NATIONAL GEOGRAPHIC

JULI 2022

SCHLAUBÄR Wie das Stadt- leben Wildtiere veränder t

UNTERGANG Die Nordküste Javas versinkt im Meer

Die Alpen als Wasserquelle Europas PANORAMA- GRAFIK

DIE ALPEN Erlebnispark oder Naturparadies? Ein majestätischer Lebensraum in der Krise.

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V or den Alpen sollte man Respekt haben. Das mussten meine Kollegen Michael Ruhland und Peter Neusser erneut erfahren, als sie auf einer ihrer zahlreichen Recherchereisen nach Andermatt unterwegs waren. Wenige Stunden, bevor sie den Furkapass passier- ten, die Wasserscheide zwischen Nordsee und Mittelmeer, war eine Lawine abgegangen. Die bei- den mussten warten, bis monströse Fräsmaschinen die Straße geräumt hatten. Dann passierten sie meter- hohe, im Scheinwerferlicht angsteinflößend leuchtende Schneewände. „Wären wir selbst in die Lawine gekom- men, wir wären von dem Nassschnee plattgedrückt wor- den wie in einer Schrottpresse“, sagt Ruhland, der seit seiner Kindheit in den Alpen unterwegs ist. Mitgebracht haben die zwei Reporter nicht nur eine Geschichte, sondern einen Weckruf (S. 58): Die Alpen sind in der Krise. Der Klimawandel setzt dem Gebirge zu und bedroht diese Wasserquelle inmitten Europas, die zahlreiche seiner großen Ströme speist. Zudem lei- den viele Regionen unter Entvölkerung, sodass uralte Kulturlandschaften zu veröden drohen – oder zu Spaß- Parks werden, die für die erhabenen Berge nur noch die Rolle eines Postkartenmotivs übrig haben. Ruhland und Neusser fanden aber auch die anderen Alpenbewohner. Jene, die nicht nur mit engem Blick in die Kasse schauen, sondern mit Demut auf ihre bäuer- lichen Traditionen. Diese Kämpfer und Pioniere weisen Wege auf, wie es mit den Alpen weitergehen kann. Liebe Leserin, lieber Leser!

DIE SONNE SCHENKT UNS STROM FÜR DIE ENERGIEWENDE

Bäume schenken uns Zeit, hunderte Solarparks in Wüsten zu bauen

So schaffen wir sauberen Wohlstand in Afrika und Europa und Deutschland schafft seine Klimaziele.

Danke, dass Sie NATIONAL GEOGRAPHIC lesen!

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WERNER SIEFER, CHEFREDAKTEUR NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND

FOTO: JANA ISLINGER

Plant-for-the-Planet unterstützt das Umweltprogramm der Vereinten Nationen

NATIONAL GEOGRAPHIC

JULI 2022

I N H A L T

Unser Titel Das Thannheimer Tal mit der Landsberger Hütte unter dem Gipfelkreuz der Steinkarspitze fotografiert von Peter Neusser.

E X P L O R E R

P R O O F

34 16 B E W U S S T L E B E N NACHHALTIGKEIT Meldungen

Weltenbummlerin Autorin Jessica Nabongo bereiste jedes Land der Erde. Der Klimawandel? Eine Forscherin unter- sucht die Ursachen von Extremwetter. ....................................... S. 21 Meldungen Gefräßige Aga-Kröten und verehrte Fische. ....................................... S. 26 Sudans Pyramiden Archäologen tauchen unter den Grabmälern. ....................................... S. 28 Orchideeninsel Die Blütenpracht Madagaskars. ....................................... S. 35

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Deutschland schafft Platz für Windräder; Handyverzicht macht zufriedener; künstliche Bäume als CO 2 -Fänger; mit Pilzfleisch gegen den Klimawandel. ....................................... S. 16 ENZYKLOPÄDIE Eis, Eis, Baby Sommer ohne Eis geht nicht. Doch in den leckeren süßen Kugeln stecken viele Zutaten, die schlecht für die Umwelt sind. Einige Sorten können Sie aber ohne schlechtes Gewissen genießen. ....................................... S. 18

Auf Tauchgang Der preisgekrönte Fotojournalist Thomas Peschak taucht ein in die verborgene Welt der Haie und rückt die vermeintlich gefährlichen Beute- greifer in neues Licht.

RUBRIKEN Editorial . ................ S. 3 Leserbriefe . ........... S. 6 Traveler .............. S. 140 Insider ................ S. 146 Impressum .......... S. 148 Vorschau ............. S. 150 Instagram ............ S. 152

4 NATIONAL GEOGRAPHIC

Tiere entdecken Siedlungen für sich. Was lässt sich tun, um gefährli- che Begegnungen zu vermeiden? S. 88

Land unter: Gibt es Hoffnung für Java? Die Nordküste der bevölkerungsreichsten Insel der Erde versinkt im Meer. Viele Bewoh­ ner sind weggezogen, Dagebliebene bauen Stege gegen die Flut. Mit dem Hab und Gut verschwindet auch die Geschichte der Menschen. Forscher sind den Ursachen des Untergangs auf der Spur. ...................................... S. 38

Gefährdete Gipfel Die Alpen sind ein Eldorado für Wanderer und Skifahrer. Doch die Kultur und Natur die­ ser besonderen Land­ schaft ist bedroht. ...................................... S. 58 Tierische Städter Bären, Füchse oder Waschbären lernen die Vorzüge des Stadt­ lebens zu schätzen. Ist ein friedliches Zusam­ menleben möglich? ...................................... S. 88

Der Weg ist das Ziel Italien restauriert die legendäre Via Appia und erschafft damit einen Pilgerweg durch die Geschichte. ..................................... S. 110 Vogelfrei Kubaner lieben und fangen Singvögel. Der illegale Handel bedroht viele Arten. Jetzt greifen Natur­ schutzbehörden hart durch. ..................................... S. 128

REPORTAGEN

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COVER: PETER NEUSSER FÜR TIROL WERBUNG. FOTOS (V. L. N. R.): THOMAS PESCHAK; EMILY BERL; COREY ARNOLD

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LESERBRIEFE |

JULI 2022

MAI 2022

URWELT Als die ersten Bäume entstanden

GEGENFEUER Brandwirt- schaft bei den Aborigines

SCHWER- PUNKT: DER WALD

RETTUNG DER DIE

RETTUNG DER WÄLDER, MAI 2022 Unsichere Zukunft Ansgar Leitner, per E-Mail

SIE SIND DER SCHLÜSSEL ZUM SCHUTZ UNSERER ERDE WALDER

+ WALDELEFANTEN: DIE GÄRTNER VON GABUN

Schon in der Schule hat unser Erdkundelehrer immer von den Regenwäldern als grüner Lunge der Erde gesprochen. So richtig konnte ich mir das nie vor- stellen. Danke für Ihr faszinierendes und erschütterndes Themenheft „Wald“. Was für mich besonders erschreckend war: Es sind nicht nur vereinzelte Arten in weit entfernten Gebieten bedroht, es herrscht ein regelrechtes Massensterben nie da gewesenen Ausmaßes. Es wird Zeit, dass wir unser Verhalten ändern.

