtestanTISCHE ENTWICKLUNG nach KontinenteN

2010 Globale Konferenzen markieren 100. Jahrestag von Edinburgh 1910

1790-1840 Zweite grosse Erweckung

250

1948 Gründung des Weltkirchenrates

1790 Ausbreitung von protestantischen Missionsbewegungen

200

150

1910 Weltmissionskonferenz in Edinburgh

1730-1755 Erste grosse Erweckung

AFRIKA ASIEN EUROPA

100

1648 Frieden von Westfalen

1517 Luthers 95 Thesen

50

LATEINAMERIKA NORDAMERIKA OZEANIEN

0

1500 1550 1600 1650 1700 1750 1800 1850 1900 1950 2000 2015

4

4

auch heute Christinnen und Christen aus Europa gebrau- chen möchte, um Menschen in einem anderen Land zu dienen und ihr Know-how mit ihnen zu teilen – und sie anzu- leiten, das Gelernte an andere weiterzugeben und so zu mul- tiplizieren.

20. Jahrhundert: Schub für die

von Christen geleistet und fi- nanziert. 21. Jahrhundert: Ver- lagerung in den Süden Durch all diese Bewegungen hat sich die Botschaft von Got- tes Liebe weltweit ausgebrei- tet und verankert: Während 1910 noch etwa 80 Prozent aller Christen im sogenannten globalen Norden, also in Euro- pa und Nordamerika, lebten, rechnet man damit, dass bis 2020 rund 66 Prozent im glo- balen Süden leben werden – in Afrika, Asien und Latein- amerika. Mit dieser Entwicklung ver- ändert sich auch die interkul- turelle Arbeit: Noch vor 50 Jahren stammten ein Gross- teil aller interkulturellen Mit- arbeitenden aus Europa und Nordamerika. Heute findet ein weltweiter Austausch von Mitarbeitenden statt: Sie kom- men von überall her und ge- hen überall hin. So entstehen neue Dynamiken – und auch neue Rahmenbedingungen für Organisationen wie SAM global. Es ist wichtig, dass wir uns immer wieder neu orien- tieren und uns den veränder- ten Umständen anpassen. heute und in zukunft: Die Arbeit geht weiter Es gibt nach wie vor sehr viele Benachteiligte, die dringend praktische Unterstützung und Hilfe benötigen. Als SAM global haben wir uns diesem ganzheitlichen Auftrag ver- pflichtet. Wir sind überzeugt, dass Gottes Liebe allen Men- schen auf der Welt gilt und er

interkulturelle Arbeit Ein wichtiger Meilenstein für die interkulturelle Arbeit war die erste Weltmissionskon- ferenz 1910 in Edinburgh, Schottland. Sie gilt als Aus- gangspunkt der modernen ökumenischen Bewegung und gab der interkulturellen Arbeit einen Schub – immer mehr Christen verliessen da- nach ihre Heimat, um in einem fernen Land und einer frem- den Kultur Gottes Liebe sicht- bar zu machen. Besonders engagiert waren dabei Nor- wegen und die Schweiz: Über viele Jahre hinweg reisten aus diesen beiden Ländern pro- zentual zur Bevölkerung am meisten interkulturelle Mitar- beitende in alle Welt. Wegweisend für die interkul- turelle Arbeit waren auch die Impulse der Lausanner Be- wegung: 1974 kamen in Lau- sanne 2300 Leitende aus 150 Ländern zusammen und ver- fassten die «Verpflichtung von Lausanne» – bis heute eines der wichtigsten Dokumente vieler evangelischer Gruppen. An den Konferenzen Lau- sanne II (1989 in Manila) und Lausanne III (2010 in Kapstadt) wurden das «Manifest von Manila» und die «Kapstadt- Verpflichtung» verabschiedet. Beide Dokumente befassen sich vor allemmit der weltwei- ten sozialen Verantwortung der Christen, die heutzutage vielerorts wahrgenommen wird: Ein nicht unwesentlicher Teil der globalen Entwick- lungszusammenarbeit in vie- len Ländern wird inzwischen

Ulrich HALDEMANN, Leiter Kommunikation

VERTEILUNG NACH KONTINENTEN

NORDAMERIKA OZEANIEN

100%

80%

SÜDAMERIKA

60%

EUROPA

40%

ASIEN

20%

AFRIKA

0%

1970 1980 1990 2000 2010 2020 Center for the Study of Global Christianity Christianity in its Global Context, June 2013

