Internationales Know-how für die Kinder- und Jugendhilfe

26 Projekte auf dem Weg in die Welt – Eine Handreichung für die Praxis: Der Reader bietet einen Überblick über die Fachkräfteinitiative.International – ein bis dato einzigartiges, innovatives Projekt von IJAB in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim, dass sich zum Ziel gesetzt hat, 26 Projekte aus ganz Deutschland über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren auf dem Weg zu einer international ausgerichteten Kinder- und Jugendhilfeorganisation zu begleiten.

Internationales Know-how für die Kinder- und Jugendhilfe

26 Projekte auf dem Weg in die Welt – Eine Handreichung für die Praxis

Ein Projekt von:

Inhalt

Vorwort

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Übersicht Inhalt

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1. Die Fachkräfteinitiative.International im Überblick

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1.1 Jugendpolitischer Hintergrund

1.2 Die Idee dahinter

1.3 Ziele und Zielgruppen der Initiative

1.4 Begleitstrukturen 1.5 Beteiligte Projekte

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2. Internationale Kinder- und Jugendhilfe

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3. Zentrale Themenschwerpunkte der Fachkräfteinitiative.International 3.1 Erreichung neuer Akteure (Institutionen, Fachkräfte, Jugendliche) 3.2 Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus

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3.3 Neue (digitale) Austausch- und Begegnungsformate

3.4 Diversität und Inklusion

3.5 Partizipation von Jugendlichen

3.6 Mehrsprachigkeit

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4. Kick-off zur Fachkräfteinitiative.International

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4.1 Das Event im Überblick

4.2 Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe – Keynote Prof. Dr. Wolfgang Schröer

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4.3 Erste Erkenntnisse und Empfehlungen

5. Perspektiven

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6. Grundlagendokumente zur Umsetzung von Internationalisierungsvorhaben

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Kontakt und nähere Informationen

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Impressum

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Vorwort

Marie-Luise Dreber, Direktorin von IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V.

Der Reader bietet einen Überblick über die Fachkräfteinitiative.International – ein bis dato einzigartiges, innovatives Projekt von IJAB in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildes- heim, dass sich zum Ziel gesetzt hat, 26 Projekte aus ganz Deutschland über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren auf dem Weg zu einer inter - national ausgerichteten Kinder- und Jugendhilfe- organisation zu begleiten. Dabei steht jedes der beteiligten Projekte an ganz unterschiedlichen Punkten des Weges: Manche Träger arbeiten bisher nur national; andere haben bereits Expertise in der internationalen Zusammen- arbeit. Was sie alle eint, ist das Anliegen, die Fachkräfte zu qualifizieren und sie fit zu machen für internationalen Austausch und Zusammen- arbeit. Schließlich kann eine international ausge - richtete Organisation nur so gut sein, wie das darin tätige Personal. Fachkräfte sind der Motor, der das Schiff in die richtige Richtung steuern soll. Doch wohin geht die Reise? Was heißt Internationalisierung der Institution? Und wie kann sie gelingen? Der Reader gibt dazu Impulse und Anregungen. Er dient als Orientierungshilfe für die unmittel- bar am Prozess beteiligten deutschen Fach­ kräfte; gleichzeitig nimmt er gedanklich auch die jeweiligen Kooperationspartner*innen der Projekte im In- und Ausland mit in den Blick. Denn Internationalisierung ist keine Einbahn­ straße. Sie muss gelebt und von allen Beteiligten gemeinsam entwickelt und gestaltet werden. Zentrale Instrumente auf dem Weg zu einer international ausgerichteten Institution sind die Personal-, Organisations- und Qualitätsentwick- lung. Und schließlich ein schlüssiges Konzept zur Umsetzung.

Mit dem Reader sprechen wir alle Fachkräfte an, die motiviert sind, sich persönlich, mit ihrer Organisation oder mit Angeboten für junge Menschen international auf den Weg zu machen. Der Reader bietet methodisches Handwerkszeug sowie Tipps und Tricks für die Praxis. Doch Achtung: Die Initiative steht erst am Anfang! Und wie bei jedem Experiment, werden wir erst am Ende der Fachkräfteintiative.International im Dezember 2023 klüger sein. Wer Neues entde- cken will, sollte auch Risiken in Kauf nehmen. Internationales Arbeiten heißt Flexibilität und Kreativität mitzubringen und es bedarf ausrei- chender finanzieller Mittel. Die aktuelle politi - sche Weltlage zeigt uns, dass Frieden und Verständigung ein hohes Gut sind. Junge Men- schen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung optimal zu fördern und zu selbstbewussten Weltbürger*innen zu befähigen, sollte DAS zentrale Anliegen aller Fachkräfte sein – sowohl derer, die im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland tätig sind als auch jener, die in ähnlichen oder auch anders gelagerten Struktu- ren im Ausland arbeiten. Wir sind davon über- zeugt, dass die Fachkräfteinitiative.International einen wesentlichen Beitrag dazu leisten kann, eine internationale Fachlichkeit innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe herzustellen. Ich wünsche allen, die sich dafür einsetzen, viel Erfolg, Durchhaltevermögen und gute Ideen, um auch über die Initiative hinaus ihre Arbeit fort - setzen zu können. Sie sind Wegweiser*innen für andere interessierte Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Möge der Funke der Begeisterung für ein internationales Miteinander überspringen.

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Übersicht Inhalt

Am 29. November 2021 fand die hybride Kick- off-Veranstaltung in Köln-Frechen statt. Aus - gangssituationen, Informationen, Bedarfe und Perspektiven, die dort diskutiert wurden, finden sich in diesem Reader wieder. Er gliedert sich in fünf Bereiche: Die Fachkräfteinitiative.International im Überblick Die Fachkräfteinitiative.International (FKI) verfolgt unterschiedliche Ziele, spricht verschie- dene Zielgruppen an und arbeitet mit mehreren Begleitstrukturen. Diese werden kurz erläutert. Die 26 beteiligten Projekte haben dabei vielfälti - ge Ansätze, um die Internationalisierung ihrer Träger voranzubringen. In Projektsteckbriefen werden ihre Vorhaben sichtbar.

Auf dem Weg zu einer internationalen Kinder- und Jugendhilfe

Kinder und Jugendliche bewegen sich immer mehr in Kontexten, die lokal, national und internatio- nal verflochten sind. Das stellt nicht nur die Kinder und Jugendliche selber vor Herausforde- rungen, sondern auch die Kinder- und Jugendhil- fe als Arbeitsfeld an sich. Für eine internationale Kinder- und Jugendhilfe ist die Fachkräfteinitia­ tive.International ein bedeutender Baustein. Daher werden hierzu (historische) Bezüge aber auch definitorische Ansätze kurz dargestellt.

