01-2016 D

1 2016 VER ÄNDERUNG

EIMER statt DUSCHE & Marché statt Migros

Wir befinden uns derzeit im „Wilden Westen“ Afri- kas, in Guinea! Vieles ist anders als gewohnt: Unser „Grüezi“ mussten wir gegen ein „Bonjour“ eintauschen, den Staubsauger gegen den Besen, die Dusche gegen den Eimer, die Waschmaschine gegen die Haushaltshilfe und die immer gleiche Migros hat dem sich stets wandeln- den Marché Platz gemacht. Die normalen Strassen hier gleichen Schweizer Wanderwegen und die Gottesdienste dauern zwei bis vier Stunden. Spagat zwischen zwei Jahrhunderten Wir leben hier in einerWelt, in der abends um 20 Uhr meist stockfinstere Nacht und Ruhe herrschen, da nur wenig Strom für Licht und somit Aktivitäten vorhanden ist, und in der doch jeder ein Mobiltelefon besitzt und Zugang zu Facebook hat. Eine Welt, die versucht, den Spagat zu ma- chen zwischen dem frühen 20. und dem Anfang des 21. Jahrhunderts. Hackfleisch„en bloc“ „Dieu merci“ finden wir uns in dieser neuen Welt bereits gut zurecht, filtern fleissig Wasser, tätigen die kleinen Ein- käufe auf der Strasse oder bei den vorbeikommenden Kin- dern, die ihre Ware auf dem Kopf bis zu unserer Haustüre balancieren. Auch haben wir uns damit abgefunden, dass man fürs Kochen durchschnittlich zwei Stunden braucht. Denn 300 Gramm Hackfleisch für Spaghetti Bolognese kauft man hier auf dem Markt beim Metzger kiloweise„en bloc“, Knochen und Knorpel inklusive. Das will nun zuerst gewaschen, zerteilt und„gefleischwolft“ werden! Der Gluscht nach Cervelat bleibt Während wir diese Zeilen am Laptop niederschreiben, schauen wir durchs Fenster über die Hecke und damit di- rekt in eine ganz andere Welt aus einer anderen Zeit, wie es manchmal scheint. Alles um uns herum hat sich verän- dert – und auch wir haben uns bereits den neuen Gege- benheiten angepasst. Und wir fragen uns, wie stark wir wohl tatsächlich verändert sein werden, wenn wir nach einem knappen Jahr wieder in der Schweiz ankommen? Eins auf jeden Fall wird gleich bleiben: unser Gluscht nach Cervelat, denn in unserem tiefsten Herzen werden wir doch waschechte Schweizer bleiben!

Manuela und Thomas FISCHER, Kurzzeiter in Macenta, Guinea

2

INHALT

EDITORIAL

Persönlich Manuela und Thomas FISCHER Editorial Sarah BRÜHWILER Ich liebe Veränderung!?

02

VER ÄNDERUNG –

UM ARMEN oder

03

AUS WEICHEN?

04

Ulrich HALDEMANN Von Paulus bis heute Hans STAUB Wer will, dass die SAM bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt Jürg PFISTER Risiken – gehen oder bleiben? Adrian FÖRSTER Neue Stabilität nach dem Sturm Rahel und Aldo RINGGER Schritte in eine andere Richtung Sara MEIER Gott hält einen neuen Weg bereit Helen MÜLLER Vieles ist anders – aber längst nicht alles Patricia und Andreas MOSER Brasilien: Einheimische übernehmen Verantwortung Beat ROGGENSINGER Sri Lanka: Veränderte Lebengeschichten Margrit und Ruedi STARK Schlüsselpositionen besetzen – aber wie? Beatrice RITZMANN Fortschritt oder Rückschritt – was sind die Gründe?

Jobwechsel, Hochzeit, Umzug – das letzte Jahr – oder besser der letzte September – war für mich von Ver- änderungen geprägt. In meinem Fall ging jeder Veränderung einige Vorbe- reitungszeit voraus: Ich habe Stellenanzeigen durch- forstet und Bewerbungsgespräche geführt, gemein- sam mit meinem Mann haben Kirchen angeschaut, Einladungen geschrieben und die Hochzeitstorte bestellt, wir haben eineWohnung gesucht und Kisten gepackt. Ich hatte Zeit, mich auf die Veränderung einzustellen. Und zuvor hatte ich Zeit, mich bewusst dafür zu entscheiden. Zu diesem Prozess gehörten Freude und Zweifel. Bei Veränderungen weiss man nie so ganz, wie es nachher sein wird. Ein wenig Un- gewissheit gehört immer dazu. Unzählige Formen Veränderung kommt in ganz verschiedenen Formen: Es gibt grosse und kleine Veränderungen, freiwillige und unfreiwillige, innere und äussere, stetige und ein- malige, plötzliche und schleichende, natürliche und unnatürliche, sichtbare und unsichtbare, spürbare und unmerkliche. Es gibt den neuen Haarschnitt, das Älterwerden, den technologischen Fortschritt – und unzählige weitere, denen wir im Laufe des Lebens un- ausweichlich begegnen. Auch die SAM ist auf ganz verschiedene Arten damit konfrontiert: Die Methoden unserer Arbeit haben sich verändert (Seiten 6 und 7), die Sicherheitslage in Kamerun und im Tschad (Seiten 8 und 9), die Einsatz- dauer (Seite 16), die Einsatzländer (Seiten 18 und 19) und – jetzt gerade aktuell – die Präsidenten (Seite 21). Zeit als Schlüssel Wie reagieren wir als Menschen und als SAM auf Veränderung? Umarmen wir sie oder versuchen wir mit allen Mitteln, ihr auszuweichen? Mich beein- druckt, wie unsere Mitarbeitenden in Kamerun und im Tschad auf die plötzlichen, unfreiwilligen und ein- schneidenden Veränderungen reagieren (Seiten 10 bis 13). Das ermutigt mich, auch den Veränderungen in meinem Leben positiv entgegenzusehen. Aber egal, welche Form der Veränderung es ist, es braucht Zeit, sich an das Neue zu gewöhnen. Das ge- schieht nicht von heute auf morgen – ich unterschrei- be beispielsweise immer noch regelmässig E-Mails mit dem falschen Namen. Geben wir uns diese Zeit! Wir dürfen aber auch zuversichtlich sein, dass wir uns an die Veränderung gewöhnen können. Lassen wir uns darauf ein.

06 08

09

10

11

12

13

14

15

16

17

Dr. Hannes WIHER Die SAM seit 1889 Paul KLEINER Bewegungsmelder

18

20 21 22 23

Rednerbörse und Präsidentenwechsel Finanzpuls Impressum

Sarah FUHRER, – äh BRÜHWILER, Öffentlichkeitsarbeit und Koordination Kurzzeiter

Ein super Jobangebot, der Umzug in die Traumwohnung, plötzlicher Reichtum durch ein überraschend zugesprochenes Erbe – ja, in solchen Situationen fällt es leicht, mit Begeisterung zu sagen: „Ich liebe Verände- rung!“Wenn wir aber unfreiwillig oder plötz- lich vor einschneidende Veränderungen ge- stellt werden, dann geht diese Aussage nur schwer über unsere Lippen. Ein Freund von mir – 58 Jahre alt – hat vor we- nigen Tagen die Hiobsbotschaft erhalten, dass ihm seine Stelle gekündigt wird. Sein Leben wurde mit dieser einfachen, kurzen Nachricht völlig aus der Bahn geworfen. Nicht selten wirkt es unmöglich, diese Art von Veränderung zu ak- zeptieren und zu bewältigen. Grundsätzlich haben wir Menschen mehrheit- lich Mühe mit Veränderung. Und doch sind wir immer wieder und momentan vielleicht mehr denn je damit konfrontiert. Wie gehen wir damit um? Lassen wir uns mutig und mit Gottvertrau- en auf solche Prozesse ein oder versuchen wir, ihnen auszuweichen, lehnen wir sie bewusst ab? SPANNUNG zwischen BEWAHREN und VERÄN- DERN Der ehemalige deutsche Bundespäsident Gus- tav Heinemann sagte einmal: „Wer nichts ver- ändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“ Das ist ein Spannungsfeld, mit dem es weise umzugehen gilt – auch hier bei der SAM: Die Welt verändert sich rasant. Wir möchten und müssen mit Weitblick Trends und Entwicklungen in allen Bereichen frühzei- tig wahrnehmen, damit wir rechtzeitig darauf reagieren können. Gerade grosse Änderungen fallen manchmal schwer – dennoch müssen wir unbedingt dazu bereit sein, denn es ist enorm gefährlich, wenn uns liebgewordene Formen, Strukturen und Arbeitsprozesse daran hindern, notwendige Massnahmen zu ergreifen. Gleich-