1970 2020 EVANGElISCHE CHRISTEN 1970–2020 ( operation World ) 2010

RATE** 1970-20

RATE** 2010-20

AFRIKA ASIEN EUROPA SÜDAMERIKA NORDAMERIKA OZEANIEN

24,435,000 14,811,000 14,320,000 13,259,000 55,871,000 3,555,000

6,7% 0,7% 2,2% 4,6%

182,442,000 146,854,000 18,342,000 97,482,000 94,385,000 6,382,000

17,7% 3,5% 2,5% 16.6% 26,8% 17,8%

237,919,000 172,680,000 18,917,000 115,238,000 101,685,000 7,243,000

18,6% 3,8% 2,6% 17,8% 26,5% 18,0%

4,55% 4,91% 0,56% 4,32% 1,20% 1,42%

2,65% 1,62% 0,38% 1,67% 0,74% 1,27%

24,2% 18,1%

GLOBAL TOTAL

126,251,000

545,887,000

3,4 %

7,9 %

653,682,000

8,5 %

3,29 %

1,80 %

*% Prozentsatz zur Bevölkerung **Rate = durchschnittliche jähliche Wachstumsrate

Was ist über UNSER AUF

Ich erwache früh am Morgen in meinem kleinen Hotelzimmer. Das bescheidene Hotel liegt direkt am Amazonas und gleichzeitig am Rand eines der gefährlichsten Quartiere von Belém. Ich ste- he auf und verlasse das Zimmer, um joggen zu gehen. Es wimmelt von Abfall, Pfützen, Geiern und Men- schen. Während ich mich schwitzend durch die nicht gerade wohlriechende Umgebung und die feuchte Hitze kämpfe, staune ich nicht schlecht: In diesem Quartier, das bekannt ist für Drogen, Pros- titution, Kriminalität und Mord, begegnet mir fast alle 200 Meter eine kleine Kirche! Kampf gegen Armut, Krankheit und Unterdrückung Ist der Auftrag von Jesus damit erfüllt? Nein! Gott beeindruckt es nicht, wenn an jeder Ecke eine Kir- che steht, die am Sonntag während ein paar Stun- den gefüllt ist, aber sich das Leben ansonsten nicht verändert. Er will, dass Menschen sich mit ihm und untereinander versöhnen und in Frieden und ohne Angst leben können. Er möchte, dass Kinder in ei- nem sicheren Umfeld aufwachsen und die Chance auf eine gute Ausbildung haben, anstatt ausge- nutzt und missbraucht zu werden, und dass Fami- lien in Würde statt in Armut leben. Der Auftrag, den Gott uns gegeben hat, ist ganz- heitlich. Jesus hat quasi bei seinem Dienstantritt ei- nen Text aus Jesaja zitiert, der auf den Punkt bringt, worum es geht (Lukas 4,18–19): «Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt, um den Armen die gute Botschaft zu verkünden. Er hat mich gesandt, Gefangenen zu verkünden, dass sie freigelassen werden, Blinden, dass sie sehen wer- den, Unterdrückten, dass sie befreit werden und dass die Zeit der Gnade des Herrn gekommen ist.» Die Gute Botschaft umfasst also neben der Ver- söhnung mit Gott auch den Kampf gegen Armut,

Krankheit und Unterdrückung! Das ist unser Auf- trag. Und deshalb engagieren wir uns in unseren zehn Einsatzländern. Die Prinzipien von Jesus auf das Leben übertragen 1898 gründete Héli Chatelain in Angola die Missi- on Philafricaine, eine der Vorgängerorganisationen von SAM global. Er hatte das Anliegen, ehemaligen Sklaven Würde und Selbstvertrauen zurückzuge- ben. In seiner 1918 erschienenen Biografie steht ein Satz, der für jene Zeit aussergewöhnlich war: «Die christlichen Missionen widmen sich im Speziellen der Lösung moralischer oder religiöser Fragen, de- renWichtigkeit viel zu wenig geschätzt wird. Jedoch sind die materiellen, intellektuellen und sozialen Herausforderungen zu stark vernachlässigt und der politischen und wirtschaftlichen Welt überlassen worden. Von der Kirche wurde keine systematische Arbeit geleistet, um die Prinzipien Jesu Christi auf das ganze Leben zu übertragen. […] Das ist, was die Mission Philafricaine erreichen möchte.» Aus der winzigen christlichen Gemeinschaft von fünf ehemaligen Sklaven, die Héli Chatelain damals initiierte, entstand in Angola die IESA, eine Kirche, zu der heute weit über 100‘000 Mitglieder sowie mehrere Gesundheitsposten, eine Krankenpflege- schule mit angegliedertem Spital und ein nationa- les Programm für den Kampf gegen Lepra gehören. Die Einstellung und das Engagement von Héli Cha- telain haben die Geschichte von SAM global stark geprägt – und noch heute ist es unser Anliegen, die Prinzipien von Jesus auf das ganze Leben und auf alle Aspekte unserer Arbeit zu übertragen.

Jürg PFISTER, Leiter von SAM global

6

Ist es immer noch richtig, Mitarbeitende zu entsenden? Oder wäre es besser, einfach lokale Initiativen finanziell zu unterstützen und zu coachen, um unseren Auftrag zu erfüllen? Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. In Angola, Brasilien und Kamerun beispielsweise ist der Nationalisierungsprozess der Projekte bereits weit fortgeschrit- ten und somit läuft vieles ohne unsere permanente Präsenz vor Ort. In diesen Ländern ist unsere Hauptaufgabe die finanzielle und beratende Unterstützung. Für andere Län- der und Projekte brauchen und suchen wir aber nach wie vor neue Mitarbeitende, die sich vor Ort investieren. Warum? 1. Jesus selbst hat uns ganz klar aufgefordert, hinzugehen. SeinWort gilt auch heute noch. 2. Gerade im Bereich Schul- und Berufsbildung haben wir vielen anderen Ländern gegenüber einen riesigen Vorsprung – und damit einen wertvollen Schatz, den wir weitergeben können. Es braucht Leute, die bereit sind, die Komfortzone Europa zu verlassen, um ihr Wissen und Können mit anderen zu teilen und so zu multiplizieren – mit nachhaltiger Wirkung. 3. Spannende Projekte, die auf die vorhandenen Bedürfnisse vor Ort einge- hen würden, können leider nicht umgesetzt werden, weil uns ganz einfach die Leute dazu fehlen! 4. Wenn wir keine neuen Mitarbeitenden finden, können wir beliebte und wichtige Ausbildungsangebote wie beispielsweise das CCS in Sri Lanka oder das Studiencenter in Guinea nicht mehr weiterführen, da die Leute vor Ort noch nicht bereit sind für eine Stabsübergabe. 5. Es gibt nach wie vor viele Menschen, gerade auch Frauen und Kinder, die unter Ungerechtigkeit leiden und keine Chance auf eine gute Schul- und Be- rufsbildung sowie angemessene medizinische Versorgung haben. Da gibt es noch viel Arbeit, die wir anpacken möchten – nach Möglichkeit in Zusammen- arbeit mit Partnern vor Ort. 6. Viele Menschen hatten noch nie die Möglichkeit, etwas über Gott und seine Liebe zu uns zu erfahren, um sich selber ein Bild davon zu machen und dann frei zu entscheiden, welchem Glauben sie angehören möchten. 7. Ich bin überzeugt, dass das Engagement in einer anderen Kultur auch für uns selbst und unser Leben hier im Westen eine Bereicherung ist. Erst als ich selber in Afrika lebte, begann ich, meine eigene Kultur so richtig zu schätzen und gleichzeitig kritisch zu reflektieren. Auch mein Verständnis von der Bibel wurde durch das Leben in einem schamorientierten Kontext reicher. Zurück in der Schweiz war mir die interkulturelle Erfahrung eine grosse Hilfe, um mich mit anderen Freiwilligen für Asylsuchende zu engagieren. Unser Auftrag gilt nicht nur für Übersee, sondern auch für unser nächstes Umfeld – aber manch- mal braucht es das Training in Übersee, damit wir die Angst verlieren, um auf Menschen aus anderen Kulturen vor unserer Haustüre zuzugehen. Hier in Europa und in Übersee wünschen wir uns, dass Menschen Gottes Liebe prak- tisch erleben! Beten! Geben! Gehen!? Weshalb das «Gehen» auch heute noch wichtig ist

aupt RAG?

Jürg PFISTER, Leiter von SAM global

Weshalb hast du dich für einen Einsatz in einer anderen Kultur entschieden?