NATURPSYCHOLOGIE, MAI 2022 GRÜNE KRAFT FÜR DIE SEELE Sandra Lohmann, per E-Mail Wenn ich am Feierabend durch das kleine Wäldchen neben meiner Wohnung jogge, habe ich das Gefühl, dass mir richtig das Gehirn durchgepustet wird. Als Stadt­ mensch sind diese kurzen Ausflüge in die Natur für mich ein Lebens­ retter. Bislang wusste ich aber nicht, dass ein Waldspaziergang ein wahres Wundermedikament ist, das den Blutdruck senkt und sogar das Immunsystem stärkt. Ich werde nun auf jeden Fall öfters die Turn- schuhe aus dem Schrank holen und mir eine kleine Auszeit im Grünen gönnen. Dass „Heilwälder“ jetzt sogar zertifiziert werden, finde ich allerdings etwas übertrieben. GENIALES PROJEKT, MAI 2022 INTELLIGENTE WÄCHTER IM ALL Tim Fuchs, per E-Mail Durch Ihre Spezialausgabe zum Thema Wald wurde mir klar, wie Brände gesamte Ökosysteme für Jahrzehnte oder sogar für immer zerstören. Das Zusammenspiel zwischen Fauna und Flora ist so komplex, dass es nicht einfach

damit getan ist, ein paar Bäume nachzupflanzen. Deshalb fand ich es toll zu lesen, dass ein deutsches Start-up Satelliten ins All schickt, die Waldbrände in Echtzeit erkennen. So können sie im Ideal- fall rechtzeitig gelöscht werden. Trotzdem sollten diese technischen Neuerungen nicht darüber hin- wegtäuschen, dass der beste Brandschutz jener ist, der nie gebraucht wird. Wir müssen jetzt endlich etwas gegen den Klima­ wandel tun, bevor es für unsere Wälder zu spät ist. FORSTWIRTSCHAFT, MAI 2022 DEN WALD IN RUHE LASSEN Nele Arndt, per E-Mail Man hört immer davon, dass es wichtig ist, zerstörte Wälder auf- zuforsten. Ich finde es gut, dass auch einmal darüber gesprochen wird, ob es nicht vielleicht viel besser und vor allem nachhaltiger ist, den Wald etwa nach einem Orkan einfach sich selbst zu über- lassen. Zumindest sollten wir von der in Deutschland weit verbrei­ teten Monokultur abkommen, die nur darauf ausgerichtet ist, möglichst schnell möglichst viel Ertrag zu erwirtschaften.

IHRE MEINUNG IST UNS WICHTIG. So erreichen Sie uns: E-MAIL leserbriefe@ nationalgeographic.de POST NATIONAL GEOGRAPHIC Infanteriestraße 11a 80797 München Die Redaktion behält sich vor, Einsendungen zu kürzen.

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Asche ohne Kohle: UmweltSpektrum Fonds

100 % nachhaltig investieren: umweltspektrum.de #GreenOhneWashing

Der Kurs von Wertpapieren unterliegt Schwankungen und kann – vor allem bei einer negativen Wirtschafts- oder Börsenentwicklung – auch dauerhaft und sehr deutlich unter dem Kaufkurs liegen.

Rund herum: In den Tiefen von Südafrikas Riff Aliwal Shoal südlich von Durban ziehen Kleine Schwarzspit- zenhaie ruhig ihre Kreise. Die Fotos stammen aus Thomas Peschaks Bildband „Wild Seas“ (bei National Geographic Deutschland).

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P R O O F

NATIONAL GEOGRAPHIC JG. 24, NR. 7

KÖNIGE DER TIEFE

DAS LEBEN AUS

FOTOS UND TEXT THOMAS PESCHAK

Thomas Peschak ist preisgekrönter Fotojournalist. Er beschäftigt sich mit Naturschutz; doch seine größte Leidenschaft und auch Inspiration sind Haie.

UNTER- SCHIED- LICHEN PERSPEK- TIVEN

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P R O O F

Ins Helle getaucht: Ein Lichtstrahl erhellt eine Gruppe junger Galapagoshaie in der Lagune von Bassas da India, einem abgelegenen Atoll westlich von Madagaskar. Als Peschak weiter abtauchte, folgten ihm die Haie bis zum Korallenriff.

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Harmloses Mahl: Ein Walhai filtert Plankton aus dem Wasser, Schnorchler leisten ihm dabei Gesellschaft. Aus der ganzen Welt reisen Besucher auf die Malediven, um den größten Hai und zugleich größten Fisch überhaupt in freier Wildbahn zu erleben.

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Lebensbaum: Ein Schwarzspitzen-Riffhai durchschwimmt einen Mangrovenwald auf den Seychellen, während die Flut tief hängende Äste mit Meerwasser umspült. Vielen Haiarten dienen die Mangroven des streng geschützten Aldabra-Atolls

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sowohl als Kinderstube als auch als Jagdgebiet. Zwar ist dessen Korallenriff primär wegen der dort beheimateten Aldabra- Riesenschildkröte bekannt, aber es weist auch eine der gesündesten küstennahen Haipopulationen im Indischen Ozean auf.

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P R O O F

VERRÜCKT NACH HAIEN DIE FISCHE SCHÜREN ANGST. EIN FOTOGRAF MÖCHTE DIE FURCHT VOR DEN JÄGERN IN FASZINATION VERWANDELN.

Antwort: „Aber klar sind sie das.“ Von da an war alles, was ich wollte: näher an die Meeresjäger heranzukommen. Ich studierte zunächst Meeresbiolo- gie und wechselte dann zur Fotografie. Seither habe ich mehr als zwei Jahr- zehnte damit verbracht, das komplexe und recht geheimnisvolle Leben der Haie zu dokumentieren. Oft werde ich gefragt, was das Ge­ fährlichste an meinem Job sei. Nun, das Schwimmen mit Haien ist es nicht. Statistisch gesehen sind das Überque- ren von Straßen, Autofahren und das Toasten von Brot gefährlicher. Die Begegnung mit wilden Haien in ihrem natürlichen Element empfinde ich als ein Privileg, das gleichermaßen Respekt, Demut und Hingabe verdient.