Mehr Europa und mehr Internationales für die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, das möchte die von IJAB koordinierte Fachkräfteini - tiative.International erreichen und unterstützt deshalb Projekte, die die Internationalisierung ihrer Träger voranbringen. Als Ziel und gleichzei- tig als Methode soll internationales Know-how für die Kinder- und Jugendhilfe generiert und weiterentwickelt werden. Deswegen haben sich 26 Projekte auf den Weg in die Welt gemacht. Sie haben Projektideen entwickelt, die wiederum von der Initiative durch verschiedenste Struktu- ren und Instrumente begleitet werden. Der Leitgedanke dabei kann als trägerübergreifende Interaktion verstanden werden.

Zentrale Themenschwerpunkte der Fachkräfteinitiative.International

Im Mittelpunkt der Initiative stehen unterschied- liche thematische Schwerpunkte. Diese sind im Rahmen des Interaktionsforums erarbeitet worden und haben aktuelle gesellschaftspoliti- sche Bezüge oder lassen sich aus der Idee einer internationalen Kinder- und Jugendhilfe ableiten. Hintergründe werden kurz erläutert, Tipps und Tools genannt und mit Linkempfehlungen versehen.

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FKI im Überblick

Kick-Off zur Fachkräfteinitiative.International

Gemeinsam mit den Projekten, Kooperations- partner*innen und weiteren Interessierten fand am 29 November 2021 das Kick-off zur Initiative statt. Die Veranstaltung bot den Raum, die daran beteiligten Projekte und Kooperationspart- ner*innen, sowie weitere Akteur*innen kennen - zulernen, miteinander in den Austausch zu kommen und sich zu vernetzen. Entlang der thematischen Schwerpunkte wurde gemeinsam über Bedarfe und Potentiale hinsichtlich der Internationalisierung von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe diskutiert. Das Kapitel schließt mit der Darstellung erster (Zwischen-)Ergebnisse und Erkenntnisse seitens IJAB vor dem Hinter- grund vorangegangener Pilotprojekte, als auch der Projektbeteiligten. Perspektiven In diesem Kapitel wagt IJAB als Initiatorin der Fachkräfteinitiative.International einen vorsichti- gen Ausblick auf notwendige Rahmenbedingun- gen zur erfolgreichen Umsetzung einer interna- tionalen Kinder- und Jugendhilfe. Dabei knüpft IJAB auch an Erfahrungen aus Modellprojekten und Initiativen mit ähnlich gelagerten Zielstel­ lungen an und setzt sie in Bezug zu aktuellen jugendpolitischen Zielstellungen auf nationaler und europäischer Ebene. Die Ausführungen basieren auf dem Verständnis von gleichberech- tigter Partnerschaft als einem der zentralen Prinzipien der Internationalen Jugendarbeit. Und schließlich werden Grundlagendokumente an die Hand gegeben, die hilfreich sein können für die Planung und Umsetzung von Internatio- nalisierungsvorhaben.

Internationale Kinder- und Jugendhilfe

Zentrale Themenschwerpunkte

Kick-Off

Perspektiven

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1. Die Fachkräfte- initiative.International im Überblick

1.1 JUGENDPOLITISCHER HINTERGRUND

In ihrer Jugendstrategie 1 hat die Bundes­ regierung die Zielsetzung formuliert, „den Fach - kräfteaustausch bzw. die Mobilität der Fachkräf- te zu fördern und eine Anerkennungskultur für mobile Fachkräfte zu entwickeln“ (S. 148). Dabei wird eine „Offensive zur Fachkräftequalifizierung in der Internationalen Jugendarbeit“ (S. 152) als wichtige Maßnahme zur Umsetzung der Jugend- strategie genannt. Auch das Leitbild zum Kinder- und Jugendplan des Bundes sieht vor, dass die Träger in allen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe jungen Menschen und Fachkräften adäquate Angebote unterbreiten sollen, Europäisierungs- und Globalisierungs­ prozesse zu erfahren und sich differenziert mit ihnen auseinanderzusetzen. interkulturellen und internationalen Kompeten- zen zu stärken und Internationalisierung als eigene Aufgabe in den Blick zu nehmen. Mit der von IJAB gemeinsam mit der National- agentur JUGEND für Europa durchgeführten Veranstaltungsreihe „Runder Tisch Fachkräf­ tequalifizierung“ wurde in den letzten Jahren mit zentralen Akteuren der Internationalen Jugendarbeit sowie Qualifizierungseinrichtungen

Der Erwerb interkultureller Kompetenzen ist – neben anderen Schlüsselkompetenzen – eine wichtige Voraussetzung, um in der europäisier- ten und globalisierten Lebenswelt zurechtzu- kommen. Grenzüberschreitende Mobilität sollte dabei von einer Chance für wenige zu einem Angebot für alle jungen Menschen werden. Grenzüberschreitende Lernerfahrungen und das voneinander Lernen unterstützen darüber hinaus Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe dabei, die eigene Arbeit weiterzuentwickeln, zu reflektieren und Jugendliche zu motivieren, selbst grenzüberschreitend mobil zu sein. 1.2 DIE IDEE DAHINTER Mit der Fachkräfteinitiative.International fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einen mehrjährigen Prozess, in dem IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit in Kooperation mit dem Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim Fachkräften und Organi- sationen aus den unterschiedlichen Handlungs- feldern der Kinder- und Jugendhilfe unter­ schiedliche Formate anbietet, gemeinsam ihre

1 Mehr Informationen und Downloadlinks zu diesen und anderen Verweisdokumenten siehe Kapitel „Grundlagen­ dokumente zur Umsetzung von Internationalisierungsvorhaben“ .

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im Bereich der non-formalen Bildung fortlaufend an dem Thema Internationalisierung gearbeitet. Geleitet von den Erkenntnissen aus Pilotprojek- ten wie der Fachkräftewerkstatt: „Von der Vision zur Tat: Internationalisierung von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe“ (IJAB, 2015), „Modellent- wicklung zur Etablierung einer internationalen Leitkultur bei Trägern der Kinder- und Jugend­ hilfe“ (IJAB in Kooperation mit der Goethe-Uni- versität in Frankfurt/Main), sowie weiterer Projekte und Initiativen von anderen Trägern der