Daraus wurden drei Jahre Bibelschule und zehn Jahre Einsatz im Tschad. Schon lan- ge ist es nicht mehr die Abenteuerlust, die uns antreibt: Irgendwann auf diesem Weg, eigentlich sogar sehr schnell, hat ein unbe- schreiblicher Friede unser Herz erfüllt – ein Friede, wie nur Gott ihn schenken kann, wenn wir an dem Ort sind, an dem er uns haben will. Die letzten zehn Jahre waren nicht immer einfach, bei weitem nicht. Aber wir konnten erleben, dass Gott sein Versprechen hält: er kümmert sich um die Seinen und lädt ihnen nicht mehr auf, als sie tragen können. Wenn wir von Anfang an gewusst hätten, was unser Engagement beinhalten und wie lange es dauern würde, hätten wir wohl nicht den Mut gehabt, uns darauf einzulas- sen. Aber dann wären wir jetzt viel ärmer – ärmer an Abenteuern, aber vor allem ärmer an Erfahrungen mit Gott. Naemi Schelling, In meiner Heimatgemeinde ist es Tradition, an Neujahr einen persönlichen Jahresvers zu ziehen, der einen dann im kommenden Jahr begleiten soll. Als ich 16 Jahre alt war, stand auf meinem Kärtchen der Vers aus Matthäus 9,37–38: «Die Ernte ist gross, aber es sind wenig Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte aussende.» Ich begriff damals nicht wirklich, was der Vers bedeutete, aber ich dachte mir, wenn Jesus sagt, wir sollen dafür beten, dann ma- che ich es einfach – und so betete ich im- mer wieder für Erntearbeiter. Mit den Jahren verstand ich den Vers schliesslich und mehr und mehr wurde mir klar, dass Gott mich selber als Arbeiterin in die Ernte senden will. Durch verschiedene Kurzeinsätze bestätigte sich der Eindruck, dass ich mich in einer anderen Kultur enga- gieren sollte. Mitarbeiterin im Action VIVRE Nord in Guinea:

Elisabeth GAFNER, Mitarbeiterin in der Rehabilitationsar- beit in Angola: Erste Gedanken an einen Afrikaeinsatz hatte ich bereits mit zwölf Jahren. Mein Wunsch war damals, Pflegefachfrau zu wer- den und dann an humanitären Einsätzen in Afrika teilzunehmen. Als ich mich mit 18 Jahren dafür entschied, Jesus mein Leben bestimmen zu lassen, wurde ich auf verschiedene Art und Weise mit der interkulturellen Arbeit in Angola konfrontiert. Mir wurde bewusst, dass Jesus einen konkreten Plan für mein Leben hat. Der Vers aus Epheser 2,10 ist für mich dabei sehr wichtig geworden: Gott hat etwas aus uns gemacht – wir sind seinWerk, durch Je- sus Christus neu geschaffen, um Gutes zu tun. Damit erfüllen wir nur, was Gott schon im Vornherein für uns vorbereitet hat. Es gibt bestimmt nichts Schöneres und Be- friedigenderes, als das zu tun, was Gott für uns/mich schon lange vorbereitet hat. Für mich ist es ein Vorrecht, dass ich derzeit invaliden Menschen in Angola zu verbes- serten Lebensbedingungen verhelfen kann – und sie dabei manchmal auch auf den Weg mit Jesus mitnehmen darf. Patricia und Andreas Moser, Mitarbeitende im ProRADJA‘ imTschad: Wenn wir ehrlich sind, war unsere Abenteu- erlust genauso ausgeprägt wie derWunsch, Gott zu dienen, als wir unser gemeinsames Leben nach der Hochzeit planten. Wir ha- ben beide Jesus schon in unserer Kindheit kennengelernt und es war uns immer wich- tig, ihm nachzufolgen. Aber es waren diese Abenteuerlust und die Neugier auf Unbe- kanntes, die uns über die Landesgrenze hinausschauen liessen. Drei Monate Bibel- schule und danach drei Monate praktischer Einsatz im Ausland, bevor wir uns dann in der Schweiz niederlassen würden – das war der Plan.

16 16 8

Heute, zwölf Jahre später, befinde ich mich nun in Guinea. So wurde ich selber Teil der Antwort auf mein Gebet als Teenie – und ich sehe es als Privileg, Gott hier dienen zu können. Martin Baumann, Mitarbeiter im ProSERTÃO in Brasilien: Susanne und ich kamen beide bereits als Kinder mit inter- kulturellen Mitarbeitenden in Kontakt und in uns formte sich schon damals der Wunsch, eines Tages im Ausland tätig zu sein. Für Susanne war dieser frühe Funke genug, um als Jugendliche klar diesen Weg einzuschlagen. Bei mir hingegen – ich war damals ein junger Landwirt – hatte Gott etwas mehr Mühe, mich in Richtung weltweite Arbeit zu lenken. Es ging nur etappenweise voran: Berufung in eine Aufgabe in einer christlichen Gemeinde, Ausstieg aus dem Bauernberuf und anschliessend vier Jahre theologi- sche Ausbildung. Dabei wurde mir klar: Wirklich wichtig ist, dass ich bereit bin, auf Gott zu hören und dorthin zu gehen, wo er mich haben möchte. Ein Auslandmitarbeiter aus Piaui, Brasilien, sagte zu uns gegen Ende der Seminarzeit: «Gott braucht in Piaui Land- wirte, um den Menschen in den Inlanddörfern zu dienen.» Ich war der einzige Landwirt in jener Runde. Tief angespro- chen unternahm ich bald darauf die ersten Schritte in Rich- tung Brasilien, wo wir nun seit 1988 arbeiten. Lukas Bernhardt, Mitarbeiter im Lighthouse Battambang in Kambodscha: Als ich 1998 eine Kurzbibelschule absolvierte, war ich über- zeugt, dass Gott mich ins Ausland rief. Voller Elan besuchte ich danach einen Missionskongress, um herauszufinden, welches Land es denn sein sollte. Doch Gott schickte mich wieder nach Hause mit dem Auftrag, ihm ganz einfach überall dort zu dienen, wo er mich hinstellte. So tat ich das – und wurde einer der Gründer des Godi Frauenfeld. Das Ausland war fürs Erste vergessen. Als ich dann 2006 eine Gruppe junger Menschen bei ih- rem Einsatz nach Kambodscha begleiten durfte, erinnerte mich Gott plötzlich an 1998. Ich bekam die Bestätigung, dass es nun an der Zeit war, meine Heimat zu verlassen und in einer für mich neuen Welt ein neues Zuhause auf- zubauen, und wagte den Schritt. Dem Hinaus folgte ein Hinein: Ich zog 2007 als Immigrant nach Kambodscha und wohnte hier als Ausländer, bis ich 2015 den kambodscha- nischen Pass erhielt.