AN EINEM SCHLECHTWETTERTAG mitten im Winter schubse ich meine damals 60-jährige Mutter in die eisigen Fluten des Atlantiks. Ein Weißer Hai taucht auf. Meine Mutter wendet sich dem großen Raubfisch zu. Dann verschwin- det sie für eine gefühlte Ewigkeit unter Wasser. Als sie wieder an die Ober- fläche kommt, schnappt sie in ihrem Stahlkäfig nach Luft – und lächelt. Seit ich mich erinnern kann, bin ich nach Haien verrückt. Meine erste Hai- Begegnung hatte ich mit 16 Jahren vor der Sinai-Halbinsel in Ägypten. Ein Trio aus Kleinen Schwarzspitzenhaien schwamm inmitten von Barrakudas, die über einem Korallenriff kreisten. Ich versuchte, mit kräftigen Flossen- schlägen näher heranzukommen, aber eine Strömung hielt mich im Riff fest. Als ich meine Unterwasserfotos von dieser nicht ganz so nahen Begegnung zeigte und aufgeregt erklärte, bei den drei kleinen Punkten handele es sich um Haie, erhielt ich eine zweifelhafte

Tauchen Sie mit uns zu den Haien! NATIONAL GEOGRA- PHIC zeigt zum „Hai Life“ im Juli und August zahlreiche

TV-Premieren und bildgewaltige Dokus auf NATIONAL GEOGRAPHIC WILD sowie Disney+.

Naseweis: Neugierig mustern zwei Galapagoshaie die Kamera des Fotografen und Meeres- biologen Thomas Peschak. Der NATIONAL-GEOGRAPHIC-Explorer erforschte da gerade die Korallenriffe der riesigen Lagune von Bassas da India in der südlichen Straße von Mosambik.

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BEWUSST LEBEN

Meldungen ..................... S. 16 Speiseeis ......................... S. 18

JG. 24, NR. 7 NATIONAL GEOGRAPHIC

NACHHALTIGKEIT IM ALLTAG

WENIGER ABSTAND NÖTIG NEUE ERKENNTNISSE FÜR DEN AUSBAU DER ERNEUERBAREN.

Wer eine neue Windkraftanlage aufstellen will, spürt Gegenwind aus vielen Richtungen, nicht nur von Vogelschützern oder Anwohnern, die sich am Schatten oder den Geräuschen der Rotoren stören. Es gibt auch strenge Abstandsregeln in der Nähe von Navigationsanlagen der Flugsicherung. Weil Windräder die Signale von Drehfunkfeuern stören können, mussten sie bisher 15 Kilometer Abstand zu den 60 deutschen Anlagen halten. Jetzt haben Forscher der Physikalisch-Technischen

Bundesanstalt mithilfe neuer Messverfahren und Simulationen ermittelt, dass ein Abstand von sechs bis sieben Kilometern für einen sicheren Luftverkehr ausreicht. Auch die Abstände zu den 17 Wetterradaren können deutlich kleiner sein. Das macht laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Flächen für mehr als 1000 Windräder mit insgesamt fünf Gigawatt Leistung verfügbar. Der Bundesverband Windenergie spricht von einem „Befreiungsschlag“ für die Windenergie an Land.

Gemeinsam Wissen schaffen Die Bürgerforschung hat in den letzten Jahren eine große Entwicklung gemacht. Im Dienste der Wissenschaft suchen interessierte Bürgerinnen und Bürger Blumen, sammeln Insekten, beschreiben Kunstwerke oder bestimmen die Qualität des Bodens in ihrem Garten. Die zentrale Platt- form www.buergerschaffenwissen.de stellt ausgewählte digitale und analoge Projekte vor, die unsere Freude am Entdecken nutzen. Etliche sind auch für Kinder geeignet.

Auch Kinder können in

Projekten zum Mit- forschen ihre Neu- gier stillen und Wissen schaffen.

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35 % der Bevölkerung nehmen laut Bundesinstitut für Risikobewertung mindestens einmal pro Woche Vitaminpräparate zu sich. Dabei hätten gesunde Menschen selten Vitaminmangel und bräuchten keine Nahrungsergänzungsmittel.

Pilzkultur statt Hackfleisch Fleischersatz aus Pilzkulturen, der in Großbritannien und der Schweiz bereits verkauft wird, kann in Zukunft eine wichtige Rolle bei klimafreundlicher Ernährung spielen. „Hackfleisch durch mikrobielles Protein zu ersetzen, wäre ein guter Anfang, um die Umwelt- schäden der heutigen Rindfleischproduktion zu ver- ringern“, sagt Florian Humpenöder vom Potsdam- Institut für Klimafolgenforschung. Würde bis 2050 ein Fünftel des konsumierten Rindfleischs durch mikrobielles Protein ersetzt, könnte das die globale Entwaldung und CO 2 -Emissionen halbieren.

Ein bisschen Handyverzicht tut gut Zu viel Zeit am Smartphone führt von Nackenschmer- zen bis hin zur Sucht. Doch man muss nicht ganz auf das Mobiltelefon verzichten. Forscher der Ruhr-Uni Bochum fanden heraus, dass die Reduktion des Handy- konsums um eine Stunde am Tag am besten tut. Damit lebten Studienteilnehmer Monate später noch gesün- der und zufriedener als Vergleichsgruppen, die nichts geändert oder ganz auf ihr Handy verzichtet hatten.

Weniger Emissionen sind das wichtigste Mittel im Kampf gegen den Klimawandel. Laut Weltklimabericht müssen wir aber zusätzlich noch CO 2 aus der Atmosphäre entfernen, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen. Der deutsche Forscher Klaus Lackner arbeitet seit fast 30 Jahren an Techniken, die das CO 2 aus der Atmosphäre filtern und speichern. Er hat an der Arizona State University künstliche Bäume entwickelt – luftdurchläs- sige Säulen, die mit einem Kunstharz tausendmal so viel CO 2 aus der Luft binden wie echte Bäume. Jetzt wurde der erste künstliche Baum, der auf Lackners Technologie basiert, auf dem Campus seiner Hochschule aufgestellt. Der Vorteil gegen- über anderen CO 2 -Fängern, die meist mit großen Ventilatoren arbeiten: Der künstliche Baum nutzt natürliche Windströme und braucht so fast keine teure Energie. Mit dem eingefange- nen CO 2 lassen sich Kohlenstofffasern herstellen, es kann aber auch mit grüner Energie zum CO 2 -neutralen Treibstoff werden. Mechanischer Baum fängt CO 2

Fotos: Getty Images​, Karo Krämer/ Wissenschaft im Dialog, Shutterstock (3), Courtesy of Arizona Board of Regents/Arizona State University​

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BEWUSST LEBEN |

ALLTAGSWISSEN

ENZYKLOPÄDIE DER

NACHHALTIGKEIT (44)