4

Ich liebe VERÄNDERUNG!

sichten für mein Leben hat? Kann ich mich ihm und seiner Führung weiter anvertrauen? Oder gehe ich verbittert durchs Leben und lasse nichts mehr an mich heran, was mich verletzen könnte? Ich bin heute so froh, dass ich mich damals für Ersteres entscheiden konnte. Meine persönli- che Gottesbeziehung gewann dadurch enorm an Tiefe. Ich lernte, loszulassen, und wurde be- reit, wieder Neues zu empfangen. So traf ich einige Zeit später meine jetzige Frau und hei- ratete. Auch beruflich konnte ich mit einem ge- stärkten Gottvertrauen und neu gewonnener Risikobereitschaft wieder etwas wagen. So ent- stand der Nationale Gebetstag vom 1. August, an dem in den Anfangsjahren zwischen 4000 und 7000 Beterinnen und Beter teilgenommen haben. Auch danach wurde ich des Öfteren wieder in Situationen gestellt, in denen ich mich bewusst entschieden habe, Veränderung zuzulassen und zu bejahen. VERÄNDERUNG erfordert VERTRAUEN Veränderung bringt Unsicherheit und Risiko mit sich. Es braucht Vertrauen, sich auf Neues, Fremdes, Anderes einzulassen und vielleicht Liebgewordenes und Gewohntes loszulassen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass man- che lieber in einem gewohnten und sicheren Umfeld unzufrieden sind, als sich mit einem ungewohnten Schritt auf neues Terrain wagen. Als SAM wollen wir mutig und mit Gottver- trauen notwendige Veränderungen anpacken. Denn die Vision, Angehörigen verschiedener Kulturen und Religionen mit all ihren Bedürf- nissen so zu begegnen, dass sie Gottes Liebe und verändernde Kraft praktisch erfahren und wiederum mit anderen teilen, soll weiterleben. Und das geht häufig nicht in den gewohnten Bahnen.

zeitig gilt es, andere Aspekte unserer Arbeit zu be- wahren und den Auftrag nicht aus den Augen zu verlieren. Hier ein gesundes Mittelmass zwischen Bewahren und Verändern zu finden, gleicht oft ei- nem Hochseilakt, der keinen Fehltritt erlaubt. Derzeit sind es vor allem die Umstände in den Einsatzländern, die Anpassungen notwendig machen: Sicherheitsfragen, neue Visabestim- mungen, schärfere Kontrollen von Regierungen. Teilweise erfordern diese Situationen schnelles Handeln und bringen radikale Veränderungen mit sich – wie zum Beispiel die Ebola-Krise in Gui- nea oder die Terroranschläge in Kamerun und im Tschad. Gerade in solchen Momenten ist es für alle Beteiligten oft sehr schwer und schmerzhaft, die so plötzlich ganz andere Situation zu akzep- tieren. Es bleiben viele unbeantwortete Fragen. VERÄNDERUNG zulassen Aus mehrfacher persönlicher Erfahrung ist mir eines besonders bewusst geworden: Egal ob sich ein Veränderungsprozess langsam anbahnt oder ob ich Knall auf Fall in eine Veränderung hinein- gestellt werde – ich muss diese Veränderung in- nerlich zulassen und bejahen. Vor einigen Jahren war ich Geschäftsführer ei- ner landesweiten Gemeindegründungsinitiati- ve. Die Arbeit gefiel mir sehr gut und ich dach- te, dass dies mein optimaler Arbeitsplatz sei, da ich all meine Gaben und Fähigkeiten einbringen konnte. Doch auf einmal zeichneten sich grosse finanzielle Einbussen ab, sodass meine Stelle ge- strichen werden musste. Etwa einen Monat spä- ter erfuhren wir als Familie, dass meine damalige Frau Unterleibskrebs hatte. Innerhalb von sechs Monaten ist sie gestorben. Plötzlich waren mei- ne ganzen Zukunftspläne wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen und ich stand mit drei Kindern im Teenageralter alleine da. Warum hat Gott das zugelassen? Warum hat er es nicht ver- hindert? War das der Dank für meinen Einsatz für ihn? Ich konnte ihn nicht mehr verstehen. Doch nach und nach merkte ich, dass ich mich entscheiden musste: Kann und will ich weiter da- rauf vertrauen, dass Gott mich liebt und gute Ab-

Ulrich HALDEMANN, Kommuni- kationsleiter und Länderverant- wortlicher Asien

Von PAULUS

bis heut Bonifatius, durch die Orden der Benediktiner, Dominikaner und Jesuiten, die den Glauben unter anderem bis nach In- dien, China und Japan brachten, sowie durch die orthodo- xen Kirchen, die vor allem im Norden und im Nahen Osten aktiv waren. Die Methoden der Verbreitung waren im Mittelalter äus- serst vielfältig und reichten über direkte Verkündigung, Bibelübersetzung, Schulwesen und angewandte Nächs- tenliebe zu Gebet und einem beispielhaften Leben, das andere anzog.

Menschen von Gottes Liebe erzählen – diese Arbeit verändert sich ständig. Was gleich bleibt, sind Auftrag und Ziel. Was sich ändert, sind Form und Methoden, die sich aus wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und weltanschaulichen Entwicklungen ergeben. Werfen wir einen Blick in die Geschichte: Zur Zeit von Pau- lus und der frühen Kirche im römischen Reich bildeten jüdische Synagogen oft einen Anknüpfungspunkt für den christlichen Glauben. Das Evangelium breitete sich zwar schnell aus, aber es dauerte nicht lange, bis ernsthafter Wi- derstand aufkam. In der Folge wuchs eine Bewegung, die sich nvor allem durch ansteckenden Glauben, selbstlose Nächstenliebe und standhaftes Zeugnis der ersten Chris- ten angesichts des Martyriums auszeichnete.

WELTEROBERUNG und ZWANGSCHRISTIANISIERUNG

Nach der Reformation war die katholische Mission stark mit der Welteroberung verknüpft – zum Beispiel in La- teinamerika oder auf den Philippinen. Kolonialmacht und Christianisierung bildeten eine oft verhängnisvolle Allianz. Wie es schon im Mittelalter beispielsweise bei den Sach- sen geschehen war, wurde zu dieser Zeit immer wieder Zwangschristianisierung praktiziert. Aber gerade in den letzten 200 Jahren gab es auch sehr positive Entwicklun- gen in der katholischen Mission.