Mission possible: In unseren Lände

fahren und dann weitergeben, indem sie anderen die- nen und selber wiederum in Jüngerschaft investieren. Jeferson (24) ist ein Student des CMM und hat kürzlich die Leitung einer kleinen Gemeinde übernommen. Er setzt einen Grossteil seiner Zeit in die Begleitung von Erwachsenen und Jugendlichen ein. Eine der Besu- cherinnen seiner Gemeinde ist Sonia, die letztes Jahr in diese Gemeinde gewechselt hat, da ihr kirchenfer- ner Mann anfangen wollte, regelmässig den Gottes- dienst zu besuchen und sich in Jefersons Kirche sehr wohl fühlte. Das Ehepaar entschied sich gleich zu Beginn dafür, gemeinsam mit Jeferson ein mehrmonatiges Jün- gerschaftsprogramm durchzuarbeiten. Heute sind beide aktive Mitglieder in der Gemeinde und leiten gemeinsam eine Gruppe, die sich regelmässig zum Austausch, Bibelstudium und Gebet trifft. Sonia be- gleitet zudem eine Frau, die viele Fragen zur Bibel hat, auf der Suche nach Antworten. Von «nebeneinander» zu «miteinander» Der tschadische Kirchgemeindeverband organisiert jedes Jahr irgendwo im Land eine fünftägige Aktion, um den Menschen Gottes Liebe weiterzugeben. Die- ses Jahr fiel die Wahl auf unsere Ortschaft. Wir versuchten uns so gut wie möglich darauf vorzu- bereiten und gleichzeitig flexibel zu bleiben. Am Tag X hiessen wir dann etwa 20 Frauen und Männer aus verschiedenen Kirchen willkommen, die sich engagie- ren wollten. Der erste Abend war gefüllt mit Vorstel- lung und Beratung, dann ging es los: Jeden Morgen und Nachmittag war eine Gruppe unterwegs, um mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen, ihr zu dienen und von der Guten Nachricht zu erzählen. Am Abend trafen wir uns zumAustausch oder organisierten Film- vorführungen. Mit der Zeit kamen immer mehr Perso- nen unserer örtlichen Kirchgemeinde dazu, sodass die Gruppe schliesslich auf rund 40 Personen anwuchs. Sie alle waren jeweils mit viel Freude, Motivation und Ausdauer unterwegs – was für eine Ermutigung! Diese Aktion war eine gute Gelegenheit, gemeinsam darüber auszutauschen, wie wir den Menschen hier Simon REIFLER, Mitarbeiter im ProSERTÃO, Brasilien

Wir dürfen immer wieder erleben, wie sich Men- schen, Situationen und Regionen verändern, wenn wir unseren Auftrag wahrnehmen und Personen mit Gottes Liebe in Berührung kommen. Einige die- ser Geschichten: Hingehen – auch wenn es unbequem ist Im zuvor dünn besiedelten Gebiet von Touboro in Ka- merun haben sich in den letzten Jahren tausende von Flüchtlingen und Umsiedlern aus dem Hohen Norden Kameruns niedergelassen. Die Infrastruktur entspricht jedoch in keiner Weise den Bedürfnissen der vielen Bewohner. Im Rahmen unserer medizinischen Arbeit bauen wir deshalb dort eine Dorfklinik auf, denn eine zuverlässige Gesundheitsversorgung schafft Sicherheit und gibt den Familien Hoffnung. Ich betreue dieses Projekt von Deutschland aus sowie mit sporadischen Besuchen. Touboro ist 750 Strassenkilometer von unseren ande- ren Projekten entfernt. Diese grosse Entfernung er- schwert die ganze Planung und die Umsetzung. Als ich einmal laut dachte, wie verrückt es doch sei, so weit weg ein Projekt zu starten, meinte der kamerunische Leiter der medizinischen Arbeit: «Ihr seid von viel wei- ter her gekommen, um uns mit Wort und Tat zu helfen, aus der Schweiz und aus Deutschland. Sollen wir dann nicht in unserem eigenen Land zu den Menschen ge- hen, die uns brauchen – auch wenn es grossen Einsatz erfordert?»

Hanna WEIBERLE, Coaching medizinische Arbeit Kamerun und Guinea

In Menschen investieren Vielen Kirchgemeinden in Brasilien ist es enorm wich- tig, möglichst viele Leute für die eigene Kirche zu ge- winnen, damit diese grösser und wohlhabender wird. Im ProSERTÃO ermutigen wir die Gemeinden sowie die Studierenden unseres Leiterschaftskurses CMM hinge- gen, den Fokus auf nachhaltige Jüngerschaft zu legen – so, wie Jesus das vorgelebt hat: Er investierte drei Jah- re seines Lebens in zwölf Menschen. Er lehrte sie, lebte mit ihnen und liess sie Erfahrungen machen. Das Ziel von Jüngerschaft ist, dass Menschen Gottes Liebe er-

10

n tut sich was!

zum Segen werden und ihnen auf gute Art begegnen können. In unserem Dorf leben verschiedene Ethnien und Religionsgruppen sehr nahe beieinander, grenzen sich aber durch hohe Hofmauern bewusst voneinander ab. Durch diese Besuche konntenVorurteile zwischen Muslimen und Christen abgebaut, Brücken aufgebaut und erste Schritte von «nebeneinander» in Richtung «miteinan- der» gemacht werden. Sowohl die Besucher aus den anderen Gemeinden als auch die Mitglieder unserer Kirche waren begeistert von der Aktion und haben beschlossen, weiterhin einmal pro Monat die Bevölkerung zu besuchen. Es ist wunderbar zu sehen, dass sich die lokale Kirche immer mehr einsetzen und den Menschen hier dienen möchte.