Internationalen Jugendarbeit entstand schließ- lich die Idee zur Fachkräfteinitiative.Internatio- nal. Im Unterschied zu den oben genannten Aktivitäten sollte bei diesem Vorhaben eine deutliche größere Zahl von Trägern aus verschie - denen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe mitwirken können, innovative Ansätze durch entsprechende Begleitstrukturen über zwei bzw. drei Jahre entwickelt und diskutiert werden und internationale Partner und Netzwerke einbezo- gen werden. Auf diese Weise werden sowohl Fachkräfte aus den unterschiedlichen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe fit gemacht für mehr europäische und internationale Jugendarbeit. Gleichzeitig sollen auch junge Menschen im Sinne des Peer-to-Peer Ansatzes direkt an der Initiative mitwirken und gestalten können. Sie entwickeln eigene Ideen für niedrigschwellige Formate des Jugendaustauschs, geben Anregun- gen für die Fachkräfte und bilden dadurch ein Netzwerk von Jugendbotschafter*innen für internationalen Austausch und Verständigung. -vorhaben einen Gestaltungsraum, um neue Ansätze zu erproben und Prototypen für die einzelnen Schwerpunkte der Fachkräfteinitiative zu entwickeln. Junge Menschen werden in Form von Jugend­ beratungsteams direkt beteiligt und entwickeln eigene Ideen für niedrigschwellige Formate des Jugendaustauschs und geben Anregungen für die Fachkräfte. Ein Jugend-BarCamp soll den entsprechenden Rahmen dafür bieten. Hieraus sollen wichtige Anregungen für die Entwicklung

1.3 ZIELE UND ZIELGRUPPEN DER INITIATIVE Die Fachkräfteinitiative.International begleitet und unterstützt Projekte und Vorhaben, die sich im Rahmen von bi- oder multilateralen Projekten vor allem gegen Rassismus, Antisemitismus,

Rechtsextremismus und für die Zusammenarbeit in Europa und der Welt engagieren. Dadurch werden Qualifizierungsangebote im Bereich der interkulturellen Bildung entwickelt, neue Forma- te und Methoden für grenzüberschreitenden Austausch und Begegnung geschaffen, sowie niedrigschwellige Zugänge zur europäischen und internationalen Fachkräfte- und Jugendmobilität realisiert. 1.4 BEGLEITSTRUKTUREN Das gesamte Vorhaben der Fachkräfteinititative. International wird bei IJAB durch ein Koordina- tionsteam unterstützt 2 . Im Mittelpunkt der Initiative stehen unterschiedliche thematische Schwerpunkte. Diese werden über verschiedene Begleitstrukturen bearbeitet:

Entwicklungslabore und Jugendberatungsteams

Ein zentrales Format der Fachkräfteinitiative. International sind die Entwicklungslabore: Hier erhalten die Träger mit ihren Projektideen und

2 Kontaktdaten zu den Akteur*innen befinden sich am Ende der Handreichung.

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Study Visits / Zentrale Veranstaltungen Um gute Praxis aus anderen Ländern kennenzu- lernen und neue Impulse für den Prozess der Initiative zu generieren, sollten ursprünglich Study Visits für Fachkräfte mit Partnerländern in Europa stattfinden. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Pandemie in 2022 und der hetero- genen Vorgaben bzw. Regelungen europäischer und internationaler Partnerländer zeichnet sich ab, dass eine fundierte, sichere Planung und Umsetzung der Study Visits im Förderzeitraum nicht gewährleistet werden kann. Stattdessen wird für Ende 2022 eine Jahrestagung anvisiert. Die Veranstaltung soll einen Werkstattcharakter haben: Sie nimmt deutsche als auch europäische Projekt-Partner*innen mit und ermöglicht die kritische Reflexion von Zwischenständen bzw. für einen Großteil der Projekte finalen Ergebnis - sen unter dem Dach der Fachkräfteinitiative. International. Wissenschaftliche Begleitung Die Fachkräfteinitiative.International wird durch das Institut für Sozial- und Organisationspädago- gik der Universität Hildesheim wissenschaftlich begleitet. Neben einer formativen Beratung und Begleitung des Projektverlaufs wird auch eine quantitative Online-Befragung (n ≥ 500) zu Be - darfen und Barrieren von internationaler Fach - kräftemobilität bei den teilnehmenden Projekten und darüber hinaus (alle Träger der Kinder- und Jugendhilfe in ihrer Breite) durchgeführt. Themenfelder der Befragung sind die Organisati- ons- und Handlungsfeldzugehörigkeit der Be - fragten, inner- und außerorganisationale Bedin- gungen internationaler Mobilität, Verständnisse internationaler Fachlichkeit, Fragen nach Mehr- sprachigkeit und Begegnungen, antirassistische Ansätze in den Organisationen sowie digitale Fachlichkeit. Ziel der wissenschaftlichen Begleitung ist auch die Analyse, wie die 26 ausgewählten Projekte und Vorhaben transferfähige „Modelle guter Praxis“ entwickeln, die die Internationalisierung

niedrigschwelliger Formate des Jugendaus- tauschs und eine kritische Reflexion für die beteiligten Fachkräfte entstehen. Interaktionsforum Das Interaktionsforum ist ein trägerübergrei­ fendes Veranstaltungsformat, das dem Aus- tausch und der Steuerung der Fachkräfte­ initiative.International dient. Es stellt eine Art Think-Tank zur thematischen Ausgestaltung der Initiative dar. Um neue Formen der Zusammen- arbeit aufzubauen und die Vernetzung zwischen Internationaler Jugendarbeit und anderen Berei - chen der Kinder- und Jugendhilfe zu ermögli - chen, sind am Interaktionsforum unterschied- liche Akteure beteiligt: Bundeszentrale Träger der Kinder- und Jugendhilfe, Servicestellen der Bundesländer, Fach- und Förderstellen der europäischen und internationalen Jugendarbeit, weitere nationale und internationale Expert*in - nen, sowie das Team der wissenschaftliche Begleitung der Fachkräfteinitiative – das Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim gestalten und begleiten gemeinsam den Prozess der Fachkräfteini- tiative.International. Im September 2021 fand das 1. Interaktions­ forum pandemiebedingt als Online-Event statt. 35 Akteure aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe, vornehmlich aus der originären Internationalen Jugendarbeit, aber auch aus der Wissenschaft, der Fach- und Förderstellen der Bundesrepublik Deutschland und nicht zuletzt unter Mitwirkung des BMFSFJ als zentralem Fördergeber diskutierten die rele - vanten Themen der Fachkräfteinitiative.Interna- tional. Diese boten schließlich die Grundlage für die Arbeit in den Workshops beim Kick-off. Daraus sollen sich zukünftig Fachgruppen bilden, die sich konkret mit den Ansätzen und Aktivitä- ten der Entwicklungslabore beschäftigen, diese begleiten und auf Grundlage der Erfahrungen Handlungsstrategien für die Weiterentwicklung der Fachkräftequalifizierung ableiten.