Irische MÖNCHE und verschiedene ORDEN

Diese Dynamik verlor sich zusehends mit der Wende zur anerkannten Staatsreligion. Im Mittelalter geschah die Verbreitung des christlichen Glaubens vor allem durch Klöster, Orden und Einzelpersonen – beispielsweise durch irische Mönche wie Gallus und Kolumban, Personen wie

10/40-FENSTER

BURKINA FASO

CHINA

GUINEA

TSCHAD

INDIEN

SRI LANKA

KAMERUN

6

Protestantische Mission war hingegen nach der Reforma- tion anfangs kaum existent. Erst Menschen wie William Carey und Zinzendorf halfen, neu den Blick dafür zu ge- winnen. Zinzendorf und die mit ihm verbundene Herrnhu- terbewegung sollen in 20 Jahren mehr für die weltweite Arbeit unternommen haben als die protestantische Kirche in den 200 Jahren zuvor. In der Folge entstanden Organi- sationen wie die Church Mission Society (CMS) in London oder die Basler Mission. KONZENTRATION auf unerreichte GEBIETE In einer nächsten Phase entstanden verschiedene Inland- missionen (China Inland, Sudan Inland, Afrika Inland ...). Ihre Methoden waren im Vergleich zu denen ihrer Vorgän- ger oft revolutionär – wie diejenigen von Hudson Taylor. Erst im 20. Jahrhundert begann man, gezielter die gesam- te Weltsituation zu untersuchen und sich zunehmend auf bisher unerreichte Gebiete wie das sogenannte 10/40- Fenster zu konzentrieren. Damit ist der Bereich zwischen dem 10. und dem 40. Breitengrad gemeint, der sich von Westafrika bis Ostasien erstreckt. 80 Prozent der ärmsten Personen der Welt leben in diesem Gebiet. VERÄNDERUNGEN bis heute Auch heute verändert sich die Arbeit ständig – mit Aus- wirkungen auf die SAM, die sich diesen Veränderungen anpassen muss. Das Arbeitsfeld wird globaler. Das Arbeitsfeld kann nun überall sein – in den bis heute unerreichten Volksgruppen, aber auch in Ländern, wo die Kirche einzuschlafen droht. Unter den grössten unerreich- ten Völkern ist offizielle „Missionsarbeit“ kaum mehr mög- lich. Das erfordert neue Wege. Eine grosse Chance sind die Immigranten, die teilweise aus unerreichten Gebieten kommen. Gleichzeitig sind unter den Einwanderern auch Christen aus lebendigen Gemeinden, welche in unserer säkularisierten Welt zu Missionaren werden können. Es ist keine Einbahnstrasse mehr! D ieAblehnungvon„Mission“ nimmt zu. Wir leben in einer zunehmend missionsfeindlichen Welt. Das erfordert Weisheit, beispielsweise in der Kommunika- tion: Ausdrücke wie „Mission“ und „Missionar“ können zu

Reizworten werden, welche der Sache mehr scha- den als dienen. Die digitalen Medien zwingen uns, mit Informationen vorsichtig umzugehen. Wenn wir nicht darauf achten, kann die Arbeit behindert oder gar verunmöglicht werden.

Unser Auftreten wird kritisch beobachtet.

In uns muss die Haltung von Jesus sichtbar werden, der gekommen ist, um andern zu dienen. Es geht nicht um unsere Projekte und unseren Erfolg, son- dern darum, dass wir Menschen so dienen, wie Gott es uns zeigt und wie sie es nötig haben. Echte Liebe und Demut müssen grossgeschrieben werden! Der Schwerpunkt liegt auf Partnerschaft, Ergänzung, Unterstützung, Förderung und Freisetzung von vorhandenem Potenzial. DieWelt wird instabiler, unsicherer und gleichzeitig komplexer. Das erfordert grosse Flexibilität in allen Bereichen – die wiederum nur möglich ist, wenn wir selber um eine tiefe Geborgenheit in Gott wis- sen. Wir können nicht alles vorausplanen und uns auf jede Situation vorbereiten. Wir müssen lernen, wie Jesus aus einer ständigen Beziehung zu Gott heraus vertrauensvoll zu leben. Die wichtigste Qualifikation ist dabei eine brennende Liebe und Hingabe für Gott, die bereit ist, alles zu geben, da- mit Gottes Reich gebaut wird. Wir brauchen immer wieder Mitarbeitende, die bereit sind, sich dafür zu investieren. Unsere Blickrichtung ist entscheidend. Es geht um Gottes Reich, nicht um unseren kleinen „SAM-Gar- ten“. Das befreit von kleinlicher Selbstbezogenheit. Es erfordert Vertrauen, sich darauf zu verlassen, dass Gott die Fäden in der Hand hat und die einzel- nen Puzzleteile zusammenfügt. Dieses Vertrauen wiederum ermöglicht Gelassenheit und schenkt uns die Zuversicht, dass Gott sein Ziel auch in unse- rer Zeit erreichen wird Die Anforderungen an die Mitarbeitenden wachsen.

Hans STAUB, Präsident der SAM

Wer will ,dassDIE SAM bleibt,

wie SIE ist,will nicht ,dassSIE bleibt

Mit dem provokativen Satz aus dem Titel habe ich vor ungefähr 15 Jahren versucht, ein Bewusstsein für die Notwendigkeit vonVeränderung zu wecken: Wenn die SAMweiterhin ein lebendiges und wirkungsvol- les Werk sein soll, ist es unerlässlich, dass wir unsere Arbeit immer wieder überdenken und Anpassungen vorzunehmen. Damals haben wir daraufhin grössere Änderungen eingeleitet – und die SAM gibt es immer noch. Seit dann ist dieWelt – und natürlich auch die SAM – nicht stehen geblieben. Beide waren und sind in Bewegung. Dasselbe gilt auch für die Rahmenbedingungen unserer Arbeit, die sich derzeit stark verändern. Erst kürzlich sagte mir ein Partner in Asien, den wir seit Jahren unterstützen, wir sollen ihm im Namen der Schweizer Allianz Mission kein Geld mehr schicken! Das Wort „Mission“ wecke Argwohn bei den Behörden und mache ihnen Probleme … aber sie brauchen die finanzielle Unterstützung unbedingt weiterhin! Es war nicht das erste Mal, dass wir mit die- ser Problematik konfrontiert wurden. Was machen wir damit? • Missionsmannschaft Rotes Meer (MRM) ›››››› Reach Across • Schweizer Indianer Mission (SIM) ›››››› Indicamino • Pilgermission St. Chrischona ›››››› Chrischona International • Vereinigte Sudan-Mission ›››››› Vision Afrika (seit 2011 in die SAM integriert) • Vereinigte Kamerun- und Tschad-Mission (VKTM) ›››››› Sahel Life • Deutsche Missionsgemeinschaft (DMG) ›››››› DMG (DamitMenschenGott begegnen) interpersonal Dabei fällt auf: Alle haben das eineWort weggelassen, das oft negative Assoziationen weckt und unsere Mitarbei- tenden und einheimischen Partner vermehrt zu Zielscheiben macht: Mission. „Mission“ bedeutet Auftrag oder Sendung. Wenn „Mission“ im Namen enthalten ist, sagt dies viel über die Iden- tität eines Werkes aus. Haben diese Werke ihre Identität aufgegeben? Nein, aber sie ist für die allgemeine Öffent- lichkeit nicht mehr auf den ersten Blick ersichtlich. Ist das richtig? NAMEN ändern – IDENTITÄT bewahren Jesus erlebte ein Stück weit eine ähnliche Situation: Er war der Sohn Gottes, hat diese Identität aber öffentlich nie so ganz deutlich gemacht und sich stattdessen Menschensohn genannt – bis er bereit war, zu sterben. Er wusste, dass er mit dem Titel „Sohn Gottes“ zu fest provozieren und sich zur Zielscheibe machen würde, was sein Wirken stark eingeschränkt hätte. Nachdem Petrus im kleinen Kreis der Jünger seine Identität auf den Punkt gebracht hatte, indem er sagte: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“, gebot Jesus seinen Jüngern, dies nieman- dem zu sagen (Matthäus 16,16-20). Trotzdem wusste er immer genau, was seine Identität und sein Auftrag, seine Mission waren. Genauso wollen wir als SAM an unserer Identität und unserem Auftrag festhalten. Aber wir müssen in Zukunft noch besser überlegen, was wir in der Öffentlichkeit sagen und wie wir uns nennen. So wird der für viele Jahrzehn- te gute Name „Schweizer Allianz Mission“ wohl einem neuen Namen weichen müssen … damit wir den Auftrag, den wir haben, weiterhin möglichst ungehindert ausführen können. „MISSION“ macht zurZIELSCHEIBE Wenn wir uns umsehen, erkennen wir, dass viele Werke ihre Namen in den letzten Jahren geändert haben:

Jürg PFISTER, Leiter der SAM

8

RISIKEN gehen oder bleiben?