Agathe BURRUS, Mitarbeiterin im ProRADJA‘ im Tschad

(Erfolgreicher) Kampf gegen Lepra In den 80er-Jahren war Lepra in Guinea weit verbreitet. Vor allem in der Waldregion im Süden gab es unzählige Leprakranke und praktisch täglich kam es zu Neuansteckungen. Die Infizierten wurden aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und lebten ver- einsamt und verarmt, insbesondere diejenigen, die aufgrund der Krankheit beispielsweise Finger oder Zehen verloren hatten. Nie- mand wollte sich mit ihnen abgeben oder sich um sie kümmern. SAM global engagierte sich zu dieser Zeit in Angola im Kampf gegen Lepra und wurde deshalb vom damaligen guineischen Staatspräsidenten angefragt, in Guinea ebenfalls eine solche Ar- beit zu starten. So reisten 1982 die ersten Mitarbeitenden in das westafrikanische Land aus und begannen dort mit einer Gesund- heitsarbeit mit Fokus auf Lepra und Tuberkulose, aus der später das Spital «Centre Médical» entstand. Ein guineischer Arzt meinte damals zu einer der ersten Mitarbeiterinnen: «Die Tatsache, dass Sie bis nach Guinea gekommen sind und so viel erduldet haben, um dieses medizinischeWerk aufzubauen, zeigt uns, dass Ihr Gott wirklich mächtig ist.» Dank Aufklärungskampagnen ging die Zahl der Neuansteckungen in den darauffolgenden Jahren stark zurück und auch die Ableh- nung gegenüber Leprakranken nahm ab. Unzählige Personen konnten behandelt und von Lepra geheilt werden. Viele von ihnen waren jedoch in einem schlechten Allgemeinzustand und brauch- ten weiterhin Hilfe – und vor allem in abgelegenen Gebieten kam es immer noch zu Neuansteckungen. So begannen wir, umherzu- reisen und diese Menschen gezielt zu suchen, zu behandeln, imAll- tag zu unterstützen und ihnen auf demWeg zurück in die Gesell- schaft und ins Arbeitsleben zu helfen. Das Centre Médical

wuchs derweil und weitete sein Gebiet aus – und gilt heute in Guinea als Referenzspital für Lepra, Tuberkulose und HIV/ AIDS. Während 1988 noch fast 2000 neue Fälle von Lepra ent- deckt wurden und über 2600 Personen im Centre Médical in Behandlung waren, waren es 2016 nur noch 53 neue Fälle und 47 Personen befanden sich in Behandlung. Es konnten riesige Fortschritte gemacht werden, aber so- lange es noch unentdeckte Leprakranke oder ehemalige Leprapatienten gibt, die unsere Hilfe brauchen, machen wir weiter.

Die etwas andere Schule 50 bis 80 Kinder in einer Schulklasse – das ist in Guinea keine Seltenheit. Zudem fällt der Unterricht aus diversen Gründen immer wieder aus und es mangelt an ausgebil- deten Lehrern, an richtigen Schulgebäuden und an gutem Schulmaterial. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Schüler selbst nach der 6. Klasse kaum lesen können. Eige- ne Gedanken zu formulieren oder einen einfachen Dreisatz zu lösen stellen riesige Herausforderungen dar. Deshalb beschlossen wir im Herbst 2005, eine Schule zu bauen. Im Oktober 2006 öffneten wir die Tore. Knapp 100 Kinder be- suchten damals die 1.–3. Klasse. 2008–2009 bauten wir zu- dem ein Oberstufenschulhaus. Heute sitzen rund500Primar- undOberstufenschüler inden Schulbänken. Sie werden von einheimischen Lehrpersonen unterrichtet und auch die Direktion und Buchhaltung sind inzwischen in einheimischen Händen. Höchst selten fällt bei uns eine Lektion aus. Zudem ist unsere Schule für die pünktliche Eröffnung nach den Sommerferien bekannt – während die Lehrer der öffentlichen Schulen erst Wochen später oder gar nicht kommen und so der Unterricht nach und nach beginnt, sind bei uns ab dem ersten Schultag alle Lehrpersonen anwesend und können mit dem neuen Schuljahr starten. Unsere Schülerinnen und Schüler sprechen alle fliessend Französisch und über 80 Prozent von ihnen bestehen die staatlichen Aufnahmeprüfungen für die Oberstufe und das Gymnasium – statt der üblichen 15-40 Prozent. Viele sind stolz, dass sie die ActionVIVRE-Schule besuchen dürfen, und kommen jeden Morgen mit viel Motivation und Wiss- begierde. Mit dieser Ausbildung und ihrem Lerneifer haben sie eine gute Ausgangslage für eine bessere Zukunft! Aufgehende Blumen auf der Müllhalde Unser Projekt «Mãos que Criam» befindet sich im Bairro das Flores, im «Blumenquartier». Das ist ziemlich ironisch, denn ein grosser Teil des Quartiers steht auf einer riesigen Müllhalde. Statt Blumen findet man hier vor allem Armut, Kriminalität und Drogenhandel. Die Familien, die am Rand der Deponie wohnen, sind jeden Tag auf dem Abfallberg unterwegs, um nach Esswaren und wiederverwertbarem Material zu suchen. Mit verschiedenen Programmen unterstützen wir die Be- wohner des Quartiers und suchen mit ihnen nach Lösun- gen, wie sie aus dem Kreislauf von Armut und Frustration Daniela SEITZ, Mitarbeiterin im ActionVIVRE Nord

Martha GAFAFER, Mitarbeiterin im ProESPOIR, Guinea

Inmitten einer buddhistischen Hochburg Rund 1.5 Prozent der Kambodschanerinnen und Kam- bodschaner sind Christen, 2 Prozent Muslime – und etwa 97 Prozent gehören dem Theravada-Buddhismus an. Die- ser ist dementsprechend präsent – Geisterhäuschen ste- hen vor beinahe jedem Gebäude, Mönche ziehen durch die Strassen und segnen die Leute und buddhistische Symbole zieren die Besitztümer der Bevölkerung. Der Buddhismus wird dabei sehr stark mit der hiesigen Kultur und Tradition vermischt und die Angst vor Geistern ist all- gegenwärtig. Inmitten dieser «buddhistischen Hochburg» haben wir unsere Zelte aufgeschlagen. Im Gegensatz zu vielen christlichen Organisationen in Kambodscha nehmen wir Jugendliche aller Glaubens- gruppen bei uns auf. Sie erhalten bei uns ein sicheres Zuhause, eine gute Schulbildung und individuelle Förde- rung. Daneben können sie in ungezwungener Atmosphä- re an unserem Beispiel sehen, wie eine persönliche Bezie- hung mit Jesus aussehen kann. Hin und wieder kommt es vor, dass ein Jugendlicher mehr über Gott erfahren möchte. So war es auch bei Sovorth: Der 22-Jährige fand als Student im Lighthouse zunehmend Halt und Kraft im Glauben an Jesus und entschied sich für ein Leben mit ihm. Inzwischen ist er Übersetzer in einer Baptistenge- meinde in Battambang, predigt in unseren Jugendgot- tesdiensten und arbeitet bei uns als Programm-Manager für das Projekt Lighthouse Serving. Ein anderes Beispiel ist die 17-jährige Minea, die als unsichere junge Frau ohne Selbstwertgefühl zu uns ins Lighthouse kam. Hier hat sie sich für ein Leben mit Jesus entschieden – und blüht seit- her regelrecht auf und strahlt vor Lebensfreude.