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Erhebungsschritte der wissenschaftlichen Begleitung:

von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe unterstützen können. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Welche Konzepte, praktischen Vorstel - lungen, Methoden und welchen An- spruch haben die jeweiligen Projekte von Internationalisierung und von internationaler Fachlichkeit? Wenn von internationaler Fachlichkeit gesprochen wird, sind immer zwei Ebenen gemeint:

Bestandsaufnahme und quantitative Online-Befragung

Beteiligt: Alle 26 Projekte und darüber hinaus möglichst viele Träger der Kinder- und Jugendhilfe in ihrer Breite. Ziele: Erste Sortierung des/der Verständnis- se/s internationaler Fachlichkeit unter allen beteiligten Projekt-Akteur*innen und eine erste Idee/Übersicht über vorhandene Modelle zeigen. Durchführung und Analyse der Online-­ Befragung (N ≥ 500).

• Bedarfe eigener Qualifizierung bzw. Organisationsentwicklung

• Wissenstransfer (Weitergabe von internationaler Fachlichkeit)

Befragung junger Menschen

Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine gemeinsame Auffas - sung unter den Projekten vorherrscht, was internationale Fachlichkeit ist oder sein kann, wird die wissenschaftliche Begleitung unterschiedliche Diskus- sionsrunden und Inputs im Rahmen der vorgesehenen projektübergreifenden Veranstaltungen organisieren, um miteinander einen gemeinsamen Verständnisrahmen zu erarbeiten. Weil die Fachkräfteinitiative nicht nur das Arbeitsfeld der Internationalen Jugend- arbeit fokussiert, sondern die Kinder- und Jugendhilfe in ihrer Breite, gilt es auch die Transferfähigkeit der Ansätze in die unterschiedlichen Felder zu reflektieren. Zudem werden die 26 Projekte thematisch geclustert, um gemeinsame wie auch Querschnitts- Themen besser betrachten zu können.

Perspektiven, Wünsche, Anregungen und Befürchtungen junger Menschen hinsicht- lich der Internationalisierung von Fachkräf- ten finden hier Raum.

Gruppendiskussionen mit den Projektbeteiligten

Es werden projektübergreifende Gruppen- diskussionen sowie Interviews mit einzel- nen Fachkräften geführt. Im Mittelpunkt steht ein Austausch über die Projekterfah- rungen und die Transferfähigkeit von Elementen aus den Projekten.

Ergebnisbefragung nach 18 Monaten Laufzeit

Hier gilt es zu fragen und zu reflektieren, wie sich die 26 Projekte im Laufe der Projektzeit hinsichtlich ihrer eigenen internationalen Fachlichkeit entwickelt haben und welche ‚guten‘ Modelle sie (nun) auf den Weg bringen.

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1.5 BETEILIGTE PROJEKTE Anfang des Jahres 2021 haben über 60 Träger unterschiedlicher Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe am Interessenbekundungs­ verfahren zur Beteiligung an der Fachkräfte­ initiative.International von IJAB in Kooperation mit dem Institut für Sozial- und Organisations­ pädagogik der Universität Hildesheim teilge­ nommen und eine Projektskizze eingereicht.

rungsstellen, der Nationalagentur JUGEND für Europa, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Arbeitsge- meinschaft der Obersten Landesjugend- und Familienbehörden sowie von IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit und dem Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Univer- sität Hildesheim haben hieraus eine Auswahl an 26 Projekten getroffen.

Ein Gremium, bestehend aus Vertreter*innen der bilateralen Jugendwerke und Koordinie-

An der Fachkräfteinitiative.International beteiligte Träger

1. Jugendstiftung Baden-Württemberg 2. Solidaritätsjugend Deutschlands (Solijugend) 3. Bayerischer Jugendring K.d.ö.R. 4. Akademie der Jugendarbeit Baden-Württemberg 5. Arbeitsstelle für Praxisforschung, Beratung und Entwicklung (apfe), Institut des Zentrums für Forschung, Weiterbildung und Beratung an der ehs Dresden gGmbH 6. Landesjugendwerk der AWO / im Landesverband der AWO Thüringen e.V. 7. Jugendbildungszentrum Blossin e.V. 8. VSD – Verbund sozialer Dienste 9. solaris Förderzentrum für Jugend und Umwelt gGmbH Sachsen 10. CVJM-Landesverband Bayern e.V. 11. JugendSozialwerk Nordhausen e.V. 12. Eine Welt e.V. Leipzig 13. Bildungsstätte Bredbeck – Heimvolkshochschule des Landkreises Osterholz 14. AUDIYOU gGmbH 15. pewobe gGmbH in Frankfurt (Oder) 16. Kreuzberger Kinderstiftung gAG 17. Deutsches Youth For Understanding Komitee e.V. (YFU) 18. Evangelisches Jugendwerk in Württemberg (EJW) 19. AGJF Sachsen e.V. 20. Verein der Freunde und Förderer des Berufskollegs Bergheim e.V. 21. Bildungsnetzwerk Magdeburg gGmbH: GOEUROPE! @Europäische Jugendbildungsstätte 22. CVJM Deutschland 23. VILLA gGmbH 24. Netzwerk für Demokratie und Courage e.V. 25. migration_miteinander e.V. 26. Stadt Nürnberg, Amt für Kinder, Jugendliche und Familien – Jugendamt

Steckbriefe aller 26 Projekte sind dem Reader als Anlage beigefügt.

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2. Internationale Kinder- und Jugendhilfe

Aus den Strukturen und der Praxis der Interna- tionalen Jugendarbeit heraus sind schon viele Debatten zur internationalen Kinder- und Jugendhilfe geführt und Entwicklungsansätze erarbeitet worden. So startete IJAB beispielswei- se im Jahr 2016 nach vorangegangen Fachdiskur- sen ein zweijähriges Modellvorhaben unter dem Titel „Modellentwicklung zur Etablierung einer internationalen Leitkultur in Organisationen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe“, um Internationalisierungsprozesse bei Trägern der Kinder- und Jugendhilfe zu unterstützen. In der Vergangenheit wurden oftmals für dieses Themenfeld unterschiedliche Begriffe verwen - det, wie unter anderem: INTERNATIONALE LEITKULTUR in Organisationen, die INTERNATIO- NALE DIMENSION der Kinder- und Jugendhilfe, TRANSNATIONALE PERSPEKTIVEN auf die

Kinder- und Jugendhilfe, die INTERNATIONALISIE- RUNG der Kinder- und Jugendhilfe, INTERNATIO- NALE KINDER- UND JUGENDHILFE. Die zentrale Erkenntnis aus den oben ge - nannten Prozessen: Kindheit und Jugend ist heute nur transnational zu verstehen. Kinder und Jugendliche bewegen sich in transnationalen Alltagswelten. Bereits im 15. Jugendbericht der Bundesregierung heißt es dazu: „Das Aufwach- sen in einer globalisierten Gesellschaft ist für junge Menschen an das alltägliche Erleben und Agieren in transnationalen Zusammenhängen gekoppelt“ (15. KJB, S. 268) 3 . Auch Prof. Wolfgang Schröer verwies in der oben genannten Kick-off- Veranstaltung auf eine lokale, nationale und internationale Verflechtung der Bewegungs­ kontexte junger Menschen.