Haben Sie auch schon mal um bewaffneten Begleitschutz gebeten? Ver- schlüsseln Sie Ihre E-Mails? Geben Sie einer möglicherweise schwer kran- ken, ansteckenden Person die Hand? Reisen Sie mit Ihren Kleinkindern in eine Region, in der es regelmässig Bombenattentate gibt? Mit diesen und ähnlichen Fragen musste sich die SAM in den letzten Jahren in- tensiv auseinandersetzen. Neudeutsch nennt man dies„Risk-Management“. In ei- ner Gesellschaft, welche die Risiken immer genauer zu beherrschen versucht, ist die Arbeit in fragilen Kontexten oft ein No-Go.„So etwas hat es noch nie gegeben – wir können eure Leute nicht versichern“, sagte uns unser medizinischer Versi- cherer, als die Ebola-Epidemie ausbrach, von der Guinea stark betroffen war. „Am besten meidet ihr die Region“, sagt unser Aussendepartement, sobald es brenzlig wird, wie es derzeit mit Boko Haram in Kamerun und im Tschad der Fall ist. Umgekehrt ist ja genau in diesen Regionen, welche regelmässig von Krisen und Unruhen erschüttert werden, die Not am grössten. Wenn die SAM also ihrem Auf- trag gerecht werden will, kann sie sich nicht einfach mit ihren Mitarbeitenden in einen Elfenbeinturm einschliessen. Ein gewisses Risiko kann man nie ausschlies- sen. Und oft stört dies unsere Mitarbeitenden vor Ort am wenigsten – obwohl sie es ja sind, die diesen Risiken tatsächlich ausgesetzt sind! Zum einen sind sie schon mit der Wahl dieser „Anti-Karriere“ viel Risiko eingegangen und haben er- lebt, wie Gott für sie gesorgt hat. Zum anderen haben sie gelernt, Situationen richtig einzuschätzen.„Ich führe trotz der Bombenattentate ein normales Leben“, sagte neulich eine Mitarbeiterin aus N’Djamena (Tschad) zu mir,„der Strassenver- kehr ist nach wie vor viel gefährlicher.“ Dort arbeiten , wo die Not am grössten ist Situationen richtig einschätzen – genau das ist es, was die SAM auch als ganze Organisation immer wieder tun muss: • Mit klarem Verstand Risiken identifizieren: Dabei geht es sowohl um Ri- siken, welche die persönliche Sicherheit der Mitarbeitenden betreffen, als auch um solche, welche die SAM als Ganzes in ernsthafte Schwie- rigkeiten bringen könnten. So stellten wir neulich in einer Analyse fest, dass ein kompletter Datenverlust vermutlich das Ende der SAM bedeu- ten würde. • Inspiriert von GottesWeisheit Gefahren so weit wie möglich vorbeugen: Es werden Massnahmen definiert, wie man Risiken vermeiden, redu- zieren oder abwälzen kann. Für jedes Einsatzland der SAM gibt es zum Beispiel neben den allgemeinen Sicherheitsbestimmungen Evakuati- onspläne. Durch Versicherungen wälzt die SAM finanzielle Risiken ab. • Bei wichtigen und konkreten Entscheidungen Rat einholen: Man kann noch so viele Vorschriften undMassnahmen definieren – am Ende bleibt immer ein Ermessensspielraum, eine persönliche Entscheidung, welche zusammen mit den Betroffenen gefällt werden muss. Wie froh sind wir da umdie Möglichkeit, Rat einzuholen – von anderen Mitmenschen und natürlich von oben! In Anbetracht der bestehenden Gefahr dürfen wir auf keinen Fall wie ein Reh im Scheinwerferlicht verharren. Wichtig ist, dass wir die noch vorhandenen Hand- lungsspielräume erkennen und nutzen. Manchmal ergeben sich gerade aus sol- chen Veränderungen neue, wunderbare Möglichkeiten, die wir vorher noch nie in Betracht gezogen haben. RISIKEN identifizieren und Gefahren vorbeugen

Adrian FÖRSTER, bis November 2015 Länderverantwortlicher Kamerun und Tschad

UND dann kam BOKO H

Mit den Attentaten in und rund um Kamerun und den Tschad veränderte sich die Sicherheitssituation in diesen beiden Ländern plötzlich drastisch. Einige unserer Langzeitmitarbeiten- den mussten sich diesen Veränderun- gen beugen – und teilweise schmerz- hafte Entscheidungen treffen. Neue STABILITÄT nac dem STURM Grosse Veränderungen prägten unser Jahr 2014. Als wir nach einem Aufent- halt in der Schweiz Ende April wieder nach Maroua in Nordkamerun zurück- kehrten, hatten wir bereits einen Traum begraben: Es würde aufgrund der Ent- führungen von Europäern in der Nähe keine neuen Mitarbeitenden oder Pro- jekte mehr geben. Wir selbst fühlten uns nicht in Gefahr, planten aber trotzdem, die Arbeit innerhalb von sechs Mona- ten Schritt für Schritt an Kameruner zu übergeben. Drei Wochen nach unserer Ankunft folgte dann überraschend der Evakuations-Entscheid – „Nein, sicher nicht!“, war unsere erste entsetzte Reak- tion. Wir sträubten uns dagegen, nach so kurzer Zeit fluchtartig wieder abzurei- sen, und waren enttäuscht, traurig und verwirrt. Warum hatte uns Gott so klar gezeigt, dass wir nochmals ausreisen sollten? Loslass-Prozess starten Durch eine Kompromisslösung konn- ten wir noch drei Wochen bleiben. Das war eine grosse Hilfe, denn so konnten wir eine akzeptable Dienstübergabe ge- währleisten und hatten zumindest ein wenig die Möglichkeit, Abschied zu neh- men und den Loslass-Prozess zu starten. Trotz der Hektik und dem emotionalen Stress war die Rückkehr nach Maroua gut und richtig gewesen. Die Einheimi- schen fühlten sich auf diese Weise von uns geliebt und weniger im Stich gelas- sen.

Wohin nun? Da die Lage in Kamerun schon länger unsicher war, hatten wir mit der SAM bereits einige Monate zuvor einen Plan B für uns gesucht – und gefunden: die Handwerkerschule in Sri Lanka. Mit die- sem Gedanken hatten wir uns bereits angefreundet und waren enttäuscht, als das Vorhaben an Visa-Problemen schei- terte. Daraufhin erhielten wir das Ange- bot, in Douala, im Süden von Kamerun, zu arbeiten. Dieser Anfrage standen wir zuerst sehr kritisch gegenüber. Es fiel uns schwer, uns innerlich erneut auf ei- nen Wechsel einzustellen. Wir würden zwar nach Kamerun zurückgehen, aber nicht nach Maroua, wo wir uns auskann- ten, wo uns fast jeder kannte und wo wir praktisch täglich bei Nachbarn zu Besuch waren – sondern in den für uns noch fremden Süden und in eine ano- nyme, lärmige, unübersichtliche Gross- stadt mit 2.5 Millionen Einwohnern auf der Fläche des Kantons Thurgau. Sollten wir uns wirklich darauf einlassen? Gottes Handschrift Je mehr wir das Anliegen prüften, desto mehr fingen wir an, Gottes Handschrift darin zu sehen. Er hatte uns in den letzten Monaten auf diesen Einsatz vorbereitet – und so liessen wir uns darauf ein. Die Veränderung ist nicht leicht. Wir stellen immer wieder fest, dass unser Leben hier in Kamerun nie mehr so sein wird, wie es einmal war, selbst wenn irgendwann ein Besuch in Nordkamerunmöglich sein soll- te. Aber wir sehen auch Positives: Wir sind jetzt, ohne Schweizer Team, näher an den Einheimischen dran. Und wir dürfen Ver- antwortung tragen für ganz neue Aufga- ben: Aldo darf die wertvolle und heraus- fordernde Erfahrung einer Bauleitung für einen Kirchenbau machen und Gott hat ihn befähigt, im kleinen Rahmen auf Fran- zösisch zu predigen Gestärktes Gottvertrauen Zudem haben wir noch viel stärker ge- lernt, Gott zu vertrauen, dass er uns zur

seite 10

10

RAM...