Speiseeis

D urch Zufall erfand Frank Epperson aus San Fran- cisco 1905 Eis am Stiel (nicht das Speiseeis selbst, das erfanden die Chinesen). Der Elfjährige vergaß ein Glas Limonade mit einem Holzstäbchen darin im Freien – die über Nacht gefror. Knapp 120 Jahre später ist das Spei- seeis aus deutschen Sommern nicht mehr wegzudenken. Jeder Bundes- bürger schleckt im Jahr um die acht Liter von dem gefrorenen Süß. Doch was so unschuldig begann, hat seine Schattenseiten. Eisproduzenten stellen kaum ökologische und soziale Anforderungen an Inhaltsstoffe wie Fette und Öle, moniert der WWF. Nur beim Palmöl gaben vom WWF befragte Unternehmen an, zertifizierte Ware einzusetzen. Der Druck von NGOs und Verbrauchern habe gewirkt, freut sich Ilka Petersen vom WWF. Allerdings stecke fast zehnmal so viel Kokosöl im Eis, „und da fragt keiner nach“. Der Ersatz des viel diskutierten Palm- öls insbesondere durch Kokosöl löst die ökologischen Probleme nicht, sondern verlagert diese nur. So gedeihen Kokos- palmen teils in denselben Tropenlän- dern wie die ertragreichere Ölpalme, ihr Anbau benötigt jedoch im Vergleich

mehr Fläche. Laut einer Studie bedro- hen Kokosplantagen 60 Arten, die auf der Roten Liste stehen, mehr noch als das Palmölpendant. Geschätzte 60 Pro- zent der Kokos-Kleinbauern im Haupt- produktionsland Philippinen leben unter der Armutsgrenze. Zertifizierte Ware (Rainforest Alliance) ist vorhan- den, wird aber kaum nachgefragt. Auch vermeintlich heimische Alter- nativen aus Raps oder Sonnenblumen sind mitunter bloß Augenwischerei, denn sie werden oft aus Übersee impor- tiert. Bei den weiteren Bestandteilen Milchfett und Sahne gab dem WWF nur ein großer Eishersteller zu Proto- koll, die Kühe würden mit gentechnik- freiem, zertifiziertem Soja gefüttert. Eisliebhaber greifen am besten zu Sorten mit Fairtrade- (betrifft z. B. auch Kakao und Zucker) sowie Bio-Siegel (Früchte). Die Auswahl im Handel wird dank kleiner Marken stetig größer. Oder sie besuchen direkt die gute Eisdiele von nebenan. Etliche Cafés machen ihr Eis selbst und achten dabei auf Biozutaten aus regionalem Anbau. Wer sein Eis täglich frisch für die Theke herstellt, braucht überdies kein Kokosöl für die Konsistenz. Ein Beigeschmack bleibt. Weil die Kühlung viel Energie braucht, ist unser Eisgenuss wohl nie ganz nachhaltig.

FAIRES EIS BOOMT Rund 113 Kugeln oder 7,9 Liter Eis hat jeder Bundesbürger 2021 im Durchschnitt konsu- miert, zumeist industriell her- gestelltes Markeneis. Faires Eis ist jedoch im Kommen: Im Jahr 2020 kauften nachhaltigkeits- bewusste Eisfans bereits rund 11,4 Millionen Liter davon. Fair geschleckt Absatz von Speiseeis mit Fairtrade- Siegel in Deutschland, in Millionen Litern (bis 2016 in Mio. Kilogramm) 11,4 12

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2008 ’10 ’12 ’14 ’16 ’18 2020

Unser Fazit Beim Eisbestandteil Palmöl fand ein Umdenken statt. Doch die Alternative Kokosfett wird ohne Zertifizierung einge- kauft, während Raps auch aus Übersee importiert wird. Der Verbraucher sollte zu Sorten mit Bio- oder Fairtrade-Siegel greifen. Noch besser schnei- det die klassische Eisdiele ab. Viele machen ihr Eis selbst und achten auf Biozutaten.

ILLUSTRATION: SAMY LÖWE. INFOGRAFIK: RALF BITTER. TEXT: EILEEN STILLER. QUELLEN: CURRENT BIOLOGY, JULI/2020 ; BDSI; STATISTA; WWF ( REPORT SPEISEEIS 2018, 2020)

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Rundwanderungen, Höhenwege und Überschreitungen von den Bayerischen Voralpen bis zu den Dolomiten. Traumhafte Hütten, Genusswege und Mehrtagestouren.

Nach einer guten halben Stunde mit beständigem Felskontakt führt der Weg entlang des Klammbetts hinaus in den Almgrund um die Gaudeamushütte. Den Schweiß eines Augusttags im Viehtrog abwaschend, hört man die fröhliche Schar der Kletter- aspiranten sowie stets lässige Bergführer auf der Hüttenter- rasse neue Alpensagen erfinden. Ja, die »Gaudi«-Hütte bleibt ihrem legendären Charakter einer »Klettererhütte« treu. Be- reits Anderl Heckmair war hier, um sich auf die Besteigung des Eiger vorzubereiten. Erbaut wurde die Hütte von der Akademischen Sektion Ber- lin, 1899 wurde sie eingeweiht. Im folgenden Jahr fanden sich nur 26 Gäste ein, doch die Berliner blieben wacker. Die kleine Sektion, die ein mondänes wie lebhaftes Vereinsleben pflegte, hatte 1920 nur 25 Mitglieder, davon aber immerhin zehn Damen! Auf der Gaudi-Hütte wird bis heute eine Frau besonders ver- ehrt: Maria Schrott, genannt »Mutter Maria«, die Wirtschafte- rin hier oben von 1927 bis 1943. Ein Bild in der Stube zeigt sie mit leuchtenden Augen, ein großes Lachen im Gesicht, die Haare locker zusammengebunden und tatkräftig einen Teller mit gigantischen Knödeln servierend. Über dem Kachelofen der Gaudeamushütte befindet sich eine kleine alpine Bibliothek. Eine lange Nacht mit angezo- genen Knien und den abgegriffenen Büchern an diesem Ofen bringt einem die Geschichte und Würde des Ortes noch näher. Am nächsten Morgen fühlt man sich ein ganz klitzekleines biss- chen mehr dazugehörig zu dieser Gebirgswelt. Der Abstieg von der Gaudeamushütte zurück zum Ausgangspunkt ist kaum län- ger als 30 Minuten. Dennoch lohnt es sich immer, eine Nacht auf der Gaudi-Hütte zu verbringen.

Der Himmel über der Gruttenhütte trägt sein schönstes Abendkleid. Drinnen macht sich Behaglichkeit breit. Die Eile bleibt im Tal.

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Costa ist die gute Seele des Hochgernhauses und spielt außerdem hervorragend Schach. Das Wahrzeichen von Aschau, die Kampenwand, verabschiedet die Sonne. Das Hochgernhaus und die Taborkapelle thronen über dem Chiemsee. 

»IN DIE BERGE GEHEN HEISST NACH HAUSE GEHEN.«

John Muir

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Klimaforschung .................... S. 21 Meldungen ........................... S. 26 Tauchen unter Pyramiden . . S. 28 Jessica Nabongo .................. S. 34 Orchideen ............................. S. 35

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JG. 24, NR. 7 NATIONAL GEOGRAPHIC

NEUES AUS FORSCHUNG, TECHNIK UND GESELLSCHAFT

Ist es immer das Klima?