Was heißt transnational?

Transnational bedeutet, die Naturalisierung des Nationalen zu hinterfragen und die Verflechtungen von lokalen, nationalen und internationalen Alltagswelten in Kindheit und Jugend wahrzunehmen

Mobilität als transnationaler Erfahrungsraum

Mobilität eröffnet transnationale Erfahrungsräume um … interkulturelle Begegnungen zu ermöglichen … Rassismen wahrzunehmen und zu bearbeiten … Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erleben … fachlich sich neu zu positionieren und zu kontextualisieren … internationale Initiativen zu begründen

Quelle: Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Auszug aus der Präsentation zum Kick-off am 29. November 2021

3 15. Kinder- und Jugendbericht (bmfsfj.de), abrufbar unter: https://bit.ly/3nD0iOy

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Viele Projekte haben bereits in der Vergangen- heit diese Erkenntnisse aufgegriffen und gezielt Jugendliche angesprochen. Die Fachkräfteinitia­ tive.International nimmt bewusst die Fachkräfte in den Fokus. Erst wenn Fachkräfte ein Verständ- nis von Mobilität und deren Mehrwert für die eigene Persönlichkeitsentwicklung haben und durch Coaching, Beratung und Informationen ein fundiertes Methoden- und Fachwissen besitzen, können sie Jugendliche dahingehend unterstützen, internationale Mobilitäts- und Lernerfahrungen zu machen. Was sind also notwendige Faktoren für eine internationale Kinder- und Jugendhilfe? Folgende Gelingensfaktoren können aus den bisher geführten Debatten und umgesetzten Projekten genannt werden: • Eine gut aufgestellte Internationale Jugend- arbeit mit engagiertem und gut qualifiziertem Mitarbeiter*innen, mit Fördergeldern für Personal und Begegnungskosten und zeitli- chen Ressourcen, die vom jeweiligen Arbeit- geber zur Verfügung gestellt werden.

• Nachhaltige und fest verankerte Strukturen in der gesamten Kinder- und Jugendhilfe.

• Eine Kinder- und Jugendhilfe, die von der politischen bis zur lokalen Ebene die Wichtig- keit von internationalen Lernerfahrungen junger Menschen anerkennt. Die internatio- nale Lernerfahrungen nicht als nette Zusatz- erfahrung, sondern als Querschnittsaufgabe und somit als originären Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe wahrnimmt. • Grundvoraussetzung ist, dass alle Beteiligten ein Bewusstsein dafür haben, dass Internatio- nalisierung ein wichtiges Thema darstellt. Es braucht also ein Verständnis um die Wichtig- keit und Wirkung internationaler Lernerfah- rung. Dieses Verständnis muss in Träger­ organisationen fest verankert sein, damit internationale Lernerfahrungen unabhängig von engagierten Einzelpersonen stattfinden kann.

• Internationale Lern- und Mobilitätserfahrun- gen ihrer Fachkräfte.

Begründungslinien für eine internationale Kinder- und Jugendhilfe Um Internationalisierung als Kernaufgabe der deutschen Kinder und Jugendhilfe zu realisieren ist es wichtig, die verschiedenen Diskurse und (politischen) Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene zu berücksichtigen. Diese sind:

• die Mobilitätsstrategie der Bundesregierung, • die Entwicklung einer Eigenständigen Jugendpolitik, • die Umsetzung der EU-Jugendstrategie, • die Eckpunkte Internationale Jugendpolitik des BMFSFJ,

• das reformierte Leitbild des Kinder und Jugendplans des Bundes, • die Empfehlungen aus dem European Youth Work Convention (EYWC), • der Bonn-Prozess und • der 15. Kinder- und Jugendbericht.

Sie unterstützen das Postulat, die Internationalisierung als Querschnittsaufgabe zu verstehen, die alle Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe betreffe. Zudem verweist Prof. Schröer trotz eines spezifischen deutschen Rechtsrahmens auf eine Fachgeschichte der Kinder- und Jugend - hilfe, die selbst international geprägt sei, beispielsweise durch die UN-Kinderrechtskonvention oder durch Ombudsschaften.

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Fazit: Internationalisierung ist demnach ein längerer, unter Umständen über mehrere Jahre angelegter und komplexer Prozess im Sinne der Personal- und Organisationsentwicklung und des Qualitätsmanagements, der sich in mehrere Phasen gliedern lässt. Internationalisierung im Sinne der Organisa- tionsentwicklung kann folgende Bereiche betreffen/tangieren: • Verwaltung • Fachbereiche, Referate • Zielgruppen, Programme und Angebote • Personalwesen • Vorstand • Leitung/Geschäftsführung

Innerhalb der Fachkräfteinitiative.International wird bewusst darauf verzichtet, den beteiligten Akteuren vorab eine Definition zu INTERNATIO- NALISIERUNG oder EUROPÄISIERUNG anzubie- ten. Stattdessen möchten sie die Projektträger anregen, innerhalb der eigenen Struktur zu einem gemeinsam erarbeiteten Verständnis zu kommen. Anhand der nachfolgenden Übersicht soll beispielhaft gezeigt werden, welche konkreten Aspekte unter dem Thema Internationalisierung bearbeitet werden können und zwar unter genauerer Betrachtung der drei zentralen Bereiche (Dimensionen) einer jeden Institution: Personal-, Organisations- und Qualitätsent­ wicklung.