rechten Zeit an den richtigen Ort bringt. Er ist mit uns unterwegs – und wir sind mehr als zuvor bereit, unsere Wege und Pläne von ihm zeichnen zu lassen und nicht von uns oder sonst jemandem. Die Zeit hat uns geformt, geläutert, un- seren Horizont erweitert, uns demütiger und barmherziger gemacht. Es war ein Sturm, der in den letzten Monaten über uns als Familie hinweggezogen ist, und nach jedem Sturm muss man Schäden aufräumen. Dafür ist nachher einiges erneuert, renoviert und man schätzt die Ruhe und die neu gefundene Stabilität umso mehr. SCHRITTE in eine andere RICHTUNG Maltam, eine Stadt im Norden Kame- runs, war unsere erste Heimat in Afrika. Dort haben wir viele erste kulturelle Er- fahrungen gemacht und tiefe Freund- schaften geschlossen. Wir fühlten uns so richtig zu Hause. Nach zwei Jahren zogen wir vorübergehend nach Maroua, um dort eine Vertretung zu überneh- men. Wir rechneten aber damit, bald nach Maltam zurückkehren zu können. Ängste und Albträume Zu diesem Zeitpunkt kam die Gefahr durch Boko Haram plötzlich näher – Ent- führungen, Anschläge und Überfälle häuften sich. Und so stand auf einmal fest, dass wir nicht mehr nach Maltam zurückkehren konnten und auch Kame- run vermutlich bald verlassen mussten. Es fiel uns nicht leicht, unsere Heimat Maltam und unsere Vision loszulassen und viele liebe Menschen dem Unbe- kannten zu überlassen. In Maroua erlebten wir inzwischen durch die Attentate eine turbulente Zeit. Rahel und Aldo RINGGER, Mitarbeitende in Kamerun

Das Thema bestimmte unseren Alltag. Ich musste lernen, mit Ängsten und Albträumen umzugehen. Eine Entführung von uns wurde immer wahrscheinlicher und wahrscheinlicher. So waren wir enorm dankbar, als wir als Familie Kamerun dann verlassen und unversehrt die Grenze zumTschad überqueren konnten, um uns dort einem anderen Team und Projekt anzu- schliessen. Gleichzeitig plagten uns auch Sorgen: Was, wenn dieselben Probleme, die wir in Kamerun hatten, bald auch diese Grenze überqueren würden? Lohnt es sich überhaupt, hier ganz neu anzufangen? Gemischte Gefühle Zuerst zogen wir für ein halbes Jahr nach Abéché im Osten des Tschads, um unser Arabisch aufzufrischen. Für mich war es eine schwierige Zeit: Wir kannten niemanden und muss- ten ganz vorne damit beginnen, Leute kennenzulernen und Beziehungen zu knüpfen. Ausserdem war ich schwanger, wo- durch die enorme Hitze eine grosse Belastung war. So freuten wir uns auf eine Pause in der Schweiz nach diesem halben Jahr. Die Vorbereitungen für die Wiederausreise in den Tschad nach dieser Zeit in der Schweiz waren mit gemischten Gefüh- len verbunden, aber wir freuten uns aufs Team und hofften, im Projekt bald so richtig durchstarten zu können. Gottes Gedanken sind höher Kurz vor dem Tag des geplanten Abflugs – die Koffer wa- ren schon fertig gepackt – hörten wir vom zweiten Attentat durch Boko Haram innerhalb von wenigen Wochen. Und das in N’Djamena – ausgerechnet in der Stadt, in der wir leben und arbeiten wollten. So entschieden wir uns schweren Herzens, nicht mehr auszu- reisen. Die Unsicherheit, die wir am Schluss in Kamerun erlebt hatten, hatte mich enorm belastet, und auch bei unseren klei- nen Kindern hatten die letzten Jahre Spuren hinterlassen. Zu- dem hätten wir uns im Tschad auf eine neue Arbeit und ganz neue Beziehungen einlassen müssen, ohne zu wissen, ob wir vielleicht bald wieder alles abbrechen und in die Schweiz zu- rückkehren müssten. Die Ungewissheit und das hohe Risiko waren zu viel für uns. Die Entscheidung fiel uns alles andere als leicht und wir ha- ben viele offene und ungelöste Fragen. Aber Gottes Gedan- ken sind höher als unsere Gedanken. Wir vertrauen Jesus und machen weiter Schritte mit ihm in eine andere Richtung.

Sara MEIER, ehemalige Mitarbeiterin

GOTT hält einen

neuen WEG bereit

mer getroffen: Tausende Kame- runer und Nigerianer mussten flüchten, ihre Region verlassen und sich in anderen Gebieten oder Flüchtlingslagern nieder- lassen. Viele haben alles verlo- ren, auch Angehörige. Wie weiter? Als ich nach der Evakuation in die Schweiz kam, wurde mir eine Stelle als Hebamme im Tschad angeboten. Eigentlich wollte ich nicht wieder aus- reisen und hatte kein volles Ja dazu. Bei einem Kurs an der Akade- mie für Weltmission wurde mir dann klar, dass das doch der Weg war, den Gott für mich bereithielt und den ich gehen sollte. Ich hatte Frieden über der Entscheidung, konnte mich aber nicht so richtig freuen. Trotzdem bin ich ausgereist und habe mir damals ein Jahr Zeit gegeben, um mich einzu- arbeiten und einzuleben. Die- ses ist jetzt fast um – und ich beginne langsam, mich hier zu Hause zu fühlen. Trotzdem fehlen mir das Leben auf dem Land und die Beziehungen zur einfachen Bevölkerung. Nach wie vor kann ich aber in Kontakt stehenmit Verantwort- lichen der Kirche und weiteren Freunden in Kamerun. Und es freut mich, dass die Arbeit auch ohne unsere Anwesenheit gut weitergeht.

Maltam, März 2013: Nach der überraschenden Entführung einer französischen Touristenfamilie in der Nähe war klar, dass wir die Nächsten sein könnten. Wir schliefen plötzlich unruhig, die sonst vertrauten Geräusche in der Nacht weckten uns auf. Wir mussten weg. Eine Woche hatten wir Zeit, um die wichtigsten Angelegen- heiten zu klären, dann reisten wir in die Schweiz. Reisen nur mit Begleitschutz Einige Monate später konnten wir nach Kamerun zurückkehren. Wir gingen nach Maroua, die Hauptstadt der Region, rund 250 Ki- lometer südlich von Maltam, da dort unsere Unterstützung drin- gend benötigt wurde. Obwohl ich viele spannende und sinnvolle Aufgaben übernehmen durfte, schlug mein Herz nach wie vor für Maltam. Das war mein Zuhause, dort hatte ich meine Beziehun- gen, und ich hoffte, bald zurückkehren zu können. Immer wieder hörte ich in dieser Zeit von den schrecklichen Din- gen, die im Nachbarland oder in den Grenzregionen passierten. Das Thema Christenverfolgung war allgegenwärtig. Auf Reisen hatten wir jeweils Begleitschutz, was zuerst ungewohnt, aber auch beruhigend war. Wir fühlten uns ernst genommen und von den Behörden wertgeschätzt. Muslime und Christen leben engagierter Im Laufe des Jahres verschärfte sich die Situation zusehends. Im November fand eine Entführung nur wenige Kilometer von uns entfernt statt. Die Gefahr rückte immer näher und die Aktivitäten der Extremisten prägten die Gespräche des Alltags. Das Ganze hatte sichtbare und spürbare Auswirkungen: Die Muslime prakti- zierten ihren Glauben engagierter – Freitagsgebet in der Moschee, der Fastenmonat wurde strikt eingehalten, Frauen besuchten den Unterricht in den Moscheen. Eine der Triebfedern dafür war Angst: Vielleicht war ja der Nachbar ein Anhänger der Extremisten und beobachtete das Verhalten ...? Gleichzeitig bemerkten wir bei Muslimen ein grosses Interesse am christlichen Glauben. Und wir durften auch feststellen, dass die Christen in Kamerun durch die Bedrohung ihren Glauben nun viel ernsthafter und engagierter lebten. Tausende auf der Flucht Auch Unser eigener Alltag war nun zunehmend von Unsicherheit geprägt: Inwieweit sind auch wir hier in Maroua gefährdet? Wie lange können wir noch bleiben? Im Sommer 2014 kam dann die Antwort – wir wurden endgültig evakuiert. Nach den Geschehnissen der vorhergehenden Mona- te war ich ein Stück weit darauf vorbereitet, aber es war und ist schmerzhaft zu wissen, dass ich nicht mehr zurück kann und es nie mehr so sein wird, wie es war. Andere hat es aber viel schlim-