NUR WENN WIR DIE URSACHEN VON KATASTROPHEN KLAR BENENNEN, KÖNNEN WIR UNS WIRKSAM SCHÜTZEN, ARGUMENTIERT UNSERE AUTORIN.

M MEHR ALS EINE MILLION MENSCHEN hungerten im ver- gangenen Jahr im Süden Madagaskars, nachdem ausbleibende Regenfälle die Ernten weitestgehend zerstört hatten. Die lokale Regierung und sogar die Vereinten Nationen nannten es die „weltweit erste Hungersnot aufgrund des Klimawandels“. Was den Menschen widerfuhr, ist schlimm. Dennoch ist es wichtig, bei der Wahrheit zu bleiben. Und diese lautet: Die Einschätzung der Vereinten Nationen ist falsch. Selbst wenn der Klimawandel eine Rolle spielt, ist er bei den meisten wetterbedingten Katastrophen nicht der Hauptgrund. Die verheerenden Über- schwemmungen in Deutschland im vergangenen Jahr wurden in der Tat durch starke Regenfälle aus- gelöst, die durch den Klimawandel um etwa zehn Prozent verstärkt wurden. Aber andere Faktoren spielten eine weitaus größere Rolle bei den entstan- denen Schäden. So wurde zum Beispiel die Land- schaft in diesem Teil Deutschlands durch weitläufige T E XT FRIEDERIKE OTTO JULI 2022 21

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E S SAY

„BEI DEN SCHWEREN ÜBERSCHWEMMUNGEN IN

DEUTSCHLAND IM SOMMER 2021 WAR NICHT DER KLIMAWANDEL DER HAUPTGRUND FÜR DIE KATASTROPHE.“

Bebauung weitgehend versiegelt, sodass nur noch wenig Boden übrig blieb, der die Niederschläge hätte aufnehmen können. Es gab Hochwasserwarnungen, aber sie erreichten die Menschen nicht – oder die Menschen wussten nicht, was sie mit den Warnungen anfangen sollten. Es gab kein Informationssystem über Radio, Fernsehen oder Apps, das die Anwohner in der Gefahrenzone tatsächlich erreichte. Und als die Überschwemmungen kamen, gab es keine Informa- tionen darüber, was zu tun war oder welche Straßen sicher waren, um den Wassermassen zu entfliehen. DAMIT WIR UNS NICHT FALSCH VERSTEHEN: Natür- lich ist es wichtig, das Bewusstsein für die Gefah- ren des Klimawandels zu schärfen und deutlich zu machen, dass unsere sich erwärmende Welt Extrem- wetter verstärkt und damit auch zu Problemen in der Lebensmittelversorgung führen kann. Aber was im Allgemeinen korrekt ist, gilt nicht für alle Regio- nen und Extremereignisse gleichermaßen. Für den Regenmangel im Süden Madagaskars besteht kein kausaler Zusammenhang mit dem vom Menschen verursachten Klimawandel. Die im jüngsten IPCC-Bericht bewerteten wissen- schaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass Dürren in diesem Teil der Welt nicht intensiver oder häufiger wurden. Solange der Temperaturanstieg unter zwei Grad bleibt, erwarten die Experten das auch für die Zukunft nicht. Unsere Analyse speziell zur Dürre im Süden Madagaskars kam zum gleichen Ergebnis und stellte fest, dass ähnliche aufeinanderfolgende Aus- fälle von Regenzeiten bereits zuvor aufgetreten waren. Die weltweite Reduktion von Emissionen wird das Risiko von Dürrekatastrophen in Madagaskar also nicht ändern. Nur eine Verringerung der lokalen Verwundbarkeit kann hier etwas bewirken. Dafür müssen sich die lokale und regionale Politik und auch die internationale Entwicklungspolitik ändern. Die Bevölkerung ist angesichts der Schwankungen des Wetters zu sehr auf Regenfeldbau angewiesen, die Entwaldung hat diese Anfälligkeit noch ver- schlimmert. Anstatt jedes Mal Nahrungsmittelhilfe zu leisten, wenn der Regen ausbleibt, müssten NGOs kontinuierlich und langfristig mit lokalen Entschei- dungsträgern zusammenarbeiten, um verschiedene Ursachen der hohen Vulnerabilität zu beseitigen. 2014 habe ich mit anderen Wissenschaftle- rinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt die

Forschungsinitiative World Weather Attribution (WWA) gegründet. Es ging uns darum, Zusammen- hänge zwischen Extremwetter und Klimawandel präzise und unmittelbar nach ihrem Auftreten auf- zuzeigen. Wir wollen wissenschaftlich mit Fingern – echten, evidenzbasierten Fingern – auf die Ursachen von wetterbedingten Katastrophen hinweisen und zeigen, welche Rolle der Klimawandel spielt. Mit der WWA haben wir hart daran gearbeitet, Wetterkatastrophen schnell zu bewerten. Manch- mal konnten wir innerhalb von Tagen oder Wochen

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FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA​

Im Juli 2021 richtet eine Flut im Ahrtal apoka- lyptische Zerstörungen an. Die Katastrophe wurde durch den Klimawandel nur ver- stärkt, Ursache waren in erster Linie versie- gelte Böden und feh- lende Warnsysteme.

zeigen, ob und, wenn ja, wie sehr der Klimawandel zu einem Ereignis beigetragen hat. Wir haben bisher fünf Kälteeinbrüche, sieben Dürren, 13 extreme Regenfälle, 14 Hitzewellen und sieben Stürme analysiert. Bei den meisten, aber nicht bei allen, haben wir festgestellt, dass der Klimawandel eine bedeutende Rolle dabei gespielt hat, das Ereignis wahrscheinlicher oder schwerwiegender zu machen. Aber nur für zwei von ihnen war der Klimawandel der Hauptgrund. Die Klimakrise bringt Gefahren wie Überschwem- mungen, Dürren oder Waldbrände mit sich. Doch die

In dem Buch „Wütendes Wetter“ (Ullstein Verlag, 2019) begibt sich die Klimaforscherin Friederike Otto auf die Suche nach den Schuldigen für wetterbedingte Katastrophen. Sie hat die Zuord- nungsforschung mitbegründet.