• Öffentlichkeitsarbeit • Zuschussgeber/-innen • Kooperationspartner/-innen • Zuständige Behörden

Aus: IJAB (Hrsg.): Entwicklung einer internationalen Dimension in der Kinder- und Jugendhilfe – Arbeitshilfe für Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Bonn 2019, S.11

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Internationalisierung der Kinder- und Jugend­ hilfe – Beispiele für internationales Denken und Handeln in Trägerstrukturen:

Die Fachkräfteinitiative.International ist demnach ein bedeutender Baustein hin zu einer internationalen Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, bei der interessierte Träger aufgerufen sind, ihren eigenen Weg im Sinne der „Inter - nationalisierung“ zu finden und umzu - setzen. Denn wie heißt es doch: „Der Weg ist das Ziel.“

Personalentwicklung

• Zuständigkeiten in Stellenplänen festlegen • Etablierung von Anerkennungssystemen interna- tionaler Mobilitätserfahrungen: • Ermöglichung der Teilnahme an internationalen Fortbildungsangeboten, Seminaren, Workshops und Konferenzen in der Arbeitszeit • Förderung der beruflichen Weiterentwicklung der Mitarbeitenden • Motivationsförderung • Abbildung von Internationalität in den Kompe- tenzprofilen der Mitarbeitenden

TIPP

Der Leitfaden „Entwicklung einer internationalen Dimension in der Kinder- und Jugendhilfe mithilfe von Coaching. Eine Arbeitshilfe für Träger der Kinder- und Jugendhilfe“ bietet Hilfestellung zur Umsetzung eines internationalen Denkens und Handelns in den jeweiligen eige- nen Trägerstrukturen. Er benennt acht Stufen eines Internationali- sierungsprozesses, die jede Institu - tion durchlaufen sollte. In welcher Reihenfolge diese durchlaufen werden, ist nicht von Bedeutung: https://ijab.de/bestellservice/ entwicklung-einer-internationa­ len-dimension-in-der-kinder-und- jugendhilfe-arbeitshilfe-fuer-trae­ ger-der-kinder-und-jugendhilfe

Organisationsentwicklung

• Finanzmanagement: Eigene Budgetlinie für Internationalisierungsprozesse • Außendarstellung und Öffentlichkeitsarbeit: Weiterentwicklung von Web-Seiten, Visitenkarten und Signaturen in E-Mails (mehrsprachig) • Darstellung der internationalen Arbeit • Identifizierung und Abbau von Mobilitätshürden innerhalb der Organisation • Optimierung von Arbeitsabläufen und -prozessen • Ausbau von Angeboten (z. B. im Bereich internationaler Freiwilligendienst) • Etablierung und Erhöhung von Angeboten internationaler Jugendarbeit

Qualitätsentwicklung

• Nutzung neuer Impulse durch internationalen Austausch zur Weiterentwicklung der Organisation • Erarbeitung bzw. Überarbeitung eines Leitbildes der Organisation, das dem Ziel der Internatio­ nalisierung entspricht • Verankerung einer internationalen, diversitätsbewussten Haltung • Aufbau und Ausbau internationaler Kontakte und Netzwerke

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3. Zentrale Themen- schwerpunkte der Fachkräfteinitiative. International

Die Projekte der Fachkräfteinitiative.Internatio- nal arbeiten an unterschiedlichen Fragestellun- gen, in verschiedenen Settings (bundesweit, lokal, ländlicher Raum, Ballungszentrum), sowie Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe (unter anderem Internationale Jugendarbeit, Stationäre Erziehungshilfen, Hilfen zur Erziehung). Was alle Projekte jedoch eint, ist das Ziel, bedarfsorien- tierte Qualifizierungs- und Mobilitätsangebote für Fachkräfte auf den Weg zu bringen. Insofern ist dieses Ziel als Querschnittsthema der Fach- kräfteinitiative. International zu verstehen.

Die Vielfalt der Projektideen lässt sich auf folgende zentralen Themenschwerpunkte zusammenbringen: 1. Erreichung neuer Akteure (Institutionen, Fachkräfte, Jugendliche) 2. Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus 3. Neue (digitale) Austausch- und Begegnungsformate 4. Diversität und Inklusion 5. Partizipation von Jugendlichen 6. Mehrsprachigkeit

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3.1 ERREICHUNG NEUER AKTEURE (INSTITUTIONEN, FACHKRÄFTE, JUGENDLICHE)

Begründungszusammenhang Nicht zuletzt die sogenannte Zugangsstudie („Die Zugangsstudie zum Internationalen Jugend - austausch: Zugänge und Barrieren“) hat gezeigt, dass die Praxis weit entfernt ist, alle jungen Menschen für eine internationale Lern- und Mobilitätserfahrung zu erreichen. Neben etab- lierten Trägern, die sich in ihrem Selbstverständ-

nis als Ziel und Auftrag der internationalen Jugendarbeit verortet haben, bieten immer mehr Träger der Kinder- und Jugendhilfe internatio­ nale Maßnahmen an. Dennoch bleibt es hier eine Herausforderung, neue Akteure zu gewin- nen und langfristig außerhalb von der kurzfristi - gen Teilnahme an Einzelprojekten nachhaltig im Kontext der Internationalisierung zu verankern.

Gut zu wissen: Hintergründe

– Interessierte Gruppe 2 (11 %): Die Jugendlichen dieser Gruppe sind auslandsunerfahren, aber generell an Formaten des internationalen Jugend­ austauschs interessiert. • Das Interesse der Jugendlichen, an einem Format des internationalen Jugendaustau- sches teilzunehmen, ist generell nicht von ihrer Milieuzugehörigkeit abhängig. Interes- sierte Jugendliche finden sich in allen Milieus. (Grundlage: Modell der SINUS-­ Lebenswelten) • Die IKO-Befragung 4 der Nicht-Teilneh­ mer*innen am internationalen Jugendaus - tausch hat ergeben, dass die Gründe , warum sie bislang nicht an einem internationalen Austauschprogramm teilgenommen haben, sowohl struktureller (u. a. mangelnde Informationen, Annahme über hohe Kosten, Fokussierung der Jugendlichen auf Schuli- sches/Berufliches) als auch individueller Natur (u. a. Ängstlichkeit, Trennungsängste, fehlendes Zeitfenster, Beeinflussung durch Umfeld) sind.

Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung – Die Zugangsstudie:

• Es ist davon auszugehen, dass 63 % aller Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein potenzielles Interesse an Formaten des internationalen Jugendaustauschs haben: Die Forscher*innen identifizieren drei Grup - pen von Jugendlichen: – Aktuelle Zielgruppe (26 %): Die Jugend - lichen dieser Gruppe, die „Austausch­ erfahrenen“, haben schon mindestens einmal an einem Format des internationa - len Jugendaustauschs teilgenommen. – Interessierte Gruppe 1 (16 %): Diese Gruppe hat bereits an organisierten Auslandsaufenthalten teilgenommen, allerdings noch nicht an einem Format des internationalen Jugendaustauschs. Sie sind grundsätzlich an weiteren Formaten des internationalen Jugendaustauschs interessiert.

4 IKO – Institut für Kooperationsmanagement Regensburg, http://www.iko-consult.de/

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– Auf der Repräsentationsebene kursieren und reproduzieren sich bestimmte Bilder über Jugendliche , die sich als Zugangs­ barrieren manifestieren. Dazu zählen die Kategorisierung von Jugendlichen nach einer binären Struktur (bspw. „benachtei- ligt“ und „nicht-benachteiligt“, „politikfern“ und „nicht-politikfern“, „behindert“ und „nicht behindert“) und die Auswahl der teilnehmenden Jugendlichen auf der Grundlage von Benehmen, Verhalten und Kontakt zu Schlüsselpersonen. Das bedeutet, Benachteiligung wird als Kate - gorie und individuelles Defizit konstruiert (diskursive Hürden).