Helen MÜLLER, Mitarbeiterin im Tschad

12

VIELES ist anders –

aber längst nicht ALLES

Seite die Verantwortung für unsere Fa- milie, die wir damit wieder in eine un- sichere Situation brachten, unter der die Kinder vielleicht leiden würden. Diese Gefühle begleiteten uns auch noch in den ersten Wochen nach un- serer Ankunft. Es war eine anstrengen- de Zeit und wir sind froh, haben wir sie überstanden. „Denn der Herr beschützt dich …“ Auch wenn es seither ruhig geblie- ben ist – die Konsequenzen der Er- eignisse sind unübersehbar: Häufige Kontrollen in der Stadt, die Vorsicht der Leute, ein reduziertes Team, dementsprechend viel Arbeit und ein grösseres Bewusstsein dafür, wie wichtig der göttliche Schutz und Ge- bete sind. Nach wie vor besteht die Möglichkeit, dass wir in nächster Zeit plötzlich überstürzt abreisen müssen. Aus diesem Grund fragt sich Andreas unablässig, ob seine Arbeit nicht von einemTschader übernommen werden kann. Zudem liegen unsere Pässe und die wichtigsten Dokumente immer und sofort greifbar bereit. Ein unge- wöhnlicher Krach oder eine unerklärte Verspätung lassen uns nun gleich von Problemen ausgehen. Wenn wir aber am Abend, umgeben von gewöhnlichen Geräuschen, im Bett liegen, ist die Realität der Unsi- cherheit weit weg. Und dann merken wir immer wieder: Wir lieben dieses Land und seine Menschen und wir wünschen uns, noch länger hier zu bleiben. Wenn die Angst uns lähmen möchte, stützen wir uns auf die Ver- se 23-26 in Sprüche 3: „Dann kannst du sicher deinen Weg gehen, nichts bringt dich zu Fall. Dein Schlaf ist ruhig und tief; vor nichts brauchst du dich zu fürchten – auch nicht vor dem Un- glück, das gottlose Menschen plötz- lich trifft. Denn der Herr beschützt dich; er lässt dich nicht in eine Falle laufen.“

Paradoxerweise war es während un- serem Aufenthalt in der Schweiz im letzten Sommer, als die Gefahr des Terrorismus für uns so wirklich spürbar wurde. Die Kinder konnten auf einmal nicht mehr einschlafen und hatten Angst vor der Rückkehr in den Tschad. Von den Anschlägen am 15. Juni 2015 hatten wir uns vorerst nicht übermäs- sig beunruhigen lassen, auch wenn sie in N’Djamena, unserer Heimatstadt im Tschad, verübt worden waren. Die Attentate waren weder gegen Chris- ten noch gegen Ausländer gerichtet gewesen. Entscheidungen treffen Der Anschlag am 11. Juli, fünf Tage vor unserer geplanten Ausreise, drängte uns hingegen dazu, den Flug um zwei Wochen zu verschieben. Innerlich atmeten wir beruhigt auf. Die ange- spannte Lage und die Gefahr vor Ter- roranschlägen hatten uns mehr ver- unsichert, als wir gemerkt hatten, und so waren wir froh darüber, noch zwei Wochen länger in der Schweiz bleiben zu „müssen“. In dieser Zeit wollten wir sehen, wie sich die Dinge im Tschad entwickelten. Schnell wurde es für uns jedoch mühsam, einfach hier zu sein ohne zu wissen, wie es weiter- ging, und in eine ungewisse Zukunft zu schauen. Wir holten verschiedene Meinungen ein, unter anderem vom Schweizer Konsulat, der SAM und un- seren Freunden vor Ort. Ihre Reaktio- nen ermutigten uns, und weil die Situ- ation nach dem Anschlag im Juli ruhig geblieben war, entschieden wir uns, zurückzukehren. Überzeugung – und Unsicherheit Mit dieser Entscheidung fiel uns die Last der Ungewissheit von den Schul- tern. Wir konnten uns von neuem ge- danklich und auch emotional auf un- sere Arbeit im Tschad einlassen und uns auf das Projekt freuen. Trotzdem verspürten wir am Tag der Ausreise gemischte Gefühle: Auf der einen Sei- te die Überzeugung und Freude darü- ber, dass wir immer noch unsere Hilfe anbieten können, auf der anderen

Patricia und Andreas MOSER, Mitarbeitende imTschad

Veränd ist

Das Ziel unserer Arbeit ist definitiv nicht, dass alles gleich bleibt, sondern dass sich Situationen, Umstände, Länder, Einstel- lungen und Menschen zum Positiven ver- ändern. Immer wieder dürfen wir solche Veränderung miterleben. BRASILIEN: Einheimische übernehmen VERANTWORTUNG Vor 50 Jahren war Brasilien ein Entwick- lungsland mit schlechten Voraussetzungen – es herrschte eine Militärdiktatur und es gab kaum Industrie. Evangelische Gemein- den waren selten, evangelische Christen wurden durch die katholische Kirche ver- folgt. Grosse und starkeMissionsgesellschaf- ten aus Nordamerika und Europa waren die einzigen, die versuchten, die Gute Nachricht weiterzugeben. Wirtschaftsaufstieg und KIRCHENWACHSTUM Heute ist Brasilien eine Wirtschaftsmacht und von Fortschritt geprägt – zumindest teilweise, denn hier gibt es riesige regionale Unterschiede: Einige Regionen sind enorm arm, andere sehr reich. Offiziell herrscht De- mokratie, die aber unter der allgegenwärti- gen Korruption leidet. Auch wenn viel ge- schehen ist, gibt es noch viel Potenzial. Ein weiterer nennenswerter Unterschied zu früher: Die Strassen sind heute von Kir- chen gesäumt. Vor 50 Jahren breitete sich die Gute Nachricht hier aus und schaffte positive Veränderung. Es gibt nun eine un- überblickbare Anzahl von unterschiedlich geprägten Kirchen, unzählige evangelische Christen und grosse, selbstbewusste Kirch- gemeinden. Bewusstsein für die Armen Ausländische Mitarbeitende werden dage- gen immer seltener. Die MICEB, eine grosse, internationale Organisation, die schon lan- ge in Brasilien tätig ist und zu der auch die SAM in Brasilien gehört, möchte sich in den nächsten Jahren ganz zurückziehen, denn

die Brasilianer haben eine eigene Vision entwickelt und stehen auf eigenen Füssen. Ihr Bewusstsein für die ärmeren Regionen im Norden wie zum Beispiel den „Sertão“ ist gewachsen, die Gemeinden im Süden über- nehmen Verantwortung. Sie setzen sich sel- ber dafür ein, die Gute Nachricht zu verbrei- ten, Armut zu reduzieren und neue Chancen zu schaffen. Kein PROJEKT ,sondern eine einheimische Organisation Wir dürfen das eins zu eins miterleben: Un- ser ProSERTÃO ist kein Projekt, sondern eine einheimische Organisation, die gemeinsam mit Brasilianern gegründet wurde und de- ren Vorstand ausschliesslich aus Einheimi- schen besteht. ProSERTÃO hat zum Ziel, dass christliche Gemeinschaften aus ganz Bra- silien ihren Mitmenschen im Sertão ganz- heitlich dienen und biblische Werte leben. Wir als ausländische Mitarbeitende sind in dieser Arbeit nicht länger Pioniere, Initian- ten oder Träger, sondern Partner, Coaches und Berater. Wir können durch Know-how, Erfahrung, Finanzen und Manpower helfen, Ziele zu erreichen, aber die Verantwortung für ProSERTÃO haben von Anfang an Brasi- lianer übernommen. Und es erfüllt uns mit viel Zuversicht, zu sehen, wie sie aufstehen und sich einsetzen – denn sie als Einheimi- sche können langfristig den grössten Unter- schied machen.