Elias GERBER, Kurzzeiter im Lighthouse Battambang, Kambodscha

12

ausbrechen können. Unsere Arbeit ist inzwischen weitherum be- kannt und wir dürfen viele junge Menschen begleiten, deren Le- ben sich dank diesen Programmen verändert hat. Ein Beispiel ist Helena, die schon als Kind begann, auf der Müll- deponie zu arbeiten und früh die Schule abbrach. Mit 13 Jahren zog sie mit ihrem jetzigen Mann Gudinho zusammen, der sich mit Gelegenheitsarbeiten auf dem Bau durchschlug. Der permanente Kampf ums Überleben wurde mit der Geburt der drei Kinder nicht leichter. Vor einigen Jahren kam Helena mit Mitarbeitenden von Mãos que Criam in Kontakt und nahm an diversen Kursen und Schulungen teil, die speziell für Frauen organisiert wurden. In ihr wuchs der Wunsch, weiterzukommen und mehr aus ihrem Leben zu machen. Als ihr ein Mitarbeiter von Jesus erzählte, begann sie sich für den christlichen Glauben zu interessieren, wodurch sich vieles veränderte. Sie gewann die Kraft, sich von Drogen und kri- minellen Aktivitäten abzuwenden, und begann, als freiwillige Hel- ferin im Projekt mitzuarbeiten. Schliesslich kehrte sie in die Schule zurück – und hat im Januar 2017 mit 32 Jahren ihren Abschluss gemacht. Jetzt möchte Helena sobald wie möglich ein Pädagogik- studium beginnen. Auch Gudinho besucht inzwischen wieder die Schule und wird sie dieses Jahr abschliessen.

Martin HOLLENSTEIN, Mitarbeiter im Projekt Mãos que Criam

Mit mehr Wissen zu besseren Lebensbedingungen

Durch das Projekt ProAGRO möchte SAM global der ländlichen Bevölkerung von Guinea zu besseren Lebensbedingungen verhel- fen. Mit interessierten Gruppen führen wir Kurse in den Bereichen Umwelt, Bodenfruchtbarkeit, neue Produktionsmethoden und Er- nährung durch. Danach können die Teilnehmenden das Gelernte unter Anleitung von Fachpersonen auf einem Demonstrationsfeld umsetzen und einüben und schliesslich auf ihren eigenen Feldern anwenden. Daneben unterstützen wir sie dabei, eine Getreidebank zu gründen. Diese hilft ihnen, die Ernte richtig einzuteilen und die oft auftretenden Engpässe in der Versorgung zu überbrücken so- wie eine wirtschaftliche Tätigkeit aufzubauen. Das Projekt wurde 2010 gestartet. Inzwischen sind 25 einheimische Mitarbeitende in Guinea unterwegs, um diese Kurse durchzufüh- ren – und es konnten bereits über 1000 Gruppen geschult werden. Die Methoden von ProAGRO werden immer häufiger angewendet und wir erhalten zahlreiche Rückmeldungen von Bauern, deren Si- tuation durch ProAGRO nachhaltig verbessert wurde.

Daniel BERGER, Gründer von ProAGRO

3 bestimmende Realitäten im Islam und unsere Rolle

Der arabische Frühling, die Ausbrei- tung des radikalen Islamismus, die Flüchtlingsströme – es gibt keine Zweifel: In der muslimischen Welt ist etwas in Bewegung. Am SAMfest sprach Benjamin Josi über diese Ent- wicklungen und zeigte auf, was das Ganze mit uns zu tun hat. Seit 1900 wächst die Anzahl der Muslime weltweit stetig. Heute machen sie unge- fähr 23 Prozent derWeltbevölkerung aus (rund 1.6 Milliarden). Es lassen sich der- zeit drei Realitäten definieren, die den Islam bestimmen und prägen: Wir können momentan zwei Arten des Islams beobachten: Einen kontextuali- sierten, salonfähigen, westlichen Islam und daneben einen gewalttätigen, er- obernden Islam, der sich immer stärker ausbreitet. Für viele Muslime ist das eine grosse Herausforderung: Im Westen befinden sie sich in einer Zerreissprobe zwischen Konservatismus und Modernität und in Gebieten, in denen der radikale Islamis- mus verbreitet ist, leiden sie unter Ge- walt und fragen sich zunehmend, was eigentlich der wahre Islam ist und was einen richtigen Muslim ausmacht. Unter der islamistischen Gewalt leiden derzeit so viele Menschen wie noch nie. Die meisten Opfer sind dabei nicht Christen und Andersgläubige, sondern Muslime. Viele fliehen: Rund 65 Millio- nen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht, 80 Prozent von ihnen sind Muslime. Realität 3: Mehr Muslime entdecken Jesus als je zuvor Viele Muslime sind verwirrt und ent- täuscht vom Islam und offen für Alterna- Realität 2: Mehr Opfer als je zuvor Realität 1: Mehr Radikalität als je zuvor

tiven. Noch nie in der Geschichte haben sich so viele Muslime Jesus zugewandt wie jetzt und in Afrika und Asien gibt es inzwischen zahlreiche grosse Grup- pen und Bewegungen von Muslimen, die Jesus nachfolgen – etliche davon im 10/40-Fenster, einem Gebiet, für das jah- relang intensiv gebetet wurde, weil es dort praktisch keine Christen gab. Auch die Flüchtlinge, die nach Europa kommen, haben Enttäuschung erlebt. Immer wieder kommt es vor, dass sie in ihrer neuen Heimat Jesus kennenlernen. Gott hat in jeder Phase der Geschichte seit der Epoche Abrahams Migrations- ströme dafür genutzt, dass Menschen ihn kennenlernten. Das wird auch heute nicht anders sein! Und unsere Realität? Wie begegnenwir denMuslimen in unse- rer Umgebung und auf der ganzen Welt? Mit Hass oder Liebe? Mit Furcht oder mit Gottes Sicht? Gleichgültigkeit oder Hingabe? Wenn wir ihnen in Liebe und Dienstbereitschaft begegnen, werden wir sehen, wie viele sich der Botschaft der Versöhnung gegenüber öffnen. Sol- che Begegnungen in Liebe bauen Brü- cken und machen den Unterschied. Mein Traum: Unzählige gewöhnliche Christen etablieren eine gewöhnliche Beziehung zu gewöhnlichen Muslimen – hier in Europa und auf der ganzen Welt. Gott braucht keine Helden, sondern ge- wöhnliche Menschen, die ganz einfach verfügbar sind; Versager, die wieder auf- stehen; Schwache, die sich von seiner Kraft füllen lassen! Und egal, wie gross und unlösbar uns die Herausforderungen der heutigen Zeit scheinen, wir dürfen wissen: Gott ist nicht überfordert damit. Nie. Zusammenfassung eines Referats von Benjamin Josi am SAMfest 2017 Buchempfehlungen: «A wind in the house of islam» von David Garrison «Muslimen zum Segen werden» von Benjamin Josi