– Auf der Organisationsebene entstehen Barrieren durch bürokratische und aufwändige Förderstrukturen , Komple- xität der Anträge, mangelnde finanzielle Ausstattung der Internationalen Jugend- arbeit und eine bislang unzureichende Stärkung der Internationalen Jugend- arbeit auf lokaler Ebene .

Auszüge aus: Warum nicht? Studie zum Interna­ tionalen Jugendaustausch: Zugänge und Barrieren ( https://www.zugangsstudie.de/ )

Tipps und Tools aus der Praxis der Internationalen Jugendarbeit

Eckpunktepapier einer abgestimmten Strategie zur Förderung der Fachkräfte­ qualifizierung: Das Dokument ist Ergebnis einer umfassenden wissenschaftlichen Befragung von Fach- und Führungskräften in Deutschland zu ihren Mobilitätserfahrungen: Es benennt Mobili - tätshürden bei Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe, wie zum Beispiel die fehlende/ zögerliche Freistellung durch Vorgesetzte, die mangelnde Anerkennung/Wertschätzung mögli- cher Lernerfahrungen im Umfeld, die fehlende Mobilitätskultur im eigenen Arbeitsumfeld sowie die nicht ausreichende Sprachkompetenz: https://www.agj.de/fileadmin/user_upload/FA/ III/TOP_12.2_Eckpunktepapier_endgueltige_Fas ­ sung.pdf

Schule und internationaler Austausch: Hauptamtliche Coaches führen individuelle Beratungen zu den Themen interkulturelle Bildung und internationaler Austausch durch. Schule:Global erhält Unterstützung vom BMFSFJ: https://aja-org.de/schuleglobal/ Teilhabe: Zugänge zu internationalen Erfahrungen ermöglichen: https://www.bkj.de/ teilhabe/wissensbasis/beitrag/jugendarbeit-ist- beziehungsarbeit-lokal-internatio nal-und-digital/ Jugendpolitische Initiative „Kommune goes International“ : Kommune goes Internatio­ nal – ijab.de

Weitere Links zum Themenschwerpunkt

Eurodesk ist ein europäisches Informations­ netzwerk mit Koordinierungsstellen in 36 Län - dern und über 1.000 lokalen Servicestellen. In Deutschland arbeitet Eurodesk mit rund

50 lokalen Partnern zusammen. Ziel des Netz - werkes ist es, junge Menschen und Multiplika- tor*innen über das Thema Lernmobilität zu informieren: https://ijab.de/projekte/eurodesk .

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3.2 BEKÄMPFUNG VON ANTISEMITISMUS, RASSISMUS UND RECHTSEXTREMISMUS

Begründungszusammenhang Die Welt befindet sich in einem permanenten Wandel. Rassistische und rechtsextreme Ein­ stellungen, Verhaltensweisen und Strukturen werden im Alltag, in Berichterstattungen und in Institutionen sichtbar. Dabei haben vor allem wachsender Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus Auswirkungen auf das Leben junger Menschen. Dieses gesamtgesell- schaftliche Phänomen nimmt sich somit auch Raum und erhält Sichtbarkeit im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe. In der Praxis werden Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe mit der Herausforderung konfrontiert, damit umzuge- hen. Wie reagieren bei menschenverachtenden Verhaltensweisen? Wie lassen sich der Abbau von Vorurteilen und menschenfeindlichen Haltungen als konstante Aufgabe bei Trägern und Organisationen etablieren? Und wie lassen sich dafür Formate und Angebote internationa- ler Jugendmobilität nutzen?

Förderung der europäischen Integration, Abbau von Fremdenfeindlichkeit, Friedenssicherung und Demokratiestärkung als Zielkategorien. Das bedeutet, eine reflektierte internationale Lernerfahrung soll dabei unterstützen, dass die Teilnehmer*innen zu weltoffenen Bürge­ r*innen werden. Sie leistet demnach nicht nur einen Beitrag zu der individuellen Biografie von Fachkräften, sondern auch für das Zusammen - leben der Gesellschaft. Das Arbeitsfeld Interna- tionale Jugendarbeit verfügt mit diesem Ver- ständnis und Auftrag über gute Ansätze, die Themenfelder aufzugreifen, sie inhaltlich zu bearbeiten und dafür zu sensibilisieren. Auch die Projekte der Fachkräfteinitiative. International leisten einen Beitrag, dem oben beschriebenem Phänomen entgegenzuwirken. Denn es braucht gut ausgebildete Fachkräfte mit eigenen Mobilitätserfahrungen, die sich mit ihrem Wissen zu diesen Themenfeldern, aber auch mit der eigenen Haltung dazu beschäftigen und dies im internationalen Kontext reflektieren und weiterentwickeln. bezeichnen. […] Antisemiten schreiben Juden wegen ihres Jüdisch-Seins pauschale Eigenschaf- ten zu. Sie halten Juden beispielsweise für geldgierig, minderwertig oder auch besonders mächtig. Ein typisches Motiv des Antisemitismus ist die sogenannte „jüdische Weltverschwörung“ oder die Rede vom sogenannten „internationa- len jüdischen Finanzkapital“, das unter anderem für globale Wirtschaftskrisen verantwortlich gemacht wird.“

Die Internationale Jugendarbeit beschreibt in ihrem Selbstverständnis Völkerverständigung,

Gut zu wissen: Hintergründe

Die Begriffe und Phänomene Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus sind kom- plex. Daher bedienen wir uns hier etablierter Kurzdefinitionen themenspezifischer Expert*in - nen. Die jeweiligen Quellen bieten weitere Fachtexte zur Vertiefung. Antisemitismus „Antisemitismus ist der Sammelbegriff für ver - schiedene Formen und Facetten von Judenfeind- lichkeit. Eine eindeutige Definition des Begriffes gibt es nicht, er wurde erst Ende des 19. Jahr- hunderts geprägt, um die damals entstehende, rassistisch begründete Judenfeindschaft zu

(Definition übernommen aus: https://www.bpb.de/lernen/ grafstat/rechtsextremismus/173103/glossar )