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E S SAY

Katastrophen, die entstehen, wenn solche Gefah- ren auf eine gefährdete, verwundbare Bevölkerung treffen, sind menschengemacht. Wir dürfen nicht zulassen, dass die globale Klimakrise für alle wetter- bedingten Katastrophen verantwortlich gemacht wird und die Zuständigen in Politik und Verwaltung sich aus der Pflicht stehlen. Der Klimawandel ist nicht für alles verantwortlich, und internationale Bemühungen zur Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs sind nicht der einzige wichtige Weg, den wir gehen müssen, um Katastrophen abzumildern. WIR DÜRFEN PROBLEME in Infrastruktur, Sozialsyste- men, Bildung und Regierungsführung nicht beiseite wischen oder ignorieren, wenn wir eine zunehmende Widerstandsfähigkeit gegenüber zukünftigen Wetter- risiken erreichen wollen. Mit der globalen Reduk- tion von Emissionen allein ist es nicht getan. Die Menschen vor Ort müssen die Anpassung an den Klimawandel schaffen. Das ist nur möglich, wenn Krisen und Vulnerabilitäten nicht gegeneinander ausgespielt, sondern gemeinsam gelöst werden. Ohne Bildung von Frauen und Mädchen, ohne Investitio- nen in Institutionen kann Anpassung nicht funktio- nieren. Die Schuld dem Klima zuzuschieben, lenkt nicht nur von der Verantwortung ab, sondern nimmt betroffenen Gesellschaften auch die Entscheidungs- freiheit. Das muss sich ändern. Hier trägt auch der Globale Norden eindeutig eine Verantwortung, da einige der Strukturen, auf denen die hohe Verwundbarkeit beruht, Folgen des Kolo- nialismus sind. Die Welt braucht einen gerechten Weg, um mit Verlusten und Schäden umzugehen und diese historische Verantwortung anzuerkennen. Reiche Nationen haben sich verpflichtet, zig Mil- liarden Dollar auszugeben, um ärmeren Nationen bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen. Aber ich fürchte, dass dieses Geld oft für die falschen Dinge ausgegeben wird. Entwicklungsbanken finanzieren eher große Infrastrukturprojekte wie Staudämme als längerfristige Programme, die die Regierungsführung verbessern, die Armut verringern, die Korruption bekämpfen und die Bildung verbessern. Wenn die meisten Menschen an Anpassung an den Klimawan- del denken, denken sie an Technologie. Die Forschung zeigt jedoch, dass der wichtigste Faktor, der die Wider- standsfähigkeit einer Gesellschaft angesichts von Katastrophen bestimmt, gute Regierungsführung ist. Infrastruktur wird natürlich auch benötigt, aber

„ES IST NIEMANDEM GEHOLFEN, WENN WIR DIE KLIMAKRISE SO VEREINFACHT DARSTELLEN, DASS SICH EIN FALSCHES BILD ERGIBT.“

sie wird in Gesellschaften mit schlechter Regulierung oder Bildung nicht optimal funktionieren. Als eine der Gründerinnen von World Weather Attribution liegt mir nichts ferner, als den Klima- wandel kleinzureden. Wenn Politiker mit Verweis auf die Wissenschaft den Klimawandel als Killer bezeichnen können, hilft ihnen das sicherlich, Emis- sionsbegrenzungen durchzusetzen. Insbesondere unsere bemerkenswerten Analysen der Hitzekuppel über dem westlichen Nordamerika im letzten Som- mer und der Hitzewelle in Sibirien im Jahr 2020, die beide ohne den Klimawandel praktisch unmöglich gewesen wären, haben jede Menge Schlagzeilen gemacht und dazu beigetragen, die Diskussion zum Besseren zu wenden. Ja, global betrachtet verschlimmert der Klimawan- del Überschwemmungen, Dürren, Wirbelstürme und Waldbrände in vielerlei Hinsicht. Ja, die Menschheit muss alles in ihrer Macht Stehende tun, um unsere Treibhausgasemissionen schnell auf Netto-Null zu senken, um den weiteren Temperaturanstieg des Pla- neten zu stoppen. Aber wir haben noch viele andere wichtige Aufgaben, die wir nicht vergessen dürfen. Der Klimawandel ist das größte Problem unserer Zeit, und es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Menschheit zusammenarbeitet, um es anzugehen. Aber wir können und dürfen nicht zulassen, dass Politiker den Klimawandel allein für alle Katastro- phen und alle ihre Auswirkungen verantwortlich machen oder sich ihrer Verantwortung entziehen. Es ist niemandem geholfen, wenn wir die Klimakrise so vereinfacht darstellen, dass sich ein falsches Bild ergibt. Eine gerechte Welt, in der die Auswirkungen von Katastrophen nicht überproportional von den Armen getragen werden, verlangt das von uns. j

Die gebürtige Kielerin Friederike Otto ist Klimaforscherin, Physikerin und Philosophin. Sie arbeitet am Imperial College London und berechnet dort in Echtzeit, wie viel Klimawandel in unserem Wetter steckt. Zur Person

FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA/FRIEDERIKE OTTO/DAVID FISHER

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Googles Engagement im Klimaschutz Schritt für Schritt klimafreundlicher

Die Erhitzung der Erdatmo- sphäre aufhalten? Das ist eine große Herausforderung, die wir nur bewältigen, wenn alle daran arbeiten. Google enga - giert sich auf vielen Ebenen für mehr Klimaschutz: Der Stromverbrauch soll künftig rund um die Uhr mit erneuer- baren Energien gedeckt wer - den, und Menschen, Städte und Organisationen sollen mit digitaler Hilfe ein klima - freundlicheres Leben führen können. Was das heißt? Ein Einblick

Google-Auto die Luftqualität in ver - schiedenen Hambur- ger Stadtteilen. Die so gewonnenen Daten sollen als Planungs- grundlage für mehr Luft- und Lebensqua -

derem durch den Ankauf von Kom - pensationszertifikaten. Bis 2030 wiederum soll ein besonders großes Ziel erreicht werden: Bereits in acht Jahren, so die Planung, soll der gesamte globale Betrieb von Googles Rechenzentren und Büros rund um die Uhr CO 2 - frei laufen.

lität in Hamburg dienen. Zusätzlich finden sie Ein - gang in den Environmen- tal Insights Explorer, kurz EIE: Mit dem EIE Tool stellt Google seit 2018 gut 20000 Städten weltweit und über 800 Städten in Deutschland eine Platt - form zur Verfügung, mit deren Hilfe lokale Maßnahmen zum Klimaschutz unterstützt werden können. Der EIE bietet Städten und Kommunen unter anderem einen regelmäßig aktuali- sierten, datenbasierten Überblick zu Verkehrs- und Gebäudeemissionen sowie zum vorhandenen Potenzial für erneuerbare Energie. Aber auch im Alltag helfen Google- Produkte, klimafreundlicher zu le - ben. Mit Google Maps zum Beispiel lässt sich demnächst nicht nur der kürzeste Weg, sondern auch eine umweltfreundlichere Route finden: Bei einer etwa 41 Kilometer langen Fahrt durch Berlin können Fahren - de unter Umständen bis zu 18 Pro- zent Kraftstoff sparen. Die Google Flug-Suche wiederum hebt inzwi- schen nicht mehr nur entstehende Emissionen hervor, sondern ver- weist auch auf alternative, umwelt - freundlichere Zugverbindungen. Und damit nicht genug: Die Google Hotel-Suche weist seit Kurzem auf besonders klimafreundlich arbei - tende Unterkünfte hin. Dies alles ist nur ein Ausschnitt aus dem vielfältigen Engagement von Google für mehr Klimaschutz. Erfahren Sie mehr Hintergründe auf goo.gle/klimaschutz