14

Ein Blick in die Homebase

«Gebet ist nicht alles, aber ohne Gebet ist alles nichts»

nur kleine Gruppen, aber das spielt keine Rolle, denn Jesus hat in Matthäus 18,20 versprochen, mitten unter ihnen zu sein – egal, wie viele sie sind. Und in Vers 19 hat er noch mehr ver- sprochen: «Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, wo- rum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren …» Daneben gibt es über 1200 Personen, die viermal pro Jahr un- seren Gebetsbrief mit einem Anliegen pro Tag erhalten. Die- se Zahl nimmt Jahr für Jahr ab. Der Hauptgrund ist das Alter der Fürbitterinnen und Fürbitter. Es gibt Zeiten, in denen mich die Frage nach Nachfolgerinnen und Nachfolgern beschäftigt. Deshalb bin ich froh zu wissen, dass gleichzeitig die Zahl der Gebetsmailempfänger steigt: JedeWoche dürfen wir unser Ge- betsmail an über 1200 Leute verschicken, weitere 800 Leute er- halten ein Gebetsmail aus einem der Projekte. Die Formen der Kommunikation ändern sich, aber es wird weiterhin gebetet. Wir glauben als SAM global an die Versorgung Gottes – nicht nur in finanzieller Hinsicht: Gott wird neue Beterinnen und Be- ter berufen. Menschen, die mitleiden und sich mitfreuen, die mitkämpfen und mitsiegen. Menschen, die im Hintergrund dienen und wissen, dass ihre Gebete ganz entscheidend sind, damit unsere Mitarbeitenden ihren Dienst tun können, Projek- te gelingen und damit Menschen aus allen Nationen mit Got- tes Liebe in Berührung kommen können. Geheimnis, aber auch Auftrag Hin und wieder denke ich, nicht wirklich verstanden zu haben, was durch unsere Gebete bewegt wird – oder eben nicht be- wegt wird, weil wir nicht beten. Denn sonst, so denke ich, wür- de ich dem Gebet noch viel mehr Gewicht einräumen. Gebet ist und bleibt ein Geheimnis, aber auch ein Auftrag. Ich schlies- se mit diesem Zitat von Johannes Hartl: «Gebet ist nicht alles, aber ohne Gebet ist alles nichts.» Es lohnt sich, darüber nach- zudenken!

Verstreut über die ganze Schweiz treffen sich immer wieder Beterinnen und Beter, um für die Anliegen von SAM global einzustehen. Die Formen ändern sich; die Wege, wie die Anliegen transportiert wer- den, ebenfalls. Was bleibt: Menschen, die wissen, dass Gott gerne Gebete erhört, und die erkannt ha- ben, dass unsere ganze Arbeit ohne Gottes Wirken umsonst wäre. Rund 35 Leute haben sich an diesem Dienstagnachmit- tag in der FEGThun versammelt – sie alle sind Beterinnen und Beter aus der Umgebung, die in kleineren Gebets- gruppen regelmässig für die Anliegen von SAM global einstehen. Einmal jährlich kommen alle Gruppen einer Region zusammen, umNeues zu erfahren und miteinan- der auszutauschen. Bei diesen Treffen erzählen Mitarbei- tende und Länderverantwortliche jeweils, was gerade in den Einsatzländern los ist. Ich darf einen Gedanken aus der Bibel teilen, das Neuste aus der Homebase erzählen und vor Ort unseren Dank ausdrücken. Auch im Zeital- ter von E-Mail, WhatsApp und Skype ist der persönliche Kontakt wichtig. Bei Kaffee und Kuchen verrät mir eine ältere Frau, dass sie 1949 das erste Mal an einem SAM global-Anlass teilgenommen hat. Ich staune über ihre Treue. An diesem Nachmittag verdanken wir auch zwei Leiterinnen von Gebetskreisen, die ihren Dienst in jün- gere Hände übergeben haben. Über 30 Jahre lang lei- teten sie «ihren» Kreis mit einer grossen Selbstverständ- lichkeit. Ich bin Gott unendlich dankbar für diese Perlen, die durchgehalten haben, durch Höhen undTiefen – und dafür, dass er Nachfolgerinnen berufen hat. Beten: damals, heute und in Zukunft Vor 128 Jahren wurde SAM global gegründet. Wir pro- fitieren von dieser langen Geschichte, von treuen SAM global-Freunden. Immer noch existieren etwa 30 Ge- betsgruppen, die für unsere Anliegen beten. Oft sind es