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Rassismus „Rassismus ist die Konstruktion von Differenzen äußerlicher und/oder kultureller Art, die mit einer Dichotomie der Gesellschaft in die, die dazu gehören („wir“), und die, die nicht dazu gehören („ihr“), einhergeht. Die physiognomi - schen und/oder kulturellen Differenzierungen werden mit positiven („wir“) oder negativen („ihr“) Merkmalen (Charakter, Moralität, Ver- nunftbegabung …) verknüpft. Die bestehenden Machtverhältnisse (Mehrheitsverhältnisse, Gesetzgebung, Geld, Staatsgewalt, Zugang zu Medien …) setzen die Etablierung eines gesell- schaftlichen „Wissens“ um diese Differenzen und Zuschreibungen durch und ermöglichen damit Ausgrenzung und Unterdrückung gegenüber den als nicht-dazugehörig Definierten. Gleichzei - tig kann Rassismus als Rechtfertigung bestehen- der Verhältnisse von gesellschaftlicher Ungleich- heit und als Legitimation von Herrschaft und Unterwerfung dienen. Die gesellschaftliche, strukturelle Verankerung dieser Gewalt- und Entmenschlichungspraxen verweist auf Rassis- mus als Phänomen der Mitte der Gesellschaft, das zwar in Handlungen einzelner Individuen zum Ausdruck kommen kann, ohne die gesell- schaftliche Verankerung aber nicht erklärbar ist. Rassismus unterliegt unterschiedlichen histori- schen und gesellschaftlichen Entwicklungen und manifestiert sich dementsprechend in differen - ten gesellschaftlichen Praxen, so dass sinnvoller Weise von Rassismen gesprochen wird.“

menschenverachtende Einstellung sind häufig der Nationalsozialismus und der Faschismus. Daher spricht man bei rechtsextremistischen Gruppen heute oft von Neonazis (neuen Nationalsozialisten).“

(Definition übernommen aus: https://www.bpb.de/lernen/ grafstat/rechtsextremismus/173103/glossar )

Viele Studien und Statistiken beschäftigen sich mit den genannten Themenschwerpunkten. Hier eine exemplarische Auswahl aktueller Daten: Selten war die gesellschaftliche Mitte so „gefor- dert“ wie heute. Rechtsextremismus, Populis- mus, Rassismus setzen ihr zu. Alle zwei Jahre untersucht die Mitte-Studie der Friedrich- Ebert-Stiftung rechtsextreme und demokratie- gefährdende Einstellungen in der deutschen Gesellschaft. In ihrer repräsentativen Umfrage von Dezember 2020 bis Frühjahr 2021 heißt es: Die „Mitte“ ist gefordert, Haltung zu zeigen, Position zu beziehen und ihre Demokratie zu stärken! Dazu hat sie das Potenzial. Mehr Informationen dazu finden Sie hier: Die geforderte Mitte: Die neue Rechtsextremis­ mus-Studie (fes.de) Leipziger Autoritarismus-Studie 2020: Die Leipziger Studien zu autoritären und rechtsext- remen Einstellungen in Deutschland werden seit 2002 alle zwei Jahre von einer Arbeitsgruppe um Oliver Decker und Elmar Brähler der Universität Leipzig durchgeführt. Ein zentrales Ergebnis: Ethnozentrische Einstellungen, Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit sind weiterhin auf hohem Niveau. https://www.boell.de/de/ leipziger-autoritarismus-studie Der Bundesinnenminister kommt bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalitäts­ statistik und der Fallzahlen der politisch moti- vierten Kriminalität 2019 zu dem Ergebnis, die größte Bedrohung gehe weiterhin vom Rechts - extremismus aus. Rechtsextreme Straftaten haben demnach um 9,4 Prozent zugenommen und machten mit 54,3 Prozent weiterhin mehr

(Definition übernommen aus: https://www.ida-nrw.de/ themen/rassismus/gegenwart )

Rechtsextremismus „In dem Begriff steckt das lateinische Wort „extrem“. Menschen, die Extremisten sind, lehnen die Regeln ab, nach denen unser demo- kratischer Staat funktioniert. Sie wollen sie sogar abschaffen. Wer extremistisch ist, will keine Toleranz und Offenheit gegenüber Menschen, die anderer Meinung sind. Rechtsextremisten wollen den Staat mit Gewalt verändern. Sie treten meistens in kleinen Gruppen auf und sind oft sehr gewalttätig. […] Vorbilder für diese

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als die Hälfte aller registrierten Straftaten aus. Im Jahr 2019 hätten die Straftaten im Themen- feld Hasskriminalität um insgesamt 5,8 Prozent zugenommen. Dabei stiege die Zahl der gemel- deten antisemitischen Straftaten um 13 Prozent. Sie erreiche mit über 2.000 Delikten den höchs - ten Stand seit Beginn der statistischen Erfassung vor fast 20 Jahren. • https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/ kurzmeldungen/DE/2020/05/vorstellung- pks-pmk-2019.html • https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/ Deliktsbereiche/PMK/PMKrechts/ PMKrechts_node.html • https://de.statista.com/statistik/daten/ studie/4721/umfrage/ vergleich-der-anzahl-von-rechten- und-linken-gewalttaten/

Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Men- schenfeindlichkeit zu bekämpfen – das ist auch ein Anliegen der Beauftragten der Bundes­ regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: „Die Voraussetzung, um Rassismus wirksam zu bekämpfen, ist Rassismus zu erkennen und klar zu benennen“ (Staatsministerin beim Bundes- kanzler und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Reem Alabali-Radovan (SPD)) https://www.integrationsbeauftragte.de/ ib-de/staatsministerin/ rechtsextremismus-rassismus-antisemitismus- und-andere-formen-gruppenbezogener- menschenfeindlichkeit-bekaempfen-1937528

Tipps und Tools aus der Praxis der Internationalen Jugendarbeit

Hier befinden sich aktuelle Beiträge zu den Themenfeldern Demokratie und Menschen- rechte von IJAB: • https://ijab.de/themen/ demokratie-und-menschenrechte/ aktuelle-beitraege-zu-demokratie- und-menschenrechten • https://ijab.de/themen/demokratie-und- menschenrechte/aktuelle-beitraege-zu-

Schriftenreihe Innovationsforum Jugend global: IJAB (Hrsg.):

• Rechtsextremismus und Rassismus als Themen in der Internationalen Jugendarbeit. Bonn 2014; https://ijab.de/bestellservice/ rechtsextremismus-und-rassismus-als- themen-in-der-internationalen-jugendarbeit • Politische Dimension der Internationalen Jugendarbeit: https://ijab.de/fileadmin/ redaktion/PDFs/Shop_PDFs/IFJG_poldim.pdf IJAB journal 1/2018: Im Fokus: Jugend verbinden – Demokratie stärken; https://ijab.de/ bestellservice/ijab-journal-12018

demokratie-und-menschenrechten/ mehr-politische-bildung-fuer-die- internationale-jugendarbeit

Demokratiebildung in der Internationalen Jugendarbeit: Ijab Journal 1/2021

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