Beat ROGGENSINGER, Mitarbeiter in Brasilien

SRI LANKA: Veränderte Lebensgeschichten

Aus 13 Jahren Entwicklungszusammenar- beit haben wir gelernt, dass mit Geld, Tech- nik und gutemWillen viel verändert werden kann, oft aber ohne Nachhaltigkeit. Lang- fristige positive Auswirkungen sehen wir

14

rung Teil des Ziels

dort, wo wir durch Ausbildung, Erziehung, Gespräche und Vorbild in Menschen inves- tieren. Durch jahrelanges, enges Zusam- menarbeiten haben sich Denkmuster und Verhaltensweisen geändert, was sich auch Jahre später noch positiv auf das Leben der Personen und ihre Umgebung auswirkt. Die kulturellePRÄGUNG blockiert oft Wir glauben daran, dass für eine umfas- sende und anhaltende Veränderung eines Menschen eine Hinwendung zu Jesus von zentraler Bedeutung sein kann. Bei einigen Personen und in einigen Lebensbereichen sieht man dadurch sofortige Veränderung – eine klare Abwendung von bestimmten Handlungsweisen beispielsweise. Bei ande- ren Personen ist die Veränderung subtiler und langsamer: Gewohnheiten und Gedan- ken verändern sich Schritt für Schritt, an die Stelle von Egoismus und Resignation treten beispielsweise Solidarität und Hoffnung. Obwohl etwa drei Viertel unserer Lehrlinge einen christlichen Hintergrund haben, mer- ken wir immer wieder, wie andere Prägun- gen dominieren. Veränderungen werden dadurch oft abgeblockt oder zumindest verzögert. Darum freuen wir uns an jeder positiven Veränderung, die trotz kultureller Prägung, schlechtem Lebensstart und ne- gativem Umfeld geschieht – wie das bei Sa- meere, Supun und Rosha der Fall ist: Sameere kam vor zwei Jahren zu uns. Er ist in einer armseligen Hütte in Unawatuna auf- gewachsen, sein Vater hat die meiste Zeit im Knast verbracht. Ein Mitarbeiter von „Youth for Christ“ brachte Sameere damals zu uns – er war ein verschlossener, junger Singhalese, dem man kaum ein Lächeln entlocken konn- te. Nach den Schulferien – rund ein halbes Jahr nach seiner Ankunft bei uns – mussten wir alles in Bewegung setzen, um ihn zur Rückkehr ans CCS zu bewegen. Später ver- liess er uns erneut, da er sich in seinem Stolz verletzt gesehen hatte. Gott sei Dank konn- ten wir ihn auch dieses Mal dazu bewegen, Ein gewinnendes LÄCHELN

zurückzukommen. Heute ist Sameere einer unserer Spitzenleute und wird bald seinen Abschluss machen. Wann immer man ihm in die Augen schaut, zeigt er sein gewinnendes Lächeln. Ein BUDDHIST erlebt HEILUNG Auch das Strahlen in Supuns Augen fällt ei- nem sofort auf. Er kommt aus einer Fischer- familie im Norden von Sri Lanka. Eigentlich hätte er buddhistischer Mönch werden sol- len, aber er verliess den Tempel nach ein paar Jahren und kam später zu uns. Schon bald bat er uns, für seine Mutter zu beten, die krank im Spital lag. Und tatsächlich – sie wurde gesund! Durch dieses und weitere Erlebnisse und Gespräche lernte er immer mehr über Jesus. Heute folgt er ihm fröhlich nach – und seine Eltern tolerieren es! Schritte in ein Leben in FREIHEIT Roshan wurde von seiner Mutter unter ärm- lichen Bedingungen während des Krieges im Frontgebiet aufgezogen. Seine Kindheit war keine einfache: Die Schule hat er nach nur sechs Jahren geschmissen und die Farbe seiner Zähne verrät, dass er Mangel gelitten hat. Roshan kennt seinen Vater zwar, dieser aber verleugnet ihn. Durch diese Ableh- nung entwickelte er einen enormen Hass, der sogar dazu führte, dass er seinen Vater umbringen wollte. Seine Mutter brachte ihn deshalb in ein Kinderheim. Vom Kinderheim kam Roshan letztes Jahr zu uns. Langsamwächst er in unsere CCS-Fami- lie hinein und sein Heimverhalten – sich bei Stärkeren und Vorgesetzten einschmeicheln und Schwächere aggressiv unterdrücken – verschwindet langsam. Er lernt, dass er Feh- ler machen kann, ohne gleich ausgelacht zu werden. So macht er täglich kleine Schritte in ein Leben in Freiheit – das ist möglich in einer Gemeinschaft, die Jesus liebt, und möglich mit einem Gott, der alle Menschen liebt. Gerade auch solche wie Roshan.

Margrit und Ruedi STARK, Mitarbeitende in Sri Lanka

SCHLÜSSELPOSITIONEN besetzen - aber wie ?

Immer weniger Personen entschei- den sich für einen Langzeiteinsatz. Das stellt die SAM vor grosse Schwie- rigkeiten – und erfordert sowohl Gottvertrauen als auch strategische Anpassungen. Die Demografie der Schweiz verändert sich: Die geburtenstarken Jahrgänge sind vorbei, der Arbeitsmarkt muss mit weniger Lehrlingen und weniger jun- gen Berufsleuten auskommen. Diese Entwicklung spüren wir auch als SAM. Die Anzahl der austretenden Langzeit- Mitarbeitenden übersteigt die Zahl der neueintretenden. Dafür gibt es aber noch einen weiteren Grund: Die Bereit- schaft, sich für etwas Längerfristiges zu verpflichten, hat abgenommen. Das zeigen auch Studien, die sich mit den typischen Charakteristika der jetzigen Generationen auseinandersetzen. So können wir die offenen Kurzzeiter- stellen (Einsätze bis zu zwölf Monaten) jedes Jahr mit fähigen jungen Leuten besetzen, aber im Langzeitbereich blei- ben viele Stellen offen. Dies stellt uns vor grosse Herausforderungen, vor allem dann, wenn die zentralen Schlüsselstel- len nicht mehr besetzt werden können. Dieses Problem könnte die SAM sogar in eine richtige Krise führen, denn als Or- ganisation mit Schwerpunkt Personelle Entwicklungszusammenarbeit (PEZA) ist das Personal eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Ressource. Organisatorische Veränderungen All das bedeutet für uns, dass wir mehr in den Bereich Öffentlichkeitsarbeit investieren müssen, damit die kleiner gewordene Zahl an potenziellen Lang- zeitmitarbeitenden auf unsere Stellen- angebote aufmerksam wird. Zudem beten wir vermehrt konkret für das be- nötigte Personal. Wir vertrauen Gott, dass er heute noch Menschen bewegt und in ihnen wirkt, sodass sie sich ent- gegen dem Trend für eine längere Zeit im Ausland einsetzen. Trotzdemmüssen wir uns fragen, wo strategische Anpas- sungen nötig sind, damit wir die Arbeit