Albert ZIMMERLI, Sekretariatsleiter Homebase

In die Wiege gelegt

Im Alter von acht Monaten kann man meistens noch nicht viel selber entscheiden, sondern man geht einfach dorthin, wo die Eltern hingehen. So bin ich damals nach Brasilien gekommen – denn dort waren meine Eltern als interkulturelle Mitarbeitende im Einsatz. Ich wusste schon früh, dass ich irgendwann selber auch in diesem Bereich arbeiten wollte – am liebsten als Pilot, wünschte ich mir da- mals. Ich glaube, es hatte wenig damit zu tun, dass ich wirklich be- griff, was die Arbeit bedeutete. Vielmehr war es ein Lebensstil, der mir «in die Wiege gelegt» wurde: Es war das Leben, das ich kannte und genoss, und es gab für mich gar keine andere Option. Das beeinflusste auch meine Berufswahl: Ich entschied mich für eine Lehre als Automechaniker, da ich mir sicher war, dass ich die- se Fähigkeiten und Kenntnisse auch im Ausland würde gebrauchen können. Für die Berufsausbildung kehrte ich damals in die Schweiz zurück – keine einfache Zeit: Die Schweizer Kultur unterscheidet sich sehr von der brasilianischen, in der ich aufgewachsen bin. Ich durfte mich aber stark auf Gott stützen und erleben, wie er mich trug. Mit der Zeit gelang es mir immer besser, mich an diese «neue» Kultur zu gewöhnen und viel Positives zu sehen und zu lernen, bei- spielsweise in den Bereichen Arbeitsmoral und Organisation. Das Wichtigste … Auch während den Jahren in der Schweiz blieb mein Plan bestehen – ich wollte zurück ins Ausland und in die interkulturelle Arbeit! So besuchte ich eine theologische Ausbildung in Kanada. In dieser Zeit begann ich mehr und mehr zu verstehen, dass Gott mit mir persön- lich einen Weg ging. Es war nicht mehr länger so, dass ich einfach dem Lebensstil meiner Eltern folgte, sondern Gott zeigte mir Schritt für Schritt auf, wo er mich gebrauchen wollte und was ich dort tun sollte. Während einem Praktikum durfte ich zudem klar erkennen, wo meine Stärken liegen – und wo nicht. Ich lernte auch: Das Wichtigste ist, Gott zu dienen und seine Liebe zu leben – egal, wo er uns hinstellt. Das gilt nicht nur für ein paar einzelne Auserwählte, sondern ist ein Auftrag an alle Christen, in der Schweiz genauso wie in Afrika oder Südamerika. Zurück nach Brasilien Dass ich jetzt wieder in Brasilien bin und dort im gleichen Projekt wie meine Eltern arbeite, ist Führung von Gott. Er hat mir eine Lei- denschaft dafür gegeben, junge Christen zu begleiten. Zu sehen, wie sie mit Gott unterwegs sind und ihre Berufung entdecken, be- geistert mich. Durch verschiedene Ereignisse in den letzten Jahren hat Gott mir zudem aufgezeigt, dass Brasilien meine nächste Station sein soll. Für mich muss es aber nicht unbedingt für immer Brasili- en sein. Vielleicht führt mich mein Weg danach auch in ein anderes Land – und ich werde Gott ganz einfach dort dienen, wo er mich hinschickt. Denn dort gehöre ich hin.

Joel ROGGENSINGER ist in Brasilien aufgewachsen und seit Oktober für einen Langzeiteinsatz im ProSERTÃO

In dieser Rubrik geben jeweils Kurzzeit-Mitarbeitende und Kinder von Mitarbeitenden etwas aus ihrem Leben weiter.

16

Ein Tag im Leben von Michelle Vögeli mir und so löse ich mich schliesslich vom Kochherd und bringe ihnen etwas Wasser zum Trinken. Kaum bin ich zurück in der Küche, hupt es draussen: Céli- ne ist da. Ich nehme sie in Empfang und bezahle den Chauffeur. Wieder am Herd höre ich erneut jemanden auf der Terrasse. Dieses Mal ist es eine Mutter mit ih- rem Kind. Die beiden kommen schon zum vierten Mal zu mir – der Junge hat sich mit einer heissen Pfanne das Bein an mehreren Stellen verbrannt und muss jetzt täglich behandelt werden. Inzwischen sind die Blasen offen und ich wasche die Wunden und verbin- de sie neu. Der Junge ist beim ganzen Prozedere viel entspannter als am Anfang, er weiss, was kommt, und weint fast nicht mehr. Zum Abschied winkt er sogar fröhlich.

Die Vögel begrüssen fröhlich zwitschernd den neuen Tag. Ich blinzle in den strahlend blauen Himmel und schiebe den Gedanken beiseite, noch fünf Minuten liegen zu bleiben. Schliess- lich muss Céline rechtzeitig in den Kindergar- ten und bis dahin sollte einiges erledigt wer- den. Also stehe ich auf und beginne mit der Arbeit. Tobias geht bereits los zur Berufsschule. Nachdem wir gefrühstückt haben und Céline für den Kindergarten abgeholt wurde, ziehe ich mich um und mache mich auf den Weg zu meiner Teamkollegin. Gemeinsam tauschen wir aus und beten für die aktuellen Anliegen. Danach geht es auf zum Markt – ich kaufe Ge- müse und stocke meine Vorräte an Teigwaren und Mehl auf. Ich grüsse die Frauen hinter ih- ren Tischen und werde gerufen, wenn es Salat oder Kürbisse gibt oder sonst etwas, von dem sie wissen, dass die weissen Frauen das oft kaufen. Nachdem die Runde abgeschlossen ist und ich alles, was auf meiner Liste stand – und vielleicht noch ein wenig mehr –, gekauft habe, mache ich mich auf den Heimweg. Heute ist mein Rucksack schwer geworden und so be- schliesse ich, ein Moto-Taxi zu nehmen. Verbrennungen behandeln auf der terrasse So bin ich in wenigen Minuten zu Hause – zu Fuss hätte ich 20 Minuten gebraucht. Ich rufe den Taxi-Chauffeur an, damit er Céline vom Kindergarten abholt. Danach ist es höchs- te Zeit, mit dem Kochen zu beginnen. Doch schon bald kommen Kinder in unseren Hof, die spielen wollen. Sie rufen immer wieder nach

Irgendwann dazwischen habe ich meine angebrann- ten Kartoffeln vom Feuer genommen und versuche jetzt zu retten, was zu retten ist. Zum Glück ist es nicht schlimm und bald gibt es doch noch ein feines Mittag- essen. Jetzt brauchen wir erstmal eine kleine Pause. In Beziehungen investieren Nach der Siesta ziehe ich einen knöchellangen Rock an, wechsle das Shirt, stecke Ohrringe an und bin- de die Kopfbedeckung fest. Céline möchte auch ein Kopftuch tragen und ich helfe ihr dabei, es richtig zu befestigen. Ich schliesse die Türe mit den zwei Vor- hängeschlössern ab, bevor wir uns auf den Weg ma- chen, um ein paar Frauen zu besuchen. Schon von weitem sehen uns die Kinder und rennen auf uns zu. Nachdem sie mir die Tasche abgenommen haben, gehen wir gemeinsamweiter. Meine Freundin kommt mir entgegen, begrüsst mich herzlich und bietet mir einen Stuhl an. Ich begrüsse auch die an- deren anwesenden Frauen, frage, wie es ihnen geht, und plaudere mit ihnen. Gegen Abend verabschie- den wir uns, denn Tobias wird bald zurückkommen. Wir geniessen die gemeinsame Zeit beim Essen und bringen Céline ins Bett – danach können wir den Abend in trauter Zweisamkeit ausklingen lassen.

Michelle VÖGELI, Mitarbeiterin im ActionVIVRE Nord in Guinea

Page 1 Page 2 Page 3 Page 4 Page 5 Page 6 Page 7 Page 8 Page 9 Page 10 Page 11 Page 12 Page 13 Page 14 Page 15 Page 16 Page 17 Page 18 Page 19 Page 20 Page 21 Page 22 Page 23 Page 24

Made with FlippingBook - Online magazine maker