Ziel ist ein CO 2 -freier Betrieb im Jahr 2030 Auf dem Weg dorthin sind bereits erste Meilensteine erreicht worden. Ein Google-

Rechenzentrum etwa arbeitet heute doppelt so effizient wie ein durch - schnittliches Unternehmensrechen - zentrum und stellt bei identischem Stromverbrauch etwa die sechs- fache Rechenleistung wie vor fünf Jahren bereit. Überdies kauft Google seit mehre - ren Jahren zur Deckung des Strom- bedarfs weltweit erneuerbare Ener - gien zu. So auch in Deutschland. Ein besonders umfangreiches Projekt begann 2021: Der Energieversorger ENGIE wird in den kommenden Jah - ren mehr als 140 Megawatt Solar- und Windenergie bereitstellen, mit der unter anderem neue Google- Cloud-Anlagen nahe Frankfurt am Main und Berlin betrieben werden sollen. Erzeugt wird dieser Strom in einem neuen Solarpark sowie in 22 Windparks in Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nieder - sachsen und Schleswig-Holstein. Für bessere Luftqualität in deutschen Städten Doch damit nicht genug. Immer häufiger stellt Google vorhandenes Wissen oder auch Tools den Nutze - rinnen und Nutzern auf der ganzen Welt zur Verfügung. Im Rahmen des Project Air View erfasst derzeit ein

Schon die beiden Gründer von Google, Larry Page und Sergey Brin, legten großen Wert auf Nachhal - tigkeit und machten sich früh Ge - danken dazu, wie Rechenzentren energiesparender arbeiten können. Dieser Fokus auf eine klimafreund - liche Arbeitsweise ist bei Google in den vergangenen beiden Jahrzehn- ten immer wichtiger geworden. Seit 2007 zum Beispiel arbeitet das Unternehmen CO 2 -neutral, unter an- »Der Klimawandel ist keine ferne Bedro - hung mehr«, sagt Google-Vorstandschef Sundar Pichai. Millionen von Menschen sol- len deshalb künftig mit Google-Produkten klimafreundlicher leben können.

Klima schützen. Mit Google.

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FORSCHUNG

Talisman mit Flossen Die alten Ägypter verehrten zwei Nilfische besonders: den Wels (rechts im Bild) und den Tilapia. Sie schrie-

NEUES AUS FORSCHUNG, TECHNIK UND GESELLSCHAFT

ben ihnen magische Kräfte zu. Amulette in Form die- ser Tiere sollten vor dem Ertrinken schützen sowie die Fruchtbarkeit und die Erneuerung befördern.

PFLANZENKUNDE Blüte strahlt in Ultraviolett Bestäuber, etwa Insekten, sehen die Blüten von Sonnenblumen im ultravioletten Spektrum, wodurch für sie ein farbiges „Auge“ in der Mitte zu erkennen ist. Die Pflanzen haben Aufbau und Muster aber nicht nur entwickelt, um Bestäuber anzulocken. Neue Forschungen zeigen, dass die Moleküle, die das „Auge“ ausmachen den Pflanzen auch helfen, Trockenheit und extreme Temperaturen zu überstehen. —AR

Die Rhinella marina , auch bekannt als Aga-Kröte oder Riesenkröte, ernährt sich in ihrer südamerikanischen Heimat vor allem von Insekten. 1935 brachten Farmer 101 Tiere nach Australien – sie sollten die dortigen Zuckerrohrplantagen von Käfern befreien. Die giftigen Amphibien trugen jedoch wenig dazu bei, die Plage einzudämmen. Stattdessen wurden sie selbst zu Schädlingen, die sich rasch auf Kosten der einheimischen Arten vermehrten. Heute bevölkern geschätzt mehr als 200 Millionen Tiere den Kontinent – viel zu viele, auch für die Kröten selbst. Im Kon- kurrenzkampf um Ressourcen haben sie ein neues Verhalten innerhalb ihrer eigenen Art hervorgebracht: den Kannibalismus. Wissenschaftler schildern in einer in Ecology and Evolution ver- öffentlichten Studie, dass Kaulquappen in Australien Eier und Schlüpflinge fressen, sobald sie Gift darin detektieren – dasselbe Gift, das die Kröten vor Räubern schützt. Dieses Verhalten war in ihrer südamerikanischen Heimat bisher unbekannt. Vermutlich ist es in Australien erst vor Kurzem aufgetreten, um die Konkurrenz zu verringern. „Dort sind sie definitiv ihr eigener schlimmster Feind“, sagt der Co-Autor der Studie, Michael Crossland von der University of Sydney. —ANNIE ROTH INVASIVE ARTEN KANNIBALISCHE KRÖTEN WEGEN ÜBERBEVÖLKERUNG IN IHRER NEUEN HEIMAT FRESSEN SICH AGA-KRÖTEN GEGENSEITIG.

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FOTOS: BRIDGEMAN IMAGES; MICHAEL CROSSLAND; MARCO TODESCO, UNIVERSITY OF BRITISH COLUMBIA

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UNTERWASSERARCHÄOLOGIE

Tauchen unter Pyramiden

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TEXT UND FOTOS NICHOLE SOBECKI

ICH MEINTE ZU FÜHLEN, WIE ICH ERSTICKTE. Jeder Schritt den Fels hinunter brachte mich näher an das heran, was bisher nur in meiner Vorstellung existiert hatte: ein Becken aus khakifarbenem Wasser, ein Tunnel, der sich darin verbarg, und der Moment, in dem ich diese Dunkelheit betreten musste. Darüber ragte eine verfallene Pyramide auf. Hier, in der antiken Nekropole Nuri nördlich der alten Königsstadt Meroë, ließen sich vor Jahrtau- senden kuschitische Könige in unterirdischen Grab- kammern unter mächtigen Pyramiden beisetzen. In einige war nun Wasser aus dem nahen Nil ein- gesickert – und hatte so eine Konstellation geschaf- fen, die ein besonderes Vorgehen nötig machte: Unterwasserarchäologie unter einer Pyramide. Der Archäologe Pearce Paul Creasman, teilweise durch ein Stipendium der National Geographic Society finanziert, leitete ein Team. Anfangs war ich ruhig, ja aufgeregt, als ich dieses Unterfangen im Jahr 2020 fotografieren wollte. Als ich hinabstieg, raste mein Herz, und ich konnte kaum atmen. Ich hatte diese Existenzangst während meiner Arbeit in Krisengebieten schon mehrmals kennen- gelernt. Doch hier, am trüben Wasser, gab es keinen äußeren Feind, sondern etwas in meinem Kopf, das mich anschrie: Steig nicht runter! Creasman und Tauchleiter Justin Schneider bemerkten meine Sorge. „Gebt mir einen Moment“, sagte ich. Meine Kamera festhaltend, einen Bleigurt über meiner Brust, biss ich in das Mundstück meines Lungenautomaten und glitt im Schneidersitz unter die Wasserlinie. Durch- atmen. Einfach atmen. Als ich auftauchte, nickte ich meinen Gefährten zu: Ich war bereit. Wir stiegen hinab, bahnten uns einen Weg durch einen schmalen Schacht und in die

KURIOSE KONSTELLATION: DIE GRABKAMMERN MANCHER PYRAMIDEN DER „SCHWARZEN PHARAONEN“ VON KUSCH IM SUDAN LASSEN SICH NUR TAUCHEND ERFORSCHEN.