auch mit weniger Langzeitmitarbeiten- den noch bewältigen können. Wie wir in der Geschichte sehen können, hat es in der Vergangenheit immer wie- der grosse Veränderungen gegeben (Sei- ten 6 und 7). Es scheint, als würden wir derzeit eine solche Zeitepoche durchle- ben. Deshalb möchten wir bewusst auf Gott hören und ihn fragen, wo es organi- satorische Anpassungen braucht. Kurzzeiter, Coaches und Süd-Süd-Aus- tausch Eine Strategie wäre, die Aufgabenberei- che von einigen Langzeitstellen so anzu- passen, dass auch Jahreskurzzeiter diese Arbeit ausführen könnten. Dadurch wür- de es in Zukunft mehr jährliche Wechsel geben, was einen grossen administrati- ven Mehraufwand bedeuten würde. Ein anderer – oder zusätzlicher – Ansatz könnte sein, Langzeitmitarbeitende im- mer mehr als Berater und Coaches einzu- setzen, um die einheimischen Mitarbei- tenden, welche in Schlüsselpositionen arbeiten, zu befähigen und zu stärken. Die Herausforderung ist jedoch, dass sol- che Leute besonders schwierig zu finden sind! Mit der zunehmenden Globalisierung stellt sich für die SAM zudem die Frage, ob der sogenannte „Süd-Süd-Austausch“ stärker gefördert werden soll: Lang- zeitmitarbeitende werden auch in den Einsatzländern der SAM rekrutiert und kommen danach in einem anderen Land zum Einsatz. Heute ist diese Einsatzform bei der SAM die Ausnahme, wie bei- spielsweise der brasilianische Augenarzt, welcher seit Jahren in Angola tätig ist. All diese Möglichkeiten – und weitere – gilt es nun zu prüfen, um danach entspre- chende Massnahmen zu ergreifen. So leben wir in einer herausfordernden, aber auch spannenden Zeit, weil Gott dabei ist, eine neue Epoche dieser Ge- schichte zu schreiben.

Beatrice RITZMANN, Personalverantwortliche

seite 16

16

Fortschritt oder Rückschritt- was sind die GRÜNDE ? Während einige Länder von Fort- schritt und Wirtschaftswachstum geprägt sind, herrscht in anderen Armut und Rückschritt. Doch wa- rum ist das so? Die Gründe sind komplex und vielfältig – und teil- weise überraschend. Aufklärung vs. Kolonialismus

Europas und Amerikas übergegriffen. In den katholischen Gesellschaften wurden derweil Tugenden wie Schick- salsergebenheit und Gehorsam der Führung gegenüber gefördert – so hatte sich bis zum Ende des 19. Jahr- hunderts eine Kluft in der Entwicklung protestantischer und katholischer Ge- sellschaften aufgetan. Mit der Säkula- risierung hat sich dieser Unterschied weitgehend ausgeglichen, Spuren da- von sind aber in den wirtschaftlichen Problemen der Eurozone bis heute ersichtlich. Harmonie als wirtschaftliches ERFOLGSREZEPT? Was bedeutet Webers These für Ost- asien? Welches kulturell-religiöse Ele- ment entspricht in diesem Kontext dem Calvinismus? In den Tigerstaaten sowie in China ist hinsichtlich Religion ein Konglomerat von Animismus, Tao- ismus, Konfuzianismus und Buddhis- mus zu finden; in allen vieren steht Harmonie im Zentrum. Es ist schwer vorstellbar, dass das Suchen von Har- monie wirtschaftliche Entwicklung fördert. Aber die konfuzianische Lehre der Beziehungen hat die Selbstdis- ziplin und das Zurückstellen der Ei- geninteressen tief in die Seele seiner Anhänger eingeprägt. Der Konfuzia- nismus kann daher als Erfolgsrezept dieser Staaten gesehen werden. In der wirtschaftlichen Entwicklung von Japan und China spielt noch ein anderer Aspekt eine wichtige Rolle: Beide Länder wurden von den west- lichen Mächten gedemütigt – Japan im zweiten Weltkrieg durch die USA, China im Boxerkrieg anfangs 20. Jahr- hundert durch die westlichen Kolo- nialmächte. Ziel beider Länder war es danach, die wirtschaftliche (und militärische) Macht der USA zu über- treffen, um die Demütigung wieder gutzumachen. Mit dieser Motivation haben sich beide enorm entwickelt.

Warum aber sind Sri Lanka und die afrikanischen Staaten zurückgefal- len? Für Sri Lanka war der dreissig- jährige Bürgerkrieg zwischen Sin- ghalesen und Tamilen ein Grund – enorme finanzielle Mittel flossen ins Militär und der Tourismus wurde behindert. Zusätzlich bremsen die harmoniezentrierten Religionen Sri Lankas die Entwicklung. Der afrikanische Kontinent soll ge- gen Ende des Mittelalters, im 15. Jahrhundert, etwa gleich weit ent- wickelt gewesen sein wie der euro- päische. In Europa folgten Renais- sance, Reformation und Aufklärung; Bewegungen, welche an der Wurzel der industriellen Revolution liegen. In Afrika hingegen folgten Sklaven- handel, Kolonialismus und Neoko- lonialismus, welche die afrikanische Kultur und den afrikanischen Selbst- wert grossenteils zerstörten. Da- rüber hinaus ist die Harmonie- und Beziehungszentrierung der afrika- nischen traditionellen Religionen nicht entwicklungsfördernd: Vet- ternwirtschaft und Korruption sind an der Tagesordnung und erfolgrei- che Verwandte werden ausgesogen oder verhext. In der Realität sind die Verhältnisse natürlich viel komplexer. Diese Ver- einfachungen deuten aber an, wo die Gründe für die Fort- und Rück- schritte liegen – und fördern das Verständnis für die Geschehnisse und Denkweisen in den jeweiligen Ländern und Staaten.

1959 versprach der Singapurer Lee Kuan Yew seinen Landsleuten im Rahmen seiner Wahlkampagne, dass er als Premierminister den Entwick- lungsstand des damals fortschrittli- chen Sri Lankas aufholen würde. Lee wurde gewählt und realisierte in den 60er-Jahren ein Wirtschaftswunder: Das Entwicklungsland Singapur wur- de neben Taiwan, Hongkong und Südkorea einer der vier asiatischen „Tigerstaaten“, die sich durch ein enormes Wirtschaftswachstum im 20. Jahrhundert auszeichneten. Unter- dessen hat Singapur mit seinem sehr hohen Lebensstandard, dem saubers- ten Flughafen der Welt und einem der modernsten ETH-Forschungszentren auch europäische Staaten überholt. Wie gelang Singapur und anderen Staaten der Übergang vom Entwick- lungsland zum Industriestaat – und warum sind andere wie Sri Lanka und Afrika so weit zurückgefallen? In seinem Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ (1904) hat der Religionssoziologe Max Weber über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen und die Gründe für wirtschaftlichen Erfolg bzw. Miss- erfolg nachgedacht. Er kommt zum Schluss, dass Calvins Aufforderung zur Selbstdisziplin und harten Arbeit die Grundlage zur wirtschaftlichen Entwicklung gelegt hat. Die industri- elle Revolution hat im anglikanisch- calvinistischen England angefangen und auf die protestantischen Länder Calvin als WURZEL der Industrialisierung

Dr. Hannes WIHER, Verantwortlicher für die Förderung der Mis- siologie in der Franko- phonie

Page 1 Page 2 Page 3 Page 4 Page 5 Page 6 Page 7 Page 8 Page 9 Page 10 Page 11 Page 12 Page 13 Page 14 Page 15 Page 16 Page 17 Page 18 Page 19 Page 20 Page 21 Page 22 Page 23 Page 24

Made with FlippingBook - professional solution for displaying marketing and sales documents online