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Archäologe Pearce Paul

Creasman berei­ tet sich auf einen Tauchgang in die Grabkammer einer Pyramide im Sudan vor.

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JULI 2022

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UNTERWASSERARCHÄOLOGIE

sabotiert hat. Geschichte, die lange untergetaucht war, hat begonnen, an die Oberfläche zu drängen. ICH SCHWAMM DURCH EINEN DUNKLEN KANAL in die Grabkammern. Sedimentwolken behinderten jede Sicht, und trotz der Enge war es erschreckend leicht, sich zu verirren und im Kreis zu schwimmen. Eine Hand berührte meine, und wir tauchten in der zweiten Kammer auf, wo die eingestürzte Decke eine Luftblase ermöglicht hatte. Beim Licht von Taschen- lampen begann die Arbeit. Unterwasserarchäologie ist heute ein spezialisier­ tes Gebiet; anfangs übernahmen die Experten um Creasman Methoden, die ihre Kollegen beim Bergen von Schiffswracks entwickelt hatten. Doch hier gab es nicht einmal Platz für Pressluftflaschen. Stattdes- sen atmeten wir durch gelbe Schläuche, die an die Oberfläche führten. Das Einsturzrisiko konnte nicht absolut ausgeschlossen werden, deshalb wurde der Eingang mit 15 Meter langen Stahlträgern verstärkt. Die Teammitglieder suchten nach allem Interessanten – Blattgold, Figuren, Töpferwaren – und notierten ihre Funde mit wasserfesten Tafeln und Stiften. Eine dünne Schnur war unser Führer durch die Dunkelheit. DIE ARBEIT NAHM EINEN RHYTHMUS AN. Creasman stieg in die letzte Kammer hinabsteigen, in der sich möglicherweise Nastasens ungeöffneter Sarkophag

In der teils überfluteten Nekropole tauchten Shabtis auf – Figuren, die dem König im Jenseits dienen sollten.

verwirrende Schwärze. Das 2300 Jahre alte Grab war die Ruhestätte von Nastasen, einem König, der Kush etwa zwei Jahrzehnte lang geführt hatte. Vor ihm waren einige der kuschitischen Könige, bekannt als Schwarze Pharaonen, so mächtig geworden, dass sie sowohl Nubien als auch Ägypten regiert hatten. Nas- tasen war der letzte von ihnen, der in Nuri begraben wurde, bevor die Kusch ihre Hauptstadt nach Süden verlegten. Sie hinterließen außergewöhnliche Tem- pel, Pyramiden – und ihre bestatteten Pharaonen.

befand. Ein paar Minuten später kam er mit einem vollen Eimer zurück, dessen Inhalt oben untersucht und sortiert wer- den würde. Etwa eine Stunde nach Beginn dieser Routine tauchte Creasman in der zweiten Kammer auf, holte tief Luft und rief: „Shabti!“ Zärtlich hob er die Grabfigur hoch, damit wir sie sehen konnten. Als ich sie in seiner Hand betrachtete,

DER BERLINER ARCHITEKT Friedrich Hinkel hatte in jahrzehntelanger Arbeit einige der Pyramiden vor dem Verfall gerettet. Die Ausgrabung von Nuri mit ihren unter Wasser verborgenen Schät- zen war eine andere Herausforderung. Vor einem Jahrhundert besuchte der Harvard-Ägyptologe George Reisner Nuri, um die Grabkammer von König

ÄGYPTEN

A F R I K A

SUDAN

Königliche Nekropole von Nuri

Nichole Sobecki ist Fotografin, Filmemacherin und NATIO- NAL-GEOGRAPHIC-Explorer in Nairobi, Kenia. Mehr über die Arbeit der National Geographic Society und ihre Explorer unter nationalgeographic.de/unsere-explorer. Bald würde ich in die oberirdische Welt mit ihrem unglaublich blauen Himmel zurückkehren. Aber noch nicht. Zuerst nahm ich Bild für Bild auf, fror diesen Ort in der Zeit ein und zwang mich dazu, mich an die Dinge zu erinnern, die ich nicht fest­ halten konnte. j bemerkte ich, dass mein Atem sich normalisiert hatte und mein Verstand klarer geworden war. Sie war in der Mitte zerbrochen, hatte aber ihren wür- devollen, pflichtbewussten Ausdruck behalten. Vor Tausenden von Jahren – eine Zeitspanne, die ich nicht wirklich begreifen kann – glaubte man, dass die Figuren wiederbelebt wurden, um ihren Herren im Jenseits zu dienen. Jetzt war ich hier, in der Unter- welt mit ihnen. Meine Angst wurde weggespült und Ehrfurcht durchströmte mich. Nastasen hatte hier zwei Jahrtausende lang in der Dunkelheit geruht, begleitet von Hunderten winziger Helfer.

Taharqa zu erkunden, der im siebten Jahrhundert v. Chr. ganz Ägypten regiert hatte und sogar im Alten Testament erwähnt wurde. Er hatte seine Truppen zur Verteidigung Jerusalems versammelt. Viele der anderen Nuri-Gräber blieben jedoch unerforscht. Das Wasser ist seitdem höher gestiegen, beeinflusst durch den Klimawandel, den wachsenden land- wirtschaftlichen Bedarf der Region und moderne Dämme, die den Nilpegel verändern. Seit Beginn der Arbeit von Creasman hat der Sudan einen Staatsstreich, eine globale Pandemie, rekordverdächtige Überschwemmungen und eine Revolution im Jahr 2019 erlebt. Als die Widerständler die 30-jährige Diktatur von Omar al Bashir stürzten – dessen Regierung versucht hatte, die vorislamische Geschichte des Sudan zu tilgen – riefen sie die Namen der nubischen Königsfamilie: „Mein Großvater ist Taharqa , meine Großmutter ist eine Kandaka (Köni­ gin)!“ Bashir wird nun vor dem Internationalen Straf- gerichtshof angeklagt. Demonstranten auf den Straßen prangern das Militär an, das die Macht an sich geris- sen und den demokratischen Übergang des Landes

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KARTE: NGM

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